Da­nie­la Stri­gl: Zum Trotz

Daniela Strigl: Zum Trotz
Da­nie­la Stri­gl: Zum Trotz

Er­kun­dung ei­ner zwie­späl­ti­gen Ei­gen­schaft un­ter­ti­telt die re­nom­mier­te öster­rei­chi­sche Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin Da­nie­la Stri­gl ih­re nun in Schrift­form vor­ge­leg­ten Vor­le­sun­gen Zum Trotz vom No­vem­ber 2024. Es be­ginnt mit ei­nem kur­zen ety­mo­lo­gisch-ge­schicht­li­chen Aus­flug über den Be­griff »Trotz«. Erst im 19. Jahr­hun­dert ver­än­der­te sich die Be­wer­tung und Trotz galt als eher ne­ga­ti­ve Ei­gen­schaft, be­son­ders bei Frau­en. Der Zwie­spalt, der sich zwi­schen »kin­disch« und »Mo­vens des Wi­der­stands« auf­tut, zeigt zahl­rei­che Fa­cet­ten. Be­vor die Ty­po­lo­gie der Trotz‑, Rap­pel- oder Quer­köp­fe in der Li­te­ra­tur (mit Sei­ten­blicken aufs rich­ti­ge Le­ben) er­folgt, wird die so­ge­nann­te »Trotz­pha­se« des Kin­des un­ter­sucht. Hier er­lebt »das Kind den Kon­flikt zwi­schen Wol­len und Kön­nen als Quel­le der Fru­stra­ti­on.« Vor ein­hun­dert Jah­ren wur­de die­ses Ver­hal­ten ne­ga­tiv be­ur­teilt und mit Au­to­ri­tät be­kämpft, in­zwi­schen neigt man da­zu, es als wich­ti­ge Ent­wick­lung zu se­hen, und emp­fin­det neu­er­dings nur den Ter­mi­nus als dis­kri­mi­nie­rend. Er heißt jetzt auf neu­kor­rekt »Au­to­no­mie­pha­se«, was Stri­gl kri­ti­siert. Aber viel­leicht hat »Trotz« in an­de­ren Zu­sam­men­hän­gen doch et­was mit »Au­to­no­mie« zu tun?

Stri­gl er­nennt Hein­rich von Kleists Mi­cha­el Kohl­haas zum »Ar­che­typ des Trot­zes«. Er ist ei­ner, der »su­spekt, recht­schaf­fen und ent­setz­lich« han­delt, der nicht ak­zep­tiert, dass man ihm die bei­den an der Zoll­sta­ti­on zum Pfand über­ge­be­nen Pfer­de in ei­nem er­bärm­li­chen Zu­stand ent­schä­di­gungs­los zu­rück­ge­ben will. Die Ra­di­ka­li­sie­rung von Kohl­haas ent­wickelt sich. Die er­ste Stu­fe ist der Tod (ge­nau­er: die Tö­tung) sei­ner Frau durch die Re­gie­rungs­macht des Kur­fürsts, als sie ei­ne Bitt­schrift ih­res Ehe­manns über­brin­gen woll­te. Kohl­haas über­nimmt nun das »Ge­schäft der Ra­che«, re­kru­tiert Söld­ner, wird zum Plün­de­rer und Mord­bren­ner, oh­ne die un­mit­tel­bar Ver­ant­wort­li­chen di­rekt zu tref­fen. Glück­li­cher­wei­se er­läu­tert Stri­gl die Ge­schich­te über das hin­läng­lich be­kann­te er­ste Vier­tel der No­vel­le hin­aus und ent­wickelt die ein­zel­nen Pha­sen des (ju­ri­sti­schen) Fal­les und der Es­ka­la­tio­nen. Ist doch die »wei­te­re Hand­lung ist…von Hoff­nungs­schim­mern, Bei­na­he-Lö­sun­gen, Um­schwün­gen, Zu­fäl­len, Wie­der­ho­lun­gen und Va­ria­tio­nen be­stimmt.« Das Ge­spräch mit Mar­tin Lu­ther, der Kohl­haas ins Ge­wis­sen re­det, lässt Kohl­haas in­ne­hal­ten. Die An­ge­le­gen­heit scheint nach ei­ni­gen Ver­hand­lun­gen kurz vor ei­nem halb­wegs ver­söhn­li­chen En­de zu ste­hen, aber Kohl­haas’ Auf­ent­halt in Dres­den wan­delt sich zum Haus­ar­rest, schließ­lich zur Haft. Am En­de »wird der Ge­rech­tig­keit rund­um ge­nü­ge ge­tan«. Der klei­ne Schön­heits­feh­ler: Kohl­haas wird ge­henkt.

