Timo Steppat hat für die FAZ einen Menschen besucht, der sein Leben damit verbringt, Onlinekommentare zu schreiben. Dabei liest dieser Mensch die Artikel gar nicht, die er kommentiert, sondern er überfliegt sie nur. Schnell ist ein Statement geschrieben. Dabei gilt: Je provokativer, desto besser. Der Mensch, den Steppat besucht hat, nennt man daher »Troll«. An einer Diskussion, einem Austausch von Argumenten, ist er nicht interessiert. Er will provozieren.
Der Troll bekommt ein Gesicht. Ein Mann von Mitte 50 in blauem T‑Shirt mit Zigarettenpackung in der Tasche. Der Blick eher suchend als aggressiv. 200 Kommentare schreibt dieser Troll täglich, so Steppat. Immer auf der Suche nach Krawall. Seine Trophäen sind Screenshots der »Diskussionen«, die er ausgelöst hat und Bewertungen anderer. Er liebt die Zustimmung aber wohl noch mehr die Ablehnung. Worte wie »Orgasmus« und »Ejakulat« werden gefunden.
»Hass im Netz« steht über der Titelzeile des Artikels. Die Suggestion ist deutlich: Der Troll, der hier dargestellt wird, ist ein Netzphänomen. Als sei das Netz, also das Internet, eine Insel, auf der eine besonders hässliche, brutale oder einfach nur abscheuliche Tierart lebt. Die Charakteristika dieser Tierart werden auch gleich geliefert: Frührentner, Raucher, Frau weg = gescheiterte Existenz = fertig ist der Querulant. Ein Troll aus der Tüte.
Aber das Netz ist keine Insel. Der Troll ist mitten unter uns. Vielleicht sogar unser Nachbar. Der Troll kommt aus unserer Gesellschaft. Und es gab ihn immer schon. Ein neues Phänomen ist er nicht. Das Internet ermöglicht dem Troll allerdings, zeitnah seine Provokationen, Verschwörungstheorien und Hasstiraden zu publizieren. Was früher Leserbriefredakteure zur Seite gelegt haben, ist heute sichtbar.
Das, was der Troll schreibt, ist der ungefilterte Gedanke, der Massen bewegt (Massen, nicht alle). Den Kommentar des Trolls kann man abschalten, wegklicken. Dass, was er schreibt, existiert weiterhin. Wer sich hierüber erstaunt, muss sich fragen, in welcher Parallelgesellschaft er bisher gelebt hat. Gegen den Troll ist jemand wie BILD-Wagner tatsächlich ein Gossen-Goethe.
Der Troll lebt von Aufmerksamkeit und Widmung. Es ist seine Nahrung. Insofern hat Steppat dem Troll mit seinem Artikel eine gehörige Portion davon zugeführt. Er erhält durch ihn die maximale Aufmerksamkeit. Um im Text zu bleiben: Ein Multi-Orgasmus. Statt solche Figuren schlichtweg zu ignorieren, werden sie aufgewertet (auch die implizite Abwertung des Trolls interpretiert dieser als Erfolg).
Steppats Text ist auch sonst eher oberflächlich. Er weiß zum Beispiel nicht, was Polemik ist. Nichts geht in die Tiefe: Schreibt der Troll unter Pseudonym oder gar unter mehreren? Oder gar mit realem Namen? Der Begriff »Meinung« fällt. Aber was ist »Meinung«? Sollte man nicht eher »Ahnung« sagen? Oder, besser: »Ressentiment«?
Das Wichtigste aber: Ist der Troll nicht nur eine besondere Abart des Meinungs-Journalisten, der nicht mehr ergebnisoffen recherchiert, sondern nur noch sein Urteil bestätigt haben möchte? Und wie steht es mit den Superlativen im Journalismus? Der Troll sagt zu Beginn, dass er am Anfang anders geschrieben habe. Reaktionen gab es kaum. Erst mit den Provokationen wurde er wahrgenommen. Aufmerksamkeit erreicht man kaum noch mit sachlicher Auseinandersetzung. Stattdessen gibt es knackige Schlagzeilen und an den Haaren herbeigezogene Skandalisierungen. Der Troll nimmt damit nur eine Entwicklung vorweg, in dem er sie potenziert. Vielleicht ist er eine perverse Form von Avantgarde eines Journalismus, der immer mehr mit Vermutungen, Halbwahrheiten und eben Meinungen arbeitet.
