Car­lo Ma­sa­la: Wenn Russ­land ge­winnt

Carlo Masala: Wenn Russland gewinnt
Car­lo Ma­sa­la:
Wenn Russ­land ge­winnt

Wenn Russ­land ge­winnt geht in­zwi­schen in die 5. Auf­la­ge und ist, als die­ser Text ent­steht, Platz 1 der Spie­gel-Best­stel­ler­li­ste »Ta­schen­bü­cher Sach­buch« und vom Ver­lag nicht lie­fer­bar. Das liegt na­tür­lich vor al­lem an der Pro­mi­nenz sei­nes Au­tors, Car­lo Ma­sa­la. Der Pro­fes­sor für In­ter­na­tio­na­le Po­li­tik an der Uni­ver­si­tät der Bun­des­wehr ist seit dem rus­si­schen Über­fall auf die Ukrai­ne in den Me­di­en om­ni­prä­sent. Es ist un­be­streit­bar Ma­sa­las Ver­dienst, dass er die Not­wen­dig­keit geo­po­li­ti­schen Den­kens als exi­sten­ti­ell wich­ti­gen Teil ei­ner Au­ßen­po­li­tik in den Fo­kus der Öf­fent­lich­keit ge­rückt hat. Sein 2022 über­ar­bei­te­tes Buch Welt­un­ord­nung zeig­te die Ver­wer­fun­gen und Irr­tü­mer des »We­stens« der letz­ten drei­ßig Jah­re auf. Deutsch­land wur­de dar­an er­in­nert, sich sei­ner ei­ge­nen In­ter­es­sen be­wusst zu wer­den.

Ma­sa­la be­für­wor­te­te von Be­ginn an fi­nan­zi­el­le Un­ter­stüt­zung, po­li­ti­sche West­bin­dung und um­fas­sen­de Waf­fen­lie­fe­run­gen für die Ukrai­ne. Das Land soll­te der­art un­ter­stützt wer­den, das für Russ­land die Ko­sten für ei­ne Wei­ter­füh­rung des Krie­ges zu hoch und da­durch Ver­hand­lun­gen auf Au­gen­hö­he mög­lich wä­ren. Den Ein­satz von Atom­waf­fen durch Russ­land schätz­te er eher ge­ring ein. Im Ge­gen­satz zu vie­len Au­gu­ren und Ex­per­ten sprach er al­ler­dings mei­nes Wis­sens nie von ei­nem »Sieg« der Ukrai­ne über Russ­land – wohl wis­send, dass dies il­lu­so­risch wä­re.

Par­al­lel plä­diert Ma­sa­la für ei­ne bes­se­re Aus­stat­tung der Bun­des­wehr und sah im »Zeitenwende«-Sondervermögen erst ei­nen An­fang. Hier kam ei­nem der Ver­gleich mit dem spä­ter recht kon­tro­vers dis­ku­tier­ten Chri­sti­an Dro­sten wäh­rend der Co­ro­na-Pan­de­mie in den Sinn (Ma­sa­la lehn­te den Ver­gleich ab). In den so­zia­len Netz­wer­ken zeig­te sich Ma­sa­la bis­wei­len als Hitz­kopf (was auch der Au­tor die­ser Zei­len mit­er­le­ben durf­te).

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Car­lo Ma­sa­la: Welt­un­ord­nung

Carlo Masala: Weltunordnung
Car­lo Ma­sa­la:
Welt­un­ord­nung

Die Pu­bli­ka­ti­ons­ge­schich­te des Buchs »Welt­un­ord­nung« von Car­lo Ma­sa­la be­stä­tigt in­di­rekt die sich im Ti­tel aus­drücken­de Fest­stel­lung. Die er­ste Auf­la­ge er­schien 2016. Zwei Jah­re da­nach ei­ne ak­tua­li­sier­te Ver­si­on. Und jetzt, 2022, nach der In­va­si­on der Ukrai­ne durch Russ­land, er­scheint ei­ne drit­te, aber­mals ak­tua­li­sier­te und um ein Ka­pi­tel er­gänz­te Auf­la­ge. So wer­den Be­fun­de des Au­tors be­legt und noch vor kur­zer Zeit für un­mög­lich ge­hal­te­ne Ent­wick­lun­gen wer­den plötz­lich Rea­li­tät.

