Nahezu alle meine Facebook-»Freunde« aus Österreich, die sich dort politisch äußern, waren und sind fast naturgemäß gegen die Regierung Kurz gewesen. Die Freude war entsprechend groß als es nun hieß, es gibt Neuwahlen. Man bezieht natürlich Position: Gegen Kurz, noch mehr gegen die FPÖ, eher neutral zur SPÖ. So weit, so bekannt.
Ich habe keine Lust, die Facebook-Threads zu sprengen. Daher frage ich hier im Blog: Wie stellt Ihr Euch eigentlich eine neue Regierung nach den Neuwahlen vor? Vorsicht, denn die Frage ist ehrlich gemeint!
So sieht es für mich aus – bitte widersprecht, wenn ich irre:
Es gibt drei Parteien, die höhere Ergebnisse zu erwarten haben. Diese liegen nach den aktuellen Umfragen zwischen 17–20% (FPÖ) und vielleicht 35–38% (ÖVP; die SPÖ kommt zwischen 22–25%). Eine Alleinregierung einer Partei ist nicht zu erwarten. Es muss also eine Koalition geben. Aber welche?
ÖVP/FPÖ: Die war gerade gewesen. Die FPÖ beteiligte sich mit der SPÖ am Misstrauensvotum gegen Kurz. Von der FPÖ kann man – selbst wenn es Kurz wollte – eigentlich keine Zustimmung zu einem erneuten Kanzler Kurz erwarten. Und Kurz wird auch keine große Lust mit diesen Gesellen haben.
ÖVP/SPÖ: Hier müsste die SPÖ die »Kröte« Kurz schlucken. Wird sie dies tun? Was in Deutschland unter staatspolitischer Verantwortung die SPD in die neue GroKo trieb – ist das von der SPÖ zu erwarten?
SPÖ/ÖVP: Der Standard-Sumpf, der das Land in die Krise regierte. Einer Krise auf hohem Niveau allerdings. Aber wer kann erwarten, dass die SPÖ die meisten Stimmen bekommt?
Ach ja, da gibt es ja noch die Grünen, die 2017 nach Spaltung sang- und klanglos verschwanden, aber jetzt wieder bei 10% liegen. Aber es ist nicht wahrscheinlich, dass rechnerisch eine der grösseren Parteien in einer Koalition mit den Grünen regieren könnte. Am ehesten wäre dies noch mit der ÖVP möglich. Aber ÖVP und Grüne passen in Österreich weltanschaulich nicht zusammen (ein Unterschied zu Deutschland).
Die Grünen kommen also nur in Regierungsverantwortung wenn sie eine Dreierkoalition eingehen. Einziger Partner wären hier die liberalen NEOS, die zwischen 8% und 10% vorhergesagt werden. Also dann SPÖ/Grüne/NEOS? Eine Art österreichische Jamaika-Regierung. Derzeit allerdings nicht mehrheitsfähig (je nach Umfrage zwischen 40% und 43%). Wäre das möglich? Eine Regierung ohne die derzeit erstarkte ÖVP? Wie passen NEOS und Grüne zusammen?
Wer wie ich von außen das sieht, was sich in der österreichischen Politik abspielt, stellt fest: Die Parteien stehen sich allesamt unversöhnlich gegenüber. Niemand will mit niemandem. Kurz gilt fast als politisches Ungeheuer; die FPÖ ist diskreditiert (was merkwürdigerweise nicht viele Wähler zu beeindrucken scheint). Die SPÖ wirkt verbraucht. Die kleinen Parteien haben keine zündende Machtperspektive.
Ihr Österreicher seid immer so gut im Austeilen, in der Satire, im Schimpfen. Aber jetzt einmal ernsthaft gefragt: Wie soll es weitergehen?
Vielleicht traut sich da keiner der lieben bösen Österreicher als erster?
Mir ist es wurscht, bin eh nur Auslandsösterreicher, also:
Der obige Text interessiert sich eigentlich nur für Wahl- und Koalitionsarithmetik. Hinter den Dilemmata, die sich dabei unweigerlich ergeben (anstelle von »Ergebnissen«), kann man riechen, wie morsch die Demokratie geworden ist, besonders in Österreich. Die derzeitige, nicht demokratische »Expertenregierung« erscheint mir noch am ehesten als Ausweg, zumindest kurzfristig. Meinetwegen könnte sie ruhig noch länger im Amt bleiben, dann könnte man auf Wahlarithmetiken wie die hiesige verzichten.
Besonders arg am »demokratischen« Zustand Österreichs finde ich, daß ein großer Teil der Bevölkerung, in Zahlen ein Fünftel bis ein Viertel, die verrotteten FPÖ-Typen genauso wählbar findet wie vor dem Skandal, der die Verrottetheit allen gezeigt hat. Daraus schließe ich: Ein großer Teil der Bevölkerung will das: Dumpfheit, Inkompetenz, Saufen, Bestechlichkeit, Macho-Gehabe, Freunderlwirtschaft (die dieselben natürlich geißeln). Wie könnte man dem abhelfen? Kurzfristig politische Überlegungen bringen auf diese Frage keine Antwort.
Pikant findet ich die Erwähnung der Grünen durch Keuschnig. Diese Partei hatte diverse Probleme, aber vor allem hat der »Feminismus« dort dazu geführt, daß eine Riege von bestenfalls mittelmäßigen (weiblichen) Figuren eine vollkommen diffuse, schwache Herrschaft aufgezogen hat. Das versucht man jetzt ein wenig zurückzunehmen, wer weiß, mit welchem Erfolg.
Traurig finde ich, daß man mit der SPÖ nichts mehr anfangen kann, auch nicht in Zukunft. Die Mächtigen dort verstehen nicht, was läuft, sie spielen immer noch das alte Spiel von Mißtrauen, Rücktritt, Koalition, Figurenkarussell, wos geht...
Fazit? Siehe oben, Expertenregierung.
Fazit? Daß es Zeit wäre, neue Herrschafts- oder besser Verwaltungsformen zu finden. Zum Beispiel Auswahl der Regierenden durch das Zufallsprinzip. Nur Gott Zufall ist wahrhaft demokratisch.
@Leopold Federmair
Dass, was Sie ein wenig abfällig als Koalitionsarithmetik abtun, nennt man Pragmatismus. Mindestens in einem parlamentarisch-repräsentativen System. Dass einem die Resultate nicht passen, weil 20% Dumpfbacken wählen, ist ja nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite besteht darin zu fragen, was die Leute veranlasst, diesen doch eine Stimme zugeben. Was müssen die anderen Parteien falsch gemacht haben?
Die 20% FPÖ-Wähler bilden im übrigen keine strategische Mehrheit. Man kann an ihnen vorbei regieren (ist ja Jahrzehnte geschehen), sie verteufeln, sie beschimpfen – aber es scheint so, dass man sie politisch nicht richtig bekämpft hat.
Wer ist denn für die scheinbare Erosion der Demokratie in Österreich (ist es wirklich eine?) verantwortlich? Diejenigen, die mit billigen Fahrkarten auf den Zug aufspringen? Oder diejenigen, die den Zug haben verrosten lassen? Was bedeutet es sagen, dass man mit der SPÖ nichts mehr anfangen kann? In Deutschland steht die SPD in Umfragen inzwischen bei 12%. Geschimpft wird hier auch – aber konstruktiv analysiert: Fehlanzeige.
»Kurzfristig politische Überlegungen bringen auf diese Frage keine Antwort.« – Aber die Frage stellt sich eben kurzfristig, bzw. in drei Monaten. Eine Expertenregierung (wer bestimmt, dass sie Experten sind? und von was?) ist nur sehr dünn demokratisch legitimiert. Und was bedeutet eigentlich Demokratie?
Noch einmal: Meine Fragen sind nicht rhetorischer Natur. Ich sehe die Entwicklung in Österreich durchaus parallel zu Deutschland. Der signifikante Unterschied derzeit ist noch, dass die Grünen in Deutschland eine Art von Heilsbringer zu sein scheinen. Aber was passiert, wenn sich auch das als überzogene Erwartung herausstellt?
Bleibt am Ende wirklich nur noch die Lotterie?
Vielleicht ist es ein Lapsus Ihrerseits, Gregor, aber die FPÖ-Wähler kann und soll man nicht »bekämpfen«. Man kann allenfalls die Umstände bekämpfen, unter denen es so viele von ihnen gibt. Ich bin ziemlich sicher, daß die Zahl bald wieder bei ca. 25 Proztent sein wird, Tendenz steigend. Die Gründe dafür sind komplex, man kann das alles hier nicht erörtern. Nur Stichworte: Digitalisierung, SM, Spaßkultur, Alkoholismus, Bildungsdemontage, Schwächung bzw. tendenziell Auflösung der aufklärungsbewußten Massenmedien, in Österreich sowieso schon lange: Kronenzeitung... Falls sich das je ändert, wird es Jahrzehnte dauern.
Die SPÖ »konstruktiv analysieren«? Nein! Das Versagen liegt sowieso auf der Hand. Ich glaube nicht, daß aus dieser Partei je wieder was wird. Früher haben sie gerade in Österreich den Slogan »Wissen ist Macht!« verkörpert. Das war die Zeit von Otto Bauer, die Zeit des sozialen Wohnbaus. Passé, unwiederbringlich, ab den achtziger Jahren verspielt, verkackt, wie man in Deutschland wohl sagt. Da gibt es kein Zurück.
Aus Südbayern, den Österreichern immer verbunden, würde ich sagen: Ehts habt’s es kaputt gmacht.
Die Viel-Parteien-Systeme haben deutliche Nachteile: je mehr Auswahl, desto mehr Indifferenz. Ich vermute ein Beobachter-Dilemma (als Ursprung der sog. Krise). Wie genau muss man die Vielzahl dieser Aktivitäten beobachten, um eine halbwegs vernünftige Entscheidung treffen zu können?
Nur noch die »Polarisierung« hilft dem zerstreuten Wähler. Polarisierungen/Polemik lässt sich leicht beobachten, sachbezogene Meinungsunterschiede sind aufwändig zu analysieren. Der Wähler ist genau so schlampig in seiner Urteilsfindung wie der Politiker. So gesehen ist die Repräsentation perfekt.
Die Koalitionsfähigkeit der Parteien nimmt ab, die Anzahl der Parteien nimmt zu. Mathematisch gesehen, ist das kein Problem. Kommt darauf an, welche Tendenz überwiegt, bzw. ob der emotionale Trend (Linear-to-No-Threshold) sich fortsetzt. Man stelle sich vor: 10 kleine Parteien, die sich alle gegenseitig hassen...
Im Moment braucht man wieder mal sehr viel Humor und Gottvertrauen.
no god
@Leopold Federmair
Ja, mein Lapsus. Aber Ihre Begründungen für eine evtl. Hausse der FPÖ bei gleichzeitiger Baisse der SPÖ erscheinen mir nicht ausreichend und dann am Ende nur mehr resignativ.
Ich habe neulich ein sehr interessantes Interview mit dem niederländischen Soziologen René Cuperus gelesen. Unter dem etwas reisserischen Titel »Wie man Populismus nicht bekämpft« sind da interessante Ideen versammelt.
Bereits im zweiten Satz spricht er die wachsende Vertrauenskrise in die repräsentative Demokratie an: »Es geht um die Bindekraft unserer liberalen Nachkriegsdemokratie, unseres solidarischen Wohlfahrtsstaates und um die soziale Marktwirtschaft. Sie scheint durch den Druck der Globalisierung, der Migration, und der Ent-traditionalisierung unterminiert und ausgehöhlt zu werden.« Die Zustimmung zu populistischen Parteien sieht er als »Revolte gegen die Einstellungen und gegen den internationalen Kurs einer als abgehoben wahrgenommenen Elite.« Populismus (den ich für österreicvshiche Verhältnisse jetzt mal mit der FPÖ identifizieren möchte) ist, so die These, demnach »eine Bewegung der unteren Mittelschicht in wohlhabenden Gesellschaften. Insofern ist der Populismus der Kampf um ein verlorenes Paradies. Aus diesem Grund ist es unmöglich, populistische Bewegungen zu bekämpfen, indem man einfach das Establishment dazu aufruft, zusammenzustehen und Privilegien zu verteidigen.«
Exakt das geschieht jetzt wieder – allüberall. Ich sehe das auf Facebook, auf Twitter. Alle brüsten sie sich mit ihrer »Haltung«, ihrem Kosmopolitismus (hierzu sagt Cuperus interessantes), ihrer moralischen Überlegenheit. Aber damit gewinnt man merkwürdigerweise keine Wahlen mehr. Die Rückgriffe in die Vergangenheit erinnern dabei an Veteranentum.
Für Cuperus sind Große Koalitionen Gift. »Sie erodieren die Unterschiede zwischen Links und Rechts und verstärken das Bild eines einzigen Establishments und der totalen Alternativlosigkeit.« Das kann man in Österreich sehr gut sehen – und jetzt auch in Deutschland. Hinzu kommen die sich immer mehr abschotteten Milieus von denen im Gespräch die Rede ist.
@die_kalte_Sophie
In manchen Parlamenten formieren sich die Tortenstücke der Stimmanteile zu einem Streuselkuchen. In den Niederlanden gibt es eine Vier-Parteien-Koalition in der Regierung. In Schweden gibt es eine Minderheitsregierung aus Sozialdemokraten und Grünen, die in bestimmten Fragen auf Liberale und das Zentrum angewiesen ist. Am Ende – und das ist das interessante – bleiben die politischen Figuren dann doch relativ stabil. Was dann dazu führt, dass Wahlbeteiligungen zurückgehen.
Wieder zurück nach Österreich: Wer in den 1990ern und 2000ern keine Große Koalition wollte, musste etwas anderes wählen. Bei Mehrheitsverhältnissen von bis zu 70% immer auf der falschen Seite zu stehen, ist für Wähler auch kein Vergnügen.
ICH HOFFE: ÖVP (leider nicht zu umgehen) mit den Grünen und den Neos, das würden sowohl die Grünen als auch die Neos meiner Ansicht nach akzeptieren...
@peter jungk
Das wäre dann mal wirklich was Neues.
Richtig, Viel-Parteien-Parlamente können durchaus stabile Regierungen bilden. In Deutschland sind gemäß der aktuellen Entwicklung keinen große Koalitionen mehr möglich, weil es (bald) keine großen Parteien mehr gibt. Jetzt kommt der »schwache Dreier«...
Österreich bildet die mitteleuropäische Ausnahme, allerdings wird die große Koalition dort immer nachrangig behandelt. Aufgrund der Stärke der beiden rechten Parteien, ist auch die »große Rechte« möglich.
Die Analytiker (Cuperus) kreisen immer noch um die verlorene Mittelschicht, als ob diese Vereinfachung beweisbar wäre. Nein, es geht schon um den Prioritätenkreis des Politischen. Die Nation ist wichtiger als die Partnerländer, Peter Singer spricht von konzentrischen Kreisen der Sympathie resp. der Verantwortlichkeit.
Ja, es gibt eine Moral/Politik, die diese Priorität unterdrückt. Sehr bewusst, und gar nicht zufällig. Das geht auch nicht anders, in multilateralen Verhältnissen. Ich würde fast schon von einer »Arbeitslüge« sprechen. Und deshalb gibt es auch eine Anti-Moral, die diese Nivellierung schonungslos aufdeckt.
die_kalte_Sophie
Naja, die Geschichte um »verlorene Mittelschicht« ist natürlich nicht mathematisch-empirisch beweisbar. Aber sie zeigt sich im Abschmelzen der Sozialdemokratie (mit der interessanten Ausnahme Dänemark) und jetzt dem Ausdünnen des konservativen Lagers, das in mindestens drei Kategorien droht, gespalten zu werden (wirtschaftsliberal, wertkonservativ, rechtsnational). Da sind die deutschen Grünen plötzlich eine »Volkspartei« (durch alle Milieus), weil ihr Ansinnen plötzlich breite Unterstützung und vor allem Priorität erhält (übrigens auch medial). Ich glaube aber, dass dieser Effekt nicht lange anhalten wird.
Über Ihre Aussage nach der zunehmenden Orientierung als Nationalstaat, die von Multilateralisten sozusagen »unterdrückt« werden muss, könnte man nachdenken. Es sprengt aber ein bisschen den Rahmen dieser Thematik. Auch wenn natürlich der Rekurs von FPÖ auf »Heimat« genau in dieses Horn bläst. Aber das ist m. E. nicht das Entscheidende.
Es wäre ja möglich, daß ÖVP und Grüne nach den Wahlen gemeinsam eine Mehrheit haben. In Oberösterreich hat so eine Koalition eine Zeitlang auf Landesebene recht gut funktioniert. Die Neos sind eine dieser kurzfristig ins Leben gerufenen »liberalen« Parteien, die bisher immer ebenso rasch von der Bildfläche verschwunden sind. Vielleicht tun sie’s ja als Mehrheitsbeschaffer. Ob die Grünen mit Sebastian Kurz wirklich »können«, ist zumindest zweifelhaft, denn deren Wähler und Aktivisten geben Kurz eine Hauptschuld an der gegenwärtigen Misere. Hier übrigens ein nicht mehr neuer, aber immer noch treffender Artikel von Thomas Stangl über den Kanzler der Leere (Schweigekanzler im Medienjargon): https://www.zeit.de/2017/43/sebastian-kurz-bundeskanzler-oesterreich-charakter
Um nochmal von der Wahlarithmetik wegzugehen: Ich gehöre zu denen, die seit langem die Dysfunktionalitäten der Demokratie beobachten und beklagen, sich aber durchaus keinen »starken Mann« wünschen. Ich fürchte, die Unterminierung der Demokratie infolge der medientechnologischen Wandlungen und inzwischen tief verwurzelter Gewohnheiten (Politik als PR) ist so weit fortgeschritten, daß es keine Wiederkehr eines vernünftigen Diskurses in der Öffentlichkeit über öffentliche Fragen (res publica) geben wird, der aber Voraussetzung für ein Funktionieren der Demokratie wäre. Die entsprechenden Enttäuschungen und Empörungen werden sich wiederholen, verstärken, aufschaukeln. Das ist gefährlich. Ich gehöre zu denen, die nach anderen Formen der Regierung fragen. Postdemokratisch, meinetwegen. Jedenfalls Gegenteil von Resignation.
Mich verwundert die Verwunderung, dass die FPÖ gewählt wird. Wer es für keine gute Idee hält, die nationalstaatliche Verfassung – mit Ausnahme ihrer Grundprinzipien – an eine politische Organisation »auszuliefern«, die eine unsaubere Gewaltentrennung ihr eigen nennt und vielleicht im privaten Bereich auch noch Bekanntschaft mit deren fragwürdigen Regulierungen gemacht hat, bleibt entweder im Regen stehen oder wählt irgendwann doch eine populistische Partei (um bei dem Term einmal zu bleiben). Oder: Wen wird ein Briefträger wählen, der um die 50 Jahre alt ist, den Abnützungserscheinungen plagen und der immer mehr junge Türken in seinen Beruf drängen sieht, der weiß, dass er einen anstrengenden Idiotenjob macht und laufend etwas von Binnen-Is und Frauenförderung hört. Oder: Jemand der es nicht mag, dass seine Kinder einen Kindergarten besuchen müssen, in dem von 125 Kindern nur zwei keinen Migrationshintergrund haben. Und was macht man, um »die Moralisten« und die in Brüssel zu ärgern? Man gibt Strache seine Vorzugsstimme. Das sind – ob man sie mag oder nicht, moralisch für richtig hält oder nicht – Wahlmotive.