Im wei­te­ren Ver­lauf der Er­kun­dun­gen Stri­gls wird Kohl­haas auch un­ter an­de­re Ty­pen des Trot­zes ein­ge­ord­net. Je nach Stand der Ge­schich­te be­kommt er dann Zü­ge des Re­bel­len, Ter­ro­ri­sten, De­spe­ra­dos, Amok­läu­fers oder Que­ru­lan­ten. Nicht im­mer glücken da­bei die Trans­for­ma­tio­nen auf Phä­no­me­ne der Ge­gen­wart. So ist es schwie­rig, Kohl­haas’ »Rebellion…gegen ade­li­ge Will­kür«, die in Selbst­ju­stiz und Raub­zü­gen mün­de­te, mit Trumps Ver­hal­ten nach der ver­lo­re­nen Wahl 2020 zu ver­glei­chen, und zu kon­sta­tie­ren, Trump ha­be mit sei­ner Bil­li­gung der Stür­mung des Ka­pi­tols am 6. Ja­nu­ar 2021 den bür­ger­li­chen Un­ge­hor­sam in Miss­kre­dit ge­bracht. Trump als »trot­zi­gen Po­li­ti­ker« zu be­zeich­nen ist ein Eu­phe­mis­mus, weil da­mit die Mo­ti­ve Trumps un­ter­schätzt wer­den.

Wei­ter­le­sen ...

Jan­ko Ferk: Mit dem Blei­stift in der Hand

Janko Ferk: Mit dem Bleistift in der Hand
Jan­ko Ferk: Mit dem Blei­stift in der Hand

Der Kärnt­ner Jan­ko Ferk ist ein Tau­send­sas­sa: Rich­ter (im Ru­he­stand), Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­ler mit Schwer­punkt Franz Kaf­ka, Über­set­zer, In­itia­tor ei­nes Le­xi­kons Kärnt­ner slo­we­ni­scher Li­te­ra­tur, Au­tor von Sach­bü­chern Rei­se­füh­rern, No­vel­len, Ro­ma­nen, Es­says und Li­te­ra­tur­kri­ti­ken. Letz­te­re wer­den in un­re­gel­mä­ssi­gen Ab­stän­den in ei­ner Art Sam­mel­band im LIT-Ver­lag zu­sam­men­ge­fasst. Durch den Ti­tel Mit dem Blei­stift in der Hand (ein Hand­ke-Zi­tat) wur­de ich auf den drit­ten, ak­tu­el­len Band sei­ner Re­zen­si­ons­samm­lung auf­merk­sam, der ins­ge­samt 33 Kri­ti­ken von 2018 bis 2021 so­wie zwei Ori­gi­nal­bei­trä­ge ent­hält.

Ferks Tex­te er­schei­nen haupt­säch­lich in öster­rei­chi­schen Me­di­en, ins­be­son­de­re sind hier die »Wie­ner Zei­tung«, »Die Pres­se« und das »Li­te­ra­tur­haus« aus Wien zu nen­nen, wo­bei im Nach­weis des Buchs lei­der der Web­sei­ten-Um­zug des Li­te­ra­tur­hau­ses nicht be­rück­sich­tigt wur­de. Die Kri­ti­ken ha­ben fast al­le »zei­tungs­ge­rech­tes« Kurz­for­mat, sel­ten sind es mehr als drei Sei­ten. Er­staun­li­cher­wei­se fin­det sich trotz­dem noch ge­nü­gend Platz für die gen­der­ge­mä­ße Dop­pel­nen­nung; mein Fa­vo­rit: »Nicht­kärnt­ne­rin­nen und Nicht­kärnt­ner.« Die Be­schäf­ti­gung mit dem Rechts­an­walt, Schrift­stel­ler und Do­zen­ten Al­fred Jo­han­nes Noll fällt aus­führ­li­cher aus, wo­bei es hier auch um fünf Wer­ke geht, die Ferk hym­nisch fei­ert (und zu­gibt, ei­nes der Bü­cher nur quer­ge­le­sen zu ha­ben).