Car­lo Ma­sa­la, 1968 ge­bo­ren, ist Pro­fes­sor für In­ter­na­tio­na­le Po­li­tik an der Uni­ver­si­tät der Bun­des­wehr in Mün­chen. Ei­ner brei­te­ren Öf­fent­lich­keit wur­de er durch die mi­li­tä­ri­sche und geo­po­li­ti­sche Kom­men­tie­rung des Kriegs Russ­lands ge­gen die Ukrai­ne seit Fe­bru­ar 2022 be­kannt. Sein Idea­lis­mus dem ar­gu­men­ta­ti­ven Aus­tausch ge­gen­über ist so groß, dass er sich bis­wei­len so­gar ins Di­let­tan­ten­ge­tüm­mel der Po­lit­talk­shows stürzt. Wer sich dies er­spa­ren möch­te, kann im­mer­hin noch die­ses Buch le­sen. Und es lohnt sich.

Die Ar­beits­hy­po­the­se ist schnell for­mu­liert: Die Zei­ten­wen­de 1989/90 mit dem Zu­sam­men­bruch des bi­po­la­ren Sy­stems (USA vs UdSSR bzw. NATO vs War­schau­er Pakt) hat nach ei­nem kurz­zei­ti­gen Ho­ney­moon (»En­de der Ge­schich­te«) zu ei­ner ve­ri­ta­blen welt­po­li­ti­schen Un­ord­nung ge­führt. Aber, so stellt Ma­sa­la kühl fest: »Die Ver­su­che der ‘west­li­chen’ Welt […] ei­ne neue glo­ba­le Ord­nung zu schaf­fen, ha­ben in ei­nem nicht un­er­heb­li­chen Ma­ße da­zu bei­getra­gen, dass wir heu­te in ei­ner Welt der Un­ord­nung le­ben.« (»West­lich« wird hier na­tür­lich nicht als geo­gra­fi­sche son­dern als ge­sell­schaft­lich-kul­tu­rel­le Zu­ord­nung ver­stan­den.) Da­ne­ben gibt es mit dem in­ter­na­tio­na­len Ter­ro­ris­mus, Mi­gra­ti­ons­strö­men, Cy­ber­an­grif­fen und Pan­de­mien wei­te­re Her­aus­for­de­run­gen, die zur De­sta­bi­li­sie­rung füh­ren.

In den 2000er Jah­ren wur­de die »uni­la­te­ra­le Wen­de« der ame­ri­ka­ni­schen Si­cher­heits- und Au­ßen­po­li­tik durch ei­ne selt­sa­me Al­li­anz aus Neo­kon­ser­va­ti­ven und li­be­ra­len De­mo­kra­ten noch ver­stärkt. Die USA sa­hen »den Ein­satz mi­li­tä­ri­scher Macht­mit­tel als le­gi­ti­mes In­stru­ment […] um ih­re glo­ba­len Phan­ta­sien zu rea­li­sie­ren«. Da­bei sind al­le Mis­sio­nie­rungs­ver­su­che, die bis­wei­len un­ter dem Eu­phe­mis­mus der »hu­ma­ni­tä­ren In­ter­ven­ti­on« ge­fr­amt wur­den und De­mo­kra­tie und freie Markt­wirt­schaft uni­ver­sa­li­sie­ren so­wie die » ‘west­li­che’ Vor­herr­schaft über den Rest der Welt« fest­schrei­ben soll­ten, ge­schei­tert. Die Li­ste ist lang, reicht »von Bos­ni­en-Her­ze­go­wi­na über Af­gha­ni­stan und den Irak bis hin zu Li­by­en« (und ist da­mit noch nicht ein­mal voll­stän­dig). Re­sul­tat: Zer­fal­len­de Staa­ten oder be­sten­falls ein­ge­fro­re­ne Kon­flik­te. Auch die ge­walt­sa­me Be­kämp­fung des is­la­mi­schen Ter­ro­ris­mus ist nur teil­wei­se ge­lun­gen.

Ma­sa­la be­legt dies an zahl­rei­chen Bei­spie­len, ana­ly­siert die Dop­pel­mo­ral des We­stens, der De­mo­kra­tie pre­digt, aber bei­spiels­wei­se »fal­sche« Wahl­aus­gän­ge (wie in Al­ge­ri­en 1991/92 oder der Tür­kei 1996) sa­bo­tiert oder kor­rup­te, aber ihm ge­wo­ge­ne Prä­si­den­ten an die Macht hievt (wie in der Ver­gan­gen­heit in Af­gha­ni­stan). Schließ­lich ver­wirft Ma­sa­la mit dem »Li­be­ra­lis­mus« und der Ver­recht­li­chung der Au­ßen- bzw. Welt­po­li­tik zwei Säu­len des ak­tu­el­len po­li­ti­schen Den­kens.

