Lutz Hach­mei­ster: So­zi­al­de­mo­kra­ten / ARD

Der Un­ter­ti­tel von Lutz Hach­mei­sters Film »So­zi­al­de­mo­kra­ten« klingt, als wä­re das Film­team in ein Straf­la­ger ver­bannt wor­den: »18 Mo­na­te un­ter Ge­nos­sen«. Und in et­wa sieht so auch der Film aus.

Hach­mei­ster be­ginnt mit dem Er­geb­nis der Bun­des­tags­wahl 2009 und dem schlech­te­sten Wahl­er­geb­nis der SPD »seit 1933«, wie die Ein­blen­dung lau­tet. Er zeigt Aus­schnit­te der um­ju­bel­ten Re­den von Stein­mei­er und Mün­te­fe­ring – ei­nem Echo, dass da­mals die Re­pu­blik fast ver­stör­te. Peer Stein­brück er­läu­tert dann, wie die­ser En­thu­si­as­mus bei ei­nem Wahl­er­geb­nis von knapp 23% der Stim­men zu er­klä­ren ge­we­sen sei. Stein­brück wird das zu an­de­ren Er­eig­nis­sen der jüng­sten Ver­gan­gen­heit noch mehr­mals tun. Sei­ne Stel­lung­nah­men sind die ein­zi­gen, die nicht in die­sen merk­wür­di­gen Ve­te­ra­nen­ton ver­fal­len, wie man ihn von Schrö­der, Mach­nig oder auch Cle­ment zu hö­ren be­kommt. Letz­te­rer skiz­ziert im­mer­hin das ak­tu­el­le Pro­blem der SPD: die feh­len­de Pro­gram­ma­tik.

Skur­ril mu­ten die Bei­trä­ge ei­ner An­drea Yp­si­l­an­ti an, die so tut, als wä­ren die Pro­ble­me der SPD der letz­ten Jah­re nicht auch durch sie mit­ver­ur­sacht. Re­fle­xi­ons­ver­mö­gen: nicht vor­han­den. Mit un­glaub­wür­di­ger Nai­vi­tät be­klagt sie die Ver­flech­tun­gen ei­ni­ger SPD-Ge­nos­sen mit der En­er­gie­wirt­schaft (kon­kret meint sie Cle­ment), als sei dies ei­ne gänz­lich neue Er­kennt­nis ge­we­sen. Hach­mei­ster ver­mei­det die Kon­fron­ta­ti­on und fragt nicht nach der Ver­flech­tung des So­lar-Lob­by­isten Her­mann Scheer, der für Yp­si­l­an­ti als de­si­gnier­ter hes­si­scher Wirt­schafts­mi­ni­ster Wahl­kampf mach­te. An­drea Nah­les ver­ach­tet Wolf­gang Cle­ment und stellt die aben­teu­er­li­che The­se auf, die­ser wä­re oh­ne die SPD nie­mals zu die­sem An­se­hen ge­kom­men. Da­für for­dert sie (und Ga­bri­el) Ni­be­lun­gen­treue an. Zu den Er­eig­nis­sen um die De­mon­ta­ge von Kurt Beck will sie, die Ge­ne­ral­se­kre­tä­rin, lie­ber nichts sa­gen, weil sie sonst lü­gen müss­te. Es sind die­se sel­te­nen Mo­men­te in die­sem Film, die die Lö­wen­gru­be SPD für ei­nen kur­zen Au­gen­blick frei­legt.

An­son­sten steht vor al­lem ei­ne Per­son im Fo­kus: Sig­mar Ga­bri­el, der neue Vor­sit­zen­de. Im Lau­fe der fast 90 Mi­nu­ten be­kommt man mit ihm ei­ne ge­hö­ri­ge Por­ti­on Mit­leid: Ga­bri­el auf dem Grill­fest, Ga­bri­el bei ei­ner Preis­ver­ga­be nebst Mu­sik­dar­bie­tung, Ga­bri­el beim So­zi­al­ver­band (eben­falls Mu­sik­dar­bie­tung), Ga­bri­el vor und wäh­rend des Par­tei­tags, Ga­bri­el im Prä­si­di­um, Ga­bri­el mit Han­ne­lo­re Kraft, Ga­bri­el mit den Schwu­sos, Ga­bri­el auf der Spar­gel­fahrt des See­hei­mer Krei­ses. Ga­bri­el auf sei­nem Sitz­platz, sich am Hemd zup­fend. Oder kurz die Au­gen nie­der­schla­gend. Bloß kei­ne fal­sche Be­we­gung. Er wuss­te ja, dass er be­ob­ach­tet wird. Kei­ne Flan­ke bie­ten. Als er ge­fragt wird, war­um die neu­en Hartz-IV-Sät­ze kei­ne Aus­ga­ben für Kon­do­me mehr vor­se­hen, er­klärt er sich in die­ser Fra­ge für un­zu­stän­dig und geht. Und so­fort leuch­tet ei­nem das Di­lem­ma ein: Wo soll je­mand bei die­ser für not­wen­dig er­ach­ten­den Dau­er­prä­senz Zeit und Mu­ße für die Ent­wick­lung ei­ner Pro­gram­ma­tik ei­ner Par­tei her­neh­men?