Mich verwundert das gar nicht. Es macht mich traurig. Zumal die FPÖ, wenn sie mal an der Macht ist, keine substantiellen Veränderungen herbeizuführen imstande ist und nicht weniger korruptionsanfällig als andere ist (hat man schon unter Haider in Kärnten gesehen). Sieht man von der kleinen Scharfmacherei des Innenministers ab.
Ja, bleiben wir in Österreich. Ich wollte nur meine Hypothese vom Ursprung der reaktionären Bewegungen vorstellen. Es soll eine Alternative zur nostalgischen Interpretation sein (das Verlorene), an die ich nicht recht glaube.
Mir gefällt die Einordnung von Leopold. Man fragt sich immer: wenn man nicht alles retten kann, etwa die Volksparteien, was ist dann das Wichtigste?!
Und da scheint mir eine öffentliche »Insel der Vernunft« unbedingt nötig zu sein.
Metaphorisch genau, ist es sogar ein Atoll, eine ganze Reihe kleiner Inseln. Das Begleitschreiben wäre eine davon.
Zum Wahlverhalten: muss man nicht die Motive des Wählers mit dem Konzept der Volkspartei abgleichen?! Ich selbst zum Beispiel kenne meinen politischen Ort, wähle aber immer taktisch. D.h. ich muss in der Wahlkabine keine Bekenntnisse ablegen, sondern lasse mich von einem »Kräfte-Schema« inspirieren.
Auch die Denkzettel-Beschreibungen der mutmaßlichen FPÖ-Wähler widersprechen dem Konzept der Volkspartei doch kategorisch...
Ich bewundere ja Leute wie Herrn Stangl (oder heisst er, wie im Kasten des Artikels »Stangle«?), die Essays über den zukünftigen Kanzler Kurz aufsetzen und schon damals, im Oktober 2017 gewusst haben, wie es sein wird. Der in seinem Text auf Kurz’ Rolle 2015 in der Flüchtlingskrise eingeht (klar, da gibt es was zu kritiseren), dann jedoch, um seine These vom »Spiel mit dem Nichts« zu untermauern, keinen Hinweis auf Kurz’ Bemühungen zur Schliessung der Balkan-Route hinweist. Vermutlich ist er da nicht so im Thema, sondern psychologisiert lieber herum. Da ist übrigens auch rein gar nichts mehr von Diskurs, von »res publica«, da ist einfach nur Gesinnungsschreiberei ohne Wert und dass man sowas nicht mehr ernst nimmt, erscheint mir mehr als logisch.
Und ja, die FPÖ hat Kärnten wohl ruiniert, hat nie etwas adäquates geleistet. Aber vielleicht liegt darin die Sache begründet, dass sie immer noch weiterhin nur rund 20% bekommt. Sie leisten genau so wenig wie die anderen – da ist es dann auch egal, ob man sie wählt. Man stelle sich vor, sie würde ihre Versprechungen einhalten – nicht auszudenken.
Demokratie hat nie etwas mit einem »starken Mann« zu tun. Die Sehnsucht danach wird in einem funktionierendem Apparat immer eingeschränkt sein. Das Problem ist nicht die charismatische Führungsfigur. Das Problem ist das Scheitern derjenigen, die es eigentlich besser machen könnten, aber dazu nicht fähig sind – aus welchen Gründen auch immer.
Die Volksparteien, liebe kalte_Sophie integrierten unterschiedliche Milieus, halfen diese Milieus aufzubrechen und sachpolitischen Themen sozusagen unterzuordnen. Wenn sie verschwinden, haben wir nur noch Klientelparteien.
Ich habe das erste und das letzte Mal »taktisch« 1980 gewählt: Ich wollte Schmidt als Kanzler aber noch weniger Strauß. Das Zünglein war die FDP, die sich auf die SPD weiter festgelegt hatte. Also wählte ich FDP. Das Ergebnis war, dass diese FDP – mit den Stimmen aus einem Wahlkampf gegen Strauß – 1982 Schmidt stürzte und Kohl wählte, Regierungswechsel. Strauß wurde zwar verhindert, aber Schmidt gestürzt. Soweit zur »taktischen« Wahl.
»Milieu« ist auch nur eine Variante von Heimat. Milieu, das waren die Bergleute von der Ruhr, die hochfahrenden Pastoren-Töchter aus Westfalen, die liberal-arroganten Hanseaten, etc. pp. [Vielleicht kann das jemand für Österreich darstellen...].
Dem Verlust von Charme und Wahlverwandtschaften würde ich aber die Programm-Partei gegenüber stellen. Klientel-Partei klingt so... egoistisch. Das trifft die Motivation einer politischen Gruppierung überhaupt nicht.
Die neuen Milieus sind nur noch »Lehrer«, oder »Anwälte«, oder Geographie-Studenten. Was fehlt da eigentlich im Vergleich zu früher, warum wurde aus der Bergarbeiter-SPD nicht einfach die Lehrer-SPD, im Wandel der Zeiten?!
Nachgespürt, würde ich sagen: da fehlt das Echte. Lehrer haben so viel Gründe, etwas zu sagen, oder nicht zu sagen, etc. Bergleute dagegen kennen die »Gefahr«. Ich denke in diesem Zusammenhang an Douglas Murray, der meinte, der Westen hätte den tragic-sense-of-life vergessen oder verdrängt. Oder auch an Jordan Peterson: er warnt uns vor zu viel »persona« im öffentlichen Leben. Das ist all das Zeug, das wir über Gott-und-die-Welt verzapfen, um wichtig, beliebt, interessant oder einflussreich zu erscheinen.
Bergleute haben kaum »persona«. Lehrer dagegen haben kaum etwas anderes gelernt... Aber wer weiß, vielleicht haben wir uns ja alle viel mehr verändert als uns bewusst ist.
Milieu, das sind oder waren, wenn wir uns mal auf die ÖVP beschränken, zuerst die Bauern, die ÖVP ist bis zu einem gewissen Grad immer noch die Bauernpartei, in Wien war sie stets in der Minderheit. Tatsächlich sind aber die Bauern mittlerweile verschwunden, sie stellen kein Milieu mehr dar, wie ja die sozialen Klassen generell verschwunden oder zumindest aufgeweicht, prekarisiert worden sind.
Sophie hat recht, was bis ins späte 20. Jahrhundert »Milieu« war, löst sich auf – ein Grund, weshalb auch die traditionellen Parteien, die Volksparteien verschwinden. Das ist unaufhaltsam, weil ein tiefgreifender gesellschaftlicher Prozeß. Sebastian Kurz, im 21. Jahrhundert aufgewachsen, hat das erkannt und die ÖVP gestrichen und ihre alte Farbe (Schwarz) übermalt, statt dessen die ganze »Bewegung« hinter sein Konterfei und seinen Namen gekarrt und umgefärbt (Türkis, eine moderne Farbe). Inhalt geht tendenziell gegen Null. Wohlmeinend formuliert: Opportunismus, Pragmatismus. Ich finde durchaus, daß ihm manchmal unrecht getan wird von den Mainstreammedien, die eh nicht Mainstream sind, das ist die Kronenzeitung und die mag Figuren wie Kurz.
Ich stamme aus einem oberösterreichischen Dorf, dort war der Bürgermeister immer ÖVP, gewählt von den Bauern, und jahrzehntelang war dieser Mann, ein guter, der Tierarzt des Dorfs, durchaus weltoffen, liberal, intelligent, gesprächsfähig. In Wien gab es sie natürlich auch, die liberalen, Erhard Busek war das Aushängeschild, einer der ÖVP-Intellektuellen (wie die SPÖ lange von einem Intellektuellen geführt wurde: Bruno Kreisky). Dazu kommen die Geldgeber, die Wirtschaftsleute. Eine interessante Mischung, als Partei.
Nur: das ist alles passé, punkten – und nur darum geht es – »punkten« kann man nur mit Medienpräsenz, mit Personalisierung, mit der sozialen Maske, die man sich verpaßt. Und das beherrscht Kurz wie kein anderer, und darauf läuft der Artikel von Thomas Stangl hinaus, der den Politiker 2017 selbstverständlich kennen konnte, er hat sich bisher nicht geändert.
In Österreich kommt man unter den gegebenen Verhältnissen nicht um Kurz herum. Er ist, in all seiner Nichtigkeit, am zeitgemäßesten.
Die FPÖ wird nicht so bald stärkste Partei, keine Angst. Dazu ist sie (noch) zu ideologisch. Sie repräsentiert die Dumpfheit, die sich bislang in Grenzen hält. Bislang.
Naja, was die Nichtigkeit von Kurz angeht spiegelt sie ja vermutlich die noch grössere Nichtigkeit der anderen Protagonisten. Ansonsten wären die Prognosen nicht zu erklären. Aber vielleicht fragt man Herrn Menasse mal, wen er denn so in der Regierung haben möchte.
Natürlich haben sich die Milieus in den letzten Jahrzehnten verändert. Aus der Bergmann-SPD ist ja tatsächlich in den 1980er bis 2000er Jahren die Lehrer-SPD geworden (die jetzt in Scharen zu den Grünen überlaufen). Natürlich gibt es den klassischen Bauernstand in der Breite nicht mehr, selbst der ungelernte Arbeiter spielt keine Rolle mehr. Die Milieus sind andere geworden; die Ausdifferenzierung findet beispielsweise im Mittelstand statt. Ausbildung ist längst nicht mehr ausschlaggebend für Karriere. Dieses Versprechen erodiert schon seit geraumer Zeit. Im akademischen »Milieu« sind Zeitverträge bei öffentlichen Arbeitgebern die Regel. Eine Bekannte von uns hat ihren Biologie-Master und bekommt mit 28 den ersten 18-Monate-Vertrag. Wie soll man da ein Leben planen? Selbst gut ausgebildete Fachkräfte werden ab 45/50 nicht mehr eingestellt; die jungen frisch von der Uni oder Ingenieurschule sind einfach billiger. Stattdessen wird der Blödsinn vom »lebenslangen Lernen« propagiert. Neulich wurde einem anderen Bekannten eine Umschulung angeboten – er ist 55.
Man kann die Abstiegsängste der unteren und mittleren Mittelschichtler natürlich abtun und/oder bedauern. Man könnte sie zur Abwechslung auch einmal ernst nehmen.
Ad Traurigkeit: Ich will dieselbe niemandem absprechen, aber wenn die Leute, die heute FPÖ wählen, morgen wieder bei der SPÖ ihr Kreuz machen, ist niemand mehr traurig, auch wenn die Wähler sich kaum geändert haben. — Vielleicht habe ich dieses »das macht mich traurig« Sediment auch schon zu oft gehört.
Hinter dem Phänomen Populismus steckten Gründe, die sicherlich auch mit der Schwäche der Volksparteien zusammen hängen, genauer: Sie haben sich wohl von einem Teil derjenigen Milieus, die sie integrierten, inhaltlich entfernt.
Sebastian Kurz war klar, dass er sich des Migrationsthemas annehmen muss, um erfolgreich zu sein, es musste quasi in seine Agenda eingebunden werden, aber anders als es die FPÖ tut; wäre ein anderes Thema im Vordergrund gestanden, dann hätte er ein anderes genommen. Daher auch der Mangel an Emotionen, weil er sehr berechnend vorgeht, der Authentizitätsthese möchte ich von daher widersprechen (das Nichts kommt ebendaher: Kurz ist nicht an etwas gebunden, sondern er bindet sich rational an das, was ihm den Erfolg sicherzustellen scheint). Das bedeutet aber auch, dass Kurz eben nicht nur personalisiert, sondern sehr wohl ein Thema zur Chefsache erklärt hat; es ist nicht nur die Person Kurz, sondern die Person, die mit einem Thema quasi verschmolzen ist.
Bezüglich Kärnten darf man allerdings nicht vergessen, dass die Landeshaftungen von allen oder fast allen Parteien beschlossen wurden (das war der Freibrief zum Spielen).
An Metepsilonema anknüpfend, zwei Aspekte:
Traurig bin ich nicht nur wegen dem FPÖ-Sumpf, den ich schon in seiner Entstehungszeit kennengelernt habe (ich meine die Haider-FPÖ). Mein Vater war ein kleiner FP-Funktionär, fast sein Leben lang. Traurig ist für mich der Niedergang der österr. Sozialdemokraten, der sich sicher nicht nur wahltaktisch erklären läßt. Das Punkten steht in meinen Überlegungen auch nicht im Vordergrund, sondern das Verspielen (Versemmeln wäre auch noch ein Wort, wenn man nicht Verkacken sagen will) gewisser »Errungenschaften« (ehemals sozialdemokratisches Lieblingswort), nämlich solcher, die aus der eigenen Kraft kamen: Wohnbau, Bildung, Basisarbeit im Sinn von gelebter Gemeinschaftlichkeit. Das ist futsch, und die »Arbeiter«, die »kleinen Leute«, die heutigen FPÖ-Wähler, die Zukurzgekommenen, die Sozialschmarotzer, die sich über andere aufpudeln, die sie für Sozialschmarotzer halten... die werden nicht zu den Schwundsozialisten zurückkehren, und darüber bin ich auch nicht sonderlich traurig. Die Prekarität, von Gregor angesprochen, ist mittlerweile systemisch. Gewerkschaftliche Arbeit hat da nicht mehr viel Sinn, »Vertretung« funktioniert anders, wenn es überhaupt noch Vertretung gibt, Delegierte, z. B. bei all den Heimarbeitern vor dem Display. Hier liegen auch die Gründe, warum sich einige – wenige – überlegen, ob man die politische Angefressenheit nicht in eine bewußt antipolitische Richtung lenken sollte. Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Politik. Vielleicht ist es ja gut, daß es damit vorbei ist? Ich fand die Slogans, die ich um 2000 gehört habe und jetzt wieder in Algerien höre, damals erschreckend: »Qu’ils dégagent tous«, »que se vayan todos«... Alle sollen abhauen. Und was dann? Nichts. Gar keine Politik mehr. So war das damals nicht gedacht, aber vielleicht sollte man es – auf konstruktive Art – so denken. (Im heutigen Algerien ist der Slogan übrigens berechtigt.)
Zweitens, kurz (der Arme wird sich immer diese dummen Witze gefallen lassen müssen): Da bin ich bei Metepsilonema, die Nichtigkeit und Wendigkeit von Kurz ist ja gerade seine Stärke. Er spiegelt da auch gar nichts, wenn nicht die moralische Leere, die ja auch längst eingekehrt ist.
Da bringe ich nochmal Douglas Murray: die moralische Leere ist eine moralische Erschöpfung.
Übrigens nicht nur in Umverteilungsfragen. Deutlich auch in der Außenpolitik. Mein liebstes polemisches Beispiel: Rumänien, Polen, Türkei, etc. sind Teil der NATO. Ist schon irgendjemandem aufgefallen, dass wir für diese unsere missratenen Brüder im Zweifelsfall unser Leben riskieren müssen?! Deutschland ganz vorne: bitte nur Fotos von der Luftaufklärung, wir sterben nicht mehr ganz so gern wie früher...
Das Verdrängte der Geopolitik erinnert an das Verdrängte der Geldpolitik: alle Motive und Pläne stammen aus den »guten Anfangszeiten«.
Moralische Erschöpfung bedeutet: mangelnde Opferbereitschaft, »Gipfel-Rhetorik«, Hypermoralismus (quasi-allergisch), Defätismus (der in Selbstanklagen mündet), etc.
Ich glaube, dass der Niedergang der Sozialdemokratie auch in einem anderen Zusammenhang steht, nämlich in einem ungenügendem Verständnis dessen, was Kultur ist und bedeutet. Die Eigenerzählung und die unbestrittenen Leistungen überdecken, dass eben nicht alles sozial ist und durch soziale Zusammenhänge erklärbar ist. Menschliche Sinnstiftung, ob als »Volks- oder Hochkultur« ruht auf einem verbindlichen (»geteiltem«) kulturellen Hintergrund und einer Bedeutung für den Alltag. Um erfolgreich zu sein (und so erfolgreich zu werden, wie er es wurde), mussten diese Bedeutungsverhältnisse durch den Kapitalismus untergraben werden. Der gefügig gewordene Mensch ist einer, der aus seinen – sich nicht nur im persönlichen erschöpfenden – Bedeutungsverhältnissen herausgelöst wurde (sich herausgelöst hat). Das ist emanzipatorisch auf der einen Seite, wird zum Zwang auf der anderen, denn irgendwann ist er zum Fortlaufen gezwungen, weil ihn nichts mehr halten kann, er vermag keine bedeutungsvolle Einkehr mehr zu finden. Das ist ein Prozess, der die Moderne kennzeichnet und natürlich nicht auf den Kapitalismus reduziert werden kann. Liberalismus ist, kann man hinzufügen, nur solange erfolgreich, solange das kulturelle Fundament nicht erschöpft ist. Mittlerweile ist das allerdings der Fall; nicht weil es Kultur nicht mehr gäbe, sondern weil sie Beiwerk wurde, kraftlos ist (das – auch regenerative – Widerlager fehlt). Deswegen wird das Phänomen Populismus auch nicht verschwinden, weil es gleichsam der Spiegel der Verhältnisse ist: Heimat als sinnstiftendes, kulturelles Moment, ist gleichsam als ungestilltes oder unstillbares Bedürfnis präsent (Populismus beruht darauf, die Unzufriedenen um sich zu scharen, es ist aber unwahrscheinlich, dass er etwas von der grundlegenden Problematik lösen können wird, da er weitgehend »systemkonform« agiert). Die Schwäche der Sozialdemokratie ist zum einen auf den Erfolg, den sie zweifellos hatte zurückzuführen, zum anderen darauf, dass sie zu den kulturellen Fragen, die in der globalisierten Welt aufbrechen, nicht viel zu sagen hat (das Missverstehen zeigt sich sehr gut daran, dass man glaubte in den Migranten ein neues Proletariat finden zu können; das hat das alte Proletariat nicht verziehen und das erhoffte neue wollte – durchaus verständlich – diese Rolle so nicht spielen).
Mit kultureller Frage ist nicht das gemeint, was häufig Identität genannt wird, sondern eine Wechselwirkung zwischen dem Individuum und einem quasi selbstverständlich präsentem Hintergrund (zudem gehört auch das, was man im guten Sinn Tradition nennt). Durch Einwanderung wurde der Hintergrund noch poröser als er es schon war, die Fragen noch drängender. Die Hilflosigkeit und Leere jener Institution, die sich Europa nennt, zeigt sich gerade hierin, sie muss alternativlos sein, weil sie schwach ist, keine Bedeutung im kulturellen Sinn für jene hat, für die sie dazusein vorgibt.