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Das Re­gime Pu­tin

Be­mer­kun­gen zu sechs Bü­chern

John Sweeney: Der Killer im Kreml
John Sweeney: Der Kil­ler im Kreml

Der Bri­te John Sweeney, jah­re­lan­ger BBC-Re­por­ter und ein er­fah­re­ner Kriegs­be­richt­erstat­ter, ist 64 Jah­re alt. Er hat mehr als 240.000 Fol­lower auf Twit­ter und trägt zu­meist ei­ne oran­ge Müt­ze. Er war im Fe­bru­ar 2022 in der Ukrai­ne, in Kiew (ich blei­be bei die­ser Schreib­wei­se) und er­leb­te den Kriegs­be­ginn haut­nah mit. Sei­ne jah­re­lan­ge Be­schäf­ti­gung mit Wla­di­mir Pu­tin und die Er­fah­run­gen auch in die­sem neu­en Krieg (er fuhr un­ter an­de­rem nach But­cha) hat er nun zu ei­nem mehr als 300seitigen Buch mit dem rei­ße­ri­schen Ti­tel »Der Kil­ler im Kreml« zu­sam­men­ge­fasst. Es wird, so der Un­ter­ti­tel, »Wla­di­mir Pu­tins skru­pel­lo­ser Auf­stieg und sei­ne Vi­si­on vom groß­rus­si­schen Reich«, be­han­delt.

Sweeney kennt Pu­tins Kriegs­füh­rung, war in den 2000er Jah­ren mehr­mals in Tsche­tsche­ni­en, be­rich­te­te von Zi­vi­li­sten, die un­ter Ar­til­le­rie­feu­er flie­hen muss­ten, ob­wohl ih­re Eva­ku­ie­rung an­ge­mel­det war und sich mit wei­ßen Fah­nen be­weg­ten. Er war bei der Ab­schuss­stel­le der MH17 und sah Grau­si­ges. Für ihn ist Pu­tin nie­mand, der sich ver­än­dert hat – sei­ne Bru­ta­li­tät war schon im­mer da. Die Bom­ben­an­schlä­ge auf Wohn­häu­ser in Mos­kau 1999, die Gei­sel­nah­men im Du­brow­ka-Thea­ter 2002 und Be­slan 2004 – al­les Ter­ror­an­schlä­ge, die nach of­fi­zi­el­ler Les­art von tsche­tsche­ni­schen Ter­ro­ri­sten ver­übt wor­den wa­ren, aber, so ei­ni­ge In­di­zi­en Sweeneys, in Wirk­lich­keit »schwar­ze Ope­ra­tio­nen« des rus­si­schen In­lands­ge­heim­dien­stes wa­ren, um die Bru­ta­li­tät im Krieg in Tsche­tsche­ni­en zu recht­fer­ti­gen und Pu­tin als »star­ken Mann« zu zei­gen.

Die The­se, dass die Mos­kau­er An­schlä­ge auf Wohn­häu­ser vom FSB in­sze­niert wor­den sind, wird von der Ge­schich­te um den »ge­schei­ter­ten« An­schlag von Ra­j­san, als Zeu­gen ein­deu­tig rus­sisch-aus­se­hen­de Bom­ben­le­ger iden­ti­fi­zier­ten, ge­nährt. Auch zur Gei­sel­nah­me von 2002 gibt es zahl­rei­che Un­ge­reimt­hei­ten und un­ge­klär­te Fra­gen (die ver­mut­lich der Jour­na­li­stin An­na Po­lit­kows­ka­ya das Le­ben ge­ko­stet ha­ben könn­ten). Sweeneys Ein­las­sun­gen zu Be­slan sind hin­ge­gen eher spe­ku­la­tiv.