Es sind dann die Schnit­te, mit de­nen Hach­mei­ster den Zu­schau­er die bei­ßen­de Rea­li­tät vor Au­gen führt. Da wünscht sich Cor­du­la Drautz ei­ne Wie­der­be­le­bung des po­li­ti­schen und phi­lo­so­phi­schen Dis­kur­ses in der SPD – vor al­lem von den un­ter 40jährigen. Und dann der Schwenk zum Par­tei­tag, Mün­te­fe­rings Ab­schieds­re­de. Er be­klagt, dass 847870 Men­schen die »Pi­ra­ten« ge­wählt hät­ten. Das sei­en rund 9% des SPD-Er­geb­nis­ses. Es sieht so aus, als wüss­ten die mei­sten gar nicht, wer die­se »Pi­ra­ten« sind. So gut wie nie­mand ist un­ter 40, da­für aber je­de Men­ge über 60. Schließ­lich die drei Orts­vor­sit­zen­den. Ei­ner von ih­nen, Klaus Amon­eit (»Die Land­schafts­ver­bän­de sind gut«), möch­te ger­ne Geld für Bil­dung, Ver­kehr und »Ei­sen­bahn-Re­form« ver­tei­len und hat ei­ne Er­in­ne­rung an die »Wil­ly-Brandt-Zeit«. Als die Re­de auf Wolf­gang Cle­ment kommt ruft Ru­dolf Mal­zahn »Rei­bach-So­zia­list« da­zwi­schen. Da will dann auch Amon­eit kein Bier mehr mit Cle­ment trin­ken ge­hen. So sieht das ak­tu­el­le in­tel­lek­tu­el­le Ni­veau der SPD aus.

Oder Jörg Schö­nen­borns Stim­me vom schlech­te­sten Wahl­er­geb­nis der NRW-SPD »seit über 50 Jah­ren«, die den Ju­bel um Han­ne­lo­re Kraft, die stolz »Schwarz-gelb ist abge­wählt« in die Mi­kro­fo­ne schmet­tert, über­blen­det. Oh­ne die rot-grü­ne Zeit, so ein Funkt­ionär im Vor­feld des Wahl­kamp­fes, könn­te der heu­ti­ge Au­ßen­mi­ni­ster (ge­meint ist Wester­welle) nicht so un­be­schwert um­her­rei­sen. Bis in die Pri­vat­sphä­re hin­ein hät­te die­se Re­gie­rung das ge­sell­schaft­li­che Kli­ma des Lan­des um­ge­krem­pelt. In ei­ner an­de­ren Ein­stel­lung wünscht ein SPD-An­hän­ger mit ro­tem Schal und Käp­pi, dass Han­ne­lo­re Kraft als Mi­ni­ster­prä­si­den­tin im Bun­des­rat die Ge­set­ze der Re­gie­rung blockie­ren soll. Das soll Po­li­tik sein?

Hach­mei­sters Film ist von ei­ner sanf­ten Scho­nungs­lo­sig­keit, die je­dem, der nur ei­nen Fun­ken Sym­pa­thie für die Par­tei hat, rat­los und er­schrocken zu­rück­lässt. Am En­de zieht sich der Film in die Län­ge, weil er nichts Neu­es mehr zeigt. Es braucht ei­ne Zeit, bis man merkt, dass die­se Lan­ge­wei­le nicht Hach­mei­ster an­zu­la­sten ist, son­dern ein Spie­gel des ab­ge­film­ten Sy­stems ist. Po­li­tik sei »people’s busi­ness« (Mach­nig), er­for­der­te ei­ne »gu­te Ge­sund­heit« (Schrö­der, der ver­steck­te Spit­zen ge­gen Ga­bri­el ab­gibt).