Ich finde es sehr gut, dass Sie sich mit diesem Artikel auseinandersetzen! Gerade im Netz ist es wichtig, dass wir die Diskussion über de Trolle führen.
Aber leider kann ich Ihre kritik nicht nachvollziehen. Uwe Ostertag geht es eben nicht um seine Meinung, er kommentiert laut dem Artikel nur für Likes, laut Ochsentags Replik auf den Artikel um zum Nachdenken anzuregen, aber nicht weil er an das glaubt, was er sagt. Ersetzt sich ja auch offensichtlich nicht mit dem Inhalt der Artikel auseinander, was auch seine Replik wieder zeigt. Viel mehr pflegt er ein einfaches Weltbild in dem unsere Regierung faschistisch ist und durch staatshörige Medien die Meinungsfreiheit auszuheblen versucht.
Die Frage nach den Pseudonymen fände ich auch interessant, aber nicht essentiell. Es ist klar, dass er bei Süddeutsche.de viele Kommentare mit dem gleichen Synonym verfasst, sonst käme die Aktensammlung über ihn nicht zustande.
Auch kann ich nicht erkennen, wie er versucht den Mann zu diffamieren. Ihn in seinem Privatleben grob darstellen, soll für Empathie sorgen und dem Mann ein menschliches Geicht geben und nicht ihn diffamieren. Beleidigen tut er sich selber, wenn er sich einen Krüppel nennt. Oder in seiner Replik argumentiert, dass der Weihnachtsschmuck noch dastehe, weil er sich keinen Osterschmuck leisten könne, aber nicht darauf eingeht, dass der Artikel im Hochsommer geschrieben wurde.
Interessanter Aspekt, wenn Sie sagen, es geht dem Troll nicht um Meinung. Das genau glaube ich nicht: Es geht ihm nur darum jenseits aller argumentativen Auseinandersetzung sein Weltbild sozusagen in immer neuen Variationen auszubreiten. Dies geschieht unter Wegfall jeglicher zivilisatorischer Schranken. Dadurch wird er erst zum Troll: Den Filter der Zivilisation hat er abgestreift, weil ihm diese gleichgültig geworden ist.
Diffamiert sieht sich der Troll übrigens selber (steht hier), wobei ich die Dünnhäutigkeit schon bemerkenswert finde. Warum soll man ausgerechnet ihm gegenüber nachsichtig sein?
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Ob diesem Troll die bisher gebräuchliche Definition übergestülpt werden kann, wage ich zu bezweifeln. Ich empfinde es als Wohltat, dass es noch Menschen gibt, die hinterfragen, ob derzeitige Entwicklungen wirklich zu einer besseren Welt/besserem Miteinander führen.
Ist es nicht schon bedenklich, dass erst eine provokantere Wortwahl zur Wahrnehmung führt, um aus der Gleichförmigmachung auszubrechen?
Insofern muss ich mich wohl als auch Troll bezeichnen, der zwar selten die Kommentarfunktion nutzt (dies ist also eine Ausnahme), sondern lieber eigene Blogs füllt, um der Willkür und Zensur zu entgehen.
Es geht zunächst weniger um provokante Wortwahl als um die Absenz jeglicher Bereitschaft, den anderen als Diskutant überhaupt wahrzunehmen. Wer Artikel kommentiert ohne sie gelesen zu haben, wehrt sich nicht gegen gesellschaftliche Zustände sondern ist einfach nur ein armes Würstchen, dass man ignorieren und nicht in der FAZ hoffieren muss.
Der Troll ist ein Frustvieh. Das Ressentiment seine einzige Kraftquelle. Er lässt (paradoxerweise) die Journalisten wie sachgerechte Analytiker bzw. versierte Stilisten aussehen. Damit ergibt sich eine Einteilung von oben nach unten: Wissenschaftler – Journalisten – Trolle, absteigend nach Qualität geordnet. Vielleicht ist diese Vertikalität gegen den Zeitgeist, aber ich fürchte man kann sie nicht auflösen. Sie ist anti-demokratisch. Und das Thema der Mediokrität: in jedem X (major) steckt ein x (minor), ist ebenfalls schon sehr alt.