@Leopold Federmair
Der Verfall der SPÖ und der sozialdemokratischen Parteien in Europa im allgemeinen hat auch damit zu tun, dass sie mit ihre einstigen Kernkompetenzen an Grenzen gestossen sind. In Deutschland ist Bildung bspw. Ländersache. Dort hat man inzwischen eine Maturaquote von etwas mehr als 50% erreicht. Gleichzeitig beklagen die Universitäten, dass das Bildungsniveau der Erstsemester immer schlechter ist. Hauptsache, die Quote stimmt und kann dann vorgezeigt werden. Zur Not schwächt man die Kriterien eben ab.
Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Politik. Vielleicht ist es ja gut, daß es damit vorbei ist?
Das klingt wie ein Slogan einer Spaßpartei – die ja durchaus in Europa (und anderswo) ihren Zulauf haben. Diese Form der Anti-Politik ist übrigens ein Zeichen populistischer Bewegungen bis hin zu Trump, der ja im strengen Sinne ebenfalls keine Politik betreibt sondern über Twitter wie ein König seine Botschaften absondert (die dann binnen Sekunden von Medien reproduziert werden und dadurch erst Bedeutung erlangen).
Ich will mich nicht herausreden, in dem ich auch Anti-Politik zur Politik erkläre. Aber der Wunsch nach Auflösung der politischen Strukturen ist allgegenwärtig geworden, weil Parteien und Politiker das Gemeinwohl immer mehr zu Gunsten von Klientelgruppen vernachlässigen, die mit den gleichen Botschaften umworben werden. Das führt dazu, dass die Unterschiede zwischen den Parteien gen null tendieren. Und hierin liegt dann das Potential für eine Pöbel-Partei wie die FPÖ, die nichts anderes zu tun braucht, als die Verdrossenheit der Leute zu kanalisieren. Sie ist aber auch für die Intellektuellen wichtig: Sie können sich in der Gegnerschaft zu ihr wunderbar profilieren – ohne an konkreten Politikentwürfen (ich spreche von Entwürfen, nicht von utopischen Forderungen) die Finger schmutzig zu machen.
@die_kalte_Sophie
Interessanter Aspekt. Wie bindend ein Multilateralismus sein kann, hatte man ja in der EU anhnd der Griechenland- und Zypernkrise des Euros feststellen können. Dort wurden dann ganz schnell Maßnahmen ergriffen, die ausdrücklich nicht vorgesehen waren (»Bail-Out« bzw. »No-Bail-Out«).
Im Fall der NATO ist der Beistand ja durchaus nicht quantifiziert. Irgendein kluger Mensch hat einmal sinngemäss gesagt, dass der Beistand der NATO bei einem Angriff zwischen dem Versenden einer Postkarte und dem Atomwaffeneinsatz schwanken kann.
Richtig ist, dass die Voraussetzungen, unter denen multilaterale Verträge geschlossen wurden, sehr häufig derart abstrakt waren, dass man das Kleingedruckte nicht verhandelt hatte, weil es sowieso nicht eintreffen würde. Dass es nun teilweise droht einzutreten, ist natürlich ein Schock. Daher zieht man sich dann eher wieder in die eigenen Gefilde zurück.
@metepsilonema
Ich verstehe sehr gut, was Du mit »kultureller Frage« meinst. Es ist natürlich doch eine gewisse Furcht vor der Veränderung einer »globalisierten« Welt. Es dämmert langsam, dass diese »Globalisierung« keine Einbahnstrasse ist und durchaus Anpassungen verlangt, die schmerzlich sein können.
Ich habe neulich eine Dokumentation über die Korowai gesehen. Es handelt sich um einen Stamm im Westen Indonesiens. Über die ist binnen weniger Jahre die Moderne eingebrochen wie ein Tsunami. Ihre tradionelle Lebensweise in Baumhäusern haben sie alle aufgegeben; der Staat lockt sie in Dörfer (in denen sie keine Perspektive haben). Einige verdienen sich Geld, in dem sie ausländischen Filmteams vorspielen, weiterhin in Baumhäusern und nackt zu leben. Sie ziehen sich aus, gehen zur Jagd und zum Fischfang, und zeigen ihre Bräuche – alles für Geld (es gibt einen festen Katalog der »Dienstleistungen«). Die Dokumentation zeigte dies unerbittlich. Sie machen Feuer mit Feuerzeugen, die sie wie Schätze horten, kaufen sich alte Radios, billige Handys, tragen Fußballtrikots europäischer Mannschaften und versuchen sich als Maskottchen für Dokumentarfilmer. Sie waren aufgewachsen im Glauben, dass sie das Zentrum der Welt sind. Binnen kurzer Zeit mussten sie erfahren, dass sie am Rand stehen.
.-.-.-.-
Ich hatte auf Facebook diesen Beitrag auch gepostet – mit der Bitte um Kommentare im Blog. Ich vermute, dass ich rund 20% österreichische FB-Freunde habe, die auch alle ziemlich politisiert sind. Einige wenige kenne ich inzwischen persönlich. Geäußert hierzu hat sich nur einer, Peter Stephan Jungk (der aber auch gelegentlich hier etwas beiträgt). Alle anderen hüllen sich im Schweigen, verlinken Artikelchen über kleine und große Skandale. Alles, um nur nicht zu erkennen zu geben, dass sie nichts, aber auch gar nichts beizutragen haben. (Hinzu kommt natürlich, dass mein Blog wirklich nichtig ist, nichtiger als Kurz.)
@mete: Sehr gute Abhandlung. Das Paradoxon der Freiheit muss sowohl in sozialen als auch kulturellen Kategorien gedacht werden. Der Liberalismus als politische Philosophie verzichtet auf beides; aber ich füge hinzu: das kann man auch als Stärke im Sinne der Selbstbeschränkung auffassen.
Die Psychodynamik finde ich einleuchtend: Aufbruch und Rückkehr als atmende Dialektik. Dabei gibt es offenbar eine Parallelbewegung zwischen Individuation und Gattungserkenntnis. Ich teile die Ansicht, dass der »kulturelle Hintergrund« eher für die Bedürfnisse und Fragen zuständig ist, die wir als Gattungswesen mit uns rumschleppen.
Und, ja! Zweifellos eine Ironie der Geschichte, dass wir europäische Politik zu einem Zeitpunkt versuchen, wo uns die kulturellen Bindungen abhanden kommen. Groß-Segel setzen, wenn der Wind abflaut, ist keine Garantie für Fortschritt. Die Situation entspricht exakt dem »Milieu«-Problem der Parteien (laut @Gregor), wenn man feststellt, dass man nur noch Programm-Politik machen kann, weil alle Selbstverständlichkeiten weggefallen sind. Deshalb werden die westlichen Demokratien immer noch metaphysisch aufgeladen, als »Yes-we-can-do-everything«-machine, was ich persönlich sehr armselig finde, und gar nicht bescheiden oder vernünftig...
Gute Abhandlung, ja, von Metepsilonema. Wohlüberlegt. Ich würde nur eins hinzufügen (eher als entgegnen): Adornos Analyse der Kulturindustrie. Salopp gesagt (nicht ganz so wohlüberlegt): Kultur wurde vom Kapitalismus gekauft, en gros, Gregor gibt ein Beispiel en détail. Und diese industrielle Kultur tendiert zur Bedeutungslosigkeit, sie wurde zur Spaßkultur, wie wir sie im Grund bis heute als Mainstream, als postideologische Hegemonie haben. Wir sind heimatlos, obdachlos, unbehaust, das scheint mir irreversibel. Ein Aspekt davon ist der Massentourismus: Hallstatt in China, Chinesen in Hallstatt. Hilflose, wenngleich notwendige Gegenmaßnahme: Touristenkontingente begrenzen.
Was würde Handke, unsere Säulenheiliger, dazu sagen? Sollen wir uns – mit ihm – auf Inseln, Enklaven zurückziehen? Inseln des Authentischen, sozusagen. (Überall das Sozusagen).
@Gregor K.
Ich glaube, man sollte auch versuchen zu verstehen, warum Spaßmacher in der Politik derzeit so viel Zulauf haben. Zugrunde liegt vermutlich dasselbe Unbehagen, dieselbe Verdrossenheit, die ja nach allen Seiten herrscht. Grillo, Sonnenborn etc. haben freilich keine Alternativen zu bieten. Über den ukrainischen Staatspräsidenten Wolodymyr Selenskyj weiß ich nicht viel, aber er schwimmt wohl auf derselben Welle.
Nein, was mich interessiert, ist, ob Verwaltungssysteme jenseits der One-Man-One-Vote-Demokratie funktionieren könnten, und zwar unter Aufrechterhaltung der Grundfreiheiten. Ich kann die Politikverdrossenheit nicht nur verstehen, sondern bin in Wahrheit selbst verdrossen. Seit Jahrzehnten kann ich mich in Programmen und Handlungslinien von Parteien auch nicht annähernd wiedererkennen. Aber letzten Endes gibt es sowieso kaum eine Wahl, es gibt so viele Zwänge, es läuft immer alles aufs Selbe hinaus. Deshalb: Könnte man nicht eine Verwaltung der Res Publica ohne Wahlen andenken? Wozu wählen, wenn wir keine Wahl haben? Tendenziell können sich soziale Systeme doch eh schon selbst verwalten, wie Autos selbst steuern könnten. Durch die Abgabe von Politik würden wir frei für andere, sinnvollere Tätigkeiten. Z. B. dafür, neue Heimaten und Bedeutungsfelder zu schaffen.
Daß auf Facebook komplexere Fragestellungen nicht diskutiert werden, wird wohl kein österreichisches Phänomen sein. Das SM dient der Selbstdarstellung, nicht der Diskussion.
@metepsilonema wg. »Traurigkeit: Ich will dieselbe niemandem absprechen, aber wenn die Leute, die heute FPÖ wählen, morgen wieder bei der SPÖ ihr Kreuz machen, ist niemand mehr traurig, auch wenn die Wähler sich kaum geändert haben. — Vielleicht habe ich dieses »das macht mich traurig« Sediment auch schon zu oft gehört.«
Das stimmt. Und das sagt Thilo Sarrazin seit »Deutschland schafft sich ab«. – Neuerdings sagt das auch Sigmar Gabriel – mit Blick auf die Sozialdemokratin Mette Frederiksen in Dänemark. Die stört übrigens auch nicht, dass sie sich in einen Gegensatz zum EuGH und zur EU begibt mit ihren Grenzkontrollen – das kann einem ja bekannt vorkommen, stimmt’s?
Sobald man sich außerhalb der üblichen Sprech- und Denkschranken begibt, ist alles ganz einfach, Die_kalte_Sophie, das stimmt auch.
Das aber scheint derzeit nur in Randbezirken unserer bürgerlichen deutschsprachigen Öffentlichkeit möglich zu sein.
Wahrscheinlich wird gern überschätzt, wer regiert und unterschätzt, um was es dabei geht. – Im Übrigen aber sage ich: David Murray & David Goodhart z. B. haben recht: Cf. der Briefträger als somewhere metepsilonemas gegen die anywheres von der EU z. B., die ihn nicht für voll nehmen).
@Leopold Federmair
...was mich interessiert, ist, ob Verwaltungssysteme jenseits der One-Man-One-Vote-Demokratie funktionieren könnten, und zwar unter Aufrechterhaltung der Grundfreiheiten
Das wird die demokratiepolitische Gretchenfrage der nächsten Zeit sein. Ich muss da tatsächlich an das »josephinische« Modell von Menasse denken (genauer gesagt ist es kein Modell von ihm, sondern die Konsequenz aus seinem Denken). Oder, genauer: Genügt nicht ein Verwaltungsapparat, der fallweise von »guten« Persönlichkeiten auf den »richtigen« Weg gebracht wird? Bedarf es eines gewählten Repräsentationsapparates, der am Ende nur sich selber repräsentiert? Oder, noch genauer: Stösst ein One-Man-One-Vote nicht an Grenzen? Die einzige Frage ist dann nur: Wer bestimmt die Richtung? Wer bestimmt, was gut und was schlecht ist? Wer bestimmt dies, wenn ausgemacht ist, dass die Klugheit der Vielen eine Schimäre ist? Und was machen wir dann mit Revolutionen?
Die Heilsstimmung einer im bedingungslosen Grundeinkommen von der Arbeit befreiten Gesellschaft vermag ich nicht zuzustimmen. Gerade Arbeit strukturiert Persönlichkeiten. Der Glauben, dass alle dann im Paradies leben, halte ich für einen gefährlichen Fehlschluss.
(Zur Klarstellung: Ich bat auf Facebook, hier zu kommentieren, zu diskutieren. Das wurde/wird geflissentlich ignoriert. Im übrigen gelingen zuweilen dort auch interessante Diskussionen. Kommt – wie überall – auf die Diskutanten an.)
@Gregor K.
Menasse hat sich zum Zerbrechen der Koalition in Österreich und zu Kurz als politischer Gestalt geäußert.
https://www.deutschlandfunk.de/schriftsteller-robert-menasse-ueber-oesterreich-zerstoerung.911.de.html?dram:article_id=449664
https://www.dw.com/de/robert-menasse-sebastian-kurz-ist-der-zombie-einer-alten-zeit/a‑44220606
Auch er ist wie etwa Peter Pilz und zumindest ein Teil der Grünen der Ansicht, daß Kurz eine Hauptschuld an der Regierungskrise trägt. Wie er den (Alt?!)-Kanzler sieht, das erinnert durchaus an das von Thomas Stangl gezeichnete Bild.
Seine politischen Konzepte sind mir nicht recht klar. Einerseits Josephinismus, eine quasi josephinische Regierung haben wir ja derzeit in Österreich (und ich habe schon geäußert, daß sie meinetwegen gern etwas länger im Amt bleiben kann). Andererseits hält er mehr oder weniger automatisch am herkömmlichen Demokratiebegriff fest, mit allgemeinen Wahlen etc.
Ich selbst habe kein Talent zum Entwerfen politischer Theorien, frage mich aber grundsätzlich, ob man, wenn es eh keine Wahl gibt, dieses Wahlspiel noch spielen soll. Ich lebe in Japan, hier wurde dem Land die westliche Demokratie nach dem Krieg aufgezwungen. Die Japaner sind seit Jahrzehnten daran gewöhnt, daß sie das Demokratiespiel nur spielen. Die Regierungen haben die ganze Zeit über mit einer gewissen Rationalität und landesüblicher Trägheit gehandelt (aber eben doch gehandelt), sehr große selbstverschuldete Krisen gab es nicht, die Korruption hält sich in Grenzen. Das Land und seine Politik sind aber ausgelaugt, das Demokratiespiel wird immer langweiliger, in den jungen Generationen interessiert es kaum noch jemanden.
So ist bei mir dann ein gewisses Interesse an der sogenannten Demarchie erwacht. Wenn ganz normale Bürger als Schöffen in Mordfällen befinden können, warum sollten sie dann nicht auch beispielsweise einem Ministerium vorstehen können? Für eine begrenzte Zeit, und nach entsprechender Vorbereitung. Die eigentliche Arbeit machen eh die Beamten, das ist auch jetzt so.
@ Leopold Federmair und GRegor Keuschnig
Leopold Federmair: »...was mich interessiert, ist, ob Verwaltungssysteme jenseits der One-Man-One-Vote-Demokratie funktionieren könnten, und zwar unter Aufrechterhaltung der Grundfreiheiten.«
Das glaube ich nicht. Funktionieren ja (s. China), aber nicht zusammen mit den Grundfreiheiten. Denn frei zu sein bedeutet u. a. nicht funktionieren zu müssen. Auch das Funktionieren großer Verwaltungssysteme zu z. B. abzulehen. Diese Idee ist also selbstwidersprüchlich.
Auch Bahro z. B. und der späte Harich haben sich in diesen Denkbahnen bewegt.
Es ist so wie Gregor Keuschnig sagt: Der Staatsbürger muss dann akzeptieren, dass andere besser wissen was gut für ihn wäre als er selbst. Er muss sich insofern entmündigen. Und das ist eine Form der Unfreiheit.
@Leopold Federmair
Menasses Schuldzuweisung halte ich im höchsten Maß für lächerlich. Wieso Kurz Schuld sein soll, dass der Austrofaschismus nicht aufgearbeitet wurde, vermag er nicht zu erklären. Ansonsten übt er sich in Selbstbeweihräucherung und sieht sich als einen der Letzten, der »immer wieder an die Grundlagen einer liberalen und zivilen Demokratie« erinnert. Für ihn ist »Demokratie« immer nur dann akzeptabel, wenn sie irgendwie seinen Ansichten entspricht. Von tatsächlich demokratisch grundierten Prozessen hält er eigentlich nichts.
Kurz ist für ihn nur ein Ärgernis, eine Projektionsfläche für seinen Unmut. Er wirft ihm vor, Europa nicht zu verstehen, was man immer sagt, wenn man sich auf dem Sockel sieht. Das »Dublin-Verfahren« hält er für ein »Verbrechen« – kleiner geht’s nicht. Seit 20 Jahren hätte man eine Asylpolitik betreiben können. Als der Interviewer sagt, dass Kurz da erst 11 Jahre war, weicht er aus und lügt, es ginge ihm nicht um Kurz, den er dann wenige Minuten später ad hominem als »Zombie« angreift.
Das dient alles nur dazu, seiner Klientel zu zeigen, was man für ein toller Hecht ist. Sachgerechte, konstruktive Vorschläge: null. Wenn man so etwas liest, dann ahnt man, warum es eine derart große Politikverdrossenheit gibt.
Politiker in bestimmten Ämtern zu ertragen, ist oft genug eine Pein. Aber wehe solche Intellektuellen wie Menasse würden dies tun...
Ja, Menasse ist das beste Beispiel. Keine Abstufungen, keine Fairness, kein Quid-pro-quo. »Persona« pur. Meine Rede wird euch alle vereinnahmen.
Die Maßstäbe sind völlig willkürlich, vorallem das zeitliche Schema »alt« vs. »Zukunft« kennen wir sehr genau. Alt sind die Anderen, die Zukunft gehört der Menschheit, wo die Alten dann nicht mehr vorkommen. Auch keine jungen Alten wie Sebastian Kurz.
Die josephinische Lösung ist denoch eine Überlegung wert. Man spart sich den organisatorischen Aufwand von Parteien ein, und reduziert die öffentliche Polemik auf ein Minimum. Insbesondere wirken die Parteien ja selektiv auf die Meinungsbildung, d.h. man verliert legitime Positionen. Aber die »Chance zur Machtergreifung« ist in der bürgerlichen Welt ein Dreh- und Angelpunkt. Darum kreist unsere Subjektivität. Wir würden die demokratische Welt vollkommen hinter uns lassen, und müssten in ein pseudo-autokratisches Stadium eintreten. Die Dialektik von Herr und Knecht wären wir los, aber die Bürokratie würde sich vermutlich noch stärker als bisher gegen Veränderungen immunisieren.
