Phil­ip Ma­now: Un­ter Be­ob­ach­tung

Philip Manow: Unter Beobachtung
Phil­ip Ma­now:
Un­ter Be­ob­ach­tung

Zu Be­ginn sei­nes Bu­ches mit dem viel­sa­gen­den Ti­tel Un­ter Be­ob­ach­tung stellt der deut­sche Po­li­tik­wis­sen­schaft­ler Phil­ip Ma­now ei­ne schein­bar ein­fa­che Fra­ge: »Hat es ei­gent­lich vor – sa­gen wir – 1990 Fein­de der li­be­ra­len De­mo­kra­tie ge­ge­ben?« Denn man hört im po­li­ti­schen Dis­kurs im­mer häu­fi­ger, das die »li­be­ra­le De­mo­kra­tie« in Ge­fahr sei. Die­se ge­he, so Ma­now li­stig, in­zwi­schen an­schei­nend »be­son­ders oft von Wah­len aus, dem Pro­zess, der am eng­sten mit dem de­mo­kra­ti­schen Sy­stem ver­bun­den wird.« Vor al­lem, so möch­te man er­gän­zen, wenn das (an­ti­zi­pier­te) Re­sul­tat droht, das »fal­sche« zu sein. Ver­schie­dent­lich wird schon von der »Ty­ran­nei der Mehr­heit« ge­spro­chen. Ma­now durch­schaut die­se Er­re­gun­gen und fragt »wes­sen De­mo­kra­tie ei­gent­lich ge­nau ver­tei­digt wird, wenn ‘die’ De­mo­kra­tie ver­tei­digt wird.« Doch da­zu spä­ter.

Fest­zu­ste­hen scheint: Rechts­staat­lich­keit, un­ver­äu­ßer­li­che Grund­rech­te und freie Wah­len (»elek­to­ra­le De­mo­kra­tie«) grei­fen in ih­rer »Ein­fach­heit und Sta­tik« nicht mehr als al­lei­ni­ge Kri­te­ri­en ei­ner de­mo­kra­ti­schen Ver­fasst­heit. Die Zu­schrei­bung »li­be­ral« speist sich aus ei­nem »gan­zen Kranz an Wer­ten«, wie sie bei­spiels­wei­se im »Glo­bal Sta­te of Democracy«-Index oder, re­le­van­ter, dem »Li­be­ral-De­mo­cra­cy-In­dex« des »Varieties-of-Democracy«-Projekts der EU de­fi­niert sind. Letz­te­rer wird in ei­nem Ap­pen­dix am En­de des Bu­ches vom Au­tor un­ter­sucht und als un­ge­eig­net ver­wor­fen, »so­wohl um das Aus­maß der ge­gen­wär­ti­gen Kri­se der De­mo­kra­tie, ge­ra­de wenn sie sich […] als Kon­flikt zwi­schen Exe­ku­ti­ve und (Verfassungs-)Gerichtsbarkeit ma­ni­fe­stiert, als auch um ih­re Ur­sa­che zu ver­ste­hen.« Am Ran­de wird süf­fi­sant ge­fragt, war­um die EU sich sel­ber »nicht auf sei­nem Li­be­ral-De­mo­cra­cy- oder ei­nem Elec­to­ral-de­mo­cra­cy-In­dex« be­wer­tet ha­be. Und Dah­ren­dorfs Bon­mot, dass, wenn die die EU um Mit­glied­schaft in der EU nach­such­te, die­se »we­gen ih­res Man­gels an de­mo­kra­ti­scher Ord­nung ab­ge­wie­sen« wür­de, fin­det sich im­mer­hin in den An­mer­kun­gen. Ma­nows Skep­sis an der de­mo­kra­ti­schen Ver­fasst­heit der EU und de­ren Grün­dungs­my­then, wird noch ei­ne Rol­le spie­len.

