Der öster­rei­chi­sche Bun­des­prä­si­dent

Ver­such ei­ner Dis­kus­si­ons­grund­la­ge zur Neu­de­fi­ni­ti­on des Am­tes

Im Rah­men der Bun­des­prä­si­dent­schafts­wahl 2016 wur­de das Amts­ver­ständ­nis des Bun­des­prä­si­den­ten the­ma­ti­siert; es ging da­bei we­ni­ger um des­sen weit­rei­chen­de Kom­pe­ten­zen, die man­che Ju­ri­sten als au­to­ri­tär an­se­hen, son­dern um die tat­säch­lich prak­ti­zier­te Amts­füh­rung in Zu­sam­men­hang mit der Ver­än­de­rung der po­li­ti­schen Land­schaft der zwei­ten Re­pu­blik. In Öster­reich ent­stamm­te der Bun­des­prä­si­dent (bis­lang) fast im­mer ei­ner der bei­den Groß­par­tei­en (SPÖ, ÖVP) und führ­te sein Amt (meist) zu­rück­hal­tend »im Schat­ten« häu­fi­ger gro­ßer Ko­ali­tio­nen (Kirch­schlä­ger war der ein­zi­ge par­tei­lo­se Kan­di­dat der zwei­ten Re­pu­blik). Wer bös­ar­tig sein will, kann sa­gen: Das Land war oh­ne­hin auf­ge­teilt und der Bun­des­prä­si­dent woll­te da­bei nicht stö­ren. Dies führ­te zu der Fest­stel­lung vie­ler Bür­ger, dass man ein solch kon­se­quenz­lo­ses Amt nicht brau­che und man sich das Geld da­für spa­ren kön­ne; al­ler­dings: ei­ne sol­che Amts­füh­rung muss nicht schon per se falsch sein, sie soll­te al­ler­dings be­grün­det wer­den und in irgend­einer Be­zie­hung zu den weit­rei­chen­den Kom­pe­ten­zen des Am­tes ste­hen (braucht es die­se nun oder nicht und war­um wur­den sie – be­stehend seit 1929 – nicht längst ge­än­dert, wenn sie der po­li­ti­schen Rea­li­tät so gar nicht ent­spre­chen?). Hier­an schlos­sen die Diskus­sion nach der Wahl an: Wo­zu die­se weit­rei­chen­den Kom­pe­ten­zen, die letzt­lich vom per­sön­li­chen Wil­len (der Au­to­ri­tät) des je­wei­li­gen Bun­des­prä­si­den­ten ab­hän­gen und zu­dem kaum bis nie ge­nutzt wur­den, wie das Not­ver­ord­nungs­recht, das Recht die Re­gie­rung als Gan­ze zu ent­las­sen, das Recht ei­nen Land­tag oder den Na­tio­nal­rat aufzu­lösen (die er­sten drei wur­den nie an­ge­wen­det, das letz­te ein ein­zi­ges Mal von Mi­klas im Jahr 19301).

Wie weit die The­ma­ti­sie­rung der Amts­füh­rung ei­ni­ger Kan­di­da­ten auch Rhe­to­rik war, soll hier nicht un­ter­sucht wer­den, viel wich­ti­ger ist, ob man Ar­gu­men­te für ei­ne Än­de­rung fin­den und wie die­se ge­ge­be­nen­falls aus­se­hen soll. Da­bei kann man zu­min­dest drei Be­rei­che un­ter­schei­den, die teil­wei­se in un­ter­schied­li­chen An­deu­tun­gen und Ab­stu­fun­gen im Wahl­kampf auf­tauch­ten.2

1. Die Ver­än­de­rung der po­li­ti­schen Land­schaft Öster­reichs
Die­se be­gann 1986 mit dem Ein­zug der Grü­nen in den Na­tio­nal­rat und der Über­nah­me der FPÖ durch Jörg Hai­der und er­reich­te ih­ren vor­läu­fi­gen Hö­he­punkt mit dem desas­trösen Ab­schnei­den der Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­ten der bei­den Re­gie­rungs­par­tei­en bei der Bun­des­prä­si­den­ten­wahl 2016.3 In Sum­me lässt sich fest­stel­len, dass in die­sem Zeit­raum die Tra­di­tio­na­li­tät, Loya­li­tät und Zu­ver­läs­sig­keit der Wäh­ler ab- und ih­re Mo­bi­li­tät zu­nahm, was man als Re­sul­tat von Un­zu­frie­den­heit le­sen und letzt­lich dem Un­ge­nü­gen der eta­blier­ten Po­li­tik zu­schrei­ben kann. Dem­zu­fol­ge hat sich ei­ne Kluft zwi­schen den Vor­stel­lun­gen vie­ler Bür­ger und den Vor­schlä­gen der eta­blier­ten Par­tei­en auf­ge­tan, die bis­lang nicht ge­schlos­sen wer­den konn­te. Die Wäh­ler fol­gen kaum noch (alt­her­ge­brach­ten) Ver­pflich­tun­gen, son­dern ori­en­tie­ren ih­re Ent­schei­dun­gen an den po­li­ti­schen Ent­wick­lun­gen und un­ter­schei­den stren­ger zwi­schen der Art des Wahl­gangs. Ein Re­sul­tat da­von ist die ab­neh­men­de Wahl­be­tei­li­gung (pdf), die Zu­nah­me der im Na­tio­nal­rat ver­tre­te­nen Par­tei­en und die (ten­den­zi­el­le) An­nä­he­rung ih­rer Grö­ße (je­den­falls schwand die Grö­ße der Volks­par­tei­en). Die po­li­ti­sche Land­schaft wur­de brü­chi­ger, un­über­sicht­li­cher und ist schwie­ri­ger zu be­rech­nen.