Hof­fent­lich ge­lingt es Wo­we­reit, die Busch­kow­sky-SPD mit­zu­neh­men, ent­fleucht es Ga­bri­el zur Ber­lin-Wahl im Herbst. Er be­merkt die »Eta­bliert­heit« und »Här­te« der Grü­nen. Und so be­schäf­tigt sich die Ma­schi­ne un­ab­läs­sig mit sich sel­ber. Pro­gram­ma­tik: Fehl­an­zei­ge. Das al­les an der SPD fest­zu­ma­chen, ist ein biss­chen un­ge­recht, weil ei­ne ähn­li­che Dia­gno­se auch von der an­de­ren (ehe­ma­li­gen?) Volks­par­tei, der CDU, mög­lich wä­re. Und man er­tappt sich da­bei, wie man ei­gent­lich von der SPD im­mer et­was an­de­res er­war­tet hat. Da ist man dann dop­pelt ent­täuscht.


Hier gibt es den Film noch für ei­ni­ge Ta­ge zu se­hen.


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  1. Mich hat vor al­lem die In­halts­lo­sig­keit der Ri­tua­le er­schüt­tert. Ein­fach al­le im­mer wei­ter ma­chen. Bloss nicht ab­stür­zen. An­tei­le hal­ten. Und ju­beln, wenn man ei­ni­ger­ma­ssen im Ren­nen bleibt.

    Da­bei ist doch ei­gent­lich al­les längst um­ge­setzt, was die SPD je ge­for­dert hat: Deutsch­land ist ein durch und durch so­zi­al­de­mo­kra­ti­scher Staat (mehr so­zi­al und we­ni­ger de­mo­kra­tisch). Und so­gar die Op­po­si­ti­on ist so­zi­al­de­mo­kra­tisch. Was für Zie­le will man da ei­gent­lich noch um­set­zen?

    Sig­mar Ga­bri­els Job möch­te ich nicht ge­schenkt ha­ben. Krass, wie der auch in Si­tua­tio­nen, wo es mir die Fuss­nä­gel hoch­rol­len wür­de, cool bleibt.

  2. Ja, die Aus­sa­ge von Slo­ter­di­jk, dass es nur noch so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Par­tei­en im Bun­des­tag gibt, ist voll­kom­men rich­tig. Mich ha­ben die Orts­vor­sit­zen­den schockiert, die mit ih­rer Ve­te­ra­nen-Pa­ti­na mehr zum Un­ter­gang der Par­tei als zu de­ren Auf­schwung bei­tra­gen.

    Fai­rer­wei­se muss man sa­gen, dass die SPD in den letz­ten 30 Jah­ren zwei Ab­spal­tun­gen hat hin­neh­men müs­sen, die sie bei­de zu­nächst un­ter­schätzt hat­te: Zu­nächst die Grü­nen (ab ca. En­de der 70er Jah­re) und dann La­fon­tai­nes An­griff mit der WASG, die dann in die PDS/Linke mün­de­te. Ähn­li­ches blieb der CDU er­spart. Ih­re Wäh­ler blie­ben man­gels Al­ter­na­ti­ve zu Hau­se.

  3. Ge­nia­le Gleich­set­zung von Atom-Lob­by und So­lar-Lob­by. Das ist so, wie wenn man den Vor­wurf, Ber­lus­co­ni sei mit Ma­fia-Grö­ßen be­freun­det, kon­tert: der Vor­sit­zen­der der PD ken­ne auch je­man­den, der als Ju­gend­li­cher ge­dealt ha­be.
    Und daß Yp­si­l­an­ti am Un­ter­gang der SPD Schuld trägt, über­schätzt die Be­deu­tung die­ser Frau in ei­nem Ma­ße, daß es die Ernst­haf­tig­keit des Bei­trags in Fra­ge stellt.

    Ich woh­ne in Hes­sen, wäh­le nie die So­zi­al­de­mo­kra­ten, kann aber trotz­dem sa­gen, daß mir Scheer als Wirt­schafts­mi­ni­ster recht ge­we­sen wä­re. Der hat­te näm­lich schon vor dem Ja­pa­ni­schen Atom­un­glück be­grif­fen, daß es so, wie es ist, je­den­falls nicht wei­ter­geht. Und daß man die Zu­kunft ge­stal­ten kann, statt im­mer neu­en Sach­zwän­gen hin­ter­her­zu­ren­nen.