Was ist al­so »li­be­ra­le De­mo­kra­tie«? Hilfs­wei­se wird sie »in der Ver­bin­dung aus Par­tei­en­wett­be­werb, Mei­nungs­frei­heit, Wohl­fahrts­staat­lich­keit und LGBTQ+-Rechten […] oder in Ver­bin­dung von frei­en Wah­len und Kli­ma­schutz« de­fi­niert. Sie wird schließ­lich als »End- oder Kom­pro­miss­pro­dukt zwei­er Strö­mun­gen ver­stan­den, des Li­be­ra­lis­mus ei­ner­seits: al­so Be­schrän­kung von Herr­schaft durch Ge­wal­ten­tei­lung, Rechts­staat­lich­keit, sub­jek­ti­ve Rech­te […] und des Mehr­heits­prin­zips und der Volks­sou­ve­rä­ni­tät an­de­rer­seits. […] Oder noch ei­ne Ab­strak­ti­ons­stu­fe hö­her, nicht als Idee oder Ideo­lo­gie, son­dern als Wert: Frei­heit vs. Gleich­heit. Li­be­ra­le De­mo­kra­tie ist dann die Ver­bin­dung aus oder der Kom­pro­miss zwi­schen bei­dem.«

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Apho­ris­men, No­ta­te und Un­ein­sich­tig­kei­ten III

Der auf­klä­re­ri­sche An­spruch muss sein, dass die In­di­vi­du­en, die durch ih­re Angst zu ei­ner Mas­se zu­sam­men­ge­bun­den wur­den, ih­res Zu­stands ein­sich­tig wer­den und die dar­aus er­wach­sen­den Kon­se­quen­zen be­grei­fen. Über­mäch­ti­ge Angst macht nicht nur ge­fü­gig, sie lässt die exi­sten­zi­el­len Bin­dun­gen des In­di­vi­du­ums als be­deu­tungs­los er­schei­nen. * * * Die Angst ent­zieht dem In­tel­lekt sei­ne Kraft, sie schwächt ...

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Apho­ris­men, No­ta­te und Un­ein­sich­tig­kei­ten I

Die fol­gen­den Ein­las­sun­gen sind nicht ge­plant und ich ver­mag ih­ren Ab­schluss noch nicht ab­zu­se­hen. Ich möch­te an kei­ne vor­an­ge­gan­ge­ne Dis­kus­si­on an­schlie­ßen oder ei­ne auf­wär­men, es scheint mir viel­mehr so, dass ein in­ne­res Drän­gen auf ein äu­ße­ren Zu­stand des Man­gels trifft. Ich hof­fe über den An­lass hin­aus nach­ge­dacht zu ha­ben.

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Fra­ge an mei­ne öster­rei­chi­schen Freun­de

Na­he­zu al­le mei­ne Facebook-»Freunde« aus Öster­reich, die sich dort po­li­tisch äu­ßern, wa­ren und sind fast na­tur­ge­mäß ge­gen die Re­gie­rung Kurz ge­we­sen. Die Freu­de war ent­spre­chend groß als es nun hieß, es gibt Neu­wah­len. Man be­zieht na­tür­lich Po­si­ti­on: Ge­gen Kurz, noch mehr ge­gen die FPÖ, eher neu­tral zur SPÖ. So weit, so be­kannt.

Ich ha­be kei­ne Lust, die Face­book-Th­reads zu spren­gen. Da­her fra­ge ich hier im Blog: Wie stellt Ihr Euch ei­gent­lich ei­ne neue Re­gie­rung nach den Neu­wah­len vor? Vor­sicht, denn die Fra­ge ist ehr­lich ge­meint!

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Jan-Wer­ner Mül­ler: Was ist Po­pu­lis­mus?

An­mer­kung zur Le­se­run­de:

Die­se ein­lei­ten­den Aus­füh­run­gen sol­len die The­sen aus Jan-Wer­ner Mül­lers Buch »Was ist Po­pu­lis­mus?« vor­stel­len. Dies soll so neu­tral wie mög­lich ge­sche­hen; wo dies nicht der Fall sein soll­te und vor­ei­li­ges Ur­teil her­vor­schim­mert, bit­te ich um Nach­sicht.