@ die_kalte_Sophie (u. Gregor Keuschnig)
»Die Dialektik von Herr und Knecht wären wir los, aber die Bürokratie würde sich vermutlich noch stärker als bisher gegen Veränderungen immunisieren.«
Stimmt.
Im Übrigen ist das alles schon x mal durchgenommen worden. Das »sanfte Monster Brüssel« (Enzensberger) – ist ein Monster cf. Cyrill Parkinson’s law. Nur mal mit Handwerkern reden. Oder mit Bauern, denen ihre Existenz versauert wird durch dieses Monster.
Ich kenne eine Familie, die Enten und Gänse aufzieht und dann schlachtet. 70-Stunden-Wochen haben sie hingenommen, schließlich waren sie selbständig, keiner hat ihnen reingeredet, ausserdem sind sie das Arbeiten gewohnt. Jetzt schließen sie aber. Ihre Genehmigung für ihren Betrieb, dessen Kunden (darunter ich) nie den kleinsten Grund hatten, sich über die Qulität ihrer Produkte zu beschweren, – läuft wegen neuer EU-Hygienebestimmungen aus. Kostenvoranschlag für notwenige Modernisierungskosten: 450 000 Euro. Sie sagen, sie würden das in ihrem Erwerbsleben nicht mehr tilgen können. Die Kinder machen Verwaltungsausbildungen – heheh – sie können dann bei der EU anheuern...
Ohh ja – die Enten: Die kommen dann halt aus Polen oder Weißrussland oder wo – ist ja ganz egal, Kühllastwagen gibt es ja genug...
Diese Ballade könnte ich weitererzählen, vom Bäcker in der KN Altstdt, der jetzt zwei Klos einbauen soll und eine getrennte Männer- und Frauenwaschgelegenheit, und der jetzt seine Backstube schließt, weil das in der Altstadt nicht geht – und, siehe oben, sein Budget das nicht hergäbe. – Niemals, sagt er, hätte einer seiner Angestellten sich beschwert wegen der sanitären Verhältnisse. Ich glaube ihm das.
Vom Elektriker, der mir die unflätigsten Flüche über die EU zu Gehör bringt, aus den gleichen Gründen, cum grano salis, wie die Geflügelzüchter und der Bäcker.
Und das ist nur e i n Aspekt dieser Geschichte.
Die EZB mit ihrem OMT-Mechanismus und ihren Target-Salden ist aus meiner Sicht ein weiterer Grund. Heute schreibt Roland Tichy, er und Hans-Werner Sinn hätten durch Zufall aufgrund persönlicher Beziehungen (!) davon erfahren, dass die EZB die Target-Salden eingerichtet hatte! Eine Zahlungsverschleppungsinstitution reinsten Wassers. Also nochmal rein konstativ: Die EZB hat laut Roland Tichy die europäische Öffentlichkeit nicht einmal darüber informiert (!) , dass sie ein »Instrument« – - – - der Zahlungsverschleppung zwischen den EU-Staaten eingerichtet hatte. Derzeitiger Stand dieses EZB-Instruments aus Deutscher Sicht: 970 Milliarden Euro, für die Waren geliefert wurden ans Europäisch Ausland. Demnächst also eine Billion Euro die, so Tichy, wohl auf nimmerwiedersehen verschwunden ist. – Wer erklärt das den Deutschen Steuerzahlern und Wählern und Arbeitern?
Tcha. – Insgesamt kaum mehr als »eine Kugel Eis pro Familie«, so ungefähr wird derlei kommuniziert... – und dass es uns noch nie so gut gegangen sei, wie jetzt usw., mehr so hört man, sei dazu nicht zu sagen...
Der niederländische Spzialwissenschaftler René Cuperus (Gregor Keuschnig # 6 und die_kalte_Sophie # 9) übrigens redet wie Mette Frederiksen und neuerdings Sigmar Gabriel. Er billigt überdies Koalitionen mit »populistischen Parteien« und stellt die über große Koalitionen, die er für die verderblichste Variante hält.- Die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Cuperus publiziert, – - müsste nun von der TAZ wg. Kryprofaschismus osä. gedisst werden. – Aber auch das würde sie überstehen. Immerhin wird sie bald sogar Kurt Beck übertanden haben. – Der Verfassungsjurist und SPD-Genosse Bernhard Schlink (Der Vorleser) freut sich schon auf die Zeit nach Beck bei der Ebert-Stiftung (er hat sich in der FAZ die Haare gerauft, über das aktuelle Niveau der Debatten bei der Ebert-Stitung). – Mal sehen, ob er zu Cuperus was sagt.
Menasses Äußerungen wecken bei mir immer schon gemischte Gefühle. In diesem Fall: daß er nicht über Kurz allein spricht, sondern über einen Typus, über bestimmte Politiker, ist doch okay. Was ich nicht sehe, ist der Zusammenhang zwischen der gegenwärtigen Problematik in Österreich und dem nicht aufgearbeiteten Austrofaschismus. Menasse hat einerseits recht, immer wieder den Finger drauf zu legen, Österreich stellte sich nach 45 als Opfer Hitlers (des Österreichers) dar, und so nebenbei kam man auch drum herum, sich mit dem hausgemachten Faschismus auseinanderzusetzen. Aber die Wirkungen in die Gegenwart werden halt immer schwächer, seit Dollfuß & Co. ist bald ein Jahrhundert vergangen. Man kann nicht alles damit erklären. Menasse sagt vieles um der Rhetorik willen, er sieht sich gern verbal glänzen.
Kurz hat federführend an der Koalition von Altkonservativen, Medienpolitikern der »Mitte« (wie er selbst) und Rechtsextremen mitgebastelt. Er hat Leute wie Strache und Kickl in die Regierung geholt bzw. sie dort toleriert. Nicht mehr und nicht weniger werfen ihm Linke in Österreich vor. So auch Menasse, da sehe ich keine seltsamen gedanklichen Verdrehungen. Zu Kurzens Verteidigung könnte man sagen, er probiert halt alles aus – und genau diese Verteidigung führt uns dann wieder hinein in den Diskurs von der vorsätzlichen Nichtigkeit solcher Politiker.
Das Gänsebeispiel von Dieter K. ist unterhaltsam und bestürzend zugleich, nur frage ich mich, ob die immer weiter fortschreitende Bürokratisierung wirklich spezifisch EU-europäisch ist. In Österreich höre ich in Geschäften von ähnliche Auswirkungen nationaler Gesetze bzw. der Praxis ihrer Umsetzung. Ich fürchte, die Bürokratie ist nur ein Sektor des Parkinsonschen Grundgesetzes.
@ Menasse. ich möchte die Migrationskrise nicht noch einmal aufwärmen, aber seine Aussagen über die 20 Jahre währende geduldige Politik, die 2015 verhindert hätte, wenn nicht die domestischen (kurzsichtigen) Interessen blockiert hätten... Sind, mit Verlaub, eine Rationalisierung erster Güte. Da staunt man nur noch, vorallem wenn man die Richtlinien von 2013 (nur 2 Jahre zuvor) liest, wo damalige Fehlfunktionen bereits großspurig ausgeklammert worden waren. Man wollte nur ein System bestätigen, das nicht funktioniert hat. Die Richtlinien sind Texte aus anderen Welten!
Es wächst der Staat jenseits demokratischer Verfügungsgewalt am allerbesten. Es gilt als unschicklich, dies zu behaupten, wenn es um Europa geht. Aber genau dort ist es am leichtesten erkennbar. Zur Gesetzgebung gehört die Möglichkeit der Revision, um mal ganz deutlich von der moderaten Forderung der Subsidiarität abzugehen. Ein Gesetz (in den entsprechenden Formen) aus Europa wieder loszuwerden, ist praktisch unmöglich. Wer soviel Staat hat, braucht auch keine Demokratie mehr. Es fehlt der liberale Gedanke ab initio.
@Leopold Federmair
Gemäss dem ungeschriebenen demokratischen Konsens oblag es Kurz’ ÖVP 2017 die Regierung zu bilden. Was hätte er tun sollen? (Die Frage wird sich – s. o. in meinem Beitrag – wieder stellen!)
Geht er eine Koalition mit der SPÖ ein, setzt sich die Spezlwirtschaft weiter fort. Auf lange Sicht hätte dies für die ÖVP Stimmenverluste bedeutet. Also ging der Koalition mit der FPÖ ein (wie weiland Schüssel). Machttaktische Erwägungen spielten dabei natürlich eine Rolle, aber auch einfach: Mathematik.
Dass in einer solchen Koalition jede Partei die eigenen Minister sozusagen benennt, hat sich inzwischen eingebürgert (ist auch in D der Fall). Dass also Figuren wie Strache und Kikl zu Ministerehren kommen, war klar. Manchmal träumen ja Kanzler davon, den Koalitionspartner durch das Mittragen unpopulärer Entscheidungen zu verzwergen (Frau Merkel war darin Spezialistin). Aber eine solche virile Gesellschaft wie die FPÖ scheitert am Ende nur (»nur«) an sich selber.
Was die Frage, wie es nach den Wahlen 2019 weitergehen soll, nicht einfacher macht.
Die Gänse- oder Entenzüchter – sofern es sie in Österreich auch gibt – interessieren sich nicht für fünf Cent über Menasses Überlegungen zum Austrofaschismus. Die müssen einfach in diesem Kapitalismus versuchen, zu überleben. Menasse bedient mit solchen Äußerungen nur seine eigene Blase. Es ist einfach unendlich langweilig (und ja, er mag ja Recht mit der fehlenden Aufarbeitung haben).
@Leopold Federmair
Gekauft, stimmt natürlich. Trotzdem ist doch oder müsste jedenfalls, wenn die Annahme dieses Grundzugs richtig ist, ein menschliches Bedürfnis nach sinnstiftender, kultureller Praxis da sein, d.h. dieses müsste gleichsam in eine individuelle Tätigkeit münden. Die kommerziellen Angebote könnten so außen vor bleiben oder »ergänzt« werden. Mit der Kommerzialisierung hat also eine Entfremdung von dieser Bedürftigkeit stattgefunden, der jedes Kind noch völlig intuitiv folgt. Ich kann den Rückzug auf eine Insel gut nachvollziehen, weil ich selbst recht zurückgezogen lebe (und man dann viel eher bei den tatsächlich wichtigen Dingen bleibt). Dennoch ist Kultur als Praxis ebenso gemeinschaftlich: Eine Bekannte meinte einmal, dass man ein Instrument spiele, um mit anderen gemeinsam zu spielen. Es ist heute ja nicht mehr so, dass keiner mehr ein Instrument spielt oder Musik »macht«, aber sich im privaten Kreis zu treffen und sich einer kulturellen Tätigkeit zu widmen scheint mir selten geworden zu sein. Das wurde weitgehend an Institutionen ausgelagert.
Zu den Verwaltungssystemen: Ich denke Sie geben sich die Antwort selbst, wenn Sie schreiben, dass Sie sich in den Programmen der Parteien nicht wiedererkennen. Das ist das, was ein technokratisches System nicht leisten können wird. Verwaltung ist ja für etwas oder jemanden da, sonst bräuchte man sie nicht. Und dieses zu spezifizieren ist die Aufgabe der Politik (der Parteien). Und diese setzt der Verwaltung in Form von Gesetzen auch Grenzen.
Noch zu Kurz, damit wir nicht zu einseitig werden: Wenn wir Christian Kern oder Heinz-Christian Strache hernehmen, dann finden wir in beiden auch eine Leere, der von Kurz nicht unähnlich, wenn auch nicht ident. Ich erinnere mich noch gut an Kerns Antrittsrede, die von etlichen Journalisten gut aufgenommen und gelobt wurde (ich fand sie schlicht durchschnittlich). Ein wenig Einseitigkeit scheint mir in der Berichterstattung da und dort schon mitzuschwingen.
@Gregor
Kurz will ja seinen Weg weitergehen, wie er sagt. Eine »Lösung« könnte also sein, dass er das nach außen verkaufen kann, aber trotzdem bestimmte Zugeständnisse macht. Interessant wird sein, wie viele Konservative er verprellt hat, ich glaube es gibt einige, die überhaupt nicht mit dem Ende der Koalition einverstanden sind.
@Gregor K.
Wenn man sich noch einmal das österr. Wahlergebnis von 2017 ansieht – Sie haben wohl recht, Gregor. Die Österreicher haben für diese Regierung votiert. Sie entspricht dem, was man als Wählerwille bezeichnet. Ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung, deutlich mehr als in Deutschland, wählt in Österreich rechtsextrem – und zwar nicht aus »Protest«.
Allerdings verhandeln Politiker vor jeder Koalitionsbildung, dabei geht es natürlich nicht nur um Personalfragen, aber beides hängt zusammen, Inhalte und Person, was man deutlich an Kickl sieht. Das Mißtrauensvotum im Mai 2019 gegen Kurz als Regierungschef haben SPÖ und FPÖ initiiert und durchgezogen. Ich habe nicht mitgekriegt (wurde in den Medien nur am Rande erwähnt?), wie sich die Grünen da verhalten haben. Auch die Neos. Arithmetisch scheint die Prognose derzeit ja einfach, Peter Jungk hat sie formuliert: ÖVP mit Grünen, die voraussichtlich wieder mehr Stimmen bekommen. Plus Neos, falls nötig oder gewünscht. Ich hab darauf hingewiesen, daß es so eine Koalition auf regionaler Ebene ja schon gab. Kurz, wie gesagt, kann eh mit allen. Und versteht es, zu schweigen, wenn ihm etwas oder jemand gegen den Strich geht, er aber nichts dagegen ausrichten kann.
@Metepsilonema
Ich fürchte, um Sinnstiftung schert sich kaum noch jemand. Ende des 20. Jahrhunderts haben Feuilleton-Journalisten verfolgt, wie anstelle der verschwundenen Religiosität und Anhänglichkeit an (politische) Ideologien Softreligionen verschiedenster Art aufgetaucht sind, Esoteriktrends (nicht selten ökologisch unterfuttert), leicht zu habende Sinnstiftungsangebote. Ich habe den Eindruck, daß sogar diese Trends mittlerweile wieder schwächer werden. Pop ja, Pop ist allgegenwärtig, Popmusik sowieso, und Jugendliche nehmen immer noch gerne mal eine E‑Gitarre zur Hand, oder ein Soundtool im Computer. Wenn ich mit meinen Bekannten in Wien rede, die viel in Konzerte und Oper gehen, höre ich regelmäßig die Klage, daß es keinen Nachwuchs mehr gibt. Das »Musikland« Österreich, das sich gern als solches verkauft, hat keinen heimischen Nachwuchs mehr. Klassische Musik hören und machen die jüngeren und mittleren Generationen in Österreich nicht mehr. Außerdem: Weltweit hat eine Gameifizierung aller Lebensbereiche eingesetzt. Nichts gegen das Spiel als eine der menschlichen Grundfähigkeiten, aber Trivialität und Sinnleere herrschen in diesem Bereich vor, den der profitorientierte Kapitalismus von Anfang an fest im Griff hatte. Ich meine Videogames, digitale Games, Sportkonsum, Glücksspiel, Wetten usw. Wenn Sie im digitalen »Kicker« einen Fußball-Spielplan ansehen, haben Sie neben jedem Spiel den Link zu einer Wettfirma. Und dazu kleingedruckt einen weiteren zu einem Ratgeber für Spielsüchtige. Kapitalismus mit menschlichem Antlitz, der sich über die Folgen seiner Geschäfte Sorgen macht.
Postdemokratie ist für mich nur ein Gedankenspiel. Früher war es für mich selbstverständlich, mich für Politik zu interessieren. Mittlerweile finde ich Politik – wie viele Menschen – zumeist langweilig, öd, ärgerlich. Ich versuche, mir eine Welt ohne Politik (as we know it) vorzustellen. Wenn Normalbürger ohne politische Zugehörigkeit zeitbegrenzt als Entscheidungsträger in öffentlichen Angelegenheiten tätig sind, werden die Dinge vielleicht besser laufen, als es jetzt der Fall ist? Ohne Hysterie, ohne »Empörung«, ohne eingeschliffene Rhetorik, ohne Werbefritzen, ohne Fernsehspots und Plakaten mit fotogeshopten Konterfeis. Ohne Machtspiele. Und ohne Volk, ja. Je ernsthafter und konkreter man darüber nachdenkt, desto mehr wird man sich zu Kontroll- und anderen institutionellen Mechanismen überlegen müssen. Es gibt ja Vordenker, John Burnheim, Van Reybrouck...
Ich habe kürzlich ein Buch von Byung-Chul Han gelesen, in dem er vehement das bestehende »neoliberale Regime« (wie er den Kapitalismus nennt) angreift und das Verschwinden von Gemeinschaftlichkeit beklagt (das ist der falsche Ausdruck, aber lassen wir ihn mal so stehen). Vordergründig geht es ihm um Rituale bzw. deren Verdrängung aus der Lebenswirklichkeit, was wiederum gewollt zu sein scheint. Einen Text zu diesem Buch werde ich hoffentlich noch zustande bringen.
Hans These lautet verkürzt: Rituale stiften Gemeinschaft; Gemeinsamkeit. Die sogenannten sozialen Netzwerke stiften dies nicht; können dies nicht. Es handelt sich um Scheingemeinschaften. Auch so etwas wie Fußball oder andere Sportarten stiften keine Gemeinschaft, sondern sind nur Erlebnisse einer je auf das Individuum ausgerichteten Masse. Darüber könnte man sehr gut diskutieren. Ich sehe das so einfach nicht. Denn die Sinnstiftungsangebote, die Leopold Federmair beklagt, finden sich sehr wohl in Twitter und auf Facebook. Sogar das, was man gemeinhin als »Hasskommentare« bezeichnet stiftet »Sinn« (vielleicht eher »Unsinn«). Die virtuelle »Community« ist das neue Sinnstiftungsangebot. Obwohl es nicht mit dem »real life« vergleichbar ist, bietet es so etwas wie Orientierung – und zwar in alle Richtungen.
Ich behaupte nicht, dass das Virtuelle mit der »realen« Gesellschaft oder Gemeinschaft identisch ist – das ist es nicht. Es ist eine Verlagerung. Etwa so, wie man nicht mehr ins Theater geht, sondern Serien auf Netflix oder sonstwo schaut. Die Folgen dieser »Verlagerung« empfinden wir derzeit als große Zumutung, als Unordnung. Sie sind auch gefährlich, denn ohne soziale Netzwerke – so meine These – wären populistische Parteien nicht so erfolgreich. Wir, die mit solchen Auswüchsen nicht aufgewachsen sind, ziehen uns zurück. Die anderen stürzen sich hinein.
