Gesetze auf ihre Verfassungstauglichkeit zu überprüfen, ist seit vielen Jahren fast zur Routine geworden. Längst gilt das Bundesverfassungsgericht als die letztbegründende Instanz unter anderem für Datenschützer, Bürgerrechtler, Verfassungsinterpreten und Parlamentarier. Insbesondere Gesetze und Richtlinien, die mittel- oder unmittelbar mit der EU zu tun haben, landen regelmäßig in Karlsruhe (man fragt sich zuweilen, wann eigentlich Peter Gauweiler mal nicht geklagt hat). Fast immer enden die Verhandlungen in mehr oder minder starke Rüffel für die Gesetzgebung. Schlampig gearbeitet, Fristen verstreichen lassen, ungenau formuliert, Institutionen übergangen – die Liste ließe sich noch beliebig erweitern. Die Urteile sind in der Regel populär, weil sie dem Empfinden vieler Bürger entsprechen.
Politik
Holm Sundhaussen: Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten 1943–2011
Am Ende seines Buches über »Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten 1943–2011« knüpft Holm Sundhaussen, Professor für Südosteuropäische Geschichte an der Freien Universität Berlin und Co-Direktor des Berliner Kollegs für vergleichende Geschichte Europas, an seine Bemerkung vom Anfang an: Nicht »die Geschichte« ist es, die sich wiederholt. Der Mensch wiederholt sich. Dies sei die wichtigste Lehre, die ...
Jürgen Habermas: Zur Verfassung Europas

Mit Habermas’ retrospektiven Erläuterungen zum Marktfundamentalismus, der Ende der 1990er Jahre auch die politischen Repräsentanten in Deutschland infizierte (wohl vorbereitet durch entsprechendes mediales Pressing), geht man noch konform. Aber wenn dann aus der rhetorischen Mottenkiste der Begriff der »Politikverdrossenheit« hervorgeholt wird, beginnen die Zweifel. Wobei dieses Phänomen als Produkt einer »politischen Unterforderung« des Bürgers abgeleitet wird, dieser damit sozusagen errettet werden soll und für die weitere Verwendung als politisches Subjekt zur Verfügung steht. Habermas hat natürlich Recht, dass eine ambivalente demokratische Legitimationsbasis des »Eliteprojekts« Europäische Union zum Ver- und/oder Überdruss geführt hat. Und auch seine Feststellung, dass Deutschland seit Rot-Grün 1998 ohne festes (außen-)politisches Ziel regiert wird (er sieht diese Entwicklung von 2005 an noch einmal beschleunigt), ist zutreffend.
Lutz Hachmeister: Sozialdemokraten / ARD
Der Untertitel von Lutz Hachmeisters Film »Sozialdemokraten« klingt, als wäre das Filmteam in ein Straflager verbannt worden: »18 Monate unter Genossen«. Und in etwa sieht so auch der Film aus.
Hachmeister beginnt mit dem Ergebnis der Bundestagswahl 2009 und dem schlechtesten Wahlergebnis der SPD »seit 1933«, wie die Einblendung lautet. Er zeigt Ausschnitte der umjubelten Reden von Steinmeier und Müntefering – einem Echo, dass damals die Republik fast verstörte. Peer Steinbrück erläutert dann, wie dieser Enthusiasmus bei einem Wahlergebnis von knapp 23% der Stimmen zu erklären gewesen sei. Steinbrück wird das zu anderen Ereignissen der jüngsten Vergangenheit noch mehrmals tun. Seine Stellungnahmen sind die einzigen, die nicht in diesen merkwürdigen Veteranenton verfallen, wie man ihn von Schröder, Machnig oder auch Clement zu hören bekommt. Letzterer skizziert immerhin das aktuelle Problem der SPD: die fehlende Programmatik.
Hans Magnus Enzensberger: Sanftes Monster Brüssel oder Die Entmündigung Europas

Selten passte ein Titel so präzise zum Duktus des Buches: »Sanftes Monster Brüssel« steht dort in großen, roten Buchstaben. Der Zusatz »oder Die Entmündigung Europas« ist dann schon der Beginn eines Missverständnisses. Muss es nicht heißen »Die Entmündigung der Europäer«? Wie wird »Europa« entmündigt? Was ist das überhaupt – »Europa«?
