An­drzej Sta­si­uk: Grenz­fahrt

Und wie­der der Aus­ruf: End­lich ein neu­es Buch von An­drzej Sta­si­uk! Wie schon die Be­s­ki­­den-Chro­­nik (deutsch 2020) ist Grenz­fahrt ein Hy­brid, aber dies­mal kei­ne Mi­schung aus Feuil­le­tons und Rei­se­be­rich­ten. Im Zen­trum steht zu­nächst ein dra­ma­ti­sches Kam­mer­spiel, kurz vor »Pe­ter und Paul« im Ju­ni 1941 und man ist am Bug, dem Grenz­fluss zwi­schen Po­len und der ...

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An­drzej Sta­si­uk: Bes­ki­den-Chro­nik

End­lich wie­der ein neu­es Buch von An­drzej Sta­si­uk. »Be­s­ki­­den-Chro­­nik« heißt es, 2018 in Po­len erst­mals er­schie­nen. Sta­si­uk wohnt ja ir­gend­wo in den Bes­ki­den, an der pol­­nisch-slo­­wa­ki­­schen Gren­ze, in ei­nem Haus oh­ne Fern­se­hen (aber mit WLAN), ei­nem Holz­ofen und ei­ni­gen Scha­fen. Ver­sam­melt sind 76 Feuil­le­tons auf fast 300 Sei­ten, »Nach­rich­ten aus Po­len und der Welt«, so ...

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An­drzej Sta­si­uk: Der Osten

Andrzej Stasiuk: Der Osten
An­drzej Sta­si­uk: Der Osten

»Der Osten«, das neue­ste Buch von An­drzej Sta­si­uk, be­ginnt da­mit, dass die Ein­rich­tung ei­nes al­ten »LPG«-La­dens Stück für Stück zum Ab­trans­port auf­ge­la­den wird. Da­bei ent­zün­den sich beim mit­hel­fen­den Ich-Er­zäh­ler Er­in­ne­run­gen aus den 1970er Jah­ren, als er als Kind vor ei­nem sol­chen La­den mit an­de­ren Men­schen auf Le­bens­mit­tel in ei­ner Schlan­ge war­te­te. Als das Fahr­zeug mit der Wa­re ein­traf, ver­nahm er den Ben­zin­ge­ruch, den er so­fort mit »Frei­heit, Ge­heim­nis und Ver­lan­gen«. Beim Weg­räu­men die­ser al­ten Mö­bel über­kommt ihm nun fast so et­was wie ei­ne Epi­pha­nie über die Din­ge, in de­nen Ge­schich­te und Ge­schich­ten ab­ge­spei­chert sind: »Das Le­ben war in sie [die Din­ge] ein­ge­drun­gen und er­starrt«. Im Ge­gen­stand be­fin­det sich so­zu­sa­gen Ge­schich­te aus mehr als hun­dert Jah­ren in­ku­biert: »Die Zeit der Lem­ken, der Kom­mu­nis­mus und jetzt wir, schwit­zend un­ter der Last«.

Man denkt an Hof­mannst­hals Ro­man »Brie­fe des Zu­rück­ge­kehr­ten«. Der Brief­ro­man spielt An­fang des 20. Jahr­hun­derts. Ein Kauf­mann kommt nach fast zwan­zig Jah­ren nach Deutsch­land zu­rück. Er er­kennt das in­zwi­schen mo­der­ni­sier­te und in­du­stria­li­sier­te Land nicht mehr wie­der. Ein mehr als nur dif­fu­ses Un­be­ha­gen er­greift ihn. Die Men­schen hat­ten sich ver­än­dert, sie wa­ren zu­se­hends ge­prägt »von dem Geld, das sie hat­ten, oder von dem Geld, das and­re hat­ten.« So­gar die Din­ge er­schie­nen ihm ver­wan­delt, durch in­du­stri­el­le Fer­ti­gung kon­tur­los und pro­fa­ni­siert (was man spä­ter »For­dis­mus« nen­nen wird). Be­vor mit Hus­s­erl und Heid­eg­ger die phi­lo­so­phi­sche Phä­no­me­no­lo­gie ent­stand und Ri­chard Sen­nett Be­trach­tun­gen zur fort­schrei­ten­den De­ge­ne­ra­ti­on des Hand­werks (oder, bes­ser, des Wer­kens mit der Hand) vor­nahm, deu­te­te Hof­manns­thal in die­sem Ro­man an, dass Ge­gen­stän­de ih­re Ent­ste­hung und da­mit auch ei­ne Epo­che spie­geln kön­nen. Und so er­geht es auch An­drzej Sta­si­uk, der von sol­chen Din­gen fas­zi­niert ist und sich auf die Rei­se macht und Men­schen trifft, die de­ren Ge­schich­ten er­zäh­len kön­nen.