@Leopold Federmair
Noch kurz zum sogenannten Wählerwillen. Das ist ja eine beliebte Floskel in der politischen Berichterstattung: Das Volk hätte für diese oder jene Koalition gestimmt. Das trifft allerdings zumeist nicht zu. In meinem oben erwähnten Beispiel – bei der Bundestagswahl 1980 – und auch bei den Wahlen 1972 und 1976 konnte man noch taktisch wählen. Es gab drei Parteien (eigentlich vier, aber lassen wir das einmal weg). Im Vorfeld waren die Konstellationen geklärt: Die SPD ging mit der FDP in eine Koalition – die Unionsparteien mussten die absolute Mehrheit gewinnen, um dem etwas entgegenzusetzen. Der einige Knackpunkt war die sogenannte 5%-Hürde (in Österreich sind es, glaube ich, 4%). Würde die FDP als designierter Koalitionspartner der SPD bei 4,9% bleiben, hätten CDU/CSU die Wahl gewonnen. Daher konnte man FDP wählen – nicht unbedingt, weil man von ihr überzeugt war, sondern weil es das Überleben einer Koalition gewährleistete, die man haben wollte.
Diese Übersichtlichkeiten sind in dem Maße verloren gegangen, wie die sogenannten Volksparteien Wähler an Klientelparteien verlieren. Hinzu kommt im Fall von Österreich, dass drei Parteien praktisch gleichauf liegen. Dass die Partei mit den meisten Stimmen die Koalitionsverhandlungen beginnt und Anspruch auf den Kanzler erhebt, ist logisch und auch (s. o.) demokratischer Brauch. Aber zementiert ist das nicht (siehe Deutschland 1969). Mathematisch wäre eine Koalition zwischen ÖVP und SPÖ logischer gewesen. Aber genau das wollte man nicht. Eine Dreierkoalition mit NEOS und Pilz wäre für keine der drei arithmetisch möglich gewesen. 2013 war es nicht zuletzt durch die Stronach-Partei noch unübersichtlicher.
Der Wähler konnte diese Konstellation ahnen – aber dies zu »wissen« war unmöglich. Es gibt also in diesem Sinne keinen »Wählerwillen«, es sei denn man nimmt schon die Entscheidung für die ÖVP für den stillschweigenden Freibrief mit der FPÖ zu regieren. In Deutschland zeichnen sich demnächst mindestens auf Länderebene ähnliche Verhältnisse ab.
Inzwischen zeichnet sich immer mehr die gefühlte (und tatsächliche) Ohnmacht des sogenannten Wählers ab, mit seiner Stimme nichts ändern zu können. In einigen deutschen Bundesländern ist dies seit Jahren der Fall. Regierungsparteien (egal, welcher Farbe) verlieren an Zustimmung, stellen aber weiter den Regierungschef in dem die bestehende Koalition einfach durch einen dritten »Partner« ergänzt wird. Oder, wenn der bisherige Koalitionspartner nicht mehr genügend Stimmen bekommen hat, wird er halt gewechselt. Wozu soll man wählen, wenn sich nichts ändert?
@ Leopold Federmair u. Gregor Keuschnig u. die_kalte_Sophie
Es geht ums Ganze, ok.
Die Demokratie zu revidieren Richtung Singapur ist in meinen Augen interessant als emotionaler Wasserstandsmelder: Die hiesigen Verhältnisse erscheinen mit zuviel Emotion aufgeladen und verglichen mit dieser emotionalen Überladung mit zuwenig – Funktionalität (cf. Niklas Luhmann – eiskalt!). – Das ist die schöne, menschliche Seite des Jospehinismus. Ok. Byung Chul Han, Sloterdijks andere große Enttäuschung, wenn ich recht sehe, tummelt sich mit einigem publizistischen Erfolg auf diesem Gebiet der Gefühls-Kultivierung. Vieles von dem, was ich auf der esoterischen Ebene als sinnvoll nachvollziehen kann, gehört ebenfalls auf diese Ebene. Man soll das nicht gering achten, wenn Menschen für sich entdecken, wie sie ihre Gefühle (und ihre Körper!) besser zu kultivieren vermögen.
Ähnliches gilt auch für gemeinschaftsstiftende Rituale. Soweit folge ich.
Das heißt mit Blick auf die Politik, dass viele Menschen auch via Politik etwas anstrebten, das es da gar nicht (oft: zuallerletzt) zu finden gibt. Auch diese Diagnose leuchtet mir ein (cf. Peter Schneider über »68«: »Rebellion und Wahn«).
Das ist der Punkt, den Habermas konzediert mit Blick auf gemeinschaftsstiftende »Rituale« – und auf die Religion. Dass die poltische Öffentlichkeit kein Identitätsquell schlechthin ist – dass man also dort mit seiner existentiellen Not nicht unbedingt gut aufgehoben ist. Das genau ist – wenn ich recht sehe – das entscheidende biographische Movens bei Habermas gewesen, zu sagen: Die moderne Welt braucht nicht notwendig die Befreiung von Ritualen, z. b. – Seit er dieser Einsicht Platz eingeräumt hat, bezeichnet sich Habermas selber als postsäkularen Denker. Das klingt ein wenig unscheinbar, meint aber tatsächlich, dass er nicht weiter der Ansicht ist wie auch schon, Aufklärung und Vernunft müssten (!) das Verschwinden der Religion zu Folge haben bzw. umgekehrt: Religion sei nicht vermittelbar mit aufklärerischem und vernünftigen Denken. Doch sagt er jetzt, doch doch (im Herbst folgt mehr dazu (1700 Seiten mehr in »Auch eine Geschichte der Philosophie« über die Co-Evolution von – - – Religion und Philosophie seit dem römischen Kaiserreich)) – wer nicht solange warten will, kann es mit »Zwischen Naturalismus und Religion« versuchen (ganz profundes Buch, wie ich finde).
Ahh, den Samstag habe ich auf einer kleinen Feier in der Provinz verbracht – und die Hälfte der Festgesellschaft bestand aus – - – musikalisch ganz anstelligen jungen Leuten (Chello, Klavier, Gesang usw. (ein Jungorganist, der mich zum Kauf einer Messiaen-CD anstiftete – ich bin gespannt!) – Es ist nicht alles schlecht, hinieden. – Ah ja, der Jungorganist bekannte gesprächshalber, doch doch er sei schon gläubig, katholisch sogar – es war ihm etwas peinlich, aber er hatte Vertrauen zu mir gefasst (keine leichte Übung! – ein Gelegenheitsgedicht meinerseits auf die zuvor von den jungen Leuten gespielten »Lieder ohne Worte« hat dazu beigetragen).
Ich mache einen Sprung und sage das noch an die_kalte_Sophie:
»Es wächst der Staat jenseits demokratischer Verfügungsgewalt am allerbesten. Es gilt als unschicklich, dies zu behaupten, wenn es um Europa geht. Aber genau dort ist es am leichtesten erkennbar. Zur Gesetzgebung gehört die Möglichkeit der Revision, um mal ganz deutlich von der moderaten Forderung der Subsidiarität abzugehen.«
Schon richtig. Aber doch eine Anmerkung: Subsidiarität ist gar nicht moderat. Die ist das Lebenselexier des kulturell so reichen Europa. Die Preisgabe dieses Prinzips im Namen der Anywheres ist eine der Ursachen schlechthin für meine (und – jadoch: – - – Enzensbergers) Forderung nach einem Rückbau der hypertrophen EU.
Ich habe schludrig formuliert, sollte heißen: um die moderate Forderung nach Subsidiarität einmal zu übertreffen... Eine belastbare Subsidiarität wäre ja schon mal ein Anfang. Die Revision einer geltenden Gesetzgebung ist weitere demokratie-theoretische Forderung. Die Revision sprich Abschaffung oder Neuformulierung muss einer Willenbildung offen stehen sein. Das kriege ich aber nicht über das schwache Parlament. Klarer Systemfehler: Parlament und Regierung sind entkoppelt. Gesetz bleibt Gesetz, wenn erst einmal erlassen.
(@Gregor) Han’s Buch unbedingt besprechen. Sehr relevant hinsichtlich der subtilen Frage der »falschen Sinnsuche« in der kapitalistischen Gesellschaft.
Rituale sind für demokratische Gemeinschaften kaum verfügbar. Der Begriff verweist auf die Religion. Glaube und Zugehörigkeit können nicht einfach umgebucht oder rübergepumpt werden, wie eine Währung oder ein Treibstoff. Das hat Habermas vermutlich gemerkt. Darüber muss sehr ernsthaft nachgedacht werden, denn da liegt der Hase im Pfeffer.
Das wäre ja noch schöner: die Religion wird allmählich altersschwach, und die »Demokratie« deckt sukzessive alle säkular-äquivalenten Bedürfnisse ab. Man könnte sich also wahlweise bedienen.
Heute werden Religion und Demokratie gleichzeitig schwach! Was lehrt uns das?!?!
die_kalte_Sophie
Das Subsidiaritätsprinzip war nie etwas anderes als eine bewusst ungenaue, exakt EU-bürokratische Formulierung mit der sich die EU die diversen Widersprüche in ihren Richtlinien selber erklärt.
Der von Ihnen genannte »Systemfehler« trifft in einem Satz ins Schwarze. Es wurde ein EU-Parlament implementiert, dass wenig bis nichts zu sagen hat. Das beste Beispiel ist die aktuelle Lage zur Findung des EU-Kommissionspräsidenten. Bei den »Schicksalswahlen« zum EU-Parlament vor vier Wochen wurde noch der Spitzenkandidaten gedacht. tatsächlich war dies nie festgeschrieben – wie sich jetzt zeigt. Die Regierungschefs bestimmen natürlich nach wie vor über den Posten. Somit wird jemand EU-KP, der sicherlich nicht auf den Zetteln zur Wahl stand. Das Parlament kann nur zustimmen – oder Eklats produzieren. Wer will das eigentlich noch?
Tatsächlich sind Rituale in demokratischen Gesellschaften nicht zu finden – zumal wenn sie säkular sind. Die Religion bietet sich da an, aber Han findet noch andere Felder, die sehr überraschend sind.
Vielleicht verschieben wir die Diskussion über Sinnstiftung, Rituale, SM etc. auf die Zeit, nachdem Gregors Besprechung des Han-Buchs erschienen ist. Ich für meinen Teil nehme mir vor, das Buch möglichst frühzeitig zu lesen.
@Gregor K.
Der österreichische Philosoph Rudolf Burger sagte vor Jahren einmal, es könne kein kollektives Geschichtsbewußtsein geben. Erinnern könne man nur, was man selbst erlebt habe (also individuell). Daran ist etwas, und in diesem Sinn läßt sich auch der »Wählerwille« grundsätzlich in Frage stellen. Trotzdem, wir sind eben durch Medien, Erziehung, Überlieferung, Papa und Mama, Oma und Opa geprägt, also auch unser Individualismus ist ein Stück weit Illusion. Statt Wählerwille kann man Trends sagen, Wählerströme u. dgl. Es zeigen sich natürlich Muster, Mehrheiten und Minderheiten und Verhältnisse nicht nur auf politischer Ebene, sondern in dem, wie die Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt »tickt«. Und beim Blick auf das österr. Wahlergebnis von 2017 darf man erstens nicht vergessen, worauf Sie, Gregor, oft hinweisen: Große Koalitionen wie die in Österr. und Deutschland haben sich in den letzten Jahren erschöpft, das ist ein Grund für den Niedergang der alten Volksparteien. Und zweitens: ÖVP und FPÖ hatten gemeinsam einen Stimmenzuwachs von 13 Prozent, FP über fünf, VP über sieben. Das heißt, die Bewegung, das »Denken«, die Einstellungen der Leute gingen in diese Richtung. Die SPÖ stagnierte zu diesem Zeitpunkt, die Grünen waren aus dem Parlament gefallen. Mit Pilz wäre eine Koalition undenkbar gewesen, das lag und liegt außerhalb der Vorhaben dieser Gruppe (vor allem ihres Chefs). Die Neos kann ich bis heute nicht recht ernst nehmen, offen gestanden; zu ihnen habe ich keine Meinung. Früher gab es Bemühungen, aus der FPÖ eine liberale Partei (im klassischen Sinn) zu machen (Heide Schmidt...). Das fand ich noch interessant, es gab zwei Flügel, den (deutsch)nationalen und den liberalen. Das ist »gegessen«, die FPÖ bleibt für die nächsten tausend Jahre rechtsextrem. Cheers!
@Leopold Federmair
In allen Punkten d’accord.
Interessant ist ja, dass die »liberalen« Parteien in der Tendenz eher ins nationale Lager tendieren. Die FPÖ ist jetzt ungefähr das, was die deutsche FDP nach dem Krieg in den 1950er Jahren war und bis hinein in die sogenannte sozial-liberale Koalition 1969 Raum und Stimme hatte. Erst da absentierte sich der deutsch-nationale Flügel der FDP. Er ging entweder in die Union oder resignierte.
Die NEOS erscheinen mir hingegen jenseits nationalistischer Impulse zu sein. Sie treten – so scheint es mir – für Multilateralismus ein, der für ihre wirtschaftsliberalen Ziele Wachstum verspricht. Es wäre schon interessant, wie sich eine solche Partei in Regierungsverantwortung zeigt.
@Gregor
Die Neos sind völlig frei von Deutschnationalem, das ist auch eine ganz andere Generation, eher junge Leute, mit Verbindungen zur »Wirtschaft«. In den Siebzigern, der Kreisky-Zeit, haben einige Leute versucht, eine liberale FPÖ zu formen. Was Sie als Deutscher vielleicht nicht wissen: Die FPÖ wurde 1955 als Sammelbecken für Alt- und Immernoch-Nazis gegründet. Das ist ein offenes Geheimnis, keine Interpretation. Und möglich war das vermutlich nur, weil Österreich als Land sich nach dem Krieg als Opfer darstellte und den Austrofaschismus unter den Teppich des Schweigens kehrte (Menasses Steckenpferd). Ich glaube, es gab von Anfang an einen (schwächeren) wirtschaftsliberalen Flügel, dem mein Vater angehörte. Als Kleingewerbetreibender, sagte er, könne nur das seine Partei sein. Als dann Haider kam, war er trotzdem froh. Einfach wegen des Erfolgs. Populismus halt. Zu Haßtiraden gegen wen auch immer hätte er sich aber nie verstiegen.
Der letzte Satz ist interessant. Danke.
Ein Liberalismus ohne staatlichen Ankerpunkt (=national) ist ein Hirngespinst. Darum kreist so manche akademische Debatte. Aber selbst in der Theorie kann man den Liberalismus nicht zur universellen Philosophie aufblasen.
Tatsächlich ist sich die politisch aktive Fraktion nicht immer so ganz darüber im klaren. Und seit die hybride Version des »Linksliberalismus« in Umlauf ist, schwanken berufene und unberufene Geister noch mehr als früher. Mit einigem Recht können Parteien wie die FPÖ die sog. freiheitliche Doktrin für sich in Anspruch nehmen, aber ebenso gut können Toleranz und Zivilität im Gegenzug abgefordert werden.
Noch zur Subsidiarität. Der Einführungstext (auf https://eur-lex.europa.eu) erklärt das schwache Subsidiaritätsprinzip. Es geht um Konsulation, und das Recht der Parlamente, vor dem EuGH zu klagen.
Diese Klagen oder das Vetorecht wurden von deutscher Seite noch nie benutzt. Der Grund ist ganz einfach: moralischer Druck (Anti-Europäer-Vorwurf!), und schlichtweg Faulheit der Parlamente.
Das ist ein Hauch von nichts, dieses Prinzip nach Artikel 5, mit dem Zweck, »die Union ihren Bürgern näher zu bringen«.
Eine starke Version wäre die erweiterte Zustimmungspflicht für Parlamente, und ein nationales opt-out-Verfahren, das dem deutschen Vermittlungsausschuss gleich kommt. Ein nationales Parlament könnte sich darin eine Änderungsklausel oder die Eigenregelung erstreiten... Und erst anschließend, wenn das scheitert, kann der Klageweg beim EuGH beschritten werden. Und keine Trittbrett-Fahrerei: was ein Land erstreitet, gilt nicht für den Nachbarn.
Wichtig ist die Aktivierung der nationalen Parlamente (die Gesetzgebungspflicht zu Richtlinien und Verordnungen), ansonsten geht das EU-Bashing vorallem in Südeuropa munter weiter. Man kann ja nichts dagegen tun... Heuchelei abstellen, wäre so einfach, wenn diese Option auf dem Tisch liegt.
Ein Parlament kann zustimmen, oder in den Organstreit eintreten. Ganz einfach.
@die_kalte_Sophie zur Subsidiarität
Ihr Kommentar zeigt auf subtile Weise das Dilemma der EU. Eine stärkere Rolle des Parlaments gegenüber den Nationalstaaten müsste ja von denen beschlossen werden, die dann Kompetenzen an das EU-Parlament abgeben. Daran haben aber streng genommen selbst die enthusiastischsten »Europäer« (Deutschland aber auch Frankreich) gar kein Interesse. Sie würden es nur akzeptieren, wenn ihr Einflussbereich dadurch nicht eingeengt würde. Und ehrlich gesagt wäre die Alternative, sich immer mehr in die Hand des EuGH zu begeben nicht unbedingt wünschenswert. Bereits jetzt beeindrucken deren Urteile durch Weltfremdheit; sie sind natürlich darauf aus, ihren Einfluss (insbesondere auf das deutsche Bundesverfassungsgericht) zu stärken. Einige Urteile sind Machtdemonstrationen gegen nationale Verfassungsgerichtshöfe.
Das aktuelle Herumgeeiere um den Kommissionspräsidenten, d. h. vor allem Macrons Spielchen (die keine sind – das Mehrheitsprinzip bei den EU-Wahlen hatte er nie akzeptiert) treiben zusätzlich den EU-Gegnern Sympathisanten zu. Inwieweit so etwas auch noch Einfluss auf die österreichischen Wahlen hat, bleibt abzuwarten.
@Leopold Federmair #40
Es wäre reizvoll, einmal den Zusammenhang bzw. die Unterschiede zwischen der menschlichen Befähigung zum Spiel und dem was Sie als Gamefizierung bezeichnen, herauszuarbeiten. — Ich hege durchaus Sympathie für diese Art der Gedankenspiele, auch wenn ich sie nicht postdemokratisch nennen würde, zumal ich bei mir selbst eine Entfremdung bzw. ein nicht mehr Zurückkehren zum Politischen, wenn ich wieder Zeit dafür habe, bemerke. — Ich dachte bislang immer, dass eher das Publikum irgendwann ausbleiben würde, als der professionelle Nachwuchs. Ich meine eher einen Schwund an (guten) »Laienspielern« zu bemerken (aber das ist mehr gefühlt, als belegt).