2. Das ewi­ge Ka­ka­ni­en4
Die be­schrie­be­nen Ver­än­de­run­gen sind kein Pro­dukt des Zu­falls, sie ha­ben mit der Ab­nut­zung und der Selbst­ge­fäl­lig­keit der öster­rei­chi­schen Volks­par­tei­en (bzw. der gro­ßen Ko­ali­ti­on) zu tun, mit öf­fent­lich ge­wor­de­nen Skan­da­len, der Ver­schwen­dung von Steu­er­mit­teln und der Un­fä­hig­keit bit­ter not­wen­di­ge Re­for­men ein­zu­lei­ten und kon­se­quent durch­zu­füh­ren (Bil­dung, Ge­sund­heit, Pen­sio­nen und Fö­de­ra­lis­mus5). Die Fol­gen sind ein in­ef­fi­zi­en­tes, teu­res und auf Selbst­er­halt be­dach­tes Sy­stem; fi­nan­zi­el­le Män­gel tre­ten dort auf, wo sie nicht auf­tre­ten soll­ten. Das ei­gent­lich Haar­sträu­ben­de ist aber, dass sich – ab­seits von macht- und ver­tei­lungs­po­li­ti­schem Den­ken – si­cher­lich oh­ne viel Auf­wand ein weit­ge­hen­der Re­form­kon­sens her­stel­len lie­ße (an den ent­schei­den­den Stel­len wird die po­li­ti­sche Ver­nunft lei­der ver­drängt).

3. Ge­sell­schaft­li­che Ver­än­de­run­gen
West­li­che Ge­sell­schaf­ten wer­den ger­ne als »in­di­vi­dua­li­siert« be­schrie­ben, im Hin­blick auf die sich welt­weit durch­set­zen­de, gleich­rich­ten­de, spät­ka­pi­ta­li­sti­sche Mo­der­ne, scheint »ver­ein­zelt« bes­ser zu pas­sen. Ein zu­sam­men­hän­gen­des, kon­si­sten­tes Welt­bild lässt sich im­mer schwie­ri­ger kon­stru­ie­ren, es blei­ben Frag­men­te: Ein Gut­teil un­se­res Wis­sens über die Welt wird me­di­al ver­mit­telt, die Ge­schwin­dig­keit mit der In­for­ma­tio­nen auf uns ein­strö­men, lässt kaum ei­ne Sich­tung und Ord­nung zu; ei­ne durch Al­go­rith­men ge­steu­er­te oder von per­sön­li­chen Vor­lie­ben stark ge­präg­te Aus­wahl er­schafft Schein­wel­ten (Bla­sen), die mit der rea­len oder Tei­len der rea­len Welt ver­wech­selt wer­den kön­nen; die ho­he In­for­ma­ti­ons­dich­te, der Zeit­man­gel und die Mög­lich­kei­ten es tun zu kön­nen, för­dern die Re­pro­duk­ti­on (mit al­len­falls ge­ring­fü­gi­gen Än­de­run­gen) ge­gen­über der Prü­fung; das di­gi­ta­le Zeit­al­ter be­deu­tet bei al­len Vor­tei­len ge­gen­über der ana­lo­gen Welt ei­ne – man ver­glei­che mit dem Fern­se­hen – fort­ge­setz­te Ver­ein­ze­lung; durch stän­di­ge Er­reich­bar­keit und Kom­mu­ni­ka­ti­on (»smart­phone«), al­so Un­ter­bre­chung und Zeit­man­gel – man kann al­ler­or­ten be­ob­ach­ten, dass Per­so­nen wäh­rend des Ge­hens, des Ein­kau­fens oder des Spie­lens mit ih­ren Kin­dern, te­le­fo­nie­ren, chat­ten oder – ver­min­dern ei­ne kon­zen­trier­te Tief­en­er­fah­rung der Zeit, för­dern ein »Au­ßer­halb-der-Welt-ste­hen« an­stel­le ei­nes »In-der-Welt-ste­hens«. Hin­zu kommt die un­aus­ge­spro­chen »ver­lang­te« Selbst­ver­mark­tung, er­mög­licht und ver­wirk­licht durch so­ge­nann­te »so­zia­le Me­di­en« (die man wohl bes­ser als »Ge­sel­lig­keits-« oder »Ak­ku­mu­la­ti­ons­me­di­en« be­zeich­net).