Fünf Tex­te be­schäf­ti­gen sich di­rekt oder in­di­rekt mit Franz Kaf­ka, was nicht ganz ver­wun­dert, gilt doch Ferk als »Kaf­ko­lo­ge« von Rang. Hier ist er in sei­nem Ele­ment, por­trai­tiert grif­fig Ma­ria-Lui­sa Ca­pu­to-Mayrs Ver­dien­ste um die Kaf­ka-For­schung, spürt den Kaf­ka-Schwe­stern nach, kri­ti­siert die im Sam­mel­band von Orth­mann und Schul­ler »an den Haa­ren her­bei­ge­zo­ge­nen« Auf­sät­ze und be­merkt süf­fi­sant, dass in Rei­ner Stachs Kaf­ka von Tag zu Tag ein Hin­weis auf die ähn­lich ge­la­ger­te Chro­nik von Chris Bez­zel aus dem Jahr 1975 fehlt. Zur ju­ri­sti­schen Fra­ge, wem denn nun Kaf­kas Nach­lass ge­hö­re, po­si­tio­niert sich der Ferk ein­deu­tig (was für ei­nen Ju­ri­sten be­mer­kens­wert ist).

Wei­ter­le­sen ...

Ei­ne Sa­che des Da­für­hal­tens

Am 22. Ok­to­ber 2023 ver­fass­te ich ei­nen klei­nen Text über den Streit um das Buch Ei­ne Ne­ben­sa­che von Ada­nia Shi­b­li und das Schwei­gen der Au­torin zu den Ein­wän­den. So ganz hat sie dann doch nicht ge­schwie­gen, son­dern ei­nen Ver­bots­an­trag beim Land­ge­richt Ham­burg ge­gen die ta­ges­zei­tung (taz) ge­stellt, die am 10. Ok­to­ber 2023 ei­ne eher ab­leh­nen­de ...

Wei­ter­le­sen ...

Shib­lis Schwei­gen

Ich ge­ste­he, dass ich Ada­nia Shib­lis prä­mier­tes Buch Ei­ne Ne­ben­sa­che nicht ge­le­sen ha­be. Die Kon­fron­ta­ti­on war mir auch lan­ge Zeit ent­gan­gen, bis ich über Face­book von Car­sten Ot­te dar­auf auf­merk­sam ge­wor­den wur­de. Grob ge­sagt wirft man der Au­torin vor, an­hand ei­ner wah­ren Be­ge­ben­heit aus dem Jahr 1949 über ein ver­ge­wal­tig­tes Be­dui­nen­mäd­chen durch ei­ne is­rae­li­sche Ar­­mee- ...

Wei­ter­le­sen ...

Mo­ritz Baß­ler: Po­pu­lä­rer Rea­lis­mus

Im letz­ten Jahr sorg­te ein Auf­satz des Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­lers Mo­ritz Baß­ler über den »neu­en Mid­cult« für ei­ni­ges Auf­se­hen in der Li­te­ra­tur­sze­ne. Kurz dar­auf folg­te zu­sam­men mit Heinz Drügh das Buch »Ge­gen­warts­äs­the­tik«. Es war der Ver­such ei­ner Ana­ly­se der ak­tu­el­len Li­te­ra­tur im Kos­mos des Mark­tes. Hier füg­te sich schließ­lich die Mi­d­­cult-The­­se ein, die ei­ne Art Pur­ga­to­ri­um des ...

Wei­ter­le­sen ...

Blit­zen­de Aus­nah­men

3sat über­trug dies­mal al­les vom Bach­mann­preis 2022. Als Co­ro­­na-Re­­mi­­ni­s­­zenz dien­te die Tei­lung zwi­schen Ju­ry (im Stu­dio) und le­sen­den Au­toren (im Gar­ten; mit Zu­schau­ern). Der Wech­sel zwi­schen Stu­dio und Gar­ten wur­de von zwei Mo­de­ra­to­ren aus­ge­füllt. Cé­ci­le Schort­mann war im Gar­ten und las vor Be­ginn je­der Le­sung die On­line ver­füg­ba­ren Kurz­por­traits der Au­toren vor und sag­te die ...

Wei­ter­le­sen ...

Ei­ne klei­ne Sticho­my­thie

Li­te­ra­tur­dis­kus­sio­nen im di­gi­ta­len Zeit­al­ter

Ge­le­gent­lich, in ver­schie­de­nen Tex­ten und Kon­tex­ten, wei­se ich dar­auf hin, daß ich die seit ei­ner Rei­he von Jah­ren welt­weit ver­brei­te­te Ge­wohn­heit zahl­lo­ser Pri­vat­per­so­nen oder viel­leicht auch – man kann es nicht wis­sen – öf­fent­li­cher Per­so­nen, sich nur un­ter so­ge­nann­ten nick­na­mes oder ganz oh­ne Na­men öf­fent­lich, al­so im In­ter­net, zu äu­ßern, für ei­ne Un­sit­te hal­te, die al­les in al­lem ne­ga­ti­ven Ein­fluß auf die Ent­wick­lung des ge­sell­schaft­li­chen Zu­sam­men­le­bens aus­übt. Ich selbst äu­ße­re mich in so­ge­nann­ten Fo­ren und Kom­men­tar­spal­ten grund­sätz­lich nur un­ter mei­nem so­ge­nann­ten Klar­na­men. Das tat ich un­längst im On­line­fo­rum ei­ner öster­rei­chi­schen Ta­ges­zei­tung, nach­dem ich dort ei­ne Er­zäh­lung ei­nes öster­rei­chi­schen Schrift­stel­lers ge­le­sen hat­te, die sich auf die ge­gen­wär­ti­ge Pan­de­mie be­zog. Die mei­sten Re­ak­tio­nen der On­line­le­ser die­ser Er­zäh­lung wa­ren ne­ga­tiv und nicht son­der­lich klug, ge­schrie­ben von Leu­ten, die we­nig Ah­nung ha­ben von Li­te­ra­tur.