@Dieter Kief, #43
Ich breite das jetzt nicht länger aus, weil es – wie Leopold Federmair richtig anmerkt – besser zur Besprechung von Hans Buch passt, daher nur soviel: Emotionen fluktuieren deshalb »durch das System«, weil der Funktionalismus sich überall hin ausgebreitet hat, wir brauchen weniger nicht mehr. Zu funktionieren, bedeutet nachgerade keine emotional stabilen Bindungen mehr aufzubauen, die natürlich etwas wie Sand im Getriebe sind, weil Bindungen (ein Stück weit) unverfügbar machen (Bildung ist auch deshalb vor allem eins: Hinderlich). Und davon profitiert der Populismus, der es versteht, diese Emotionen (besser: Affekte) an sich zu binden.
@Leopold Federmair
Ich weiß, Sie meinen es nicht so, aber ich empfinde die Bemerkung, dass die FPÖ ein Sammelbecken für Altnazis war, beinahe als Geschichtsklitterung. Immerhin haben Herbert Kraus und Viktor Reimann den VdU gegründet, um diese Altnazis in die Republik zu integrieren (und Kraus hatte damals schon die Problematik der »Republiksaufteilung« durch zwei Parteien, SPÖ und ÖVP, verstanden). Aus dem VdU (oder einem Teil von ihm) entstand dann die FPÖ. Diese ganze Vorgeschichte, inklusive der sehr interessanten Person Herbert Kraus fällt dann unter den Tisch, weil man so schön zeigen kann, dass in der FPÖ eh immer schon Nazis waren. Eine gute Dokumentation dazu, dort.
Noch etwas Liberalismus und Nationalismus: Auch historisch betrachtet, waren die beiden etwa für einen Abgeordneten in der Paulskirche wohl kein Widerspruch.
Der EuGH wird weiterhin seiner Rolle als Kommissions-Legitimierungsorgan gerecht. Das war in den Siebziger Jahren in Ordnung, inzwischen muss man Vorbehalte haben.
Die Sache mit der Machtaufteilung: Völlig richtig, es gibt ein diffuses Machtbegehren namens »Europa«, das keinerlei Intelligenz hinsichtlich der Staatslehre aufweist. Macht muss organisiert werden, und alle Checks-and-Balances müssen eingerichtet werden. Dazu sind Politiker oft sehr schlecht in der Lage. Sie akkumulieren gerne...
Die jetzige Generation versemmelt die Institutionen. Wie Sie sagen, Gregor: Das Parlament stärken... Und wer muss abgeben?! Auf wunderbare Weise sollen Wein und Brot vermehrt werden.
Deutschland hat eine gebrochene Tradition des Liberalismus. Im 19. Jahrhundert war die Symbiose vollkommen klar. Dann haben die Wilhelminer und die Nazis alles verwüstet, und man konnte sich nur noch über alle verfügbaren »moralischen Axiome« der Menschheit legitimieren.
Dahrendorf hat in den Neunzigern die nächste Krise annonciert: die Globalisierung. Es würde schwer fallen, dachte er, die Nationen von der Effizienz des Wettbewerbs untereinander zu überzeugen.
Es ist so wie immer: jemand muss sich hinstellen, und die schlechten Nachrichten verteidigen. Ohne Überzeugung kein Fortschritt!
Stattdessen wird die Globalisierung als Schicksal dargestellt bzw. gerne auch angeklagt. Das ist viel einfacher, weil man sich auf die Behauptung »unverfügbarer Mächte« zurückziehen kann: Zeitumstände, Moden, Ideologien, etc.
Weiß man, was diese rhetorischen Tricks in Bevölkerungen anrichten?! Auf subtile Art und Weise spielt man immer noch »Schicksal« in der Politik (ein Spiel im weitesten Sinne, aber definitiv ein Spiel). Und dafür zahlt man immer einen Preis, denn die Auflehnung gegen das Schicksal ist ebenso alt wie diese Tricks!
Ein bißchen Aktualisierung, um die Runde der Antworten auf die Ausgangsfrage (welche politischen Perspektiven für Österreich?) zu komplettieren: Kurz hat inzwischen eine Minderheitsregierung (ÖVP) angedacht. Vermutlich erwartet er sich davon, seine Popularität noch einmal zu steigern. Allerdings erheben sich da gleich Befürchtungen, so etwas wäre nur ein Deckmantel für einen autoritären Stil à la Orban-Ungarn.
die_kalte_sophie
Immerhin hat Ulrich Beck, der politisch mit Dahrendorf schwer vereinbar war, versucht, die »Globalisierung« fruchtbar zu machen, in dem er eine Art von Weltregierung propagierte. Das mag utopisch klingen und womöglich auch nicht wünschenswert sein, aber eine bessere Möglichkeit, den Tiger zu bändigen, habe ich bisher nicht gefunden.
In der Tat ist »Nationalismus« spätestens nach 1945 zu recht in Verruf geraten. Der Liberalismus à la Dahrendorf sollte eine adäquate Position möglich machen. Zwischenzeitlich wurden Krücken wie »Verfassungspatriotismus« erfunden, die aus zu dünnem Holz geschnitzt sind, um den Nationalismus auf den Kopf zu schlagen.
Leopold Federmair
Bei der endlos langen Regierungsfindung in Deutschland wurde, nachdem Union/FDP und Grüne (»Jamaika«) gescheitert war, auch über eine Union/Grüne-Minderheitsregierung nachgedacht. Der Berliner Journalismus fand das »spannend« – was klar ist, denn eine solche Minderheitsregierung wäre ein gefundenes Fressen für Medien. Merkel hatte das für sich immer ausgeschlossen, weil sie nicht auf die Gnade anderer Parteien bzw. derer Abgeordneten angewiesen sein wollte.
Eine Minderheitsregierung kann nie autoritär sein (Orban regiert mit absoluten Mehrheiten). Sie »funktioniert«, wie sich in manchen skandinavischen Ländern zeigt, meist ganz gut, wenn es nur um reine Verwaltungsakte geht. Für grössere politische Veränderungen taugt sie nicht. Im übrigen ist es ja nicht verboten, wenn Politiker in Wahlkämpfen versuchen, ihre Popularität zu steigern.
Wie werden in Österreich Minderheitsregierungen installiert?! Muss sich der Kanzler wie in Deutschland ggfs. drei Abstimmungen stellen, an deren Ende die einfache Mehrheit eines Kandidaten in der Stichwahl reicht?!
Die Bildung einer MR ist in D vollständig dem Ratschluss des Bundespräsidenten anheim gestellt.
Minderheitsregierungen können eine politische Ordnungswirkung entfalten, gerade gegen den Zwang zur Großen Koalition. Sie bieten auch der Opposition eine Chance zu konsolidieren. Sie sind keine Vorstufe des Zerfalls (und Vorzeichen einer künftigen Diktatur), sondern Stand-by-Perioden. Die große Politik muss warten. Hausaufgaben-Zeit.
Kurz kann die Gunst der Stunde nutzen. Siehe Umfragen. 35% sind eine solide Basis. Außerdem geht er geschickt einer Koalitionsaussage aus dem Weg. Tja, ich fürchte, seine Gegner sind sich immer noch nicht über seine Fähigkeiten im klaren.
@Metepsilonema
Der Film über Kraus und die FPÖ ist interessant, bestätigt aber nur die Sichtweise, daß der VdU und danach die FPÖ vor allem (nicht ausschließlich) Sammelbecken für Altnazis waren. Sieht man den Film, wächst vielleicht das Verständnis für diese Initiative. Es ist klar, daß man einen Bevölkerungsanteil von 600.000 Menschen, das werden an die 10 Prozent gewesen sein damals, nicht pauschal ins Abseits stellen kann. Die Nazis waren nun mal da. Ihre Zusammenfassung im Lager in Glasenbach war wohl eine ziemlich gedankenlose Art, mit ihnen »fertigzuwerden«. Vielleicht spielten sogar humanitäre Erwägungen eine Rolle, aber: Die Partei, die diese Leute (Reimann, Kraus u. a.) beerbt hat, also die FPÖ, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, von Anfang an Schlupfwinkel für Rechtsextreme gewesen zu sein.
Was die beiden von Ihnen genannten Galionsfiguren betrifft, muß ich, soweit ich mir halt ein Bild von ihnen machen kann, sagen: Ich finde sie durchaus nicht beeindruckend. Viktor Reimann ist mir noch als erzkonservativer Kulturjournalist der Kronenzeitung bekannt. Seine Serie über Juden in Österreich in der Kronenzeitung (70er Jahre) dürfte ziemlich ambivalent gewesen zu sein, Anton Pelinka meint sogar: latent antisemitisch. Als junger Mann war Reimann eine Zeitlang illegales NSdAP-Mitglied in Österreich. Später war er dann gegen die Nazis – warum, weiß ich nicht genau, eher wohl aus österreichisch-nationalen Gründen, vielleicht aus Habsburger-Nostalgie, nicht so sehr aus politischen Gründen.
Und Herbert Kraus: Der 1962 geborene Historiker Michael Gehler sagt, er würde »zögern, ihn als Nazi zu bezeichnen«. Es fällt schon auf, daß er nicht direkt sagt: Der Mann war kein Nazi. Hören Sie sich vielleicht noch einmal an, was der alte Kraus selbst bei Minute 12:48 zirka sagt: Weil er in der NS-Zeit unangepaßt war (aber durchaus kein Regimegegner, füge ich hinzu), habe er nach dem Krieg »den anderen helfen können, den...« Genau an dieser Stelle stockt er, bricht den Satz ab, redet weiter, ohne ihn beendet zu haben. Man versteht, welches das fehlende Wort ist: »Nazis«.
@Sophie
Ja, Kurz begründet das in etwa so, wie Sie es vermuten. https://derstandard.at/2000105504042/Kurz-will-keine-Regierung-mit-Kickl (kurzer Artikel, keine Angst!) Natürlich müßte er sich immer wieder Abstimmungen im Parlament stellen und fallweise, wahrscheinlich wechselnde Mehrheiten basteln.
@Gregor K.
Klar, zumindest theoretisch ist eine Minderheitsregierung stärker vom Parlament abhängig als eine Mehrheitsregierung (gar einer einzelnen Partei). Was manche halt vermuten, ist, daß sich Kurz auf allen zu Gebote stehenden Wegen immer mehr selbst in Szene setzen will, mit dem Endziel Alleinherrschaft, wie er ja auch die ganze ÖVP sehr auf eine dienende Funktion gegenüber seiner Person hingetrimmt hat. Ob das eine berechtigte Befürchtung ist, weiß ich nicht, bin zu weit vom Schuß, um hier urteilen zu können.
@die_kalte_Sophie und @Leopold Federmair
Das eine Minderheitsregierung Im Bund in D Sache des Bundespräsidenten ist, wäre mir neu. Bisher (außer 2017) war es so, dass der Bundespräsident die Koalitionsverhandlungen abwartet und dann – formal – den Kanzler/die Kanzlerin dem Parlament vorschlägt. Bisher kam es dabei immer zur Mehrheit. Würde dies nicht eintreten, dann steht es dem Bundestag frei, andere Kandidaten zu wählen. Der Bundespräsident tritt nur auf den Plan, wenn ein Kanzler in der Vertrauensfrage »verliert«.
Im Bund ist es wider Erwarten durchaus zu allerdings kurzen Minderheitsregierungen gekommen. In den Ländern schon weit häufiger. Beim Bund ist dies m. E. schwierig, weil es vor allem die Europa- und Außenpolitik unberechenbar macht. Zudem lässt sich auf lange Sicht das Wohlwollen einer nicht direkt an der Regierung beteiligten Partei nicht ohne Gegenleistung erringen.
Aktuellen Prognosen zufolge käme die ÖVP derzeit auf rund 38%. Rechnet man 2% für »Sonstige« und weitere 2% für »Jetzt« heraus, könnte man damit rd. 40% der Mandate erreichen. Das wäre eine gut Basis. Ich weiß jetzt nicht ob das, was man in Deutschland »Fraktionszwang« nennt (und was es offiziell gar nicht geben darf) in Österreich ähnlich straff gehandhabt wird.
@metepsilonema
Den Film über die FPÖ schaue ich mir später an. Danke hierfür.
In D gab es nach dem Krieg neben der später verbotenen, offen nazistischen SRP und dem anfangs sehr starken nationalen Flügel der FDP eine Partei mit dem pathetischen Namen »Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten« (BHE). Hier waren etliche ehemaligen Nazis zu finden. Was Adenauer nicht davon abhielt mit der Partei, als es 1953 mit FDP (und der angeschlossenen DP) keine Mehrheit gab, den BHE in die Koalition zu holen. Etliche BHE-Leute gingen zur CDU. 1957 blieben sie dann unter 5%; 1961 löste sich die Partei auf.
@Leopold Federmair
Ab Minute 11:30 sagte Kraus folgendes: »Ich habe in der Nazizeit Partei ergriffen für die Tschechen und die Ukrainer und bei den Ukrainern wo ich den Gauleiter Koch offen angegriffen habe äh ist es mir schlecht gegangen, da bin ich vors Kriegsgericht gekommen. Deswegen habe ich danach den anderen helfen können denn im Jahr 45 hat es geheißen das ist ein Antinazi, der darf alles. »Und dann ab 14:40: »Der VdU war eine Hilfsorganisation in großer Not. Er war nicht die Gründung einer neuen Ideologie, war auch nicht die Fortsetzung einer alten Ideologie. Er ist denen zu Hilfe gekommen, die im Jahr, nach dem Jahr 1945 unter die Räder gekommen sind.« Das sind die einzigen Stellen, die mir in Erinnerung geblieben sind, wenn Sie eine andere meinen, dann bitte ich um eine korrekte Zeitangabe.
Es ist ein Unterschied, ob man sagt, eine Partei war immer schon ein Sammelbecken für Altnazis oder ob man festhält, dass sie sich aus einer entwickelt hat, die sich um deren Integration in die Republik bemüht hat (wenn dieses Unterfangen redlich gemeint war und es scheint mir so zu sein, dann ist dafür unerheblich, ob Kraus Sympathien für diese Leute hegte; ich sehe dafür aber keine Indizien). Ich schrieb oben, das ich Kraus (nicht Reimann) deswegen als sehr interessante Person empfinde, immerhin: Ein Weltkrieg ist zu Ende, ein grausames Regime, die zweite Republik entsteht aus den Trümmern und jemand sorgt sich um ein gesamtgesellschaftliches Fundament...
@Gregor
Der Fraktionszwang ist auch bei uns installiert, ein Ausscheren kommt selten vor.
@ die_kalte_Sophie u Gregor Keuschnig wg. Zähmung des Globalisierungstigers (Ulrich Beck u. Ralf Dahrendorf) u. Q metepsilonema wg. Kraus
Der Universalismus Habermasscher Prägung, dem auch Ulrich Beck nachstrebte, kulminiert in seiner Forderung nach einer demokratisch legitimierten Weltregierung, das ist wahr.
Ralf Dahrendorf war im Gegensatz zu den idealistisch hochfliegenden Beck und Habermas ein im Grunde lokal denkender Mensch (er behielt stets seinen Wohnsitz im Hochschwarzwald-Städtchen Bonndorf bei – wo immer er gerade beruflich zu tun hatte). Stets lobte er die Schweiz, die er von Bonndorf aus sehen konnte – und Großbritannien. Außerdem hatte er einen gut entwickelten Sinn für die Scheinheiligkeit, die darin liegt, Populisten anzuprangern – er hatte eine sehr schöne und elgante Abwehrformel gegen die Selbstgerechtigkeit, die solchen Attacken häufig zugrunde liegt.
Selbstredend hatte Dahrendorf auch große Sympathien für das Lob des Nationalstaats – und für den exzellenten Oxforder Ideengeschichtler und anti-totalitären Nationalstaatsverteidiger Isaiah Berlin. Ein Mann, dessen Werk aus naheliegenden Gründen plötzlich kaum mehr rezipiert wird – und wenn, dann um haargenau Berlins Verteidigung ja Lob (!) des Nationalstaats alteuropäischer Prägung bereinigt.
@ metepsilonema:
Was Sie sagen über Kraus leuchtet mir ein – und es scheint mir einen bedeutenden Unterschied zu markieren. Ich musste bei Ihrer Schilderung dieser Umstände an Henscheid und Enzensberger und Habermas denken, die wiederholt mit (!) Kohl die jungen Linken BRD-»Antifaschisten« dafür kritisierten, dass diese gegenüber den in die Nazizeit persönlich verstrickten Menschen eine Position einnahmen, die unempfindlich für ihr eigenes »moral luck« (= »die Gnade der späten Geburt«) war – und die deshalb oft sehr hochmütig urteilten.
Habermas Gedankenexpriment lautete ganz kurz so: Keiner (!) von den Nachgeborenen kann mit Sicherheit sagen, wie er persönlich sich damals verhalten hätte. Daher sei Besonnenheit und Fairness in der Beurteilung der wie auch immer belasteten Altvorderen durch die Jüngeren ein humanitäres Gebot.
@Metepsilonema
Entschuldigung, die Stelle ist 11:48 (bis 11:50). Sie erinnern das sehr gut, wir beide haben durchaus denselben Film gesehen. Ich bitte nur, auf dieses eine Detail zu achten. Kraus sagt hier wörtlich »deshalb hab ich nach dem Krieg den anderen helfen können, den...« Nach dem Artikel Nachdenkpause, er führt den Satz nicht zu Ende. Das fehlende Wort ist »Nazis«. Daß er es ausspart, ist bezeichnend für die ganze Situation, nicht nur für Kraus, sondern auch dafür, daß es verpönt war, sich mit ehemaligen Parteimitgliedern auch nur abzugeben; und auch dafür, daß es im Jahr 2000 immer noch peinlich war, obwohl ich das Gefühl habe, daß Kraus in dem Moment ganz in seinen Erinnerungen ist. Sie, Metepsilonema, stellen in Ihrer Sicht den philanthropischen (und/oder pragmatisch-sinnvollen) Aspekt in den Vordergrund. Diese Sicht nehme ich an, ich denke, ich lerne da im Moment gerade ein wenig. Es ändert aber nichts daran, daß der VdU in erster Linie den Nazis geholfen hat und die FPÖ dann aus dem Reservoir geschöpft hat. Unter den Nazis waren in der Nachkriegszeit sicher viele, die sich ein wenig Unterstützung verdienten, andere, die es brauchten, und eine Minderheit, denen man besser Strafen aufbrummte (la peine maximale, Sie wissen ja, Todesurteile wurden vollstreckt – ich lehne sie grundsätzlich ab, doch man muß schon versuchen, die Situation 45 und in den Folgejahren zu verstehen).
@Leopold Federmair
Ich höre da eher ein »denn« als ein »den«, aber ich glaube wir müssen über die Stelle nicht streiten, Kraus sagt ja, dass er als »Antinazi« etwas konnte, was andere nicht konnten und er spricht von denen die 1945 unter die Räder gekommen sind, was Parteimitglieder und Minderbelastete nicht ausnimmt.