Natürlich ist das zersetzend, klar. Die Öffentlichkeit leidet unter den verschiedenen Arten der Subversion. Der subalterne Meinungsmacher aka Troll ist nur die allerneueste Variante. Die Öffentlichkeit scheint überhaupt keine ideale Form erreichen zu können. Sie ist (ohne Wertung) ein Homonculus, weil die Machtverhältnisse eine prädispositive Rolle spielen.
Ich habe schon länger das kulturpessimistische Gefühl, dass wir »außerhalb der Öffentlichkeit«, am Rande der Öffentlichkeit noch ganz wunderbar die Wahrheit sagen können, aber ansonsten nicht.
Allein, wie der sogenannte »Troll« auf den Artikel reagiert, zeigt mir, dass das Bild, welches von ihm in der FAS gezeiochnet wurde, recht gut zutrifft.
Seine Sichtweise soll mit Ja und Amen gebilligt werden, alles andere wird ignoriert und ggf. als Zensur beschimpft.
Das Ganze natürlich hinter dem Deckmantel »ich will Menschen aufrütteln, spreche unbequeme Dinge an, die Wahrheit tut halt weh« etc pp.
Solche verbohrten Menschen, die ihre ungefilterten Ergüsse ins Netz kippen, tun mir im Prinzip nur noch leid, da der Grund für dieses Verhalten mMn oft mit Unzufriedenheit bzgl. des eigenen Lebens zusammenhängt.
Soll der »Troll« doch auf die Straße gehen und gegen die »etablierten Parteien« demonstrieren, wenn es ihm dermaßen am Herzen liegt.
Mich braucht er mit seinen Netzkommentaren allerdings nicht »wachrütteln«, genauso wenig wie die Mehrheit denke ich.
Leider bildet er sich dabei auch noch ein, Volkes Stimme zu sein; solche Annahmen halte ich in Anbetracht seiner Grundhaltung für besonders gefährlich.
Deshalb finde ich es gut, wenn Online-Redaktionen den ein oder anderen solcher Kommentare löschen. In diesem Zusammenhang verstehe ich den »Troll« auch nicht, er kann doch seine Meinung auch woanders kundtun als in Online-Foren, die im Übrigen auch nicht verpflichtet sind, seine Meinung zuzulassen (schließlich kein Staatsapparat). Vor 20 Jahren gab es auch keine Online-Foren, ist er damals auf die Straße gegangen um sich über »Medienfaschismus« zu echaufffieren?
»Ich empfinde es als Wohltat, dass es noch Menschen gibt, die hinterfragen, ob derzeitige Entwicklungen wirklich zu einer besseren Welt/besserem Miteinander führen.«
Was ist eine bessere Welt?
Eine Welt, in der Sie uns erzählen wollen, wie die Welt ist, nehme ich an?
Und das möglichst provokativ und ohne Lösungsansätze für all die Probleme, die es gibt, nehme ich an? Darüber hinaus sind alle anderen, die nicht so denken wie Sie, Menschen die nicht hinterfragen können, nehme ich an?
Kann man sich noch vager ausdrücken als Herr Ostertag in seinem im Kommentar #2 verlinkten tl;dr-Traktat?
»Mein privater Populismus dient dazu, bewusst die Ängste dem Volk näher zu bringen, die Ängste vor dem, wofür es letztendlich durch höhere Abgaben und Freiheitseinschränkungen leiden muss.«
Was fürchtet das Volk denn jetzt genau? Islamische Terroristen? Bankster? Wildgewordene Killerwespen?
Mir scheint, als wolle er gar nicht konkret werden; denn dann müsste er tatsächlich mit Widerlegung seiner Thesen rechnen, und seine Illusion, für die Mehrheit des Volkes, für den »Mob« (wie er sich ausdrückt), zu sprechen, wäre dahin.
Nachdem was ich alles über Ostertag gelesen habe (FAZ & seine Ausführung auf haben wir es meiner Meinung nach bei diesem speziellen »Troll« um eine Art Wischmeyer zu tun der seine Satire statt im Funk & Fernsehen lieber über die Kommentarspalte verbreitet.