Ich ver­spür­te kein Be­dürf­nis, da­zu selbst et­was zu äu­ßern, bis ich auf ei­nen – na­tür­lich pseud­ony­men – Kom­men­tar stieß, der mir das Pro­blem die­ser Er­zäh­lung zu be­rüh­ren schien. Jetzt griff ich doch noch zur Fe­der, ließ mei­ne Fin­ger über die Ta­sta­tur des Com­pu­ters glei­ten. Aus­drück­lich schrieb ich, daß ich die ab­schät­zi­ge Wer­tung die­ses Le­sers nicht tei­le, und ver­such­te, die von ihm ver­mu­te­te per­sön­li­che Pro­ble­ma­tik auf ei­ne li­te­ra­ri­sche Ebe­ne zu he­ben: Ich stell­te die Fra­ge, ob ei­ne vor­sätz­lich und ra­di­kal ab­strak­te Li­te­ra­tur, bei der man nicht ein­mal die ge­schlecht­li­che Zu­ord­nung (»El­tern­tei­le«), ge­schwei­ge denn ir­gend­wel­che – sei es auch fik­ti­ve – Na­men und erst recht kei­ne Ge­füh­le er­fährt, denn funk­tio­nie­ren kön­ne. Soll­te Li­te­ra­tur nicht ge­ra­de das Kon­kre­te, Be­son­de­re, Ein­zig­ar­ti­ge im Au­ge ha­ben?

Die­se Fra­ge kann man so oder so be­ant­wor­ten. Es gibt Au­toren, auch sehr be­rühm­te, die vor­wie­gend mit Ste­reo­ty­pen, de­ren Kon­struk­ti­on und De­kon­struk­ti­on ar­bei­ten. Mit sol­cher Li­te­ra­tur ha­be ich zu­ge­ge­ge­be­ner­ma­ßen Schwie­rig­kei­ten. Ich se­he aber nicht, was dar­an eh­ren­rüh­rig sein soll­te, die­se Fra­ge am Bei­spiel ei­nes kon­kre­ten (und zwar ab­strak­ten) Er­zähl­tex­tes auf­zu­wer­fen.

Kurz nach der Ver­öf­fent­li­chung mei­nes Kom­men­tars er­hielt ich im Mes­sen­ger mei­nes »Face­book-Ac­counts« (so nennt man das wohl) ei­ne Nach­richt die­ses Au­tors. Er woll­te wis­sen, ob ich der­je­ni­ge sei, der un­ter dem Na­men »Leo­pold Fe­der­mair« in je­nem On­line­fo­rum »ge­po­stet« hat­te. Die Fra­ge wirk­te selt­sam, zu­mal der Au­tor bei sei­ner Auf­for­de­rung zur Ant­wort das Wort »Mut« ge­brauch­te und da­mit im­pli­zit die Mög­lich­keit von Feig­heit in den Raum stell­te. Ich ant­wor­te­te frei­mü­tig: Ja, klar, so hei­ße ich, so po­ste ich.

Wei­ter­le­sen ...

Von Kurz­strecken­fah­rern und Rie­sen

»Von Ra­bau­ken emp­foh­len« ti­telt Ma­gnus Klaue in zeit­on­line und nimmt sich in der ge­fühlt 147. Stel­lung­nah­me den Li­te­ra­tur­kri­ti­ker De­nis Scheck vor. Es gibt wirk­lich wich­ti­ge­re Pro­ble­me, aber ich kann jetzt nicht an­ders als ei­ne 148. Ver­si­on an­zu­schlie­ßen. Lei­der schreibt Klaue ziem­lich ah­­nungs- und kennt­nis­los über Li­te­ra­tur­ver­mitt­lung in Rund­funk und Fern­se­hen. Da ist von der DLF-Sen­­dung ...

Wei­ter­le­sen ...