Der österreichische Historiker Manfried Rauchensteiner beschreibt das knapp, aber die Ambivalenzen bewahrend, wie folgt (Kraus wäre, dessen Eigenbeschreibung folgend, ein lupenreiner Monarchist gewesen): »Sie [die Gruppierung VdU] wollte das liberale und (gemäßigt) deutschnationale Erbe antreten und vor allem eins: Die große Gruppe der sogenannten »minderbelasteten« Nationalsozialisten entkriminalisieren. Der Verband fand prominente Unterstützer, unter anderem den Salzburger Erzbischof Andreas Rohracher, also jenen Kirchenfürsten, der gegen die Euthanasie und gegen die Aussiedlung der Kärntner Slowenen aufgetreten war. Das machte ihn fast unangreifbar. Doch ebenso hatte der Erzbischof vielen ehemaligen Nationalsozialisten das Gefühl gegeben, zu Unrecht verfolgt zu werden und Opfer des neuen Staats zu sein.« (Unter Beobachtung. Österreich seit 1918, S 290)
Die FPÖ erhielt zunächst nur 6 der 14 Mandate, die der VdU erreicht hatte (1956); der VdU war noch in der Besatzungszeit erlaubt worden. Natürlich hat die FPÖ sich um diese Wähler bemüht und von dieser Sammlung profitiert, aber sie war nicht jene Partei, die zur Sammlung der ehemaligen Nationalsozialisten gegründet worden war, wie häufig suggeriert wird (und zunächst war der Erfolg mäßig). Und wir wissen auch, dass die beiden Großparteien, die ehemaligen Nationalsozialisten nicht etwa fortgeschickt hatten.
Um in die Gegenwart zurück zu kommen: Mir scheinen die Bemühungen der FPÖ in der Gesamtheit Nazismus nachweisen zu wollen, überzogen, was in der historischen Betrachtung darin mündet, dass der Wunsch zum Vater des Gedanken wird. Kurzum: Die FPÖ repräsentiert das sogenannte dritte Lager, das im wesentlichen national und ein wenig liberal geprägt ist; früher eher deutschnational, unter Haider begann nach einiger Zeit eine Abkehr, die Strache dann zu einer Art Österreichpatriotismus führte (die zugehörige Eigenbezeichnung lautet soziale Heimatpartei). Von daher lässt sich auch schlüssig erklären, warum immer wieder mehr oder weniger deutliche Berührungen mit dem Nationalsozialismus zu Tage treten: Ein nationales Denken, das Sprache und Kultur außen vor lässt und Ethnizität zum alleinigen Kriterium macht, gerät automatisch in die Nähe eines Rassebegriffs wie er im Nationalsozialismus üblich war. Anders formuliert: Die Definition dessen, was man unter »national« versteht, grenzt vom Nationalsozialismus ab oder schafft einen Graubereich, ja gar eine Nähe.
»Graduell und kategorisch«, sagt die Kognitionsforschung.
Es schildern solche Ausdrücke wie »Nähe zum Rechtsextremismus« keine Kategoriengrenze, sondern nur einen vagen Vergleich.
Bedauerlicherweise hat sich die politische Öffentlichkeit auf die kategorielle Beschreibung eingelassen. Das wirkt wie ein Scharfmacher auf die Köpfe. Gegen Rechts!
Man kann den Nationalismus natürlich verdammen, aber das entbindet nicht von der Mühe, Argumente dagegen vorzubringen.
Die historische Argumentation ist die Leichteste; ebenso wie der Kommunismus führte der Nationalismus immer in eine Selbsttäuschung. Die Nazis sind »ruchlose Optimisten« (Nietzsche), wenn sie die internationalen Kräfteverhältnisse einschätzen. Sie überschätzen sich selbst, und sie unterschätzen ihre Gegner.
Außerdem sind sie immer autoritär. Auf den freiheitlichen Aspekt würde ich deshalb besonders achten, wenn es darum geht, eine »veränderliche Partei« einzuordnen. Das Soziale ist im Vergleich zur Linken unterentwickelt, aber vorhanden. Bevorzugt natürlich die eigenen Leute.
Der Nationalismus als politischer Spieler ist zurück. Aber ohne ein Vakuum an Ideen und vermittelbaren Zielen wäre das gar nicht passiert. Es ist eine Blase auf deflationären Polit-Märkten. Selbst wenn die Blase platzt, ist da noch immer... Nichts.
Nationalismus kann man – Ihnen folgend –, als kollektiven Narzissmus beschreiben; und wenn der narzisstische Charakter typisch für unsere Tage ist, dann wäre das ein weiterer Grund für die Rückkehr.
Pointiert lässt sich aber auch feststellen, dass ein funktionierender Nationalstaat das Phänomen Nationalismus klein halten müsste, wenn er es schafft einen verbindlichen kulturellen Rahmen aufzuspannen in dem sich die Regionen und Länder wie die Bürger wiederfinden und der eine Auseinandersetzung mit »dem Eigenen« als Realistisches, ermöglicht. Übersteigerung und manische Abwehr des Fremden, wären dann überflüssig.
@ die_kalte_Sophie und metepsilonema
Ihre gewitzte Pointierung des Nationalstaatsproblems, metepsilonema, scheint mir gut anwendbar zu sein auf die gesellschaftliche Lage in der Schweiz, Norwegen und Dänemark z. B..
Ich finde, die Schweiz oder Norwegen (oder Mette Frederiksens Dänemark) sind keine Horte des Irrationalismus. Die Schweiz kenne ich aus der Nähe – alle möglichen Funktionsträger da kenne oder kannte ich persönlich: Ganz überwiegend vernünftige Leute.
Wenn ich das noch anfügen darf: Ralf Dahrendorf, der wie schon gesagt ein Faible für die Schweiz hatte und sich da sehr gut auskannte, machte einmal eine Bemerkung der Art, dass er die Schweiz bewundert für den geringen Grad an unvernünftigen Einschränkungen der persönlichen Urteilskraft ihrer Bürger – auch ihrer Politiker.
Was die sozialwissenschaftliche öffentliche Diskussion angeht, so kann ich aus Erfahrung sagen, dass dort sehr komplexe Themen mit einem ganz geringen Grad unsachlicher und oder persönlicher Angriffe verhandelt werden (das ist nach wie vor der Goldstandard für öffentliche Debatten, wie mir scheint). Nicht zuletzt in der NZZ und in deren Kommentarbereich. Im Vergleich zu Deutschland, neuerdings England oder den USA ein Paradies.
Ja, kollektiver Narzissmus, trifft es ganz gut. Wobei die Ich-Psychologie immer Kränkungen voraussetzt, was nicht ganz einfach übersetzbar ist. Die Politik wäre dann das manipulative Elternpaar, und das Kränkungserlebnis bestünde heutzutage in der mangelnden »Wettbewerbsfähigkeit« vieler Gesellschaften.
Ich bin kein Psychologe, aber was wäre denn das Antidotum?! Würde man als Gegengift eine Politik verlangen, die »kompetent, selbstbewusst und handlungsfähig« wirkt?!
Soweit ich weiß, kommen Narzissten aus »ehrgeizigen Versager-Elternhäusern«, und übersetzen eine gesellschaftliche Forderung nur in ein wahnhaftes Selbstbild. Wichtig sind die Mütter, die ihre Kindchen immer aufpumpen: Du schaffst das, wenn du nur willst... Du kannst alles errreichen (auch wenn dein Notenschnitt nicht gerade berauschend daherkommt)...
Ich spekuliere nur. Nach zwei Diktaturen in Deutschland kann man wohl jedes bekannte pathologische Schema erfolgreich anwenden.
@ die_kalte_Sophie
Ich bin jetzt, bevor ich abtauche in den See, ein bisschen ein Pedant: Sie versuchen den Schritt von der Individualpsychologie zur Sozialpsychologie zu gehen – das ist vernünftig in diesem Kontext, aber auch komplex.
Mein Vorschlag zur Komplexiätsreduktion ist sehr kurz und ein bisschen von oben herunter, wie ich fürchte, aber wie gesagt, ich will tauchen gehen: Die einschlägigen sozialpsychologischen Bücher lesen oder die Vorträge hören. Sehr gut: »The Coddling of the American Mind« von Greg Lukianoff und Jonathan Haidt. Von denen gibt es auch einiges auf Youtube. Eine gut geschriebene Besprechung des Buches findet sich auf Taki’s Magazine. Der treffliche Steve Sailer hat sie verfasst.
Ein Narzisst überspielt die eigene Verletzlichkeit bzw. die eigenen Verletzungen dadurch, dass er sich aufbläht. Ihm gelingt im positiven wie negativen keine Integration, keine Stabilität. Gelingt diese Stabilität, dann muss man aus der Dialektik »eigen und fremd« nicht ausbrechen, sondern erträgt ihre Spannung, mehr noch: Eine Auseinandersetzung wird möglich. Mir scheint, dass da der sprichwörtliche Wurm drinnen ist, aber genauer kann ich es gerade auch nicht sagen.
@metepsilonema
Lukianoff/ Haidt zeigen in ihrem Narzissmus-kritischen Buch »The Coddling of the American Mind«, also die Verknuddelung des Amerikanischen Geistes, dass die Fixierung auf die eigenen – superwichtigen! – Gefühle und Gruppenmerkmale wie schwul, lesbisch, links, weltoffen usw. so weit Platz gegriffen hat, dass die gesellschaftliche Realität aus dem Fokus gerät. Und zwar flächendeckend.
Hauptmerkmal dieser zeitgenössischen Mentalität: Merheitliche Verweigerung der vernünftigen öffentlichen Debatte. – Also eine Stillstellung der Dialektik von eigen und fremd, innen und außen, wahr und falsch usw. – : – Im Ergebnis eine kollektive Verblödung in Form einer kollektiven Selbstfeier oder: Der Tausch von Widerspruch und Argumentation hie gegen allerlei Identitäten und Sensibilitäten und ein kindlich reines Gewissen da.
In ganz die gleiche Kerbe wie Haidt/Lukianoff haut übrigens der Psychologe Steven Pinker mit seinem Buch »Enligthenment Now!« / Dt. »Aufklärung jetzt!« – Eins seiner Beispiele für ein falsches zeitgenössisches narzisstisches Bewußtsein ist die Forderung nach einer – aufgepasst, keine Erfindung! – »feministischen Glaziologie«! Die sei besonders dringlich wg. Männerdominanz u n d Klimawandel. – Es gibt auch Forderungen nach einer feministischen oder halt gender-queeren Astronomie – mit weniger Mathematik und Physik (Mathematik und Physik = Ausdruck historischer männlicher Dominanz über diese Fächer!).
Was Haidt und Pinker und Camille Paglia und JamesThompson usw. umtreibt ist die Tatsache, dass derlei verknuddeltes Denken mittlerweile den Hauptstrom in den Humanities und den Sozialwissenschaften in der Anglosphere darstellt.
Ein vollkommen untadeliger Wissenschaftler wie der Politsoziologe Noah Carl in Cambridge kann daher von der studentischen Merhheit öffentlich als Halb- oder Ganzfaschist – wahlweise Rassist – desavouiert werden, u. a. weil er über migrantische Kriminalität schrieb, und die Universitätsleitung pariert, und entlässt den. Also: Nicht weil seine Untersuchungen nicht richtig wären muss Carl weg, sondern weil er über etwas schreibt, das i n s i c h rassistisch sei, weil es Migranten herabwürdigt. Die migrantische Identität sei wichtiger und wertvoller als irgendelche Erkenntnisse über deren tatsächliches Verhalten.
Noah Carl hat jetzt ein erhebliches Problem, weil vermutlich auch alle anderen Unis für ihn verschlossen sind. Und die Gesellschaft hat ein erhebliches Problem, weil erhebliche Teile ihrer Wirklichkeit nicht mehr angemessen analysiert werden sollen.
Der Narzisst kennt nur sich. Kollektiver Narzissmus wäre m. E. ein Widerspruch. Die Nation sollte im 19. Jahrhundert das Individuum einhegen, ihm eine Identität über das eigene Ich hinaus geben. Dazu passte übrigens die Kolonialisierung in Afrika, Amerika und Asien. Aus dem »Ich« wurde ein »Wir«, welches allzu oft aggressiv gegenüber den Nachbarn agierte. Nach zwei Weltkriegen steht der Nationalstaat als potentielles Basislager des Nationalismus in schlechtem Ruf. Die Identitäten verschieben sich. Jede Minderheit pocht nun auf identitätsstiftende Differenz und gleichzeitig auf Egalität. Das erscheint derzeit das kulturelle Spannungsfeld.
Weiteres dazu kann man in dem Aufsatz von Simon Strauß ganz gut nachlesen – der Text würde einen eigenen Beitrag verlangen, aber lassen wir’s dabei und bleiben beim Thema.
Interessanter Text, danke.
Die kalte Sophie schrieb oben, dass »der Nationalismus immer in eine Selbsttäuschung« führe. Das ist auch beim Narzissmus der Fall, unabhängig davon, ob der Narzisst nur sich selbst kennt oder nicht, deswegen auch der Spiegel, der Narzisst fällt auf sich selbst, die eigene Illusion von sich selbst, herein. Er maskiert bzw. übergeht dadurch die eigene Verletzlichkeit, die eigenen Schwächen. Und genau das passiert im Nationalismus auf der Ebene des Kollektivs: Idividuell vorhandenes (kollektives oder historisches) Ungenügen wird nicht in ein Selbstbild integriert, sondern in einer überindividuellen Übersteigerung (einem Wahn) übergangen: Die eigene ist die erste, die zur Herrschaft auserwählte Nation! Das ist schon nahe am nur mehr sich selbst kennen...
Stimmt schon, @Gregor. Die Begriffsbildung vom kollektiven Narzissmus erscheint zunächst absurd. Aber vieles passt ins Bild: die Ich-Schwäche (übersetzt: Wir-Schwäche), die Selbstüberhöhung, eine dynamisch hoch ambivalente Beziehungen zu den Anderen (man denke an das Putin-Bild der Rechten, ihre spontane Fraterisierung), die Aufhebung des Realitätsprinzips, etc.
Wichtig ist Ihr Hinweis auf den Unterschied zwischen Majorität und Minderheit, sprich die Frage, ob es zwei grundverschiedene narzisstische »Bewegungen« in der westlichen Welt gibt. Die Minderheiten wie LGTB müssen natürlich irgendwo ihre Kränkungen ventilieren; ich drücke das mal ganz lieblos aus. Die Konstituierung einer gekränkten Mehrheit (Majorität im Sinne von Deleuze) erscheint dazu im Vergleich absurd. Wer hätte denn die Mehrheit fertig gemacht?! Noch ein Bully auf dem Schulhof?!
Aber wir dürfen die internationale Dimension der Politik nicht vergessen. Auch da gibt es Unzulänglichkeit und Inferiorität. Gerade Europa ist voll von »kleinen Staaten«... China kämpft wie besessen gegen seine »Minderwertigkeit«. Polen ist eine einzige Wunde. Sogar Frankreich hat es irgendwie erwischt.
Das Schema ist nicht perfekt. Die Historie wiegt m.E. schwerer als die aktuelle Feuerkraft der Panzerkreuzer. Und die Globalisierung ist ohnehin die perfekte Kränkung für den Westen.
@metepsilonema – Bitte!
@ Gregor Keuschnig, @ die_kalte_Sophie,
Simon Strauß zitiert in dem von Ihnen, Gregor Keuschnig, dankenswerter Weise verlinkten Aufsatz zustimmend Mark Lilla. In seiner Kritik des vorherrschenden linken (!) Narzissmus ist Mark Lilla ganz auf der Seite von Haidt und Lukianoff und Pinker: »National politics in healthy periods is not about ‚difference‘, it is about commonality.«[8] Simon Strauß fährt dann fort: »Nur wenn sich die Linke von ihrem neuen moralpolitischen Kurs verabschiede und sich wieder Fragen der Klasse, der Wirtschaft und der Solidarität zuwende, habe sie eine Chance gegen den grassierenden Populismus.«
Strauß redet mit Lilla gegen die sich selbst feiernde Gruppen-Denke der linken Minderheiten- und Identitätspolitik (= des linken Narzissmus).
Das Wort von Mark Lilla, das Simon Strauß zwar zitiert, aber in seiner Paraphrase auslässt (!), ist offenbar die heiße Kartoffel für ihn: Mark Lilla plädiert ausdrücklich für eine – - – vernünftige »nationale Politik« – in »gesunden Zeiten«. – Man denke jetzt an Richard Rorty (»Stolz auf unser Land« ‑Suhrkamp Verlag) – oder Bruce Springsteen, zwei liberale (=linke) US-Patrioten.
@metepsilonema und @die_kalte-Sophie – Narzissmus und Nationalismus
Ich gestehe, dass die These interessant ist. Insbesondere wenn es um die von der Sophie angesprochenen »Wunden« von Nationen geht.
Vom ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Johannes Rau stammt der Ausspruch: »Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt. Ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet.« Das war damals sehr umstritten. Heute ist der Begriff des »Patrioten« ja auch wieder negativ konnotiert. Die wichtige Aussage besteht darin, dass Nationalismus, also, um der Hypothese zu folgen, »Narzissten«, nicht nur ihr eigenes Land über Gebühr verehren müssen, sondern gleichzeitig auch die anderen verachten muss. Aktuell könnte man sagen, dass FPÖ-Nationalisten diese Verachtung nicht mehr anderen Ländern (Nationen) gegenüber zum Ausdruck bringen, sondern der EU.
Johannes Rau: »Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt. Ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet.«
Mit der Erlaubnis, den großen Landesvater polemisch fortsetzen zu dürfen:
»Und ein Deutscher ist jemand, der sein Vaterland hasst und alle anderen um ihren Patriotismus beneidet...«.
Das führt aber sofort zum Thema zurück: wieviel Liebe zum Eigenen, und wieviel »verkehrte Wut« steckt in den rechten Bewegungen?! Ich glaube, es gibt schon eine anti-faschistische Reaktion bei den Rechten, also den Versuch, die historische Schuld abzuwehren und durch positive Affirmationen zu ersetzen. Ich vermute, die eindeutig linke Verarbeitungsvariante der »selbstlosen Betroffenheits-Anklage« ist einigen Leuten einfach nicht zugänglich. Wir haben ja (siehe Jonathan Haidt) unterschiedliche Moral-Typen, die alle Politik machen wollen.
Die EU bietet sich an als Sammlung aller »anderen Vaterländer«, mit denen man unausgesprochen auf Kriegsfuß steht. Das ist eine grundsätzlich andere Haltung als die kollegiale Rivalität. Die Kooperation wird sehr stark eingeschränkt, die Staatenbildung auf EU-Ebene konterkariert. Und da findet der Ärger seinen Ursprung; die liberale Idee zur Begrenzung des Staates stößt in der EU auf taube Ohren. Vorallem die Bürokratie will wachsen und Macht akkumulieren. Wer die EU eingrenzt, mag ein rechter Stinkstiefel sein, aber er folgt einer freiheitlichen Idee. Das passt sehr gut zusammen, gerade deshalb sind die Alt-Parteien ja schockiert. Es liegt kein Denkfehler oder schlimme Bigotterie vor. Sie meinen es ernst, und das Anliegen ist legitim.
