Christoph Kappes fasste in seinem, vor etlichen Tagen veröffentlichtem, Text über Kommentare, Trolle und digitale Kommunikation, die Maßnahmen der Süddeutschen Zeitung in dem folgenden Paradoxon zusammen: »Darf das Meinen (-> Meinungsfreiheit) eingeschränkt werden, um das Meinen (-> Meinungsbildung) sicherzustellen?« Sind also einschränkende Maßnahmen erforderlich um Online-Diskussionen zu ermöglichen, bzw. diese teilweise oder ganz abzuschalten, um einen Raum der Meinungsbildung überhaupt zu erhalten? Ein Recht auf Kommentierung gäbe es nicht1.
Kurz danach beschreibt er die Kommentarstruktur von Online-Foren oder Publikationen treffend als eingebettet in ein »Oben« und »Unten«: »Einer spricht oben, viele antworten unten – die Liturgie von Priester und Gemeinde ist tief verwurzelt und klingt mit.« — Einerseits gibt es viele Möglichkeiten Kommentare zu strukturieren, aus– oder einzublenden (Wertungen, Spamfilter, Stopplisten, Skalierungen der Textmenge, nennt Kappes etwa), andererseits besteht trotzdem die Gefahr, dass der eigene (mühevoll geschriebene) Kommentar im (pöbelnden) Nirwana verschwindet, übersehen oder von einem Moderator in den virtuellen Papierkorb befördert wird: Die Grundstruktur bliebe trotz aller Fortschritte gleich, »nämlich oben ein redaktionelles Stück von ein paar tausend Zeichen und unten kurze Leseranmerkungen.«
Was wäre naheliegender, als die eingangs zitierte Paradoxie dahingehen aufzulösen, dass man die wesentlichen Äste des Kommentarbaums und damit Ergänzungen, Anmerkungen und Richtigstellungen als unmittelbar folgenden Anhang in den Haupttext »zurückfließen« lässt? Die Edition eines solchen Anhangs könnten Moderatoren und ausgewählte (ehrenamtlich arbeitende?) Leser übernehmen (eventuell jene die auf der Seite des entsprechenden Medium einen Blog betreiben oder ein Abonnent halten). Alle zusätzlich aufgenommenen Aspekte müssten per Link auf die Quellen (Kommentare) verweisen, unter Umständen auch auf eine dort noch andauernde oder detailliertere Diskussion. Wie ein solches Unterfangen im Detail aussehen kann, wäre zu diskutieren, etwa: Betrifft es alle Texte oder nur bestimmte? Wie kann oder sollte der Anhang gestaltet sein? Wie groß ist der Aufwand?
Im Folgenden einige weitere Aspekte, mögliche Entwicklungen, Vor- oder Nachteile2:
- Die Zusammenführung und Verdichtung von Kommentaren bedeutet Auswahl, Straffung und Umformulierung, denn der Anhang soll gut und in einem Guss lesbar sein; er könnte z.B. ein Destillat möglicher alternativer Sichtweisen und Argumente sein, die Voraussetzung ist natürlich, dass in den Kommentaren genug Substanz vorhanden ist.
- Dies bedeutet mehr Integration oder Synthese (These oder Ausgangstext gegen Antithese oder Kritik) als Verbannung, insgesamt eine Überschreitung und Erneuerung des Ausgangstextes: Oben und unten finden zueinander, sie werden „transparenter“.
- Die Moderation der Kommentare könnte „komplett“ entfallen (der zeitliche Aufwand könnte in die Edition gesteckt werden), ebenso zeitaufwändiges Suchen der Leser nach Wertvollem in den Kommentaren; ein Nichtauffinden durch Suchmaschinen wäre nicht nur kein großes Problem mehr, sondern sogar erwünscht (der Kommentarraum ist sowohl Keller als auch Tiefenspeicher; Privatdiskussionen über Nebenaspekte und verwandte Themen, Trolle, Pöbeleien verbleiben dort.); Kommentare erhalten insgesamt wahrscheinlich weniger Aufmerksamkeit, die im Anhang des Ausgangstexts verlinkten hingegen mehr.
- Dies könnte eine grundsätzliche und positive Niveauänderung der Diskussionen im öffentlichen Raum bewirken (u.a. eine Entmoralisierung): Der Raum insgesamt würde vielleicht etwas geringer, aber Tiefe und Aufwand könnten steigen, es wäre motivierend für viele Leser dem Ausgangstext etwas hinzuzufügen und womöglich „namentlich“ aufzuscheinen; tatsächliche Meinungsbildung wäre möglich.
