By­ung-Chul Han: Vom Ver­schwin­den der Ri­tua­le

Byung-Chul Han: Vom Verschwinden der Rituale
By­ung-Chul Han:
Vom Ver­schwin­den der Ri­tua­le

Im sehr kur­zen Vor­wort zu sei­nem Buch über das Ver­schwin­den der Ri­tua­le plat­ziert By­ung-Chul Han so et­was wie ei­ne Klar­stel­lung: Es gin­ge nicht dar­um, ei­ne ver­schwun­de­ne Zeit zu be­kla­gen, son­dern es wür­de »oh­ne Nostalgie…eine Ge­nea­lo­gie ih­res Ver­schwin­dens skiz­ziert.«

Das Buch hat nicht ein­mal 130 Sei­ten. Aber die ha­ben es in sich. Wie ein Schmied häm­mern die im zu­wei­len auf­dring­lich da­her­kom­men­den Heid­eg­ger-Duk­tus for­mu­lier­ten Sät­ze auf den Le­ser ein, ei­nem Le­ser, der so­fort zu Glü­hen be­ginnt, ei­ne Mi­schung aus (an­fäng­li­cher) Fas­zi­na­ti­on, Neu­gier und, be­son­ders ge­gen En­de, auch Ver­stö­rung. Doch da­zu spä­ter.

Han wie­der­holt in die­sem Buch ei­ni­ge The­sen sei­ner kultur‑, zi­vi­li­sa­ti­ons- und zeit­kri­ti­schen Sicht­wei­sen und er­wei­tert sie um das Ele­ment der Ri­tua­le und Ze­re­mo­nien. Er gilt als Kri­ti­ker der mo­der­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel, die er mit Ka­pi­ta­lis­mus­kri­tik ver­knüpft. Die In­ter­net­kom­mu­ni­ka­ti­on be­herr­sche nicht nur das Mit­ein­an­der son­dern tra­ge auch noch zur Selbst­aus­beu­tung des ar­bei­ten­den Sub­jekts bei. Der bö­se Ka­pi­ta­list, der sei­ne Mit­ar­bei­ter knech­tet, hat aus­ge­dient. Heu­te be­gibt sich das In­di­vi­du­um sel­ber und frei­wil­lig in Ab­hän­gig­kei­ten. Die­se Kri­tik ist nicht neu; sie wur­de schon vor ei­ni­ger Zeit als »Ko­lo­nia­li­sie­rung der Le­bens­welt« durch die Öko­no­mie be­schrie­ben. Han nennt den Feind ein we­nig ne­bu­lös »neo­li­be­ra­les Re­gime«.

Es fol­gen durch­aus in­ter­es­san­te Ein­sich­ten, bei­spiels­wei­se über das Smart­phone, wel­ches »kein Ding im Sin­ne von Han­nah Are­ndt« sei, weil ihm »die Sel­big­keit, die das Le­ben sta­bi­li­siert« feh­le. Oder die Kom­mer­zia­li­sie­rung von Wer­ten wie Ge­rech­tig­keit, Mensch­lich­keit oder Nach­hal­tig­keit, die leid­lich »öko­no­misch aus­ge­schlach­tet« wür­den. Den Wer­be­spruch »Tee trin­kend die Welt ver­än­dern« ei­nes Fair­trade-Un­ter­neh­mens kom­men­tiert Han sar­ka­stisch: »Welt­ver­än­de­rung durch Kon­sum, das wä­re das En­de der Re­vo­lu­ti­on.« Prä­gnant die Hin­wei­se über die Emo­tio­na­li­sie­rung und »die mit ihr zu­sam­men­hän­gen­de Äs­the­ti­sie­rung der Wa­re«. Das Äs­the­ti­sche wer­de »durch das Öko­no­mi­sche ko­lo­nia­li­siert« (sic!). Auch dies ei­ne hin­läng­lich be­kann­te Kla­ge.