Der Ab­riss ist knapp und si­cher­lich un­voll­stän­dig: Wenn ei­ne Ver­än­de­rung der Wahr­nehmung und des Er­le­bens der Welt rich­tig sind, wenn wir mit uns und un­se­ren An­ge­le­gen­hei­ten viel­leicht nicht über­for­dert, aber doch am Rand der Aus­la­stung an­ge­langt sind, was be­deu­tet das dann für die Po­li­tik, für die Fra­gen des Zusammen­lebens, am En­de für die Fra­ge nach dem, was man Ge­mein­schaft nennt? Hin­zu kommt, dass in­ner­halb der (Spät)moderne al­te ge­mein­schafts­bil­den­de Er­zäh­lun­gen und Vor­stellungen im all­ge­mein­ver­bind­li­chen Sinn zer­fal­len sind und im­mer mehr Auf­ga­ben, die frü­her in ge­mein­schaft­li­cher Form er­le­digt wur­den, als Dienst­lei­stun­gen ver­rich­tet wer­den, et­wa die Al­ten­pfle­ge; nüch­tern be­trach­tet, hat ei­ne Auf­ga­ben­ver­la­ge­rung oder ‑aus­la­ge­rung statt­ge­fun­den, un­ab­hän­gig da­von wie man das be­ur­teilt. Dar­über hin­aus ist die Ge­sell­schaft hoch spe­zia­li­siert und dif­fe­ren­ziert, hin­sicht­lich der in ihr aus­ge­üb­ten Be­ru­fe, der Stecken­pfer­de und Frei­zeit­ver­gnü­gun­gen; Grup­pen oder Netz­wer­ke bil­den sich über In­ter­es­sen, sind Re­sul­ta­te der aus­ge­üb­ten Be­ru­fe, ge­speist aus Zweck- und Nut­zer­war­tun­gen (ge­gen­wär­ti­ger oder zu­künf­ti­ger); da­ne­ben exi­stie­ren selbst­ver­ständ­lich Bin­dun­gen, die man durch Freund­schaft, Lie­be, Zu­nei­gung und Ver­wandt­schaft cha­rak­te­ri­sie­ren kann. Dass sich die Ge­sell­schaft auch durch Zu­zug ver­än­dert hat, kann nie­mand leug­nen, selbst wenn die Be­wer­tung auch hier dif­fe­rie­ren mag. Vie­le Bür­ger wer­den nicht nur me­di­al, son­dern auch im täg­li­chen Le­ben mit frem­den, un­be­kann­ten, un­ge­wöhn­li­chen Men­schen, Ge­bräu­chen und Kul­tu­ren kon­fron­tiert. Das trägt nicht not­wen­di­ger Wei­se zur Ver­ge­mein­schaf­tung bei; ei­ne Re­ak­ti­on kann der Rück­zug und die Hin­wen­dung auf Be­kann­tes oder die Re­ak­ti­vie­rung von »Tra­di­tio­nen« sein. Dies wür­de ei­ne Zer­split­te­rung wei­ter för­dern; nach und nach fin­den sich die Zu­ge­zo­ge­nen aber auf al­len Ebe­nen der Ge­sell­schaft ein. — Spät­mo­der­ne Ge­sell­schaf­ten kön­nen als hoch­differenziert, ver­ein­zelt, aus­ein­an­der­drif­tend, mo­bil, ver­än­der­lich und entgemein­schaftet be­schrie­ben wer­den. Die in ih­re le­ben­den Sub­jek­te wir­ken häu­fig so, als ob sie auf der Stel­le trä­ten, un­schlüs­sig ih­rer selbst und ih­rer Form (»Ge­bun­den­heit«), gezwunge­nermaßen viel­ge­stal­tig und in selbst­ge­schaf­fe­nen (und bei Be­geg­nung be­lang­lo­sen?) Teil­wel­ten le­bend.

4. Ge­mein­schaft6, Staat und all­ge­mei­nes Wohl
Die Ver­än­de­rung der po­li­ti­schen Land­schaft hat na­tür­lich mit den da­nach be­schrie­be­nen Phä­no­me­nen (Ab­schnit­te 2 und 3) zu tun, auch wenn sie sich nicht rest­los dar­aus er­klä­ren lässt. Wenn man nach den Auf­ga­ben der Po­li­tik und de­nen des Staa­tes fragt, dann ist ei­ne der er­ste­ren si­cher­lich die Lö­sung der Fra­ge wie man denn zu­sam­men le­ben möch­te (nach wel­chen Re­geln, Ge­set­zen und Be­din­gun­gen) und die we­sent­lich­ste (oder ein­zi­ge) des zwei­te­ren ist die Si­cher­stel­lung (nicht die De­fi­ni­ti­on) des all­gemeinen Wohls, al­so je­ner Din­ge, die al­le be­tref­fen, die die Grund­la­ge al­ler und da­mit des Zu­sam­men­le­bens sind. Der Staat als Die­ner der Ge­mein­schaft7, als Die­ner al­ler und nicht um­ge­kehrt (da­mit ist nicht ge­meint, dass der Staat ei­ne Art Melk­kuh ist oder ein Selbst­zweck, son­dern dass er mit dem, was er von den Bür­gern nimmt, wie­der­um et­was für die­se zur Ver­fü­gung stellt; dies zeigt ei­ner­seits ein Ver­trau­en in den Staat, an­de­rer­seits die Be­deu­tung der Si­cher­stel­lung der be­tref­fen­den Din­ge, sonst könn­te sich ja ir­gend­je­mand dar­um küm­mern). Der Staat ist (oder war) Aus­druck des Wil­lens ei­ner Ge­mein­schaft oder kann zu­min­dest als sol­cher ver­stan­den wer­den. Man kann das all­ge­mei­ne Wohl si­cher­lich auch oh­ne Zu­hil­fe­nah­me des Kon­zepts »Ge­mein­schaft« de­fi­nie­ren und man­che hal­ten letz­te­re wohl für ab­we­gig, ge­fähr­lich oder un­nö­tig. Je­den­falls: Das all­ge­mei­ne Wohl und des­sen Si­cher­stel­lung soll­te der klein­ste ge­mein­sa­me Nen­ner al­ler sein, wenn die­se in­ner­halb ei­ner ge­wis­sen Ord­nung mit­ein­an­der le­ben wol­len (und ab­hän­gig da­von wie sie das tun, wer­den sie das all­ge­mei­ne Wohl de­fi­nie­ren und sei­nen Die­ner).