- Eine Kombination aus Lesern und angestellten Mitarbeitern (vormals Moderatoren) erhöht die Objektivität und Glaubwürdigkeit, die entscheidend ist, dass missliebiges nicht in den Kommentaren verbleibt oder nur die Argumente einer Seite einfließen.
- Die Kommentarmöglichkeiten (und damit auch der Textanhang) könnten sich auf Aufsätze, Essays und gesellschaftlich und politisch wichtige Themen beschränken (nicht jedes Meinungsstück oder jede Meldung muss kommentierbar sein, das hilft Ressourcen sinnvoll einzusetzen; natürlich können die nicht kommentierbaren Texte im Anhang auftauchen).
- Die Aufmerksamkeit bleibt beim Haupttext inklusive Anhang, der manchmal der interessantere Teil werden könnte.
- Auf diese Art und Weise kann man ganze Debatten strukturieren und verdichten.
- Der Ausgangstext könnte mit Einverständnis des Autors (gegebenenfalls auch von ihm selbst) neu überarbeitet werden, die Erstversion und ihr Anhang würden nun den neuen Anhang bilden: Es wäre ein neuer, gut lesbarer und erweiterter Text vorhanden. Möglicher Weise entstünde etwas wie fließende Texte, die z.B. Debatten begleiten.
- Wie sich der administrative Aufwand entwickeln würde, ist schwierig abzuschätzen; womöglich steigt er.
- Die Einbindung des Lesers, der längst nicht mehr nur Leser ist, würde weiter verstärkt werden, inklusive einer Vertiefung und Erneuerung der Beziehung zum Journalismus (Entspannung); die Komplexität der Debatten und ihre Angemessenheit würden zunehmen, Spezialwissen aus anderen Berufen, der Wissenschaft oder von Journalisten kann einfließen und eingebunden werden (wechselseitige Ergänzung). — Die Kommunikation neigt sich symmetrischeren Machtverhältnissen zu (siehe Kappes) und Tauschverhältnisse (wer trägt was bei) würden ausgeglichener und komplizierter.
- Es entstünde mehr Druck ordentlicher zu recherchieren, weil Fehler nicht nur in den Kommentaren, sondern sogar unterhalb des Textes auftauchen, wo sie jedermann sofort findet (eine neue Messlatte für den Qualitätsjournalismus). — Eine Anmerkung eines Lesers kann zu einer Ausweitung oder Vertiefung der Recherche führen, Anstoß zu neuen Gedanken oder Argumenten sein.
- Die Verdichtungsleistung von der Kappes schreibt, wäre dann eine gemeinsam erbrachte.
- Die Atomisierung von Öffentlichkeit könnte durch die Zusammenführung von Teilöffentlichkeiten (z.B. Kommentare), ein Stück weit zurückgenommen werden. Ein Kommentar wäre nicht nur eine Teilhabe an Öffentlichkeit, sondern auch als Ergebnis der Debatten sichtbar.
Vielen Dank für den Text. Ich bin ein wenig ratlos, wo diese Kommentarverdichtung stattfinden soll. Auf den Portalen von ZEIT, FAZ, Heise oder anderen Foren? Alle haben unterschiedliche Softwaresysteme. Oder auf einer separaten Webseite? Wie will man die Pöbeleien ausschalten, wenn es keine Moderation geben soll? (Trolle sind ja gar nicht an einer Sachdiskussion interessiert.) Technische Hilfestellungen sind kompliziert und auch störanfällig. Es gibt ja Blogs, die Bewertungen für Kommentare eingeführt haben und bei hinreichend schlechten Bewertungen werden diese dann unsichtbar gemacht bzw. nur geteasert. Wer sagt aber, dass diese Bewertungen wieder objektiv sind und nicht gezielt manipulativ? Wird dieser technische Aufwand durch den Mehrwert der in den Kommentaren ausgewiesenen Erkenntnisse sozusagen »gedeckt«?
