Zwölf Aufsätze, Berichte (manchmal sind es auch Reportagen) und zwei Vorworte von acht Autoren – »Die Taschenspieler« versammelt Belege über die zunehmende Entfremdung zwischen Staat bzw. Regierungsmacht und dem »normalen« Bürger. Und das sehr aktuell – Redaktionsschluss war Anfang September 2010. Schwerpunkt dieser Betrachtungen ist Baden-Württemberg – das ist bei Klöpfer & Meyer, wo dieses Buch erschienen ist, kein Wunder. Es gibt allerdings auch drei Ausreisser: einen Beitrag über einen italienischen Giftmüllskandal, der über jahrzehntelange Versenkungen von Giftmüllschiffen in der italienischen Adria berichtet, ein Lehrstück in Sachen Atommüllentsorgung am Beispiel der Deponie Asse (interessant hier die Attribute: von Versuchseinlagerungen über »Forschungsbergwerk« bis zur Endlagerstätte reich[t]en die offiziösen Zuordnungen ) und am Ende einen sehr informativen Beitrag von Markus Köhler über die Problematik des fliegenden Gerichtsstands im Presserecht, welcher dazu dient, unliebsame Presseartikel durch einstweilige Verfügungen von Presserechtsaktivisten, die an jeder Ecke das Persönlichkeitsrecht von Mandanten verletzt sehen (Stichwort: Haarfarbe des Ex-Bundeskanzlers und andere Kleinigkeiten), vor allem vor dem Hamburger Landgericht zu beklagen – was auch zumeist gelingt.
Politik
»Bürgerrechtler, politischer Aufklärer und Freiheitsdenker«
Warum Joachim Gauck mein Bundespräsident wäre
Manchmal geschieht es, dass Leute, die das Falsche meinen das Richtige tun. Rot-Grün beispielsweise mit der Kandidatur von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten. Hätte man eine sichere Mehrheit in der Bundesversammlung, so wäre Gauck niemals ihr Kandidat. Auch die SPD hat immer ihre Spielchen mit dem Bundespräsidenten getrieben. Zuletzt 2009 als man mit Gesine Schwan die Linke verführen wollte – und sich beinahe selber ein Bein gestellt hätte. Zum Glück für die SPD war die Linke so dumm, (abermals) einen Clown als Kandidaten aufzustellen. Es ist eine bedauerliche Tradition bei Bundespräsidentenwahlen: Die besten Kandidaten waren häufig diejenigen, die keine Chance hatten.
Keine Chance? Die FDP sprach interessanterweise sehr laut von Gauck als einen vorstellbaren und akzeptablen Bundespräsidenten. Dort rumort es gerade gegen den Sonnenkönig Westerwelle, der die einst liberale Partei eines Karl-Hermann Flach zum Akklamationsverein heruntergewirtschaftet hat. Auch für viele Unionsabgeordnete ist Gauck kein Schreckgespenst; die CSU wollte ihn schon 1999 als Bundespräsidenten nominieren. Damals lehnte er ab.
Reinhard Wilke: Meine Jahre mit Willy Brandt
Dr. jur. Reinhard Wilke, Jahrgang 1929 (er starb im vergangenen Jahr), war von 1960–1966 Richter am Verwaltungsgericht Köln und 1970 Referent im Bundesjustizministerium. Horst Ehmke, damals Chef des Bundeskanzleramts, bot ihm 1970 die Position des Persönlichen Referenten von Willy Brandt im Kanzleramt an. Als Büroleiter würde er zweifellos einen Karrieresprung machen, vor allem reizte es ...
Ein Hauch von Yamoussoukro
Niemand spricht das hehre Wort von »der Kultur« so inbrünstig aus wie Tina Mendelsohn, wenn sie wieder einmal in einem »Kulturzeit extra« oder irgendeiner Radiodiskussion mit Funktionären und Kulturschaffenden zusammensitzt und über die Zukunft »der Kultur« diskutiert. Leider kommt man dann ziemlich schnell auf den eigentlichen Punkt: das Geld. Hier subventionierte Geldeintreiber, die längst verinnerlicht haben, dass Kultur und Geld siamesische Zwillinge sind und in Institutionen und Etats denken. Und dort die Kommunal‑, Landes- und Bundespolitiker, die mit dem Wort »Kultur« zunächst einmal jene Form von Event-Fetischismus verbinden, den sie jahraus jahrein eröffnen, befeiern, besuchen und beschließen. Wie steht es mit einer »Kultur«, wie sie sich in der Auftaktveranstaltung zur Kulturhauptstadt Ruhrgebiet 2010 in Essen vom 10. Januar 2010 zeigt?