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Esther Kinsky/Martin Chal­mers: Ka­ra­dag Ok­to­ber 13

Esther Kinsky/Martin Chalmers: Karadag Oktober 13
Esther Kinsky/Martin Chal­mers:
Ka­ra­dag Ok­to­ber 13
»Ka­ra­dag Ok­to­ber 13« lau­tet der Ti­tel ei­nes Reise­erzählungsbands von Esther Kin­sky und Mar­tin Chal­mers, und ob­wohl die Rei­se, die zu die­sen »Auf­zeich­nun­gen von der kal­ten Krim« führ­ten, erst zwei Jah­re zu­rück­liegt, wirkt das Buch fast schon hi­sto­risch. Zum ei­nen ge­hört die Krim seit Früh­jahr 2014 nicht mehr zum Ho­heits­ge­biet der Ukrai­ne. Und zum an­de­ren ist mit Mar­tin Chal­mers ei­ner der Mit­rei­sen­den und Mit­au­toren des Bu­ches im Ok­to­ber 2014, ein Jahr nach der Rei­se mit Esther Kin­sky, ver­stor­ben. Da Chal­mers sei­ne No­ti­zen für das Buch nicht mehr ausformu­lieren konn­te, hat Esther Kin­sky, wie sie in ei­nem kur­zen Nach­wort er­klärt, die skiz­zen­haf­ten Auf­zeich­nun­gen ent­spre­chend be­las­sen.

Da­bei hat­te Esther Kin­sky ih­re Rei­se­im­pres­sio­nen – un­be­rührt der po­li­ti­schen Ak­tua­li­tä­ten – schon im Au­gust 2014 in Nor­bert Wehrs »Schreib­heft« (Aus­ga­be Nr. 83) un­ter dem Ti­tel »Kur­ort­ne Ok­to­ber 13« pu­bli­ziert. Für das vor­lie­gen­de Buch hat sie ih­re Tex­te ent­spre­chend um­ge­ar­bei­tet und er­gänzt. Aus dem »ich« wur­de ein »wir«. Und sie kom­men­tiert ge­le­gent­lich das Zu­sam­men­sein mit Chal­mers (»M.«) und des­sen Re­ak­tio­nen. Ty­po­gra­phisch in ei­ner an­de­ren Schrift ab­ge­setzt er­zählt Chal­mers das Ge­sche­hen eben­falls, so dass der Le­ser von den glei­chen Er­leb­nis­sen manch­mal leicht di­ver­gie­ren­de Ein­drücke er­hält. Kin­sky ist die prä­zi­se­re Be­ob­ach­te­rin, wäh­rend Chal­mers et­was häu­fi­ger hi­sto­ri­sche Al­le­go­rien wie den Krim­krieg in sei­ne Be­ob­ach­tun­gen ein­flie­ßen lässt. Zum Ab­schluss ei­nes je­den Ka­pi­tels (bis auf Ka­pi­tel 11) fol­gen dann noch in kur­si­ver Schrift Aus­schnit­te aus »The Rus­si­an Shores of the Black Sea«, den Rei­se­er­zäh­lun­gen von Lau­rence Oli­phant (1829–1888), der im Herbst 1852 die Krim be­sucht hat­te. Kin­sky hat die­se Stel­len ins Deut­sche über­setzt.

Bei­de, Kin­sky und Chal­mers, neh­men zu­wei­len di­rekt Be­zug auf Oli­phants Buch. Kin­skys Be­wer­tun­gen sind durch­aus am­bi­va­lent. So at­te­stiert sie Oli­phant, das Buch mit »sar­ka­sti­scher Ver­ach­tung« und »her­ab­las­send« ge­schrie­ben zu ha­ben. Der Bri­te ver­ach­te­te die be­reits da­mals auf der Krim do­mi­nie­ren­den Rus­sen, wäh­rend er die Ta­ta­ren als den Rus­sen weit über­le­gen dar­stell­te. Tat­säch­lich wirkt Oli­phants Text heut­zu­ta­ge an ei­ni­gen Stel­len jour­na­li­stisch-über­heb­lich.