Ich finde die Idee, eine tadellos funktionierende Gesellschaft »herzustellen«, absurd. Muss ich mir die Diskutanten dann als Fusszeile vorstellen? Sollten Artikel und Kommentare nicht (auch) als Kritik verstanden werden? Warum möchte man Diskutanten die möglicherweise unbequeme Fragen stellen oder Widerstand leisten aussortieren? Ist nicht jeder Artikel und Kommentar, egal ob er uns gefällt oder nicht, eine Herausforderung? Ob Artikel und Kommentare falsch oder richtig, gut oder schlecht sind, kann der Leser selber entscheiden. Bei dieser Vorgehensweise (siehe Überschrift des Artikels) wird der Bogen Sorgfalt überspannt.
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Wenn ich das Konzept richtig verstehe, denkst du an eine Art dynamisches Diskussionsprotokoll durch Protokollscheiber?
Ich halte das für eine gute Idee, aber nur für Nischen praktikabel. Die einfachste Form für solche Protokolle wäre ein Blog, scheint mir.
Das Problem ist, dass man eine Diskussionskaskade initiiert mit den bekannten Folgen des Abdriftens: »Die Zusammenführung und Verdichtung von Kommentaren bedeutet Auswahl, Straffung und Umformulierung« und muss daher ein Anschwellen des Beleidigtseins hervorrufen, meine ich.
Funktionieren könnte das in kleinen Diskussionsräumen, wo sich von Vornherein nur gleichgesittete Menschen einfinden (was auch wieder den Nachteil hat, »geistige Inzucht« zu ermöglichen). Doch auch in Nischen dürfte es immer wieder passieren, dass die »Summaries« und nicht die thematisch relevanten Punkte die Duískussion erregen.
Im übrigen denke ich wie »ohneeinander«, dass der Überfluss des Ausdruckbedürfnisses, den das Netz erzeugt, fördert und zulässt, nicht beherrscht werden kann und auch nicht beherrscht werden sollte. Ich würde eher dafür plädieren, eine Pluralität von Diskussionsformen zu ermöglichen und noch stärker über Varianten nachzudenken (graphisch, funktional, »räumlich«, Verlinkungen zwischen Paralellräumen etc gibt es vermutlich noch etliche Möglichkeiten, zum Beispiel – wenn ich einmal kurz die Fantasie schweifen lassen darf – könnte sich 1 »Zeitungsseite« [ein Artkel wäre so etwas wie ein »Posting der Redaktion«] wie bei tumblr verhundertfachen und eine Pluralität von Diskussionstischen aufmachen, die unter dem Artikel indiziert werden.)
Dass einige nur ihre persönliche Meinung verlautbaren wollen (»Ich find’s blöd, mehr will ich nicht sagen«), halte ich für genauso legitim wie das Bedürfnis anderer, mit genaueren Überlegungen einen seminaristischen Diskurs zu führen. Ich halte nahezu alles für fruchtbar, wodurch sich Menschen anderer Leute Perpsektive aussetzen. Insofern finde ich interessant die Überlegung, das Oben und Unten zu trennen oder den Bezug anders herzustellen, z.B. in die Diskutierer selbst zu »Autoren« werden. Die Lösung dafür wäre eine App, die eine Dezentralisierung ermöglicht (in gewisser Weise bietet das wohl schon Facebook, das Problem ist, dass ich in den Artikel nicht sehe, wer auf Facebook zu welchem Punkt eine Debatte eröffnet hat). Man ersetze Facebook durch eine andere App und kommt zu interessanten Lösungsideen für eine Parallelität unterschiedler Diskussionsstile, unterschiedlicher Themenschwerpunkte und vielleicht auch zu Formen, die mit Protokollformen arbeiten. Leser würden so selbst zu « Diskussionsautoren« und Moderatoren ;) Lustig wäre, wenn man dann »Big Data« dazuschalten könnte, um bei millionenköpfigen »Großdiskussionen« eventuell auch zu inhaltlichen oder graphischen automatisierten Diskussionsbildern zu kommen.
@Gregor
Ja, auf den Portalen der entsprechenden Medien. Vielleicht zwei Beispiele:
1. Bei dieser Diskussion auf meinem eigenen Blog wollte ich die Anmerkungen und Argumente in den Kommentaren in den Ausgangstext aufnehmen, weil sie meine Sicht der Dinge erweitert haben, ihn also überarbeiten oder sie extrahiert als Anhang anfügen (ich habe mir allerdings noch nicht die Zeit dafür genommen). Das kann man theoretisch mit jedem Text machen, die Ansprüche an die Software sind m.E. minimal. In der Praxis wird man entweder Texte darauf zuschneiden oder bestimmte auswählen, da sich nicht alle gleichermaßen eignen (oder man sieht sich die Entwicklung einmal an, es stehen ja alle Wege offen).