Jan-Werner Müller: Was ist Populismus?
Jan-Wer­ner Mül­ler:
Was ist Po­pu­lis­mus?

In­zwi­schen gibt es kaum noch ei­ne Nach­rich­ten­sen­dung, die oh­ne den Be­griff des »Po­pu­lis­mus« auf­kommt; meist in der Form als »Rechts­po­pu­lis­mus«, et­wa wenn es um die öster­rei­chi­sche FPÖ, den fran­zö­si­schen Front Na­tio­nal, die un­ga­ri­sche oder die pol­ni­sche Re­gie­rung geht. Aber was ist ei­gent­lich Po­pu­lis­mus? Wel­che Fol­gen hat er, könn­te er ha­ben? Jan-Wer­ner Mül­ler, Leh­rer für po­li­ti­sche Theo­rie und Ideen­ge­schich­te in Prin­ce­ton, möch­te mit sei­nem Buch »Was ist Po­pu­lis­mus?« ab­seits ta­ges­po­li­ti­sche Auf­geregtheiten ei­ne »kri­ti­sche Theo­rie des Po­pu­lis­mus« for­mu­lie­ren.

Be­reits auf den er­sten Sei­ten bi­lan­ziert er sei­ne The­se: Po­pu­lis­mus sei »der Ten­denz nach zwei­fels­oh­ne an­ti­de­mo­kra­tisch«. Po­pu­li­sten ge­fähr­de­ten die Grund­prin­zi­pi­en der re­prä­sen­ta­ti­ven De­mo­kra­tie. Po­pu­lis­mus sei »ei­ne ganz be­stimm­te Po­li­tik­vor­stel­lung, laut der ei­nem mo­ra­lisch rei­nen, ho­mo­ge­nen Volk stets un­mo­ra­li­sche, kor­rup­te und pa­ra­si­tä­re Eli­ten ge­gen­über­ste­hen«. Da­her en­ga­gier­ten sich Po­pu­li­sten für ple­bis­zi­tä­re Ele­men­te, aber, so die The­se, »Po­pu­li­sten in­ter­es­sie­ren sich gar nicht für die Par­ti­zi­pa­ti­on der Bür­ger an sich; ih­re Kri­tik gilt nicht dem Prin­zip der po­li­ti­schen Re­prä­sen­ta­ti­on als sol­chem … son­dern den am­tie­ren­den Re­prä­sen­tan­ten, wel­che die In­ter­es­sen des Vol­kes an­geb­lich gar nicht ver­tre­ten.«

Es gibt laut Mül­ler zwei es­sen­ti­el­le Iden­ti­fi­ka­ti­ons­merk­ma­le für Po­pu­lis­mus, die in­ein­an­der grei­fen. Zum ei­nen ist er an­ti­plu­ra­li­stisch (nicht per se an­ti-in­sti­tu­tio­nell). Und zum an­de­ren nimmt er für sich und sei­ne po­li­ti­schen The­sen die al­lei­ni­ge mo­ra­li­sche Ver­tre­tung in An­spruch. Und so kommt es, dass, »wer sich ih­nen [den Po­pu­li­sten] ent­ge­gen­stellt und ih­ren mo­ra­li­schen Al­lein­ver­tre­tungs­an­spruch be­strei­tet«, »auto­matisch nicht zum wah­ren Volk« zu­ge­schla­gen und am En­de aus­ge­grenzt wer­de. Po­pu­li­sten sa­gen: »Wir – und nur wir – re­prä­sen­tie­ren das Volk«, und das nicht als em­pi­ri­sche, son­dern als mo­ra­li­sche Aus­sa­ge.