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An­drzej Sta­si­uk: Hin­ter der Blech­wand

Andrzej Stasiuk: Hinter der Blechwand
An­drzej Sta­si­uk:
Hin­ter der Blech­wand
    Ich konn­te mich wirk­lich nicht er­in­nern, wann ich ihn zum er­sten Mal ge­trof­fen ha­be. Er war wie der Geist die­ser Stadt. Er ver­kör­per­te sie: grau, un­schein­bar, fast durch­sichtig. Der erst­ge­bo­re­ne Sohn der All­täg­lich­keit, von Ge­burt an im Schei­tern be­wan­dert. Aber man muß­te ihn nur an­schau­en, den Blick auf ihn hef­ten, um nicht durch ihn hin­durch­zu­se­hen, und schon war er ein an­de­rer. Wenn je­mand ihn wahr­nahm, wur­de er sicht­bar. Er sam­mel­te sich, ge­riet in Span­nung, sei­ne Ge­gen­wart ver­dich­te­te sich. Er war über­all, sah und wuß­te al­les, den Rest ahn­te er.

Die Re­de ist von Wła­dek. Er und der Er­zäh­ler, Pa­wel, kau­fen und ver­kau­fen haupt­säch­lich Tex­ti­li­en (Pa­ris – Lon­don – New York) auf den Wo­chen- und Jahr­märk­ten Ost­eu­ro­pas. Sie sind die (selbst­er­nann­ten) Kö­ni­ge des Plun­ders. Da­bei müs­sen sie sich zu­se­hends mit den An­bie­tern der asia­ti­schen Pro­duk­te mes­sen, die­sem Ramsch und Tand von er­bärm­li­cher Qua­li­tät. Klei­dungs­stücke, die schon nach kur­zer Zeit nur noch als Putz­lap­pen tau­gen. In den be­sten Mo­men­ten ver­nimmt man im Hin­ter­grund die­ser zum Teil rü­den Be­schimp­fun­gen des asia­ti­schen Bil­lig­krams ein zwi­schen Ehr­furcht und Fe­ti­schis­mus chan­gie­ren­des Sen­ti­ment zum das Ding, das, trotz al­ler kom­mer­zi­el­len At­ti­tü­den, mehr ist als nur schnö­des Han­dels­ob­jekt. (Oder ist man jetzt schon auf die Władek’sche Wer­bung rein­ge­fal­len?)

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Odes­sa Trans­fer – Nach­rich­ten vom Schwar­zen Meer (Hrsg.: Ka­tha­ri­na Raa­be und Mo­ni­ka Sznaj­der­man)

Odessa TransferIn »Odes­sa Trans­fer« be­gibt man sich in drei­zehn Etap­pen auf ei­ne Rei­se rund um das Schwar­ze Meer, wo­bei, wie Ka­tha­ri­na Raa­be als Mit­her­aus­ge­be­rin die­ses Bu­ches im Vor­wort fest­stellt, vie­le Bei­trä­ge här­ter und po­li­ti­scher aus­ge­fal­len sei­en, als man dies er­war­tet hat­te. Und der Le­ser schnauft mit­un­ter über die­sen tat­säch­lich ver­bis­se­nen po­li­ti­schen Im­pe­tus, der ei­ni­ge die­ser Er­zäh­lun­gen, Es­says und Re­por­ta­gen (es gibt auch ein Ge­dicht – und was für ei­nes!) be­stimmt und muss da­bei wohl kon­sta­tie­ren, dass die­se Re­gi­on vor­erst lei­der kei­ne Post­kar­ten­idyl­le ist, in der zwan­zig Jah­re nach Auf­he­bung der bi­po­la­ren Welt per Knopf­druck pa­ra­die­si­sche Zu­stän­de ein­ge­tre­ten sind.

Es be­ginnt mit Aka Mor­chil­ad­zes wun­der­ba­rer Orts­er­zäh­lung über die ge­or­gisch-tür­ki­sche Grenz­stadt Ba­tu­mi, wel­che den Schatz der Ewig­keit be­sitzt und im­mer auch nach Flucht riecht und dem Au­tor ge­lingt es auf die­sen noch nicht ein­mal zwan­zig Sei­ten fast die gan­ze Ge­schich­te vom 15. Jahr­hun­dert über Sta­lin bis in die Ge­gen­wart die­ses Or­tes zu evo­zie­ren und auf die Fra­ge, was wohl das Schön­ste an Ba­tu­mi sei, gibt es die­se klei­ne Elo­ge (und für ei­nen Mo­ment möch­te man so­fort dort hin):

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