2. Überlegenswert wäre es, diese Debatte in der NZZ (Texte: 1, 2, 3, 4, 5) inklusive der Leserkommentare in einem separaten, übergeordneten Text (Thema, etwa: Was hat der Islam mit dem terroristischen Islamismus zu tun? Welche Konsequenzen hat das für ein demokratisches Gemeinwesen?) zusammenzuführen mit Verweisen auf die Quellen (anführen von Argumenten, Standpunkten, Gegenargumenten, Einwänden, Beispielen).
Ob das auch Plattform- (also Medien-) übergreifend handhabbar ist, weiß ich nicht, aber bis dahin ist es noch weit.
Wenn der Schwerpunkt wieder auf dem Artikel liegt, also in der Synthese, dann wird das Pöbeln vielleicht weniger interessant, bzw. finden sich vermehrt positive Kräfte ein. Ich will nicht behaupten, dass überhaupt keine Moderation mehr notwendig ist (zumindest in der Übergangsphase), aber wenn die Kommentare nicht zwingend gelesen werden müssen, wenn das Wertvolle zusammengesucht wird und nicht verloren geht und die Kommentare nicht durch Suchmaschinen auffindbar sind, dann sinkt die Motivation zu stören, ihre Effekte sind weniger bemerkbar und Beschimpfungen »weniger anstößig« (man muss daher nicht alles streichen, sondern nur das Schlimmste). — Bewertungen könnten als Richtlinie für eine Aufnahme gelten, aber nicht mehr (problematisch bleiben sie, ja).
Die Gretchenfrage ist, ob sich der Aufwand lohnt, klar, aber unter einem der NZZ-Artikel oben fanden sich 79 Kommentare, im Überfliegen waren sie alle der Form nach ordentlich, ein Indiz dafür, dass es auch der Inhalt ist: Ich kann diese Kommentare aus Mangel an Zeit nicht lesen, eine Zusammenfassung schon.
[Zu den anderen Kommentaren morgen.]
Naja, die 5 NZZ-Texte sollen ja wohl eine Art dialektischer Diskurs abbilden. Das gibt es ja auch immer wieder in der »Zeit«. Andere Diskussionen laufen dahingehend, dass zu einem bestimmten Thema A einen Text in Medium Z schreibt, B eine Replik darauf in Medium Y, C dann etwas in X, usw. Untersucht werden müsste dennoch im Einzelfall, ob aus den Kommentaren unter den jeweiligen Artikeln tatsächlich etwas Neues entsteht.
Wie ich schon häufiger bemerkte, ist ein Kommentar mit dem Tenor »Ich find’s blöd, mehr will ich nicht sagen« für eine seriöse Diskussion um eine Thematik überflüssig. Das heisst nicht, dass ich das nicht legitim finde. Insofern müsste man erst einmal klären, welchen Zweck Kommentare in Leserforen überhaupt erfüllen sollen. Dienen sie als Müllkippe für »Meinungen« (die ich nicht brauche)? Oder sollen sie die Diskussion weiterführen, ergänzen? Das machen aber fast nur Blogger so; Redaktionen reagieren da nur indirekt darauf, in dem sie dann beispielsweise im nächsten Beitrag die »Gegenseite« zu Wort kommen lassen. Der Pluralismus bleibt zwar gewahrt, aber man muss dann mehrere Ausgaben bzw. mehrere Medien rezipiert haben, was nicht nur zeit- sondern womöglich auch kostenintensiv sein kann.
Auch ich habe kaum Zeit (und Lust) 79 Kommentare über einen Islam-Artikel zu lesen. Du plädierst also für einen Extrakt, den dann jemand zu erstellen hat. Aber was kommt in diesem Extrakt vor und was nicht? Wieviel ist – gerade beim Thema Islam – Wissen, was ist »Meinung«, was ist Ressentiment? Selbst innerhalb der Islam-Gelehrten gibt es ja veritable Streitpunkte über die Interpretation einzelner Formulierungen. Welchen Mehrwert können dann Kommentare liefern, außer den jeweiligen Standpunkten noch Facetten zuzufügen? Etliche der inzwischen 119 Kommentare in diesem Thread sind wirklich gut und selbst diejenigen, die nur Statement-Charakter haben, sind nicht pöbelnd.