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Der öster­rei­chi­sche Bun­des­prä­si­dent

Ver­such ei­ner Dis­kus­si­ons­grund­la­ge zur Neu­de­fi­ni­ti­on des Am­tes

Im Rah­men der Bun­des­prä­si­dent­schafts­wahl 2016 wur­de das Amts­ver­ständ­nis des Bun­des­prä­si­den­ten the­ma­ti­siert; es ging da­bei we­ni­ger um des­sen weit­rei­chen­de Kom­pe­ten­zen, die man­che Ju­ri­sten als au­to­ri­tär an­se­hen, son­dern um die tat­säch­lich prak­ti­zier­te Amts­füh­rung in Zu­sam­men­hang mit der Ver­än­de­rung der po­li­ti­schen Land­schaft der zwei­ten Re­pu­blik. In Öster­reich ent­stamm­te der Bun­des­prä­si­dent (bis­lang) fast im­mer ei­ner der bei­den Groß­par­tei­en (SPÖ, ÖVP) und führ­te sein Amt (meist) zu­rück­hal­tend »im Schat­ten« häu­fi­ger gro­ßer Ko­ali­tio­nen (Kirch­schlä­ger war der ein­zi­ge par­tei­lo­se Kan­di­dat der zwei­ten Re­pu­blik). Wer bös­ar­tig sein will, kann sa­gen: Das Land war oh­ne­hin auf­ge­teilt und der Bun­des­prä­si­dent woll­te da­bei nicht stö­ren. Dies führ­te zu der Fest­stel­lung vie­ler Bür­ger, dass man ein solch kon­se­quenz­lo­ses Amt nicht brau­che und man sich das Geld da­für spa­ren kön­ne; al­ler­dings: ei­ne sol­che Amts­füh­rung muss nicht schon per se falsch sein, sie soll­te al­ler­dings be­grün­det wer­den und in irgend­einer Be­zie­hung zu den weit­rei­chen­den Kom­pe­ten­zen des Am­tes ste­hen (braucht es die­se nun oder nicht und war­um wur­den sie – be­stehend seit 1929 – nicht längst ge­än­dert, wenn sie der po­li­ti­schen Rea­li­tät so gar nicht ent­spre­chen?). Hier­an schlos­sen die Diskus­sion nach der Wahl an: Wo­zu die­se weit­rei­chen­den Kom­pe­ten­zen, die letzt­lich vom per­sön­li­chen Wil­len (der Au­to­ri­tät) des je­wei­li­gen Bun­des­prä­si­den­ten ab­hän­gen und zu­dem kaum bis nie ge­nutzt wur­den, wie das Not­ver­ord­nungs­recht, das Recht die Re­gie­rung als Gan­ze zu ent­las­sen, das Recht ei­nen Land­tag oder den Na­tio­nal­rat aufzu­lösen (die er­sten drei wur­den nie an­ge­wen­det, das letz­te ein ein­zi­ges Mal von Mi­klas im Jahr 19301).

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  1. Eine Liste der Kompetenzen findet man dort

Kau­ders Sarg­nä­gel

Das ist kein Pran­ger. Aber ei­ne Do­ku­men­ta­ti­on. Nach­ste­hend die Li­ste der Uni­ons-Ab­­ge­or­d­­ne­ten, die heu­te zum so­ge­nann­ten Drit­ten Ret­tungs­pa­ket (»Sta­bi­li­täts­hil­fe zu­gun­sten Grie­chen­lands«) mit »Nein« ge­stimmt ha­ben. Und dies un­ge­ach­tet der Dro­hun­gen des Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den Kau­der. Le­gen­de: Die kur­siv ge­setz­ten Na­men, die am 17.07.2015 mit »Nein« stimm­ten, wa­ren bei der Ab­stim­mung heu­te, am 19.08.2015, nicht an­we­send. Die im ...

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Fe­tisch Wahl­be­tei­li­gung

Nach Wah­len wie die­ser (in Bre­men) schwillt der Jam­mer­ge­sang der ach so nied­ri­gen Wahl­be­tei­li­gung bei na­he­zu al­len Kom­men­ta­to­ren wie­der an. Da ist von De­fi­zi­ten in der De­mo­kra­tie die Re­de, wenn noch nicht ein­mal 50% der Wahl­be­rech­tig­ten von ih­rem Recht Ge­brauch ma­chen. Gra­phi­ken wer­den er­stellt, in der die »Frak­ti­on« der Nicht­wäh­ler mit 50% als stärk­ste Grup­pe ...

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