5. Schluss­fol­ge­run­gen und Grund­kon­zept
Wenn es kei­nen ein­deu­ti­gen oder zu­min­dest brei­ten po­li­ti­schen Kon­sens – et­wa im Sinn ei­ner tat­säch­lich gro­ßen Ko­ali­ti­on – mehr gibt, die Re­gie­rung nur noch ei­ne knap­pe Mehr­heit der Be­völ­ke­rung hin­ter sich weiß, wenn man im­mer wie­der auf die Fra­ge trifft, was die Ge­sell­schaft ei­gent­lich zu­sam­men­hält, was letzt­end­lich auf die Be­deu­tung des Näch­sten für ei­nen selbst weist, wenn es zu­tref­fend ist, dass die Kon­zep­ti­on des all­ge­mei­nen Wohls der klein­ste ge­mein­sa­me Nen­ner ist, wenn ge­ra­de die­ser Kon­sens durch Re­form­ver­schlep­pung und Steu­er­geld­ver­schwen­dung ge­fähr­det ist, wenn Par­tei­en im­mer Teil­ver­tre­tun­gen sind und de­ren Vor­sit­zen­de im­mer auch Mehr­hei­ten und da­mit Macht or­ga­ni­sie­ren müs­sen, wie könn­te ei­ne po­li­ti­sche, aber nicht par­tei­po­li­ti­sche Ant­wort (nicht: Lö­sung) im Sinn ei­ner ent­ge­gen­ge­setz­ten, in­te­grie­ren­den Be­we­gung lau­ten?

Kon­sti­tu­tio­nel­le Mon­ar­chien ha­ben ei­nen Vor­teil ge­gen­über De­mo­kra­tien, da sie mit dem Mon­ar­chen ei­ne dy­na­stisch be­grün­de­te, nicht ge­wähl­te In­te­gra­ti­ons­fi­gur, ei­nen ver­trau­ten Fremd­ling, be­sit­zen, der ei­ne zwar po­li­tisch we­nig be­deu­ten­de, aber in­te­gra­tiv ge­se­hen, wich­ti­ge Rol­le spielt: Re­gie­run­gen kom­men und ge­hen, der Mon­arch bleibt. Er ver­leiht dem Staat durch sei­ne Per­son ei­ne Fe­stig­keit, die die wähl­ba­ren Volks­ver­tre­ter nicht be­sit­zen und ent­fal­ten kön­nen (auch, weil ihr »Ge­schäft« schlicht ein an­de­res ist); er re­prä­sen­tiert Staat und Ge­sell­schaft und schafft da­durch die hi­sto­ri­sche Ver­bun­den­heit mit dem Land in­te­grie­ren­de Kräf­te.

Ei­ne Re­stau­ra­ti­on der öster­rei­chisch-un­ga­ri­schen Mon­ar­chie oder die In­stal­la­ti­on ei­ner par­la­men­ta­ri­schen Mon­ar­chie ist da­mit nicht ge­meint. Aber könn­te man den Bundes­präsidenten bzw. sein Amt durch ei­nen star­ken, ver­fas­sungs­mä­ßi­gen Be­zug auf das all­ge­mei­ne Wohl und ei­ne ge­wis­se in die­sem Rah­men ste­hen­de Hand­lungs­fä­hig­keit zu ei­ner ähn­li­chen Sym­bol- und vor al­lem In­te­gra­ti­ons­fi­gur ma­chen? Der öster­rei­chi­sche Bun­des­prä­si­dent wä­re im­mer auch die Per­so­ni­fi­ka­ti­on des all­ge­mei­nen Wohls, des klein­sten aber ge­mein­sa­men Grund­kon­sen­ses der Ge­sell­schaft. Er hät­te es we­der zu ge­währ­lei­sten, noch si­cher­zu­stel­len, das ist die Auf­ga­be der Po­li­tik bzw. des Staats, aber er könn­te es ein­for­dern, ihm Nach­druck ver­lei­hen und es ge­ge­be­nen­falls mit­ge­stal­ten. Das wür­de ge­wiss ho­he An­for­de­run­gen stel­len, et­wa die weit­ge­hen­de Un­ab­hän­gig­keit von Par­tei­en und In­ter­es­sens­grup­pie­run­gen ver­lan­gen, da­ne­ben aber Nä­he zum Volk, Fä­hig­kei­ten der Ab­wä­gung, des Ver­han­delns und Be­son­nen­heit bzw. mo­ra­li­sche In­te­gri­tät. — Ge­sell­schaft­li­che Ver­än­de­run­gen wer­den sich auch in der Kon­zep­ti­on des all­ge­mei­nen Wohls nie­der­schla­gen.

De ju­re er­nennt der Bun­des­prä­si­dent den Bun­des­kanz­ler, de fac­to muss er sich nach den vor­lie­gen­den Mehr­hei­ten rich­ten; fol­ge­rich­tig wä­re es, wie in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, den Bun­des­kanz­ler durch das Par­la­ment wäh­len zu las­sen und dem Bun­des­prä­si­den­ten for­ma­le Ein­spruchs­rech­te bei der Be­stel­lung der Mi­ni­ster zu ge­wäh­ren (wie das jetzt schon der Fall ist). Da­mit stün­de die Re­gie­rung und de­ren par­la­men­ta­ri­sche Un­ter­stüt­zung for­mal sau­be­rer dem Bun­des­prä­si­den­ten ge­gen­über. Die ein­gangs auf­ge­zähl­ten Kom­pe­ten­zen (und even­tu­ell noch wei­te­re) kann man strei­chen, die Mög­lich­keit der Ent­las­sung der Re­gie­rung an (mehr­fa­che?) Ge­set­zes- oder Verfas­sungsbrüche bin­den. Der Bun­des­prä­si­dent hät­te nur die Auf­ga­be dies durch den Ver­fas­sungs­ge­richts­hof fest­stel­len zu las­sen und ei­ne Volks­ab­stim­mung über die Ab­set­zung der Re­gie­rung ein­zu­lei­ten, ana­log zur Ab­set­zung des Bun­des­prä­si­den­ten: Das Volk hat der Re­gie­rung ei­ne Mehr­heit ge­ge­ben, es soll­te, nach ob­jek­tiv fest­ge­stell­tem Ge­set­zes­bruch, die­se auch wie­der ent­zie­hen kön­nen. Oder ihr wei­ter das Ver­trau­en aus­spre­chen.