Fritz’ technische Lösungen halte ich auch nur für Hilfskonstrukte, die im übrigen sehr manipulationsanfällig sind. Ich habe vor einiger Zeit mal in einem Blog kommentiert, in dem Kommentare bewertet werden können – mit plus und mit minus. Ab einem gewissen negativen Saldo wird die Schrift des Kommentars immer schwächer; irgendwann verschwindet er dann bzw. wird nur noch angeteasert. Das passierte nicht nur bei Pöbelkommentaren, sondern auch dann, wenn der Tenor der Leserschaft des Blogs argumentativ »verletzt« wurde. (Solchen kollaborativen Formen stehe ich auch aufgrund der Erfahrung mit »Nensch« eher skeptisch gegenüber, aber das ist vielleicht schon zu subjektiv.)
Ich hatte hier http://kwakuananse.de/http:/kwakuananse.de/archives/der-text-ist-tot-es-lebe-das-wissen/ mal einen interessanten Artikel in »Hohe Luft« kommentiert, bei dem es um die Zukunft von Texten ging. Zwei zentrale Thesen damals:
1. Im Netz stehende Artikel (oder allgemeiner Medien) können fortlaufend aktualisiert werden, ganz im Gegensatz zu gedruckten und veröffentlichten Werken. (Das entspricht in etwa dem Vorschlag, dass Kommentare nachträglich in den Originaltext eingearbeitet werden könnten.)
2. In vielen Bereichen ist die Dominanz linearer Texte in der Zukunft ungewiss, vielleicht ist unsere heutige Fixierung auf dieses Medium ein Relikt aus der Zeit, in der es nicht besser ging.
Aber direkt zum Thema: Den grundsätzlichen Widerspruch, dass die interessantesten Texte die meisten Kommentare (und Pöbler) auf sich ziehen und ihre Verarbeitung (wie auch immer) einen großen Aufwand bedeutet, löst keiner der Vorschläge. Mit einer gewissen Menge von »Grundrauschen« wird man leben müssen, genauso wie man auf der Straße auch nicht alle Menschen entfernen kann, die einem nicht behagen. Man kann nur bestimmte Orte prinzipiell meiden.
Ich kann @ohneeinander, @Fritz den Einwand der tadellos funktionierenden Gesellschaft bzw. der Beherrschung der Ausdrucksbedürfnisse nicht (ohne weiteres) nachvollziehen. Zunächst noch einmal zum Konzept: Es geht hier nur um die Diskussionsräume in den klassischen (mittlerweile längst online gegangenen) Medien (früher: Zeitungen), alle anderen Foren, Blogs, usw., sind ausgeklammert. Die Gründe sind folgende: Beschwerden von Seiten eben jener Medien über die Kommentarqualität; dann: Die Unmöglichkeit alle Kommentare lesen zu können, obwohl dort sicherlich lesenswertes zu finden ist; die Erhaltung jenes Rahmens den ein öffentlicher Diskurs benötigt; und: Der Tendenz der Vereinzelung und des Auseinanderdriftens (Links, Kommentare, verschiedene Betrachtungen zu einem Thema,..,) ein wenig entgegenzuwirken, da ein Diskurs auch Informationen sammeln sollte, um auf dieser Basis Abwägungen und Entscheidungen treffen zu können, soweit das möglich ist (darüber hinaus erweckt die Informationsflut zumindest bei mir das Bedürfnis einer Synthese). Zugespitzt und Verkürzt könnte man, wenn die Maßnahmen der SZ Schule machen sollten, sagen, dass der öffentliche Kommentardiskursraum verschwindet oder in Bereiche ausgelagert wird, auf die nicht alle zugreifen können (ich habe z.B. keinen facebook account); insofern verstehe ich meinen Ansatz als seinen Erhalt und seine Verbesserung (wie auch immer das andere sehen mögen). Der Grundgedanke war, dass man die Kommentarinformationen in die Texte einfließen lässt, siehe oben, 1. Ob das nun als Protokoll geschieht oder zu immer neuen Texten führt, ist eine Frage von Präferenzen, man kann es auch im Einzelfall entscheiden (ich sehe da die Grundsatzentscheidung als wichtiger an). Eine weitere Möglichkeit der Synthese ist das was ich oben unter 2. beschrieben habe, die Zusammenfassung einer Serie von Artikeln, von Kommentaren, ..., oder einer Debatte, inklusive einer Angabe der Quellen um Argumente, Daten, Fakten, offenzulegen (ich würde es z.B. sehr hilfreich finden, wenn ich bei einer Zeitung meiner Wahl zu einem der Freihandelsabkommen nicht bloß eine Liste der Artikel fände, sondern einen Text, der das Wesentliche komprimiert darstellt und vertiefende Informationen [die Artikelliste] anführt; so ein Text muss freilich ständig überarbeitet werden).