  4. PS.: Die Aus­sa­ge, daß es nur so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Par­tei­en gibt, ist falsch: So­zi­al­de­mo­kra­tie ist kein sta­tus quo son­dern ei­ne Ver­än­de­rung der Ge­sell­schaft in ei­ne be­stimm­te Rich­tung. Es gibt nur kon­ser­va­ti­ve Par­tei­en: al­le wol­len, daß es mehr oder min­der so bleibt, wie es ist. Das wird es aber nicht. Daß es nur so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Par­tei­en gibt, ist, wenn man die neo­li­be­ra­le Be­we­gung der letz­ten zwan­zig Jah­re be­trach­tet, nach­ge­ra­de gro­tesk. Wä­ren al­le Par­tei­en so­zi­al­de­mo­kra­tisch, gä­be es kei­nen Re­al­lohn­rück­gang der ar­bei­ten­den Be­völ­ke­rung, kei­ne Ren­ten- und So­zi­al­kür­zun­gen und der­glei­chen mehr.

  5. @Thom
    Lob­by­is­mus ist Lob­by­is­mus. Folgt man Ih­nen, gibt es »gu­ten« und »bö­sen« Lob­by­is­mus. Das ist ein Mo­sa­ik­stein­chen auf dem Weg zu ei­ner Ge­sin­nungs­re­pu­blik.

    Dass Frau Y. für den Un­ter­gang der SPD ver­ant­wort­lich ist, ha­be ich nicht ge­schrie­ben. Aber sie ist mit ih­rem un­säg­li­chen Wort­bruch und dem an­schlie­ßen­den an­ti-de­mo­kra­ti­schen Vor­ge­hen ge­gen die »Ab­weich­ler« mit da­für ver­ant­wort­lich. Das Her­um­ge­eie­re ging mehr als ein Jahr und hat die Beck-Pe­ri­ode ent­schei­dend ge­prägt. Je­der, der nicht Fe­ri­en auf dem Mond ge­macht hat, dürf­te das ei­gent­lich mit­be­kom­men ha­ben.

    Le­sen Sie sich bit­te durch, wel­ches die Zie­le der So­zi­al­de­mo­kra­tie sind – sie sind al­le längst er­füllt. Dass es Re­al­lohn­kür­zun­gen gibt, ist rich­tig, hat aber nichts mit der Po­li­tik zu tun, da die­se kei­ne Löh­ne be­stimmt. Die »neo­li­be­ra­le Be­we­gung« (Sie mei­nen ver­mut­lich »wirt­schaft­li­be­ral«) schafft in Wirk­lich­keit seit Jah­ren den Mit­tel­stand ab, in dem er ihn in ei­ne Ab­ga­ben- und Steu­er­pro­gres­si­on presst. Da­mit wird der So­zi­al­staat fi­nan­ziert, da­mit wir kei­ne grie­chi­schen Ver­hält­nis­se be­kom­men.