Dem neu­en Ver­ständ­nis als Ver­tre­ter des all­ge­mei­nen Wohls zu­fol­ge, stün­de der Bun­des­prä­si­dent der Re­gie­rung als Kri­ti­ker ge­gen­über und zwar im Fall ein­sei­ti­ger In­ter­es­sens­durch­set­zung oder bei Ver­nach­läs­si­gung der nicht (oder we­ni­ger) re­prä­sen­tier­ten Tei­le der Be­völ­ke­rung. Der Bun­des­prä­si­dent darf aber – wie das die alt­her­ge­brach­ten Kom­pe­ten­zen sug­ge­rie­ren – nicht nach per­sön­li­chem Gu­sto ent­schei­den, er müss­te ein Ge­setz, von dem er Zwei­fel hegt, dass dem all­ge­mei­nen Wohl ge­nügt, dem Volk zur Ab­stim­mung vor­le­gen kön­nen (was be­reits jetzt mög­lich ist; die­se Kom­pe­tenz müss­te er­hal­ten und falls not­wen­dig aus­ge­baut wer­den, viel­leicht auch schon auf den Ent­wurf an­wend­bar sein, um Än­de­rungs­mög­lich­kei­ten of­fen zu hal­ten); zum an­de­ren soll­te er aber auch, et­wa im Fall von Volks­be­geh­ren, die auf Grund ih­rer brei­ten Zu­stim­mung, im Par­la­ment be­han­delt wer­den müs­sen, dort aber ei­gent­lich im­mer lie­gen blei­ben, ei­ne stär­ke­re Wir­kung ver­lei­hen kön­nen und zwar dann, wenn er es im Rah­men des all­ge­mei­nen Wohls für ge­bo­ten hält. Er könn­te z.B. Ju­ri­sten mit der For­mu­lie­rung ei­nes Ge­set­zes im Sinn des Volks­be­geh­rens be­auf­tra­gen und die­ses zur Volks­ab­stim­mung vor­le­gen (die­se Kom­pe­tenz wä­re neu).

6. Ab­schlie­ßen­de Be­mer­kun­gen
Die­se Vor­ge­hens­wei­se wür­de das Amt an­ders ge­wich­ten, weg aus dem per­sön­li­chen-au­to­ri­tä­ren Fahr­was­ser füh­ren und deut­lich in den Dienst der All­ge­mein­heit im Sinn ei­nes Kri­ti­kers stel­len, der we­der hand­lungs­un­fä­hig ist, noch auf sei­ne tra­di­tio­nel­len Möglich­keiten des Ein­mah­nens oder des Ver­mit­telns ver­zich­ten müss­te; und auch nicht auf sei­ne per­sön­li­che Sicht der Din­ge. Die Auf­ga­ben des Bun­des­prä­si­den­ten wie die Re­prä­sen­ta­ti­on des Staa­tes und die Ver­tre­tung der Re­pu­blik nach au­ßen, wä­ren die lo­gi­sche Kehr­sei­te des Auf­trags im Sinn des all­ge­mei­nen Wohls nach in­nen; das Amt ent­sprä­che neue­ren ge­sell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen und nimmt das tra­dier­te Ver­ständ­nis, in­klu­si­ve der ver­blei­ben­den Kom­pe­ten­zen oh­ne Wi­der­sprü­che in sich auf.

In­wie­weit es ei­nen Me­cha­nis­mus braucht, der ver­hin­dert, dass der Bun­des­prä­si­dent nicht im Sinn des all­ge­mei­nen Wohls han­delt, wä­re zu dis­ku­tie­ren. Die vor­ge­stell­te Kon­zep­ti­on wür­de po­pu­li­sti­schen Be­stre­bun­gen Wind aus den Se­geln neh­men, denn der Ver­tre­ter des all­ge­mei­nen Wohls wä­re qua Ver­fas­sung be­nannt; ei­nem in­fla­tio­nä­ren Be­geh­ren nach Ple­bis­zi­ten, könn­te man ent­geg­nen, dass Volks­be­geh­ren nicht län­ger ein wir­kungs­lo­ses In­stru­ment wä­ren und der Bun­des­prä­si­dent die ex­pli­zi­te Auf­ga­be hat im Sinn der All­ge­mein­heit zu han­deln; falls ein Aus­bau di­rekt­de­mo­kra­ti­scher Ele­men­te po­li­tisch ge­wünscht wird, könn­te er trotz­dem er­fol­gen.


  1. Eine Liste der Kompetenzen findet man dort

  2. In Summe kann man im Nachhinein feststellen, dass eine detailliere Erörterung nicht nur der Amtsführung, sondern vor allem ihres Zwecks und ihrer Rechtfertigung, weit interessanter als die ständige Wiederholung der gleichen Fragen gewesen wäre.  

  3. Das höchste Amt im Staat wird nicht nur erstmals von einem Kandidaten aus dem Kreis der Opposition bekleidet, rein wahlarithmetrisch kam zu keinem Zeitpunkt ernsthaft ein Kandidat der regierenden Parteien dafür in Frage.  

  4. Leopold Federmair beschreibt das dort knapp und treffend.  

  5. Eine eher ungeordnete Skizze inklusive einer Prognose, dort

  6. Es geht nicht um eine homogene Volksgemeinschaft, sondern um eine Grundlage auf der eine Gemeinschaft wachsen kann, ob sie das dann tatsächlich tut, muss offen bleiben.  

  7. Was kann Gemeinschaft (oder gemeinschaftlich) bedeuten? Ganz basal "ein Zusammen", das nicht bloß auf eigennützigem Interesse basiert, ein nutzbedingungsfreies für einander da sein (auch da sein).  