Da­mit wird – lei­der – das We­sen die­ses Bu­ches deut­lich. Die­se Bou­le­var­di­sie­rung ist um­so be­dau­er­li­cher, als Sweeney wirk­lich um­fang­rei­che und fak­ten­ba­sier­te In­for­ma­tio­nen über die (Un-)Taten Pu­tins und sei­ner Re­gie­rung chro­no­lo­gisch, al­ler­dings in po­pu­lä­rem Duk­tus vor­legt. Die Li­ste ist lang: An­schlä­ge, merk­wür­di­ge »Selbst­mor­de« von Op­po­si­tio­nel­len, Ver­haf­tun­gen, Mor­de, Ver­gif­tun­gen und Ver­let­zung völ­ker­recht­lich ver­bind­li­cher Gren­zen, völ­ker­mord­ähn­li­ches Vor­ge­hen in Krie­gen und die Ein­lul­lung west­li­cher Staats- und Re­gie­rungs­chefs bis hin zur Un­ter­stüt­zung rechts­na­tio­na­li­sti­scher und lin­ker Par­tei­en in der EU und der Trump-Par­tei­nah­me im US-Wahl­kampf. Das ist al­les nicht neu, aber in der Auf­zäh­lung be­ein­druckend, weil man deut­lich ge­macht be­kommt, wie die­se Vor­ge­hens­wei­sen prak­tisch schon zur Nach­rich­ten­rou­ti­ne ge­wor­den wa­ren, wo­bei die ein­zel­nen Ta­ten kurz­fri­stig für Ent­set­zen sorg­ten, am En­de je­doch wie­der rasch zum All­tag zu­rück­ge­kehrt wur­de. Manch­mal ver­blüfft Sweeney den Le­ser, in dem er schein­bar Un­wich­ti­ges be­rich­tet, wie et­wa die Li­ste der Ver­spä­tun­gen, die aus­län­di­sche Staats- und Re­gie­rungs­chefs auf Pu­tin war­ten muss­ten (man ist über­rascht, wer am läng­sten war­ten muss­te).

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Jo­sef Braml: Die trans­at­lan­ti­sche Il­lu­si­on

Josef Braml: Die transatlantische Illusion
Jo­sef Braml: Die
trans­at­lan­ti­sche Il­lu­si­on

»Die trans­at­lan­ti­sche Il­lu­si­on« von Jo­sef Braml war be­reits vor dem Ein­marsch rus­si­scher Trup­pen in der Ukrai­ne ein Best­sel­ler. Der Ver­lag leg­te An­fang März mit ei­ner zwei­ten, ak­tua­li­sier­ten Auf­la­ge nach, in der das Er­eig­nis vom 24. Fe­bru­ar ein­ge­ar­bei­tet wur­de. Braml wird als Ge­ne­ral­se­kre­tär der »Tri­la­te­ra­len Kom­mis­si­on« vor­ge­stellt, ei­ner so­ge­nann­ten Denk­fa­brik (»Thinktank« – bö­se über­setzt mit »Denk­pan­zer«), der – wie dies mit den mei­sten Or­ga­ni­sa­tio­nen die­ser Art so üb­lich zu sein scheint – ei­ni­ge My­then ob ih­rer Aus­wir­kun­gen und Di­men­sio­nen an­haf­ten.

Ent­ge­gen der Er­war­tung, die man nach dem Vor­wort an den Ti­tel hegt, geht es al­ler­dings nicht nur um Si­cher­heits- und Ver­tei­di­gungs­po­li­tik. Der Er­folg des Bu­ches dürf­te sich auch der de­zi­diert kri­ti­schen Sicht auf die USA ver­dan­ken. In fast be­schwö­ren­dem Ton wird aus­ge­führt, dass sich Eu­ro­pa nicht län­ger der »trans­at­lan­ti­schen Il­lu­si­on« hin­ge­ben dür­fe. Die USA, so die The­se, wer­den in na­her Zu­kunft nicht mehr als »Schutz­macht« für »Si­cher­heit und Wohl­stand der Al­ten Welt« zur Ver­fü­gung ste­hen, weil sich der geo­stra­te­gi­sche Fo­kus auf den In­do-pa­zi­fi­schen Raum, ins­be­son­de­re, Chi­na kon­zen­trie­re. Aber eben auch, weil die Ver­ei­nig­ten Staa­ten sel­ber nicht mehr ei­ne sta­bi­le Macht dar­stel­len.

Als Be­leg hier­für wird der »ame­ri­ka­ni­sche Pa­ti­ent« ei­ner ge­nau­en Un­ter­su­chung un­ter­zo­gen. Nichts wird aus­ge­las­sen. Et­wa die un­zu­läs­si­gen au­ßen­po­li­ti­schen Ein­mi­schun­gen seit den 1950er Jah­ren vor al­lem in Süd­ame­ri­ka (Gua­te­ma­la, Chi­le) und im Na­hen und Mitt­le­ren Osten (von Mossadegh/Iran 1953 bis in die Ge­gen­wart). Als Tief­punkt wird der völ­ker­rechts­wid­ri­ge und mit Lü­gen un­ter­füt­ter­te Irak­krieg 2003 her­aus­ge­stellt. Im­mer­hin wür­den die Af­fä­ren und Miss­grif­fe der Au­ßen­po­li­tik im Nach­hin­ein min­de­stens teil­wei­se öf­fent­lich auf­ge­ar­bei­tet – an­ders als et­wa in Dik­ta­tu­ren.