  6. Du lie­be Gü­te, was für ei­ne Dis­kus­si­on! Ich ha­be der So­zi­al­de­mo­kra­tie schon längst den Rücken ge­kehrt, muss sie aber vor dem Vor­wurf in Schutz neh­men, al­les pro­gram­ma­ti­sche sei schon längst um­ge­setzt. Was ist denn mit dem Min­dest­lohn z.B.? Um­ge­setzt? Nö.
    Wort­bruch Yp­si­l­an­ti: Es wür­de den Rah­men spren­gen, al­le Wort­brü­che und Ge­set­zes­brü­che der ver­ant­wort­li­chen Po­li­ti­ker (wie hieß er noch gleich, der »blü­hen­de Land­schaf­ten« im Osten ver­sprach? wel­che Par­tei hat­te ei­nen vor­be­straf­ten Wirt­schafts­mi­ni­ster?) hier auf­zu­zäh­len. Da ist Frau Yp­si­l­an­ti ein ganz klei­nes Licht und ein Op­fer der Bertelsmann/Springer Pres­se, die die­ses The­ma mo­na­te­lang hoch­ge­kocht hat so­wie der ei­gen Un­ge­duld bzw. Un­cle­ver­ness.
    Wie leicht hät­te sie in der Op­po­si­ti­on die CDU/FDP in Hes­sen vor sich her­trei­ben kön­nen um dann bei Neu­wah­len für kla­re Ver­hält­nis­se sor­gen kön­nen.
    Na­tür­lich be­stimmt auch die Po­li­tik die Löh­ne, lie­ber Herr Keu­sch­nig! Wo le­ben Sie denn? Wenn auch nur in­di­rekt z.B. durch die un­säg­li­che Agen­da 2010 und die jah­re­lan­ge da­vor ent­so­zi­al­de­mo­kra­ti­sier­te Neu­ge­stal­tung der Ar­beits­ge­set­ze wie z.B. bei der Leih­ar­beit usw. Kei­ner (nicht nur die SPD nicht) küm­mert sich aus der Po­li­tik um die Ein­hal­tung der be­stehen­den Ge­set­ze bzw. Ta­rif­ver­trä­ge, wie kä­men sonst die un­ver­schäm­ten Löh­ne von unt­re 5€ brut­to und we­ni­ger (al­so Nach­kriegs- oder Vor­kriegs­ni­veau) zu­stan­de?
    Auf der Jagd nach Wäh­ler­stim­men mit der spä­te­ren Aus­sicht auf spä­te­re gut do­tier­te Po­si­tio­nen in der Wirt­schaft über­bie­ten sich die al­ler­mei­sten Po­li­ti­ker dar­in, heu­te der In­du­strie- und Wirt­schaft zu Dien­ste zu sein. In die­sem Zu­sam­men­hang von So­zi­al­de­mo­kra­ti­sie­rung al­ler Par­tei­en zu spre­chen ist ei­ne Ver­dre­hung der Tat­sa­chen und Nicht­be­ach­tung der hi­sto­ri­schen Ent­wick­lung der Par­tei­en in der BRD.
    Thom hat Recht, wenn er schreibt: Es gibt/gab nur noch kon­ser­va­ti­ve Par­tei­en, ich fin­de dies so­gar in den Bun­des­re­gie­run­gen der letz­ten 30 Jah­re.
    Wer et­was ver­än­dern will, wie in An­sät­zen die »Lin­ke« wird so­fort mit der Sta­si- und Kom­mu­nis­mus­keu­le er­schla­gen. Die SPD ist am En­de, sie ist nur noch un­we­sent­lich we­ni­ger »li­be­ral« als die FDP, ihr fehlt nicht nur ein zu­kunft­träch­ti­ges Pro­gramm, son­dern auch qua­li­fi­zier­te Mit­glie­der in den Par­la­men­ten. Wie soll das denn auch ge­hen, wenn man Be­rufs­po­li­ti­ker ist, al­so noch nie wirk­lich im Be­rufs­all­tag stand und wenn dann doch je­mand en­ga­giert ist, dann so des­po­ti­schen Re­geln wie dem »Frak­ti­ons­zwang« un­ter­wor­fen wird?
    Ich wi­der­spre­che der Pro­pa­gan­da von der an­geb­li­chen mo­men­ta­nen »So­zi­al­de­mo­kra­ti­sie­rung der Po­li­tik« aufs hef­tig­ste. Wer dies als Mei­nung ver­tritt, ist mei­ner Mei­nung nach der in Deutsch­land üb­li­chen Mei­nungs­ma­che durch die Me­di­en auf den Leim ge­gan­gen. Über­all ist in der Ge­sell­schaft ein »Roll­back« ins kon­ser­va­ti­ve fest­zu­stel­len, das ehe­mals »so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche« wird step by step ab­ge­schafft, so dass mei­ner be­schei­de­nen Mei­nung nach es viel zu­tref­fen­der wä­re, von ei­ner im­mer wei­ter fort­schrei­ten­den »wirt­schaft­li­be­rai­li­sie­rung« der Po­li­tik zu re­den.
    Ein Be­leg da­für ist für mich u.a. auch der Nie­der­gang der FDP. War­um auch soll ich als BWL-An­hän­ger denn die noch wäh­len, wenn die SPD und CDU so­wie auch im­mer deut­li­cher die Grü­nen es »bes­ser« ma­chen, weil sie den gan­zen Kram ein we­nig dis­kre­ter (»so­zia­ler«) in den Me­di­en ver­kau­fen und den Leu­ten das Ge­hirn ver­klei­stern.
    Die So­zi­al­de­mo­kra­tie hat sich in Deutsch­land in der SPD durch ih­re po­li­ti­schen Lea­der sel­ber ab­ge­schafft, so Vö­gel wie Sar­ra­zin sind nur noch das Tüp­fel­chen auf dem i. Die Wäh­ler und die Par­tei­mit­glie­der le­ben in ei­ner ver­klär­ten Er­in­ne­rung und in Nost­al­gie. Die SPD ist mitt­ler­wei­le ge­nau­so we­nig »so­zi­al­de­mo­kra­tisch« wie die CDU »christ­lich«.