Sanft und mit feiner Ironie kommt Hans Magnus Enzensberger daher. Wie sollte er auch anders? Ein deutscher Intellektueller, der eine scharfe Schrift gegen »Europa« bzw. die Europäische Union hinlegt – undenkbar. Sofort würden die gängigen Etiketten hervorgeholt. »Europaskeptisch« bedeutet in Deutschland noch mehr als in anderen Ländern rechts, dumpf und antimodernistisch. Wer möchte das schon sein? Das Problem sieht Enzensberger sehr wohl, denn hinter dieser Rhetorik macht er eine Strategie aus, die…gegen jede Kritik immunisieren soll. Wer ihren Plänen widerspricht, wird als Antieuropäer denunziert. Dies erinnere von ferne an die Rhetorik des Senators Joseph McCarthy und des Politbüros der KPdSU. Wenngleich er an anderer Stelle den Vergleich der EU mit totalitären Regimen als abwegig feststellt und somit nivelliert.
Enttäuscht
Man wähnt die deutsche Bundesregierung ertappt: »Brüderle begründet AKW-Notstopp mit Wahlkampf«. Eine Mischung aus Entrüstung und »Hab-ich-doch-gewußt« liest man in den Leserkommentaren der entsprechenden Foren. Der Todesstoß für Schwarz-Gelb bei den Landtagswahlen am Wochenende ist vorprogrammiert. 1 Brüderle = die Einheit für politische Dummheit??
Ich habe daraufhin den Ursprungsartikel der »Süddeutschen Zeitung« genau gelesen. Und war einigermaßen enttäuscht. Denn in den kolportierten Aussagen von Minister Brüderle am Rande einer Sitzung ist mitnichten davon die Rede, dass das Moratorium nur aus wahlkampftaktischen Gründen beschlossen wurde. Die Originaltextstelle in der SZ lautet:
Die Interventionisten und ihre humanitären Aktionen
Es ist schon erstaunlich, wie sich Geschichte wiederholt. 1991, 1999, 2001, 2003 und jetzt 2011. Es sind Jahreszahlen der markantesten militärischen Interventionen des »Westens«. Man kann auch Krieg sagen, aber das klingt nicht so gut.
So unterschiedlich die Fälle sind und so differenziert man die Eingriffe bewerten muss – die medialen Muster, wie sich diese Konflikte darstellen, sind absolut identisch: Zunächst gibt es einen seit Jahren agierenden Autokraten (oder Diktator) in einem Land. Dieser tut irgendwann etwas, was sichtbar gegen unsere Vorstellungen von Moral verstößt. Wohl gemerkt: Er muss es sichtbar tun. Es reicht nicht, wenn er jahrzehntelang Abtrünnige in Gefängnissen foltern und umbringen lässt. Es reicht nicht, wenn er einen Geheimdienstapparat unterhält, der repressiv gegen die eigene Bevölkerung vorgeht. Es reicht auch nicht, wenn in wenigen Wochen bis zu einer Million Menschen umgebracht werden, und es ist keine Kamera dabei. Es muss etwas geschehen, was in die gängige Bilderwelt unserer Medien einfließt und als schrecklich, grausam, brutal oder menschenverachtend bezeichnet werden kann. Sogleich wird diese Figur zur persona non grata. Sogenannte Intellektuelle stellen dann Vergleiche an. Der griffigste Vergleich ist immer noch der mit Hitler. Oder er ist einfach ein »Irrer«. In jedem Fall ein »Schlächter«. Oder alles gleichzeitig.
Schnell finden sich willige Interventionisten. Die Neokonservativen der USA der 1970–2000er Jahre und die Grünen Europas sind in ihrem Interventionismus sehr ähnlich. Beide vertreten die Ideologie, dass am westlichen Wesen die Welt genesen muss. Schnell potenzieren sich die Ereignisse durch willige Helfer in den Medien zum scheinbar alternativlosen Handeln. Gegenargumente werden mit der Billigung der Taten des Despoten einfach gleichgesetzt. Der abtrünnige Standpunkt wird denunziert – darin sind sie denjenigen, die sie bekämpfen wollen, durchaus ebenbürtig. Es gibt nur noch schwarz oder weiß – wer nicht für sie ist, ist gegen sie.
Die Finstermannriege
Horst Seehofer hat es nun ausgesprochen. Da ist sie: die Guttenberg-Dolchstoß-Legende. Herr Lammert und Frau Schavan sollen, so der rührige CSU-Vorsitzende Seehofer, dem Freiherren in den Rücken gefallen sein. Da ist es wieder: Dieses Zauberwort der Politik – die Geschlossenheit. »Die Reihen fest geschlossen« – nicht nur eine deutsche Tugend, aber hier immer besonders gerne hervorgekramt, wenn die Kraft des Arguments auf dem Altar des Opportunismus geopfert werden soll. Pikant ist, dass ausgerechnet Seehofer, der mit seinen undifferenzierten und plakativen Einwürfen die schwarz-gelbe Koalition immer wieder ungefragt penetriert, Minister und Abgeordnete zu Abnickern degradieren möchte.