Transversale Reisen durch die Welt der Romane
Wieso sagt man im Deutschen eigentlich »Roman«, wenn man »Roman« meint? Warum nicht »Novelle«, novel, novela wie im Englischen oder Spanischen? Eigentlich ist es egal, die Sprache bzw. die Bedeutungen, mit denen in ihr jongliert wird, sind sowieso geprägt durch ihren Gebrauch. Der Roman ist in der (romanischen) Volkssprache geschrieben, und die Novelle stellt eine Neuigkeit dar. Aber dann beginnt erst die Geschichte, und der Roman wird das, was er eben geworden ist und heute noch ist. Im Japanischen ursprünglich monogatari, in den beiden Schriftzeichen 物語 verbinden sich die Dinge und das Reden, also eigentlich ist es nur ein Geplauder über dies und das. Diese Definition trifft recht gut auf das Genji Monogatari zu, das manchmal als erster Roman der Literaturgeschichte bezeichnet wird (man hat schon so manchen Roman zum »ersten« erkoren). Heute sagt man in Japan eher shousetsu, 小説, das heißt: kleine Erklärung, oder auch kleine Erzählung, Erklärungen sind ja immer auch Erzählungen; jedenfalls steht vorne das Zeichen für »klein« wie bei Kind, 小人, kleiner Mensch. In allen diesen ursprünglichen Bezeichnungen wird der Textgattung Ernsthaftigkeit abgesprochen, sie ist gewissermaßen nicht erwachsen, nicht Lateinisch, nicht sonderlich gelehrt. Eine lockere Form, dient auf jeden Fall der Unterhaltung. Ich glaube, das trifft immer noch zu. Eine freie Form, man kann, wie ich hier schon mehrmals sagte, alles mögliche in sie hineinstopfen (auch wenn vielleicht hinzuzufügen ist, daß man da nicht übertreiben sollte: Zu viel ist zu viel, wir brauchen auch Lücken).
Als ich vor ungefähr zehn Jahren Kenzaburo Oe besuchte, nannte er alle seine Werke »shousetsu«, egal ob sie groß oder klein, lang oder kurz, mehr oder weniger unterhaltsam waren. Antonio Tabucchi, ein anderer Meister des Romans, will zwischen Erzählung und Roman gar nicht unterscheiden, obwohl er dann wieder betont, die Erzählung befolge strenge Regeln, für den Roman gelte das nicht. Trotzdem, er glaubt nicht an die »reinen Genres«, sondern an die Vermischung der Genres: Credo nella mescolanza dei generi. Einem umfangreichen, durch das quasi aristotelische 24-Stunden-Korsett mühsam im Zaum gehaltenen Roman wie dem Ulysses zieht er die Erzählsammlung Dubliner vor.