  7. » @chargesheimer
    » Sor­ry, auf die­sem Ni­veau dis­ku­tie­re ich nicht.

    Mit Ver­laub, ich kann beim be­sten Wil­len kei­nen Ni­veau­un­ter­schied zu Ih­rer vor­he­ri­gen Re­spon­se zu Thom fest­stel­len. Im Ge­gen­teil, die Aus­sa­gen -
    »Lob­by­is­mus ist Lob­by­is­mus. Folgt man Ih­nen, gibt es »gu­ten« und »bö­sen« Lob­by­is­mus. Das ist ein Mo­sa­ik­stein­chen auf dem Weg zu ei­ner Ge­sin­nungs­re­pu­blik.« – sind in dem ge­nann­ten Zu­sam­men­hang ge­ra­de­zu bös­ar­tig po­le­misch.
    Ent­spricht es doch ge­nau der gän­gi­gen neo­li­be­ra­ler Rhe­to­rik (eben nicht ‘wirt­schafts­li­be­ral’ i.S. bun­des­re­pu­bli­ka­ni­scher Nach­kriegs­tra­di­tio­nen, nein neo­li­be­ral im po­li­tisch-wirt­schaft­li­chen Kon­text ei­nes Rea­gan-/T­hat­che­ris­muses) : Sim­pli­fi­zie­rung, Ba­ga­tel­li­sie­rung und Dif­fa­mie­rung.
    Die er­sten zwei Aus­sa­gen be­die­nen sich ex­akt der glei­chen Lo­gik wie die im­mer wie­der lan­cier­ten The­sen
    »Es macht doch kein Sinn die Atom­tech­nik auf­zu­ge­ben, wenn um uns her­um noch Atom­kraft­wer­ke be­trie­ben wer­den – dann las­sen wir es doch gleich!«
    »Wenn wir kei­ne Waf­fen lie­fern, dann lie­fern die Fran­zo­sen, Ame­ri­ka­ner oder Rus­sen – dann ma­chen wir es lie­ber!«
    »Wie, der Kern­kraft­be­auf­trag­te der Bun­des­re­gie­rung war vor­her Vor­stands­mit­glied der eon AG? Na und, der Scheer war ja auch Schat­ten­wirt­schafts­mi­ni­ster...«
    So ba­stelt man sich für je­den Kon­flikt ein simp­les Tot­schlag­ar­gu­ment, bloß kei­ne dif­fe­ren­zier­te Ar­gu­men­ta­ti­on – na­tür­lich gibt es »gu­ten« und »schlech­ten« Lob­by­is­mus und die Be­ur­tei­lung der je­wei­li­gen Qua­li­tät liegt in der Ver­ant­wor­tung des mün­di­gen Bür­gers!
    Ach, und dann noch der un­se­li­ge ‘Gesinnungsrepublik’-Vorwurf. Er­fun­den im rechts-kon­ser­va­ti­ven po­li­ti­schen Feuil­le­ton (welch Iro­nie, wa­ren doch mal ‘Wer­te’ die letz­te Ba­sti­on kon­ser­va­ti­ver Iden­ti­tät), das Ge­spenst ei­ner gleich­ge­schal­te­ten, über­re­gle­men­tier­ten Müs­li­kom­mu­ne be­schwö­rend. So­zia­li­sten oder Kom­mu­ni­sten wa­ren als Feind­bild nun wirk­lich nicht mehr zu ge­brau­chen, al­so wird das Kon­strukt ‘grü­ner Gut­mensch’ – den es ab so­fort zu be­kämp­fen gilt – er­fun­den
    (das ist jetzt schon sar­ka­stisch, ist die­ser Gut­mensch nun ge­ra­de­zu das Ide­al­bild ei­ner tra­di­tio­nel­len, na­tur- und hei­mat­be­wuß­ten christ­li­chen Ge­sin­nungs­ethik!)
    Aber das ge­ra­de Sie, lie­ber Herr Keu­sch­nig, die­se Sprach­ri­tua­le un­re­flek­tiert über­neh­men, ent­täuscht mich ein biß­chen. Mal ehr­lich, er­set­zen sie den Be­griff Ge­sin­nung mit Über­zeu­gung, und le­sen Sie doch bit­te noch mal das ra­di­kal­ste deut­sche ‘Ge­sin­nungs­pam­phlet’ – das Grund­ge­setz.
    #Fridolin/ca