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Der Bär und die Domp­teu­re

Der Fall der Mau­er 1989 hat­te am En­de ne­ben dem zu­packen­den Hel­mut Kohl auch noch ei­nen an­de­ren Sie­ger: Die So­zi­al­de­mo­kra­ten – da­mals arg ge­beu­telt – sa­hen sich mit der Ent­span­nungs­po­li­tik der 1970er Jah­re mit Wil­ly Brandt und Egon Bahr (flan­kiert vom da­ma­li­gen FDP-Au­­ßen­­mi­­ni­­ster Wal­ter Scheel) als po­li­ti­scher Lang­zeit­ge­win­ner. Die Po­li­tik Brandt und Bahrs, die als ...

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»Der Frie­den nach dem Kal­ten Krieg ist vor­bei«

Allen/Hodges/Lindley-French: Future War
Al­len/Hod­ge­s/­Lind­ley-French: Fu­ture War

»Fu­ture War«, das Buch drei­er Mi­li­tär­stra­te­gen, erst­mals 2021 pu­bli­ziert und jetzt in deut­scher Über­set­zung vor­lie­gend, be­kommt durch die rus­si­sche In­va­si­on in die Ukrai­ne zu­sätz­li­che Re­le­vanz. Die Lek­tü­re ist be­un­ru­hi­gend, er­nüch­ternd und an­stren­gend, aber auch loh­nend.

Zwei Ta­ge vor der In­va­si­on rus­si­scher Trup­pen in die Ukrai­ne er­schien das Buch »Fu­ture War – Be­dro­hung und Ver­tei­di­gung Eu­ro­pas« in deut­scher Spra­che. Ge­schrie­ben wur­de es von den bei­den ehe­ma­li­gen US-Ge­ne­rä­len John R. Al­len und Fre­de­rick Ben Hod­ges so­wie dem bri­ti­schen Mi­li­tär­hi­sto­ri­ker Ju­li­an Lind­ley-French. Die deut­sche Über­set­zung stammt von Bet­ti­na Ve­string (der man aus vie­len Grün­den ein gro­ßes Lob zol­len muss). Der Ver­lag weist zu Recht auf die trau­ri­ge Ak­tua­li­tät des Bu­ches hin, wel­ches, so Klaus Nau­mann, ehe­ma­li­ger Ge­ne­ral und Ge­ne­ral­inspek­teur der Bun­des­wehr, in glück­li­che­ren Zei­ten ge­schrie­ben wor­den sei. Tat­säch­lich er­schien »Fu­ture War« 2021 in der »Ox­ford Uni­ver­si­ty Press«. Die Lek­tü­re zer­streut den Ein­druck rasch, da­mals sei­en we­sent­lich glück­li­che­re Zei­ten ge­we­sen.

Die Kern­the­sen des Bu­ches sind schnell um­ris­sen: Er­stens er­for­dert die Ver­tei­di­gung Eu­ro­pas im zu­künf­ti­gen Krieg ein neu­es, um­fas­sen­des Si­cher­heits­kon­zept, in dem in­di­vi­du­el­le Si­cher­heit und na­tio­na­le Ver­tei­di­gung mit­ein­an­der har­mo­nie­ren. Bei­de sind un­ver­zicht­bar für ei­ne neue Art von Ab­schreckung, die sich im kom­ple­xen Mo­sa­ik der Hybrid‑, Cy­ber- und Hy­per-Kriegs­füh­rung be­wäh­ren muss. Zwei­tens ha­ben die neu­en Tech­no­lo­gien zur Fol­ge, dass sich die Füh­rung mo­der­ner Krie­ge – und folg­lich auch die eu­ro­päi­sche Ver­tei­di­gung – von Grund auf ver­än­dert.