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Der Wil­le zum Nicht­wis­sen (7/9)

An­mer­kun­gen zu ei­ner Hand­voll le­gen­dä­rer Sät­ze

7 – Wir goo­geln uns blöd!

Di­gi­ta­le De­menz lau­tet der rei­ße­ri­sche Ti­tel ei­nes Buchs, das vor ei­ni­gen Jah­ren in Deutsch­land ein Best­sel­ler­er­folg war. Doch der in zwei Wor­te ge­faß­te Be­fund des Ge­hirn­for­schers und Psych­ia­ters Man­fred Spit­zer ist wohl­über­legt und wohl­for­mu­liert. Bild­schirm­me­di­en hin­dern die Ge­hirn­tä­tig­keit eher, als daß sie sie för­dern: das galt schon für das Fern­seh­zeit­al­ter, und es gilt erst recht für die di­gi­ta­len Me­di­en. Das Ab­neh­men der Lei­stungs­fä­hig­keit des Ge­hirns be­zeich­net man als »De­menz«; es muß nicht zwangs­läu­fig erst im ho­hen Al­ter ein­set­zen. Ei­ne zwei­te Be­deu­tung der For­mel be­zieht sich auf ge­sell­schaft­li­che Aus­wir­kun­gen der in­zwi­schen über­mäch­ti­gen Di­gi­tal­kul­tur. Wer­den die Be­völ­ke­run­gen ten­den­zi­ell im­mer düm­mer? Spit­zer zi­tiert ei­ne Rei­he von Stu­di­en und Ex­pe­ri­men­ten, die die­sen Schluß na­he­le­gen. Ins­ge­samt ist die Schul- und Hochschul­bildung im Ver­lauf des 20. Jahr­hun­derts in den west­li­chen Län­dern si­cher viel brei­ter ge­wor­den. Ob sie – Mas­sen­uni­ver­si­tä­ten statt Eli­te­schmie­den – auch bes­ser ge­wor­den ist, ist ei­ne an­de­re Fra­ge. Wenn es ei­nen Um­kehr­punkt ge­ge­ben hat, wann ge­nau und wes­halb? Die Com­pu­ter wer­den nicht al­lein dar­an schuld sein.

Spit­zers zwang­haf­te Art, den Ein­druck wis­sen­schaft­li­cher Ab­si­che­rung zu er­wecken, ist ei­ne der Sei­ten, die an sei­nen Auf­trit­ten kri­ti­siert wer­den. Je­de Men­ge Sta­ti­sti­ken, Kor­re­la­tio­nen, aber kein Ent­fal­ten von Zu­sam­men­hän­gen. Und pau­scha­le Ver­ur­tei­lun­gen, ein ums an­de­re Mal wie­der­holt. We­nig Er­zäh­lung, wür­de ich hin­zu­fü­gen: We­nig kon­kre­te Bei­spie­le, we­nig ei­ge­ne Er­fah­run­gen. Aber das mag Auf­ga­be der Li­te­ra­tur sein, al­so mei­ne. Im gro­ßen und gan­zen stim­me ich Spit­zers Ein­schät­zun­gen zu, auch wenn mir sein häm­mern­der Stil auf die Ner­ven geht. Daß wir uns vom di­gi­tal-me­dia­len Über­bau nicht gänz­lich be­frei­en kön­nen und das folg­lich auch nicht ver­su­chen soll­ten, ge­steht er selbst zu, al­ler­dings tönt die Kon­zes­si­on viel lei­ser als sei­ne Un­ken­ru­fe. Wir soll­ten un­se­re Auf­ent­halts­zeit in der di­gi­ta­len Welt be­schrän­ken, d. h. re­gu­lie­ren (hor­ri­bi­le dic­tu!), manch­mal auch län­ge­re Pau­sen ein­le­gen, und vor al­lem soll­ten wir ei­ne sol­che Di­ät schon un­se­ren Kin­dern an­ge­dei­hen las­sen. Die viel­be­schwo­re­nen di­gi­ta­len Kom­pe­ten­zen las­sen sich nur in Ver­bin­dung mit »Vor­wis­sen«, wie Spit­zer es nennt, al­so mit tra­di­tio­nel­len gei­sti­gen Fä­hig­kei­ten, die man nicht am Bild­schirm er­wirbt, son­dern im Kon­takt mit der Er­fah­rungs­welt, mit Bü­chern und mit Er­zie­hungs­per­so­nen, sinn­voll aus­üben.