  8. @Fridolin
    Ich fin­de, wir ha­ben ge­nug Ein­äu­gi­ge, die im Zwei­fel dann an­de­ren Ein­äu­gi­gen vor­wer­fen, dass sie Ein­äu­gi­ge sind. Lob­by­is­mus be­deu­tet Vor­ein­ge­nom­men­heit. Ich ha­be nichts ge­gen Lob­by­isten, wenn sie nicht Ent­schei­dungs­pro­zes­se ma­ni­pu­lie­ren bzw. sel­ber an die­sen mit­wir­ken. Nur weil dies über Jahr­zehn­te von der Atom­in­du­strie ge­macht wur­de, ist es nicht bes­ser, wenn es ein So­lar-Lob­by­ist macht.

    Zur Ge­sin­nungs­ethik in der Po­li­tik kön­nen Sie ei­ni­ges bei Max We­ber nach­le­sen. Mit wel­chem Schlag­wort Sie den ge­ra­de be­le­gen , weiss ich al­ler­dings nicht. Es ist auch ziem­lich un­in­ter­es­sant.

  9. Al­so ich fin­de die The­se von der mitt­ler­wei­le quer durch das po­li­ti­sche Spek­trum durch­so­zi­al­de­mo­kra­ti­sier­ten Ge­sell­schaft auch ziem­lich dünn. Das hat (be­wusst über­spitzt for­mu­liert) so das Ni­veau von Tea-Par­ty-Akt­vi­sten, die Oba­ma für ei­nen So­zia­li­sten hal­ten und kon­se­quen­te Rei­chen­be­steue­rung für Fa­schis­mus und da­bei nur die be­dau­erns­wer­ten Hand­lan­ger der Ober­schicht sind. Deut­sche Bü­ro­kra­tie und Ver­bands­we­sen mö­gen zwar äu­ßer­lich durch­so­zi­al­de­mo­kra­ti­siert sein. Die ge­sell­schaft­lich ein­schnei­den­sten Ver­än­de­run­gen der letz­ten zehn Jah­re sind den­noch H4, Nied­rig­lohn­sek­tor und zu­neh­men­de Un­gleich­ver­tei­lung von Ein­kom­men und Ver­mö­gen. So sind die Fak­ten.

  10. Vie­le so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche In­hal­te sind heut­zu­ta­ge kon­sens­fä­hig und das Mehr­heits­fä­hi­ge ist Ge­gen­stand so­zi­al­de­mo­kra­ti­scher Po­li­tik ge­wor­den. Der Null­punkt für die Ver­mes­sung der po­li­ti­schen Land­schaft liegt so­mit ir­gend­wo in­ner­halb der SPD, die (ähn­lich wie nach ihr die Mer­kel-CDU) tat­säch­lich ei­ne Par­tei der Mit­te ge­wor­den ist. Dar­in liegt mei­nes Er­ach­tens der Wahr­heits­ge­halt der The­se von der So­zi­al­de­mo­kra­ti­sie­rung der Po­li­tik.

    Nun be­deu­tet »Mit­tig­keit« aber auch (zu­min­dest bis zu ei­nem ge­wis­sen Grad) Kon­tur­lo­sig­keit und Ver­wech­sel­bar­keit. Möch­te die SPD ihr Pro­fil schär­fen, so stößt sie, in wel­che Rich­tung sie sich auch ent­wickelt, wie der Fa­bel-Ha­se auf ei­nen Igel, der ihr spöt­tisch ent­ge­gen­ruft: »Ick bün all­hier«. Je­de Ver­än­de­rung der SPD wird al­so in ge­wis­ser Wei­se als op­por­tu­ni­sti­sche An­bie­de­rung an die Kli­en­tel ei­ner an­de­ren Par­tei auf­ge­fasst wer­den. Dies er­klärt viel­leicht auch, war­um die SPD nicht in der La­ge ist, die Feh­ler und Un­ge­schick­lich­kei­ten der Re­gie­rung ge­winn­brin­gend aus­zu­schlach­ten.

