Dr. jur. Reinhard Wilke, Jahrgang 1929 (er starb im vergangenen Jahr), war von 1960–1966 Richter am Verwaltungsgericht Köln und 1970 Referent im Bundesjustizministerium. Horst Ehmke, damals Chef des Bundeskanzleramts, bot ihm 1970 die Position des Persönlichen Referenten von Willy Brandt im Kanzleramt an. Als Büroleiter würde er zweifellos einen Karrieresprung machen, vor allem reizte es aber für einen Mann wie Willy Brandt zu arbeiten, den er wie keinen anderen Politiker verehrte. Wilke nahm an und wurde von Sommer 1970 an zunächst Vertreter des Persönlichen Referenten. Zwei Abteilungen mussten noch zusammengelegt und die aktuellen Stelleninhaber auf andere Positionen verbracht werden. Was für ein mörderischer Job schrieb Wilke schon nach einigen Wochen; den ruhigen Referatsposten gab er zu Gunsten eines hektischen Arbeitsplatzes auf. In den nächsten vier Jahre sollten ihn Intrigen, Einmischungen, Kompetenzgerangel, persönliche Animositäten und Empfindlichkeiten aus der Umgebung des Apparates nicht mehr verlassen. Während der Lektüre dieses Buches hat man das Gefühl, dass das »friendly fire« oft schlimmer war als die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner.
»Meine Jahre mit Willy Brandt« protokolliert vor allem die Zeit von 1970 bis 1974 sehr ausführlich. Auf lediglich drei Seiten beschäftigt sich Wilke mit seiner Arbeit als Büroleiter für den »einfachen« Abgeordneten Brandt von 1974–1976. Danach ging er zu Katharina Focke ins Familienministerium und nahm dort eine Abteilungsleiterposition an.
Mit Erläuterungen zu Struktur und Gliederung des Bundeskanzleramts hält sich Wilke nicht lange auf. Zumindest gewisse Grundkenntnisse der Infrastruktur und Organisationselemente einer solchen Behörde werden vorausgesetzt; auch die Hauptakteure der damaligen Politik sollten einigermaßen bekannt sein.(*) Bescheiden heißt es, dass die Aufzeichnungen nur ein Mosaikstein im Gesamtbild von Person und Wirken Willy Brandts darstellen. Interessant am Rande, dass er in seinem Vorwort ausdrücklich betont, Brandt nicht als Denkmal verehrt, sondern als Menschen erlebt und geachtet zu haben, während zu Beginn seiner chronologischen (nicht laufend datierten) Aufzeichnungen von einer Verehrung zu Brandt durchaus die Rede und sogar Anlass für die Übernahme dieser Position ist. Mag sein, dass sich in der Arbeit und durch die zeitliche Distanz dieses Urteil verändert hat, was sich auch in der Vorbemerkung zeigt er habe die damaligen Jahre aus größter Nähe zu Willy Brandt erlebt und manchmal erlitten.