Leider, und das stellt man in allen Bereichen der Medien fest, erkennt nicht jeder die Satire wenn sie vor einem steht. Was wiederum amüsant aber auch erschreckend ist.
Überaus satirisch finde ich nun aber das sich Ostertag auf seinem Blog beschwert wie mit ihm umgegangen wird (und zwar in den Kommentarspalten) bzw. die Leute ihn durch den Artikel nur oberflächlich kennengelernt haben und dadurch ihre Meinung bilden.
Ist das nicht das selbe was Herr Ostertag die ganze Zeit auch macht?¿
»Ich empfinde es als Wohltat, dass es noch Menschen gibt, die hinterfragen, ob derzeitige Entwicklungen wirklich zu einer besseren Welt/besserem Miteinander führen.«
– Diese Menschen sind sogar sehr zahlreich, Sie scheine nur all die zu übersehen, deren Ergebnisse Ihnen nicht zusagen.
»[...] Zensur [...]«
– Gäbe es eine Zensur, so könnten Sie nicht Ihre eigenen Blogs füllen, da diese der Zensur zum Opfer gefallen wären... (nochmal: Meinungsfreiheit bedeutet die Freiheit, seine Meinung kundtun zu können, nicht die Pflicht Anderer, diese Meinung zu veröffentlichen/weiterzugeben).
Hmm. Wer mal einen Troll an der Backe hatte, der wird im FAZ-Artikel etwas Licht in den Teil bekommen über den man sonst nur vermuten kann. Mein Haustroll – deshalb habe ich gerade Ruhe – ist gerade Patient in einer Entzugsklinik. Auch da: Ehe kaputt, langzeitarbeitslos ...
Die eigentlich interessante Frage stellt der Artikel nicht. Es gibt im Web zahlreiche Orte wo man mit Freundlichkeit und/oder Sachverstand oder Vermittlung oder angemessener sozialer Interaktion trotz Probleme im Realleben Aufmerksamkeit und Zuwendung erfahren kann. Ein Freund von mir, der ans Bett gefesselt war baute eine tolle Webseite, um die sich eine Community bildete.
Warum trollt ein Troll? Die Aufmerksamkeit die er sonst bekommen könnte wäre größer. Ich glaube er trollt weil die Ablehnung die er erfährt ihn in seiner These über die Welt bestätigt und entschuldigt.
Dies ist evtl. noch ein Artikel mitsamt seinen Kommentaren, aus deren Holz aus Herr Ostertag geschnitzt sein könnte.
Das wäre laut ihm bestimmt auch so eine »unbequeme Wahrheit, die einfach mal gesagt werden muss«
http://www.bildblog.de/
»Schutzwesten gegen Asylbewerber«
Danke an die Kommentare (alles keine »Trolle«!)
@Mareike Kaa
Interessant finde ich auch, dass er einerseits alle Leute hasst, ihnen Dummheit unterstellt und dann, nur einen Satz später, sich zum Sprecher der Mehrheit aufspielt, also derer, die er beschimpft hat.
@Ich wer sonst
Naja, ich frag’ mal ein bisschen naiv: Warum haben Sie den Troll »an der Backe«? – Ich versuche jedes aufkeimende Trollpflänzchen im Keim zu ersticken, und zwar mit repressiven Maßnahmen: Löschen und Aussperren...
Ich hatte den an der Backe weil ich a) nicht selbst da aussperren kann und b) weil der Troll permanent den Namen wechselte. So entstehen zeitliche Lücken die der Troll nutzt. Der Troll hat also eine gewisse Spielzeit. Er stalkte mir hinterher. Auffällig war, dass dieser Troll – und das scheint mir beim FAZ-Troll auch vorzuliegen – abstossende politische Aussagen beliebig herauf und herunterfahren konnte. Er hatte zwar eine politische Grundstandpunkt, die Trollbeiträge wurden aber je nach Anlass skaliert.