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  1. Vie­len Dank für den sehr in­ter­es­san­ten Bei­trag. In Deutsch­land be­ginnt ab so­fort die Dis­kus­si­on um den deut­schen Bun­des­prä­si­den­ten, da der jet­zi­ge, Joa­chim Gauck, an­geb­lich an­ge­kün­digt hat, im Fe­bru­ar 2017 für ei­ne zwei­te Amts­zeit nicht zur Ver­fü­gung zu ste­hen.

    In Deutsch­land wird der BP von der so­ge­nann­ten Bun­des­ver­samm­lung ge­wählt. Ver­ein­facht ge­sagt ist dies der Bun­des­tag plus al­le Ab­ge­ord­ne­ten der Län­der­par­la­men­te. Die Bun­des­ver­samm­lung hat im deut­schen po­li­ti­schen Sy­stem nur die­se ei­ne Auf­ga­be. Ei­ne Volks­ab­stim­mung gibt es nicht.

    Zu­wei­len wird ei­ne Volks­ab­stim­mung dis­ku­tiert, wo­bei dann na­tür­lich klar sein muss, dass die Kom­pe­ten­zen ei­nes BP da­mit hö­her sein müss­ten als jetzt. Der BP in Deutsch­land ist fast aus­schließ­lich ei­ne re­prä­sen­ta­ti­ve Fi­gur. Hin­zu kommt, dass man von ihm (oder ihr, aber bis­her war es noch kei­ne Frau) ei­ne ge­wis­se mo­ra­li­sche Füh­rung er­war­tet. Dies al­les soll mit par­tei­po­li­ti­scher Neu­tra­li­tät ge­sche­hen (Par­tei­mit­glied­schaf­ten der BP ruh­ten im­mer; von Weiz­säcker – CDU-Kan­di­dat – hat­te sie nach dem En­de sei­ner Amts­zeit nicht mehr auf­le­ben las­sen, was zu ei­ni­gem Krach mit Kohl führ­te). Bö­se Stim­men spre­chen beim deut­schen BP vom »Grüß­au­gust«.

    Ein­mal – 1969 mit Gu­stav Hei­ne­mann – spie­gel­te sich in der BP-Wahl ei­ne po­li­ti­sche Ent­wick­lung (die SPD/FDP-Ko­ali­ti­on). Hei­ne­mann ge­wann knapp ge­gen den CDU-Kan­di­da­ten, weil Tei­le der FDP um­ge­schwenkt wa­ren. Nach der Bun­des­tags­wahl er­hiel­ten CDU/CSU war mit Ab­stand die mei­sten Stim­men, aber die FDP hat­te er­klärt, mit der SPS ei­ne Re­gie­rung bil­den zu wol­len. Al­so be­auf­trag­te Hei­ne­mann nicht wie üb­lich den­je­ni­gen mit den mei­sten Stim­men zur Re­gie­rungs­bil­dung, son­dern Wil­ly Brandt von der SPD. Das war so et­was wie ei­ne po­li­ti­sche Ent­schei­dung.

    Den­noch: Die po­li­ti­schen Ein­fluß­mög­lich­kei­ten wur­den aus den Er­fah­run­gen der Wei­ma­rer Re­pu­blik her­aus sehr stark ein­ge­schränkt. Es hat­te sich ge­zeigt, dass der Reichs­prä­si­dent (RP) da­mals ei­ne Macht hat­te, die sich jen­seits von Kon­troll­me­cha­nis­men be­weg­te. Wenn man die Ge­schich­te ge­nau stu­diert lag hier­in ei­ne der Fol­gen für den Nie­der­gang der Wei­ma­rer Re­pu­blik. Hin­den­burg als RP der 1930er Jah­re konn­te mit Not­ver­ord­nun­gen am Reichs­tag vor­bei re­gie­ren.

    Die Fra­ge, die sich heu­te stellt: Wie kann ei­ne (fast im­mer ehe­ma­li­ge par­tei­po­li­tisch tä­ti­ge) Fi­gur prak­tisch von heu­te auf mor­gen zu ei­ner ge­ach­te­ten mo­ra­li­sche In­stanz wer­den? Es gab ei­ni­ge Bei­spie­le im Nach­kriegs­deutsch­land, wo dies leid­lich funk­tio­nier­te (Hei­ne­mann, von Weiz­säcker); an­de­re zeig­ten das Ge­gen­teil. Manch­mal hat­te man den Ein­druck, das Amt des BP sei ei­ne Art »Be­loh­nung« fürs Durch­hal­ten im po­li­ti­schen Be­trieb (Car­stens, Rau; auch Wulff). Man kann­te die­se Leu­te seit Jahr­zehn­ten und nun be­ka­men sie von au­ßen ei­nen Man­tel ver­lie­hen, der ih­nen – nach dem ei­ge­nen Ge­fühl – ei­ni­ge Num­mern zu groß war.

    Ver­su­che, ei­nen In­tel­lek­tu­el­len oder ei­nen nicht dem po­li­ti­schen Be­trieb Zu­ge­hö­ri­gen zum BP zu ma­chen, gab es durch­aus. Meist wur­den wirk­lich in­ter­es­san­te Per­sön­lich­kei­ten von den Par­tei­en ein­ge­bracht, die wuss­ten, dass sie ver­lie­ren wür­den. Die Aus­nah­me war Horst Köh­ler – er war Öko­nom und Di­rek­tor des IWF. Er schei­ter­te, weil er den po­li­ti­schen Be­trieb nicht ge­nug kann­te und dort kei­ne Un­ter­stüt­zung be­kam, als es not­wen­dig ge­we­sen wä­re.