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Schwarm und Idi­ot

Phi­lo­so­phi­sches und Apho­ri­sti­sches von By­ung-Chul Han und Bo­tho Strauß

In sei­nem Buch »Lich­ter des To­ren – Der Idi­ot und sei­ne Zeit« (LT; 2013) fin­det Bo­tho Strauß ei­ne kon­zi­se For­mu­lie­rung für das Phä­no­men des Schwarms im In­ter­net: »Netz-Schwär­me sind kei­ne kon­su­mi­sti­sche Mas­se, son­dern las­sen in kor­re­lier­ten Pro­zes­sen do­mi­nan­te Leit­sy­ste­me ent­ste­hen, die im Kern die­sel­be Bot­schaft ver­brei­ten – in Mei­nun­gen, Vor­lie­ben, Ver­dam­mun­gen und Di­rek­ti­ven.« (LT 79)

Byung-Chul Han: Im Schwarm - Ansichten eines Digitalen
By­ung-Chul Han: Im Schwarm –
An­sich­ten ei­nes Di­gi­ta­len

Die­se Form ei­ner De­fi­ni­ti­on ist in Strauß’ an­son­sten meist sen­ten­ziö­sem Buch un­ge­wöhn­lich. Es könn­te je­doch als Leit­spruch auch über den un­längst er­schie­ne­nen Es­say »Im Schwarm – An­sich­ten des Di­gi­ta­len« von By­ung-Chul Han ste­hen (IS; 2013). Wo Strauß et­was ne­bu­lös vom »Plu­ri­mi-Fak­tor« schreibt, der »das Ho­he zu­gun­sten des Brei­ten« ab­wer­te (LT 32), spricht Han vom Schwarm. Wie Strauß un­ter­schei­det Han Mas­se von Schwarm und spricht zu­nächst neu­tral von Men­ge. »Die neue Men­ge heißt der di­gi­ta­le Schwarm« (IS 19). Die Un­ter­schie­de zur Mas­se sind im­ma­nent. Der Schwarm hat, so die The­se, kei­ne See­le, kei­nen Geist. See­le sei »ver­sam­melnd«, so Han, der Schwarm be­stehe je­doch aus »ver­ein­zel­ten In­di­vi­du­en«. Ei­ne Mas­se »of­fen­bart Ei­gen­schaf­ten, die auf die Ein­zel­nen nicht zu­rück­zu­füh­ren sind. Die ein­zel­nen ver­schmel­zen zu ei­ner neu­en Ein­heit« (IS 19). Das Gan­ze ist eben mehr als die Sum­me sei­ner Tei­le. Die In­di­vi­du­en des Schwarms »ent­wickeln kein Wir.« Sie blie­ben al­lei­ne: »Elek­tro­ni­sche Me­di­en…ver­sam­meln Men­schen, wäh­rend die di­gi­ta­len Me­di­en sie ver­ein­zeln.« Der Schwarm­teil­neh­mer, der ho­mo di­gi­ta­lis, sei kein Nie­mand, son­dern ein Je­mand, »der sich aus­stellt und um Auf­merk­sam­keit buhlt«. Für Strauß ist der Schwarm so­gar be­droh­lich: »Wenn sich der Geist des Schwarms als Ord­nungs­macht eta­bliert, schlägt die Stun­de der Insur­gen­ten« (LT 41), so heißt es ein we­nig be­droh­lich.

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