Immer noch bleibt die Frage warum jemand nicht durch sachliche oder freundliche Beiträge beitragen möchte, warum er sein Tun auf diese Art und Weise einschränkt. Auch für die gibt es Aufmerksamkeit. Ich für meinen Teil kann mir das kaum rein interaktionistisch erklären, sondern vermute einen in der Psyche des Troll liegenden Grund. Irgendwas zwingt sie permanent einen auf die Fresse bekommen zu wollen. Ihr Geraune von Inhalten und Meinungen ist nur eine Scheinrationalisierung ihres tun. Vieleicht können sie sich nur so spüren oder nur so ihre Existenz erleben.
Es gibt eine überwiegenden Zahl an Menschen in der gleichen oder ähnlichen Lebenssituationen, die die Diktatur der Zeitreichen nicht so antisozial nutzen sondern was fruchtbares beitragen.
Danke für die Aufklärung. Vielleicht liegt der Grund auch darin, dass man Aufmerksamkeit zum Spottpreis generieren kann. Neulich habe ich von Fußballspielern gehört, die sich in den sogenannten »Hexenkesseln« bei Auswärtsspielen besonders gefordert sehen, wenn sie ausgepfiffen werden. Das geht vielleicht in diese Richtung. Es ist auch für manche ein gewisses Vergnügen dabei, destruktiv tätig zu sein...
Stefan Raab läßt grüßen. Der Maschendrahtzaun hat die FAZ erreicht oder besser noch der Journalismus den Stammtisch.
Ein »Troll« ist ein Stereotyp und eine sehr breit gestreute Bezeichnung für Menschen vom geifernden Volksverhetzer bis hin zum friedliebenden Engelchen. Sie kommen aus allen politischen Lagern. Meist sind Trolle jene aus dem anderen Lager. Es können Dummschwätzer sein oder Menschen sein, die lediglich sachliche Beiträge mit fundiertem Hintergrund posten.
Es ist aber vor allem eine Bezeichnung für alle, die in abgrenzbaren sozialen Netzwerken störend sind. Zum Troll werden sie wenn sie »nicht locker lassen« .
Trolle sind somit vor allem ein Kennzeichen demokratischer Strukturen. Nur dort haben sowohl Dummschwätzer-Trolle und Klugredner-Trolle die Möglichkeit zum trollen, zum stören, zum unbequem sein. Soziale Netze mit rigorosem Trollausschluß sollten daher verstärkt beobachtet werden. Wer alles wird dort zum Troll erklärt. Wie wird dort mit sachlichen Beiträgen umgegangen? Werden diese z.B. gelöscht?
Auch das Sprechen über Trolle kann bezeichnend sein. Wenn der Troll zum »Vieh« wird, wie auch hier in den Kommentaren in einem Beitrag, dann wird die Sprache zur Sprachen von »Herrenmenschen« gegenüber »Untermenschen«, bzw. noch eine Stufe tiefer dem Vieh. Man kann es auch so sehen: jede Zeit und Kultur hat seine eigene Bezeichnung für die unter F.-J. Strauß noch als »Ratten und Schmeissfliegen« und heute in den Netzkulturen als »Trolle« bezeichneten »störenden Elementen«.
@Ich wer sonst
„Auch für die gibt es Aufmerksamkeit. Ich für meinen Teil kann mir das kaum rein interaktionistisch erklären, sondern vermute einen in der Psyche des Troll liegenden Grund. Irgendwas zwingt sie permanent einen auf die Fresse bekommen zu wollen. Ihr Geraune von Inhalten und Meinungen ist nur eine Scheinrationalisierung ihres tun. Vieleicht können sie sich nur so spüren oder nur so ihre Existenz erleben.
Es gibt eine überwiegenden Zahl an Menschen in der gleichen oder ähnlichen Lebenssituationen, die die Diktatur der Zeitreichen nicht so antisozial nutzen sondern was fruchtbares beitragen.“
Ist das nicht die schlechthinnige Beschreibung eines Th. Sarrazin? Oder der Grundstimmung, die man überall dort in Kommentarspalten findet, wo sich Kommentatoren als AfD-Sympathisanten outen?
Folgt man dieser These sind Trolle, Sarrazins die keinen Verlag gefunden haben. Würde mir gefallen – und manchen Mist den Trolle in Newsgroups, Foren oder auch Wikipedia treiben fast restlos erklären.