    Ich war ei­gent­lich im­mer ein Be­für­wor­ter des Am­tes des Bun­des­prä­si­den­ten. Aber die Per­sön­lich­kei­ten, die in­fra­ge kom­men, wer­den zu­se­hends ra­rer. Er (oder sie) soll ei­ner­seits mit den po­li­ti­schen Fall­stricken ver­traut an­de­rer­seits neu­tral sein. Als Kri­ti­ker der Bun­des­re­gie­rung darf er kei­nes­falls er­schei­nen. Ei­ne Aus­sa­ge wie 2000 von Kle­stil nach der ÖV­P/F­PÖ-Re­gie­rungs­bil­dung, die er nicht ver­hin­dern konn­te, er wol­le auf das Land auf­pas­sen (wenn ich es rich­tig in Er­in­ne­rung ha­be), wä­re in Deutsch­land ei­ne An­ma­ßung im Amt. Er soll mo­ra­li­sches Vor­bild sein, das Land im In- und Aus land re­prä­sen­tie­ren – hat aber kei­nen di­rek­ten Ein­fluss auf Ent­schei­dun­gen. Ei­gent­lich wä­re es an der Zeit, die­ses Amt auf­zu­ge­ben. Schon, da­mit nicht mo­ra­li­sche Aspek­te der Po­li­tik nicht an macht­lo­se In­sti­tu­tio­nen aus­ge­glie­dert wer­den kön­nen.

  2. In me­tep­si­lo­n­e­mas Text hat mich be­son­ders der Ge­nein­schafts­ge­dan­ke an­ge­spro­chen, wie den Au­tor glau­be ich auch. Das wür­de sich un­ter der Prä­mis­se sich wan­deln­der Ge­sell­schaf­ten loh­nen wei­ter­zu­ent­wickeln.

    Grüß­au­gust muss der deut­sche Prä­si­dent ei­gent­lich nicht sein, das war nur Heuss’ In­ter­pre­ta­ti­on des Am­tes, an die sich die Nach­fol­ger ge­hal­ten ha­ben. Dass das auch schief ge­hen kann, sieht man ge­ra­de in der Tür­kei.

    P.S. Wenn al­le Ver­tre­ter der Län­der­par­la­men­te in der Bun­des­ver­samm­lung auf­trä­ten, wä­re der Ort der Wahl aber schwie­rig zu fin­den.

  3. Okay, mein Feh­ler. Hier gibt es ge­naue­re In­for­ma­tio­nen, wie die Län­der­ver­tre­tung der Bun­des­ver­samm­lung ge­fun­den wird.

    Heuss’ »Grüßaugust«-Interpretation war si­cher­lich der Zeit ge­schul­det. Ein BP, der in den 1950er Jah­ren forsch auf­ge­tre­ten wä­re, hät­te man si­cher­lich nicht be­son­de­res pas­send emp­fun­den. Lüb­ke war na­tür­lich in­tel­lek­tu­ell ein Ab­stieg zu Heuss. Hei­ne­mann ein Glücks­fall; fast per Zu­fall. Scheel und Car­stens wa­ren Ent­sor­gungs­prä­si­den­ten. Von Scheel bleibt »Hoch auf dem gel­ben Wa­gen«. Car­stens’ Idee Deutsch­land zu durch­wan­dern, fand ich hübsch. Aber ob man da­für ei­nen BP braucht? Von Weiz­säcker führ­te das Amt dann wie­der auf an­de­re Di­men­sio­nen. Bei Her­zog hat­te ich im­mer das Ge­fühl, dass er mit sei­ner Prä­si­dia­li­tät gar nicht wuss­te, was er ma­chen soll­te. Ein si­cher­lich gu­ter Ju­rist, aber Prä­si­dent? Rau hing mir als NRW-Mi­ni­ster­prä­si­dent auf die Ner­ven; es war mir zu of­fen­sicht­lich, dass er die­ses Amt an­streb­te. Das fand ich un­an­stän­dig.

    Gauck hat mich ent­täuscht, wo­bei ich mir im­mer die Fra­ge stel­le, ob es Gaucks Schuld ist oder mei­ne. Man ent­täuscht sich ja ei­gent­lich im­mer nur sel­ber.

    Über den Ge­mein­schafts­ge­dan­ken könn­te man treff­lich strei­ten. In ei­ner der­art (auch po­li­tisch ge­woll­ten) auf In­di­vi­dua­lis­mus ge­pol­ten Ge­sell­schaft ist es schwie­rig ei­nen Ge­mein­sinn zu de­stil­lie­ren, der nicht zu schnell zu Na­tio­na­lis­mus wird. In den 1970ern/80ern ha­ben das die Kom­mu­ni­ta­ri­sten (mit un­ter­schied­li­chen An­sät­zen) vor al­lem in den an­gel­säch­si­schen Län­dern ver­sucht. Der von mir oben ab­ge­watsch­te Rau hat­te ja sei­nen Stan­dard­spruch pa­rat: »Ver­söh­nen statt spal­ten«. Aber es blieb im­mer ei­ne rhe­to­ri­sche Ge­ste. Und nie hat je­mand ge­fragt, war­um man sich den ver­söh­nen soll­te...

  4. Man sag­te, dass der Bun­des­prä­si­dent bei uns des­halb so weit­ge­hen­de Be­fug­nis­se er­hal­ten hat, weil es in be­stimm­ten Krei­sen ein Miss­trau­en ge­gen­über dem Par­la­men­ta­ris­mus gab; wie auch im­mer: In Öster­reich hät­te der BP den Stän­de­staat ver­hin­dern kön­nen (oder dies je­den­falls ver­su­chen kön­nen, durch Auf­lö­sung des Na­tio­nal­rats oder Ab­set­zung der Re­gie­rung; pas­siert ist es nicht, viel­leicht war die christ­lich­so­zia­le Ban­de stär­ker, Zwei­fel an der Po­li­tik der Re­gie­rung fin­den sich in Mi­klas’ Ta­ge­buch).