Der Lügner
Norbert Lammert scheint Standpauken zu lieben. Als sich der neue Bundestag konstituierte, beschimpfte er die öffentlich-rechtlichen Medien, diese Veranstaltung in den Spartenkanälen zu verstecken. Da hatte er nicht ganz unrecht, auch wenn diese Schelte ein bisschen Ablenkungsmanöver war – sitzen noch in den Gremien der öffentlich-rechtlichen Anstalten genug Politiker.
Jetzt hat sich Norbert Lammert wieder zu Wort gemeldet. Er tadelt das Auftreten der Regierung und insbesondere das sogenannte »Wachstumsbeschleunigungsgesetz«, in dem unter anderem der Umsatzsteuersatz für Hotels gesenkt wurde. Auch hier stimmen ihm sicherlich viele zu.
Der pragmatische Versöhner
Wann immer in Deutschland in irgendeiner Form von der »Waffen-SS« die Rede ist, kann man sicher sein, dass die Empörungswellen, die Rituale der Entrüstung, hochschlagen. Noch heute brüsten sich Wohlstandskinder, die in den 60er Jahren aufgewachsen sind, mit wohlfeilen Enthüllungsgeschichten, die beweisen sollen, dass Prominente mit 15, 16 oder 17 Jahren in der »Waffen-SS« oder auch »nur« der »Partei« waren. Leute, die noch nie vor Situationen standen wie diese Grünschnäbel richten mehr als 60 Jahre nach Kriegsende mit einem Federstrich über das Leben dieser Leute.
Lange (oder immer noch?) galt diese Form des Journalismus als investigativ. Sie begann übrigens nicht erst mit 1968, wie uns heute die Veteranen dieser Zeit nahelegen wollen und damit hübsch weiter an ihrer eigenen »revolutionären« Legende stricken. Fest steht: Es gibt ungezählte Beispiele, wie Schriftsteller, Schauspieler, Journalisten, Politiker und andere Personen im öffentlichen Raum noch bis weit in die 1980er Jahre von ihrer Vergangenheit »eingeholt« wurden. Der linke Entlarvungsgestus in Sachen Nationalsozialismus entband von der Auseinandersetzung mit dem eigenen Irrweg, der zwar auch schon lange zurücklag, aber entweder heroisiert oder einfach nur verdrängt wurde. Engagement für Kuba? Maos Kulturrevolution? War da mal was?
Mit der Wende 1989/90 und der »Aufarbeitung« der DDR und ihrer Organisationen begann die zweite Welle. Diesmal nur aus der anderen Richtung. Während linke sogenannte Intellektuelle die DDR noch als »kommode Diktatur« einstuften (sie zogen es vor, in ihren Sommerhäusern in der Toskana oder Portugal Urlaub zu machen) wurde in typisch deutscher Gründlichkeit (Akten, die vernichtet wurden, werden inzwischen mit aufwendiger Technik wieder restauriert; das schafft auf Jahre Arbeitsplätze) beispielsweise das System der Staatssicherheit der DDR (versehen mit dem Kosenamen »Stasi«) akribisch untersucht.
Erbärmliche Figuren
Nach der Entscheidung der Grünen an der Saar, mit CDU und FDP in Koalitionsverhandlungen zu gehen, kann man an den Reaktionen von SPD und der Linken erkennen, warum sich die Leute in Scharen von der Politik abwenden.
Eben noch umworben poltert Lafontaine gegen den Grünen-Chef Ulrich, dass der wohl mit 5,9% vergessen habe, dass dies keine 59% seien. Man fragt sich, ob er ihm dies in den Vorgesprächen auch so gesagt hat.
Grün 2009: Die verschenkte Stimme
Die Bundestagswahl 2009 bekommt im Schlußspurt doch noch einen hohen Unterhaltungswert. Die FDP erhält noch einmal kostenlose Wahlpropaganda für die banale, von ihr seit Jahren gemachte Aussage, es gäbe keine »Ampel« (eine Koalition mit der SPD und den Grünen). Neu ist diese Aussage nicht. Allerdings in dieser Zuspitzung ziemlich dumm.