Die Kommentare bleiben was sie sind: Kommentare (also: Ausschnitte, Anmerkungen, Fragmente). Man könnte sagen, dass der Kommentarbereich die (Denk)werkstatt ist (auch ist); dort kann im Prinzip alles stehen, Belangloses und Wesentliches (das Wort »Keller« war vielleicht missverständlich, ich will nach Möglichkeit überhaupt keine Kommentare entfernen oder beschneiden). Und ja: Kommentare sind da um Kritik zu üben. — Vielleicht werden Onlinemedien einmal mit der Selbstverständlichkeit mitzuwirken konsultiert, genauso, wie früher das Gegenteil der Fall war (ein Kommentar würde dann vielleicht nicht als persönliches Gegen formuliert, sondern als eine auf Verbesserung zielende Kritik). Warum sollte man nicht auch hier auf die Mithilfe des Schwarms bauen, den Leute wie Han nur verdammen können, obwohl er Projekte wie die Wikipedia stemmt? Es gibt eine Menge kluger Köpfe, aber jeder zäumt sein eigenes Ross auf (wenn werden sie sich nur freiwillig zusammenfinden, aber die Möglichkeit muss vorhanden sein). — Jedenfalls: Am Ende soll der Leser entscheiden, sich eine Meinung bilden können, es geht bei der Zusammenführung ja um ein Ausstellen dessen was man über das Thema weiß und welche Argumente es gibt (ohne die Meinung gleich mitzuliefern).
Die Auswahl, Straffung und Umformulierung ist ein heikler Punkt, aber wenn das Leser (Kommentatoren) und Redakteure gemeinsam tun, hat es vielleicht ein Chance.
Vielleicht kannst Du noch ein oder zwei Sätze zu App schreiben, das ist mir nicht ganz klar (es würden parallel verschiedene Texte entstehen?).
@Gregor
Ich verspreche (vorsichtig) zwei Beispiele (1. und 2.) auszuarbeiten, dann kann man konkreter diskutieren bzw. auch den Nutzen der Kommentare abschätzen.
Zur Zeit stellen Kommentare vor allem ein Gegen dar (siehe auch meinen letzten Kommentar); das geht von Sachlichkeit zur Polemik und darüber hinaus (oft schwingt Ärger mit, unter diesem Artikel schreibt ein Kommentator, dass es schwierig sei sachlich zu bleiben, weil die Qualität des Ausgangstexts so mies sei). Ich hege die Hoffnung, dass eine Aufhebung der Trennung von oben und unten Verbesserungen in beide Richtungen mit sich bringt (das kann man vorher kaum abschätzen, man muss es ausprobieren; die Funktion von Kommentaren ist durchaus kontextabhängig; generell würde ich Kommentare als »notwendige« Hinzufügungen verstehen, sie haben additiven Charakter).
Streitfragen sollten als solche erkennbar sein; wenn es so ist, ist es so. Jeder kann logische oder sachliche Fehler finden oder Quellen überprüfen; jeder der eine Koranausgabe hat, kann nachlesen und Gegenbeispiele suchen oder andere Literatur konsultieren, jeder hat irgendein Gebiet, beruflich oder privat, über das er einigermaßen, also überdurchschnittlich, bescheid weiß.
@Köppnick
Man muss die Kommentarverarbeitung ja nicht für jeden Text einführen, sondern kann sie für zentrale Debattenbeiträge reservieren, so lässt sich der Aufwand verringern (gelesen werden die Kommentare ja ohnehin schon jetzt, so weit ich weiß). Ein Grundrauschen geht selbstverständlich in Ordnung und kein Mensch muss mit allen anderen auskommen, man ist einfach höflich und geht einander aus dem Weg; aber dort wo eine Diskussion stattfindet, man sich zusammen findet, kann man auch ein Ergebnis formulieren, das die Anstrengungen und den Zeitaufwand rechtfertigt.