    War­um ein BP plötz­lich un­ab­hän­gig sein soll­te, ist ei­ne gu­te Fra­ge; zum Teil, weil Po­li­ti­ker das manch­mal sein müs­sen, et­wa als Na­tio­nal­rats­prä­si­den­ten, an­de­rer­seits, weil sie dem Macht­ge­fü­ge des Par­tei­ap­pa­rats ent­wach­sen sind. Den An­spruch der mo­ra­li­schen Au­to­ri­tät emp­fin­de ich ge­ra­de in der heu­ti­gen Me­di­en­ge­sell­schaft als zwei­schnei­dig (in­te­ger soll­te er sein).

    Auf die Fra­ge nach »Ge­mein­schaft« sto­ße ich, wenn ich da­nach fra­ge, war­um man ei­gent­lich (hoch­or­ga­ni­siert) in ei­nem Staat zu­sam­men­lebt. Die Ant­wort, dass man das bloß der Nut­zen­ma­xi­mie­rung we­gen tue, er­scheint mir als im Nach­hin­ein kon­stru­iert. Wie auch im­mer: Es lohnt wie­der dar­über nach­zu­den­ken, wie auch im­mer die Ant­wort dann aus­fal­len soll­te.

    Wit­zi­ger­wei­se hat mich Gauck auch ent­täuscht, ob­wohl ich kein deut­scher Staats­bür­ger bin.

    Ich ha­be noch die­sen Link in den Text oben ein­ge­fügt, da er nun im Voll­text zu le­sen ist.

  5. Ich glau­be kei­ner wür­de wi­der­spre­chen, wenn man die Queen in Eng­land als iden­ti­täts­stif­tend be­zeich­net. Man zehrt noch heu­te via QEII von ei­ner mitt­ler­wei­le weit über 100 Jah­ren ver­gan­ge­nen Grö­ße.

    Wenn vor der BP-Wahl Ho­fer an­kün­digt ei­ne un­ge­neh­me Re­gie­rung ab­zu­lö­sen und Van der Bel­len an­kün­digt Stra­che im Fal­le ei­ner Mehr­heit nicht ver­ei­di­gen zu wol­len, ist die An­ti­the­se er­reicht. Wie sol­len die­se Flieh­kräf­te bei wo­mög­lich wei­te­rem Mi­gra­ti­ons­strom oh­ne ein mo­de­rie­ren­des Staats­ober­haupt be­herrsch­bar blei­ben? Und das in ei­nem Land, das im Ge­gen­satz zu vie­len an­de­ren die Plu­ra­li­tät eig­net­lich im Blut ha­ben müss­te.

    Es muss doch in­tel­li­gen­te­re Ideen ge­ben als z.B. Fuss­ball. Mein tür­kisch­stäm­mi­ger Nach­bar, voll­stän­dig as­si­mi­liert und be­ruf­lich er­folg­reich, sieht sich üb­ri­gens nur Spie­le der tür­ki­schen Na­tio­nal­mann­schaft und von Ga­la­ta­sa­ray, Bes­ik­tas und Fe­ner­bah­ce an.

  6. Ei­ne Mon­ar­chie kann tat­säch­lich iden­ti­täts­stif­tend sein, weil sie hi­sto­ri­sche Quel­len hat. »Ver­trau­ter Fremd­ling« nennt der Au­tor im Text das (wie ich fin­de ei­ne wun­der­ba­re Be­schrei­bung). Wo­bei ich es ei­ni­ger­ma­ßen lä­cher­lich fin­de, dass die Queen Re­gie­rungs­er­klä­run­gen des Pre­mier­mi­ni­sters vor­le­sen muss.

    Ich kann ei­ner kon­sti­tu­tio­nel­len Mon­ar­chie et­was ab­ge­win­nen. Man darf aber auch nicht ver­ken­nen, dass es im­mer Pha­sen in Groß­bri­tan­ni­en gab, in de­nen die Mon­ar­chie kri­tisch bis ab­leh­nend be­fragt wur­de (und dies nicht nur auf­grund der Ko­sten). Mon­ar­chien kön­nen in Aus­nah­me­fäl­len auch noch po­li­tisch nütz­lich sein. In Spa­ni­en setz­te der von Fran­co ein­ge­setz­te Kö­nig nach des­sen Tod in den 1970er Jah­ren die De­mo­kra­tie durch. Aber was, wenn er es nicht ge­tan hät­te? Wer hät­te ihn »ab­wäh­len« kön­nen?

    Es ist ein­fach et­was an­de­res, wenn ein Staats­ober­haupt (durch wen auch im­mer) ge­wählt wird. Viel­leicht, weil mit der Wahl im­mer auch Er­war­tun­gen ver­bun­den sind, ja un­ter Um­stän­den so­gar ein im­pe­ra­ti­ves Man­dat er­war­tet wird, was man da­durch nährt, dass man sagt, was man al­les tun oder nicht tun möch­te.

  7. Nun, kon­sti­tu­tio­nel­le Mon­ar­chien wer­den (heu­te) nicht ein­fach in­stal­liert. Und selbst wenn, sie be­sä­ßen ge­ra­de dann die er­hoff­ten Wir­kun­gen nicht.

    Ich glau­be, dass Öster­reich zur Zeit der Wahl po­li­tisch auf­ge­la­den, aber nicht ge­spal­ten war, je­den­falls nicht nach­hal­tig (ein häu­fig an­ge­führ­tes Mo­tiv Ho­fer zu wäh­len war sein Al­ter). Ein mo­de­rie­ren­des Staats­ober­haupt wä­re trotz­dem gut.

    Es gibt in­tel­li­gen­te­re Ideen als Fuß­ball; al­ler­dings ent­fal­ten die an­schei­nend nicht die­sel­be emo­tio­na­le Kraft.

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