Ich habe gerade »Römische Tage« von Simon Strauß gelesen (Besprechung folgt). Über das Verhältnis zwischen italienischer Politik und den Bürgern steht dort: »Man liebt das Land, aber hasst den Staat, so lautet die Faustformel in Italien.« In Deutschland, so möchte ich ergänzen, ist es umgekehrt.
Die Gründe für die jahrzehntelange Konditionierung, Deutschland mit Selbstvorbehalten zu begegnen, liegen auf der Hand. Sie führ(t)en jedoch zu einem verkrampften Verhältnis des Bürgers zu »seiner« Nation (das wußte schon Herzog und übrigens auch Habeck). Die Lösung schien das Aufgehen in die EU zu sein – freilich mit dem Versprechen, dass sich nicht ändere. Das erodierte spätestens 2008/09 mit der Eurokrise, die das Verhältnis zwischen den Deutschen und der EU radikal veränderte (in Wahrheit hatte man die Vereinheitlichungen der Bürokratie von der Gurkenkrümmung über den Traktorsitz immer nur belächelt). Jetzt wurden plötzlich (informelle) Versprechungen gebrochen. Das Gerede von der Alternativlosigkeit verstärkte diesen Effekt noch.
Inzwischen gibt es kein Land mehr in der EU, welches sich wirklich um die Europäische Union sorgt und notfalls nationale Interessen zurückstellt. Das und das aktuelle Geschiebe verstärken die Vorbehalte gegen die EU. Deren Gegner hatten es nie leichter. Inzwischen ist man Avantgarde, wenn man Pro-EU ist.
Es gibt auf der rechten Seite sicherlich eine geradezu manische Abwehr »alles Schlechten«, die, würde ich sagen, umso heftiger ausfällt, je mehr es um »das Volk« im ethnischen Sinn geht. Rein gegen Unrein, sozusagen. Nur: Auch die andere Seite, die im Deutschen das Üble ausmacht, bleibt diesem Denken letztlich verhaftet.
Muss man sich als Nation oder Land selbst anklagen oder aufblähen, wenn man »das Eigene« (immer wieder) zu bestimmen versucht, historisch und kulturell? Dies müsste doch zu Stabilität führen. Und zu Akzeptanz, im Sinne dessen, was (gewesen) ist (daraus mag Liebe werden oder nicht).
Die EU ist zu vernünftig, auch in ihrem Agieren, um Bindungskraft zu erzeugen, darin sehe ich die grundsätzliche Schwierigkeit des Unterfangens (Sprache und Religion fallen als integrative Kräfte weg, über erstere haben wir ja schon einmal diskutiert).
@ die_kalte_Sophie und Gregor Keuschnig
Patrioten können die nationale Perpektive einnehmen, ohne Nationalisten zu sein – logo!
Das war es jedenfalls, was Habermas seinem Freund Rorty ganz zu Recht, wie ich finde, problemlos zugestanden hat: Einen gesunden Patriotismus (cf. Bruce Springsteens durchaus zwiegesichtige Rock-Hymne »Born in the USA«, die grad’ wegen ihrer patriotischen Zwiegesichtigkeit Heine und Hegeln gefallen haben würde). Willy Brandt ist ganz nahe am kritischen nationlen Selbstbewusstsein Springsteens und Raus und Rortys. Heute ist das freilich alles Konterbande und die Helden des Establishments machen große Bögen um die Befürworter solcher Gedanken.
Das wäre weiter nicht schlimm, wenn die EU nicht an eine Systemgrenze stoßen würde, die wg. allzu kontroll-ferner Überdehnung gravierende Fehlsteuerungen hervorbrächte (cf. »Sanftes Monster Brüssel – Oder die Entmündigung Europas«, Suhrkamp, wenige Euro). Das genau ist aber der Stand der Dinge in der EU, und diese systemisch induzierten Fehlsteuerungen sind daher ihre eigentliche Krux.
Der große Fehler in der bürgerlichen deutschen Öffentlichkeit besteht in dieser Lage darin, die notwendige Auseindersetzung über die destruktive Seite der zu schwach kontrollierten Überdehnung der EU (= ihrer ineffektiven Elitenherrschaft) habituell zu skandalisieren – als: Nationalistisch. Das ist die Dauerschleife von ÖR bis SZ, FAZ, weLT, FR, Spiegel, ZEIT, TAZ (und Perlentaucher) usw.
Der Chor der intellektuellen Gegenstimmen besteht aus etwelchen Einzelnen: Rüdiger Safranski, Rolf Peter Sieferle, Frank Böckelmann, Jonathan Haidt, Robert Putnam, Thilo Sarrazin, Paul Collier, James Thompson, David Cummingham (Kopf des Brexit), Dave Murray, René Scheu (NZZ), Hans-Werner Sinn, Norbert Bolz, Don Alphonso, Henryk M. Broder, Alain Finkielkraut, Elisabeth Badinter, Fawzia Zouari, Michel Houellebecq (großer Schweiz-Befürworter) und Peter Sloterdijk (»Es gibt keine moralische Pflicht zur (nationalen, DK) Selbstzerstörung«).
Der Unterschied zwischen einer nationalen und einer nationalistischen Argumentation, wie er für Johannes Rau und Richard Rorty (und Konrad Adenauer und Günther Nenning und Bruno Kreisky, eh kloa) noch selbstverständlich bestanden hat, wird im medialen Hauptstrom indes nicht mehr gemacht. Die öffentliche Debatte ist damit in einem Kernbereich empfindlich eingeschränkt. –
- Das kann auf Dauer nicht gutgehen, weil diese unterkomplexe Diskursarchitektur die Selbstwahrnehmung des europäischen Bürgertums beschädigt – - – und langsam die Umrisse eines gewaltigen, blauäugig fabrizierten rousseaustischen kindlichen Irrgartens oder »sanften Monsters« – genannt EU – aus sich entlässt.
Ein weiterer Verschwörer des »Intellectual Dark Web« sei deshalb aus diagnostischen Gründen zum guten Ende noch zitiert: Der – ehedem! – tiefrote, jüdische, schwule selbständige US-Talkshow-Unternehmer und Spaßmacher Dave Rubin, der dem kollektiven Narzissmus der westlichen Linken attestiert hat, dass dieser eine grundsätzliche Schubumkehr des linken Denkens in der Anglosphere gezeitigt habe. Aus der progresssiven sei deshalb, so Rubin, die »regressive Linke« geworden: Selbstverliebt, überempfindlich, unfrei, verknuddelt, aggressiv und doof.
Richard Rortys flotter Essay »Stolz auf unser Land« wurde denn auch zunehmend von Rechten zitiert – während sich die Linken von ihrem einstigen Heros Richard Rorty pikiert und/oder selbst-zentriert – definitiv abwandten.
Und Kaiser Franz Joseph, Konrad Adenauer, Theodor Heuß, Bruno Kreisky, Willy Brandt und Helmut Kohl, Helmut Schmidt, Johannes Rau und Ralf Dahrendorf, Friede ihrer Asche, leben hier auch nicht mehr. Das freilich ist – seufz – der Lauf der Dinge hinieden: »Was itzund Atem holt; fällt unversehns dahin«.
2 Korrekturen zu meinem Kommentar #83 – der Brexit-Stratege ist Dominic Cummings, nicht David Cummingham und Douglas Murray heißt nicht Dave Murray.
https://dominiccummings.com/2019/03/27/on-the-referendum-24n-actions-have-consequences/
Vergessen habe ich Christophe Guilluy, den Kulturgeographen und exzellenten Gelbwesten-Deuter (»No Society« – im französischen Original auf Englisch) im Chor der Kritiker der »Anywheres« (David Goodhart – »The Road to Smowhere«) im Namen der »Somewheres«.
@ Dieter Kief, sie schreiben: »Das kann auf Dauer nicht gutgehen, weil diese unterkomplexe Diskursarchitektur die Selbstwahrnehmung des europäischen Bürgertums beschädigt.«
Diese modale Einsicht kann man ins Reale übersetzen: Genau das ist schon passiert. Ein komplett überfordertes europäisches Bürgertum legt sich selbst die Scheuklappen an, stöpselt die Ohren zu (kein Interesse an Intellektuellen!), und reitet in den Nebel der Geschichte. Die sog. politische Elite versteht sich auf die geduldige Auslese von Gutachten und die poinitierte Selbst-Darstellung im Interview. Aber die haben keinen Kompass und die haben keinen Plan. Eine gemeinsame Bewegung im psychopolitischen Sinne kann nicht zustande kommen, weil die markanten Ziele fehlen. Siehe Verteidigungs-Union. Vor 70 Jahren eine Riesen-Idee, heute belanglos. Oder die Verteilung von Flüchtlingen... Belanglos, weil am Kern der Sache vorbei. Nur der morgige Tag ist sicher, aber die Zukunft der EU ist nicht mehr greifbar.
Die Rede vom überforderten Bürgertum hat ja etwas paternalistisches. Ist es nicht so, dass man eher von einem »abgehängten« Bürgertum sprechen könnte? Warum wird nicht mehr auf die Intellektuellen gehört? Wurde dies jemals praktiziert? Wäre es überhaupt wünschenswert?
Ich erinnere mich noch sehr gut an den Regierungswechsel 1998/99 von Kohl zu Schröder. Joschka Fischer, der schon damals den außenpolitischen Auguren gab, stieß publizistisch vehement ins Rohr die Europäische Union zunächst zu vertiefen, und erst dann zu erweitern. Als er an der Regierung war stellte er fest, dass dieser Zug längst abgefahren war. Die Versprechen an die ostmitteleuropäischen Staaten waren bindend. Bevor die Union sich stabilisieren konnte (und Entscheidungen etwa in Richtung Verteidigungsunion hätte treffen können), war die Gemeinschaft derart angewachsen, dass sie praktisch »unregierbar« wurde.
Der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk hat einmal in einem politischen Essay darauf hingewiesen, dass ein Land wie Polen, welches praktisch erst 1990 wieder eine Unabhängigkeit bekommen hatte, einfach nicht in der Lage war, sich so früh erneut in ein anderes Bündnis einzubinden. Man hätte diesen Ländern mehr Zeit geben müssen.
Das Geschachere um die neuen Posten im EU-Gebilde – in denen es nicht um Sachthemen, sondern ausschließlich um Proporz und Personal geht – zeigt, wie verloren diese EU inzwischen geworden ist. Der einzige Grund für ihre Existenz scheint noch der zu sein, sich gemeinsam alle Unbillen der Welt in ihrer Existenz festzumachen. Daher lassen sich vermutlich auch die EU-Gegner in das EU-Parlament wählen. Und natürlich auch, weil es üppig honoriert wird.
Ich war zu Zeiten von Schröder/Fischer nicht sehr aufmerksam, aber Sie haben sicher recht, Gregor. Der Zug ist mit der Osterweiterung abgefahren, obwohl man ja noch die Verve hatte, einen »Verfassungsvertrag« aufzulegen. Das war aber nicht einfach ein Fehler im Timing, hier war eine politische Grenze überschritten worden, sodass Frankreich und die Niederlande 2005 kehrt machten. Die Stichworte hießen Autonomie und Liberalismus, bzw. in Frankreich Autonomie und Sozialismus. Deutschland hätte mit Freuden Ja-gesagt. Das Land will ja immer noch seine Geschichte loswerden, und rennt wie vom Teufel gejagt in die Zukunft.
Auf die Einlassung des Verfassungsgerichts wäre ich damals gespannt gewesen. Der Vertrag von Lissabon später ist mit roten Linien aus Karlsruhe zurückgekommen. Und das war die Souveränitäts-freundliche abgespeckte Version.
Noch einmal das 11. Gebot: Du sollst keine zwei Staaten nebeneinander am Laufen haben.
Aber das ist der deutsche Sonderweg; das klassifiziert nicht die Lage der MItgliedsstaaten. Das ist ein komplett eigener Film im Film. Wie hat sich Österreich 2005 verhalten?!
@ Gregor Keuschnig und die_kalte_Sophie
Ich meine es sei richtig, von der Hypertrophie der EU zu sprechen. Die Arbeitsverweigerung der bürgerlichen Öffentlichkeit betrifft insbesondere die Bereiche systemische Fehlsteurungen (cf. Luhamnn/ Cyrill Parkinson /Enzensberger), Bildung/Bildbarkeit, sozialer Streß (Heiner Rindermann, Robert Plomin), Subsidiarität und Gruppenegoismen der Funktionselite, die aus dieser gruppenegoistischen Perspektive heraus ihre Rolle als Staatsbürger verkümmern lassen und leider vornehmlich als Presssuregroup ihrer selbst fungieren. (Dazu nur 1 Hinweis: Ich zähle viele ÖR-Angestellte zu dieser Schicht. Und der ÖR allein kostet soviel, wie der gesamte übrige Deutsche Kulturbetrieb, wie ich kürzlich gelernt habe – das sind also schon erhebliche Volumina. – Aber wie gesagt: Der ÖR ist nur eine Gruppe in dieser Gruppe der Somewheres, die von der weiteren Internationalisierung cum grano salis alle profitieren).
Die Anywhre- und Somewhere-Unterscheidung erlaubt es diese groß-Anklage der EU gleichsam wieder umzudrehen und aus der lebensweltlichen Perspektive bestimmter Bürger die internationalistische Hypertrophie entweder a) als eher funktional zu betrachten (für die Anywheres) oder b) als eher dysfunktional (für die Somewheres).
Die Pointe meiner Analyse liegt dann nicht mehr in ihrer Selbstwidersprüchlichkeit (= ihrem Paternalismus, Gregor Keuschnig), sondern in meiner Parteinahme für die Somewheres.
Christophe Guilluy, ein exzellenter Gegenwartsdeuter, hat sich der Perspektive der Somewheres verschrieben in seinem Buch »No Society«. Rolf Peter Sieferle hat in »Das Migrationsproblem« (2017) einen Teil dieser Positionierung vorweggenommen, und ökonomisch den wichtigsten Grund gegen die weitere Internationalisierung genannt: Dass nämlich die Rationalisierungsgewinne per Internationalisierung – - . – - die sozialen Kosten vor Ort in den Nationalstaaten nicht mehr aufwiegen, sodass die Internationalisierung zunehmend zu einem Verlustgeschäft für die Nationalstaaten wird.
Das Gleiche gilt für Sarrazin. Dem hab’ ich mal ein Bloch-Zitat aus den »Spuren« geschickt, und das hat der sofort entzückt aufgegriffen. Es ist das eine ganz gespenstisch aktuelle Szene aus den »Spuren«, denn es geht um Arm und Reich und noch dazu ums Stromsparen (!) und Blochs Fazit ist sehr lakonisch: »Wenn es nicht für alle reicht, springen die Armen ein.« Das sagt übrigens auch ganz explizit Michael Klonovsky, und das sagt neuerdings – vor drei vier Jahren hat die nämlich noch ganz anders gesprochen – Mette Frederiksen (ich stelle in einem nächsten Post ein Zitat aus »Die Presse« ein über Frederiksen, wo das deutlich wird – »Die Presse« macht hier die Arbeit der bürgerlichen Selbstverständigung, übrigens, die anderswo leider verweigert wird).
Der Kulturgeograph Christophe Guilluy hat sich – mit Leib und Seele – dieser die Somewheres marginalisierenden Tendenz entgegengestemmt – seit Jahrzehnten! – Nun unterstützte er die Gelbwesten. Er wählt nicht. Er arbeitet im legendären Department 95 Seine- Saint Denise, angrenzend an die Banlieus von Paris, und er konstatiert aus jahrzentelanger genauer Kenntnis der Wohnquartiere vor Ort heraus: Das Gesellschaftsgefüge wird durch die Globalisierungseffekte überlastet und die Zeche zahlen insbesondere die wenig mobilen Familienmenschen der unteren Mittelschicht. ‑Übrigens vollkommen egal, wer denn nun alles diese untere Mittelschichts-Familien bildet.
Kleine Ergänzung: Diese anywhere/somewhere Beschreibung stammt von einem – ebenfalls: ehemaligen! – Marxisten, nämlich David Goodhart.
In den USA haben Leute das nämliche Phänomen ausgeguckt: cf. die »Hillibilly Elegie«, cf, Steve Sailers »family-affordance« Analysen, cf. die Geringschätzung der »flyover country« durch die Eliten in den Küstenstädten, cf. – ebenfalls von einem alten Linken, der je länger je mehr an seinen Genossen wegen deren Heimatvergessenheit, wie ich das jetzt mal nennen will, verzweifelte, aber unübertroffene Schilderungen aus dieser unteren Mittelschicht schrieb: Joe Bageant: »Deer Hunting with Jesus«.
Gelesen werden hier stattdessen Malcom Gladwell, George Packer und Ta Nehisi Coates, die im Vergleich dazu nur sehr sehr oberflächliche Analysen liefern, aber alle zuverlässig die Immigrationstrommel rühren! Denn, nicht wahr: Weltoffenheit, darauf kommt es ja zuallererst und vor allem anderen an!
Aus »Die Presse« vom Juni 2019 über die dänische Sozialdemokratin und Regierungschefin Mette Frederiksen
[Copy & paste entfernt; s. u. ‑GK- ]
Mette Frederiksen darf als die Entdeckerin der dänischen Somewheres gelten. Martin Schulz und Katharina Barley firmieren dagegen als Herolde des ewigen Aufstiegs und schreien sich heiser in ihren »Bombenkratern des Fortschritts«. Ihrer ureigenen Klientel fallen sie mit ihrem flotten Internationalsimus in den Rücken, indem sie das internationalistische Wolkenkuckucksheim der EU und des international Compact for Migration als deren ureigenen Turf verkaufen.
Die Wähler strafen Barley und Schulz ab und: Belohnen Frau Frederiksen mit der macht in Dänemark, ganz wie es Thilo Sarrazin seit Jahr und Tag analysiert. Ich prophezeie seine Ehrenmitgliedschaft in der Dänischen SP!
@Dieter Kief
Ich habe Ihr Copy & Paste aus der »Presse« entfernt. Zum ersten soll es keine rechtlichen Probleme geben (daher habe ich den Artikel verlinkt). Zum zweiten hat der Artikel wenig bis nichts mit dem Thema dieses Threads zu tun. Wie auch ihr vorheriger Kommentar nur ein Namedropping mit Thesen ist. Bitte lassen Sie das.
@ Gregor Keuschnig: Danke für den »Die Presse«-link zu dem Arikel über Mette Frederiksen, find’ ich eine gute Lösung.
Herr Misik, das linke Gewissen Österreichs, hält eine Koalition von SPÖ, Neos und Grünen für möglich. Er sieht die SPÖ-Kandidatin schon »im Schlafwagen« ins Kanzleramt fahren. Die aktuellen Umfragen ignoriert er geflissentlich. Wo die 9 Prozentpunkte herkommen sollen, sagt er auch nicht. Wunschdenken jenseits aller Realitäten. Sowas schafft auch Verdrossenheit.