Es spricht aber was dagegen: Trolle erzeugen meist keine »Werke« wie Sarazin. Und ihr »Scheitern« ist Teil ihrer Selbstbestätigundstrategie. Nun Sarazins zweites Werk versucht zumindest den Bestsellerautoren als unterdrückt darzustellen, aber das ist wohl eine schlechte Simulation.
Und dann gibt es noch den Unterschied mit dem sozialen Umfeld. Die Trolle bei denen ich Blicke ins Privatleben erhaschen konnte sind alle sozial isoliert, deklassiert. (Hat Sarazin so ein Lebensgefühl?) Bei mehreren sind mir psychiatrische Auffälligkeiten ins Auge gesprungen, einer starb durch Selbsttötung, zwei weitere leiden offensichtlich an Wahnvorstellungen. »Mein« Troll hat neben dem anderen ein Alkoholproblem, die Beiträge kippen ganz typisch von Aggression in Weinerlichkeit, je nach Uhrzeit. Zurückweisung im Realleben war bei allen gegeben (komisch alles Männer der Mehrheitsbevölkerung, mehre davon ohne PartnerIn bzw. mit gescheiterten Ehen) vermutlich mit einer Kombination aus unausgeschöpftem Bildungspotential und realem Beruf dazu verbissen und detailsverliebt.
Der Zeitüberschuss zum Trollen entsteht aus Mangel an vernünftiger Beschäftigung und Integration. Zeitungskommentatoren werden dagegen bezahlt für das was sie absondern. Das setzt andere soziale (und finanzielle) Integration voraus.
Was also macht den Unterschied zwischen einem Troll und jemanden aus, der genau so desintegriert und antisozial ist, sich aber still und leise einem abseitigen Hobby widmet wie etwa dem Sammeln von römischen, antiken Telefonkarten und dazu mit Gleichgesinnten Austausch treibt oder nicht?
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Sarrazin setzt zwar das Mittel der Provokation ein, hat aber mit einem »Troll« nichts gemein, weil er eine Diskussionsgrundlage erarbeitet – ob sie einem nun gefällt oder nicht, ob sie nun fehlerhaft ist, oder nicht. Trolle sind per se destruktiv, an einem argumentativen Austausch nicht interessiert. Sie absolutieren ihre Meinung als ultima ratio; sie sind in der Regel ein Ausbund an Intoleranz und Ignoranz. In den Kaninchenzüchterverein gehen sie nicht, weil sie entweder schon drin waren und hinaus kompromittiert wurden oder aber die Schutzhülle des Internet vorziehen; vor direkten sozialen Konfrontationen (sogenanntes »real life«) schrecken sie zumeist zurück.
Christoph Kappes hat einen langen Text zur Problematik der Onlinekommentare geschrieben. Er unterscheidet zwischen Troll und Pöbler. Vieles war er schreibt, ist erhellend, anderes interessant, manches ein bisschen sehr sozialdemokratisch und dann wieder auch technikfixiert.
Einen Punkt halte ich für essentiell: Trolle stehlen Zeit – und zwar nicht nur dem Verfasser eines Beitrags, sondern auch den anderen Kommentierenden. Sie stehlen die Zeit, die vielleicht anderweitig genutzt werden könnte um argumentativ widersprechen zu können oder Ergänzungen vorzunehmen.
Ich habe den Begriff Troll bislang relativ eng als einen Spielenden verstanden, einen Ironiker insofern er die anderen an der Nase herum führt und sich verkleidet, um die Verkleidung weiß, sie aber nicht ausstellt, jemanden der provozieren will und Reaktionen hervorruft, aber niemanden, der das manisch tut.
In seiner »Theorie des literarischen Bloggens« spielt(e?) der Troll bei Alban Nikolai Herbst ja auch eine gewisse Rolle; er machte/macht ihn zum Störenfried, der kreatives Potential freisetzen kann (s. hier die Besprechung zum Buch; aktuell vermag ich dazu nichts zu sagen, ich lese seinen Blog derzeit kaum noch).
Schlag den Troll, um die Abschaltung des widerborstigen Resonanzbodens zu legitimieren.
Das Trollphänomen gibt es schon lange. Aber noch nie waren die Foren derart gefüllt mit legitimen und qualifizierten Gegenreden aus der Stammleserschaft in Sachen Ukraine.