Lei­der sind, so die im­mer wie­der­hol­te Prä­mis­se, die­se Ent­wick­lun­gen durch die Co­vid-19-Pan­de­mie ins­be­son­de­re in Eu­ro­pa, aber auch in den USA, aus dem Fo­kus ge­ra­ten. Die Staa­ten hät­ten, wie es leicht vor­wurfs­voll – vor al­lem in Rich­tung Deutsch­land – heißt, in der Pan­de­mie lie­ber in in­di­vi­du­el­le mensch­li­che Si­cher­heit als in na­tio­na­le Ver­tei­di­gung in­ve­stiert. Da­bei ist die Pan­de­mie nur ein Be­schleu­ni­ger ei­ner eu­ro­päi­schen Brä­sig­keit hin­sicht­lich der Ver­tei­di­gungs­be­reit­schaft zu ver­ste­hen. Die Au­toren spre­chen von ei­nem schwin­del­erre­gen­den Nie­der­gang Eu­ro­pas seit 2010. Es wer­den vier glo­ba­le Me­ga­trends ge­nannt, die Eu­ro­pas Nie­der­gang noch be­schleu­ni­gen könn­ten: Der Kli­ma­wan­del (und die hier­aus ent­ste­hen­de Mas­sen-Mi­gra­ti­on), der de­mo­gra­fi­sche Wan­del (aus­ster­ben­de Ge­sell­schaf­ten), Was­ser- und Res­sour­cen­knapp­heit (bzw. stra­te­gi­sche Ab­hän­gig­kei­ten zu Staa­ten wie Russ­land und Chi­na) und die Ver­schie­bung wirt­schaft­li­cher und mi­li­tä­ri­scher Macht in Rich­tung Asi­en.

Über­be­an­spru­chung der USA

Wäh­rend die USA sich vor al­lem von Chi­nas zu­neh­men­den Ag­gres­sio­nen im süd­pa­zi­fi­schen Meer (ins­be­son­de­re um Tai­wan her­um) zu kon­zen­trie­ren hat und den Blick auf die Kri­sen­si­tua­tio­nen im Mitt­le­ren Osten legt, glau­ben die Eu­ro­pä­er im­mer noch, sich im Zwei­fel auf den, wie es bis­wei­len po­le­misch heißt, ame­ri­ka­ni­schen Steu­er­zah­ler ver­las­sen zu kön­nen. Da­bei dürf­te bei ei­ner Gleich­zei­tig­keit meh­re­rer Kon­flik­te den USA rasch die Res­sour­cen aus­ge­hen und ih­re Prio­ri­tä­ten nicht mehr in Eu­ro­pa zu fin­den sein.

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Die Mär vom »NA­TO-Bud­get«

In der Do­ku­men­ta­ti­on »Der un­ter­schätz­te Prä­si­dent« (ge­sen­det im ZDF am 15.09.2020 um 20.15 Uhr) gibt es ei­nen er­staun­li­chen Irr­tum zu be­stau­nen. Um zu ver­deut­li­chen, dass Trumps For­de­rung, die an­de­ren NA­TO-Staa­ten soll­ten end­lich mehr »be­zah­len«, wur­de ab 27:17 ein­ge­blen­det, wie der US-ame­ri­­ka­­ni­­sche An­teil am »NA­TO-Bu­d­­get« seit 2016 zu­rück­ge­gan­gen sei. Da­bei wur­de für das Jahr 2019 fol­gen­den ...

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Die Kri­se in der Ukrai­ne, die Rol­le der EU und das Po­si­ti­ons­pa­pier der Ne­os

Der Aus­gangs­punkt: Das Un­be­ha­gen mit Po­li­tik und Be­richt­erstat­tung

Es wä­re falsch zu be­haup­ten, dass die Me­di­en oder die Po­li­tik, die als ei­ne sol­che En­ti­tät gar nicht exi­stie­ren, in ih­rer Ge­samt­heit ein schwarz-wei­ßes Bild ge­zeich­net hät­ten und es noch im­mer tun, aber in der Brei­te der Be­richt­erstat­tung, in dem was man so hört, dem das auch der po­li­tisch we­nig In­ter­es­sier­te mit­be­kommt, tritt es deut­lich zu Ta­ge: Das Schwar­ze, das ist Russ­land oder per­so­na­li­siert: Pu­tin.

Die­ses Bild, das vie­le Bür­ger zu­min­dest ih­rem Ge­fühl nach für falsch hal­ten, be­darf der Kor­rek­tur, aber nicht im Sin­ne ei­ner Um­fär­bung, der Far­be Weiß, son­dern in der Wahl an­de­ren Dar­stel­lung, ei­ner in Grau­stu­fen: Aus­ge­wo­gen­heit statt zwei­er­lei Maß.

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