Allzuviele propagandistische Verzerrungen und Auslassungen, bis hin zu offenen Lügen, wurden in den Foren in Serie demaskiert. Und zwar nicht im Hasstrollstil.
Das war der Anlass für die neue Forenpolitik bei SZ und FAZ. Und für diesen Artikel. Ich teile da die Aussage von Konstantin Wecker: Eine derartig gleichgeschaltet erscheinende Propagandaschlacht habe ich noch nie erlebt. Und mir auch nicht vorstellen können.
Jetzt wurde sie eben auf den Kommentarbereich ausgeweitet. Man möchte Gegenöffentlichkeit nicht in den Massenmedien sichtbar werden lassen. Thats all.
@antitrollroller
Schöne Verschwörungstheorie, passt zu diesem unsäglich langweiligen Konstantin-Wecker-Alarmismus, hat aber leider nichts mit der Realität zu tun. Vielleicht lesen Sie den Kappes-Text mal, da stehen ein paar Argumente.
Je länger die Debatte dauert, desto zahlreicher werden die besonnenen und analytisch vorgehenden Stimmen und desto eher werden sie gehört (der Alarmismus, die Superlative und Vereinfachungen nutzen sich ab, manchmal durch die Entwicklungen begünstigt, wie in diesem Fall durch das unverständliche Verhalten der EU). — Man muss die Schreier und Moralisten aussitzen, einen langen Atem haben, so mein Eindruck von dieser und anderer Debatten in der letzten Zeit.
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@Gregor Keuschnig
Den hatte ich bereits gelesen.
Er beschreibt letztlich die Troll-Problematik, wie es sie seit Jahrzehnten gibt.
Welchen anderen konkreten Anlass diese Medien gerade jetzt für diese Maßnahme gehabt haben können, den Sie daraus ablesen und mir empfehlen, müssten sie mir schon gesondert erklären.
Ich finde da nichts.
Vielleicht beschreibt doch die Antwort (»Leitartikel«) der Spiegelleitung auf die Kommentierung des, inzwischen vom Presserat gerügten, Spiegeltitel mit den ungefragt abgegriffenen Opferportraits und der ohne Beweis-Basis verhetzenden Headline, die wahre Haltung der Entscheider wesentlich besser?
Aber was antworte ich jemandem ernsthaft, der gleich mit »Verschwörungstheorie« beginnt? Man strafe mich für meine Naivität...
Aber, falls es Sie erfreut:
Dem »unsäglich langweiligen Konstantin-Wecker-Alarmismus« unterstelle ich eine Menge mehr Realitätsbezug, als dem täglichen Invasionsalarmismus, der Adolf Nero RasPutin täglich vor den Türen, wahlweise, Kiews, des Baltikums oder gar Berlins sieht.
Von ihrer Seite her mit »Alarmismus« zu diskreditieren, finde ich daher ... ja...durchaus gewieft. Chapeau.
@metepsilonema
Ich sehe das anders. Schreier kann man nicht aussitzen, weil sie auf Zerstörung aus sind und dabei Erfolg haben werden. Ich kann keine sachliche Diskussion mit Leuten führen, die sie sabotieren.
.-.-
Ich empfehle den Antitrolltrollern den Artikel in der FAZ genau zu lesen. Hier wird – bei allen Schwächen – genau beschreiben, wie Trolle agieren: Sie lesen gar nicht das, was sie kommentieren. Es kommt ihnen nicht auf Gegenöffentlichkeit oder Debattenkultur an. Es geht nur darum, Alarm zu machen, sich in den Vordergrund zu spielen. Das als Widerstandsakt auszugeben, ist ziemlich dumm.
@Gregor
Ich meinte, sie einfach schreien lassen. Wenn man zum fünfzehnten Mal liest, dass Putin mit dem Säbel rasselt und zwar nur Putin, glaubt das kaum einer mehr (die Berichterstattung im Zuge der Ukrainekrise hat ja viel Gegenwind erzeugt). Und mein (vielleicht falscher) Eindruck ist, dass die besonnenen Wortmeldungen mit ihrer Fortdauer häufiger geworden sind.
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