  11. Ent­schul­di­ge bit­te, Gre­gor, aber nach mei­ner Ein­schät­zung kann man hier kaum noch ei­nen Kom­men­tar po­sten, wenn er mit Dei­nen An­sich­ten nicht weit­ge­hend über­ein­stimmt. Man ris­kiert dann, von Dir ziem­lich rü­de ab­ge­bür­stet zu wer­den. Soo ni­veau­los ist ja der Kom­men­tar von „Thom“ nun wirk­lich nicht, als dass man dar­auf so wie Du, ich sag’s of­fen, ziem­lich ar­ro­gant, re­agie­ren müss­te. Ich le­se Dei­ne Bei­trä­ge im­mer mit In­ter­es­se, ob­wohl ich Dei­ne Sicht manch­mal in Punk­ten nicht tei­le. Dies dann hier dar­zu­stel­len wa­ge ich, we­gen vor­aus­ei­lend an­ge­nom­me­ner Ni­veau­lo­sig­keit, kaum noch. Scha­de ei­gent­lich.

  12. @blackconti
    Der Vor­wurf greift ins Lee­re. Im vor­an­ge­gan­ge­nen Bei­trag gibt es el­len­lan­ge Kom­men­ta­re, de­nen ich nicht oder nur teil­wei­se zu­stim­me. Aber ich er­war­te tat­säch­lich et­was an­de­res als nur die Ab­son­de­rung von vor­ge­stanz­ten Phra­sen oder wir­ren Ver­glei­chen, die dann auch rein gar nichts mehr mit dem SPD-Film zu tun ha­ben.

    Da wird dann von Ber­lus­co­ni ge­schwa­felt oder von neo­li­be­ral. Da fal­len Wor­te wie »Tot­schlag­ar­gu­ment« oder es wird vom rechts­kon­ser­va­ti­ven Feuil­le­ton schwa­dro­niert, wel­ches ich an­geb­lich zi­tie­re oder über­neh­me. Ich sei »bös­ar­tig-po­le­misch« heisst es da von je­man­dem, den ich über­haupt nicht ken­ne. Frau Yp­si­l­an­ti ist na­tür­lich ein Op­fer der »Bertelsmann/Springer«-Presse und darf lü­gen, weil Herr Kohl ir­gend­wann auch ge­lo­gen hat.

    Lie­ber black­con­ti, ich ha­be we­der Zeit noch Lust auf all die­se Phra­sen ein­zu­ge­hen und per­ma­nent das Rad neu zu er­fin­den. Wenn ich so­was le­sen will, ge­he ich auf die ent­spre­chen­den Sei­ten. Will ich aber nicht.

    Mit wel­cher po­li­ti­schen Kon­se­quenz agi­tie­ren Leu­te, die zwi­schen »gu­tem Lob­by­is­mus« und »schlech­tem Lob­by­is­mus« un­ter­schei­den und den »gu­ten Lob­by­is­mus« gou­tie­ren, den »schlech­ten« je­doch be­kämp­fen? Es ist der Geist ei­nes au­to­ri­tä­ten und to­ta­li­tä­ren Po­li­tik­ver­ständ­nis­ses, das mich da an­weht. Das führt zwangs­läu­fig in ei­nen an­ti­de­mo­kra­ti­schen Pa­ter­na­lis­mus, der über mei­nen Kopf hin­weg ent­schei­den soll, was ich gut und was ich schlecht zu fin­den ha­be.

    Es be­steht kein Zwei­fel dar­an, dass die Atom­wirt­schaft über zig-Jah­re von der Po­li­tik ge­hät­schelt wur­de. Und es be­steht über­haupt kein Zwei­fel dar­an, dass auch SPD-Leu­te und der SPD na­he­ste­hen­de Leu­te ein ge­rüt­telt Maß An­teil dar­an ha­ben. Wie kann al­so Frau Yp­si­l­an­ti in dem Film so na­iv tun und be­haup­ten, das wä­re ei­ne völ­lig neue Er­fah­rung ge­we­sen? Das ist – mit Ver­laub – ein Zau­ber­trick, den sie da vor­füh­ren will, um von ih­rer ei­ge­nen chao­ti­schen Ab­wick­lung nach der Hes­sen­wahl ab­zu­len­ken. Pi­kant wird die Sa­che, weil sie den Lob­by­is­mus von Scheer (den ich für ei­nen gu­ten Mann ge­hal­ten ha­be) voll­kom­men aus­blen­det. Das ha­be ich mir er­laubt zu schrei­ben. Und dann kommt da je­mand mit ei­nem lä­cher­li­chen Ber­lus­co­ni-Ver­gleich? Weil »Ber­lus­co­ni« ja so et­was wie der eu­ro­päi­sche Po­lit­clown ist, muss er für je­den noch so bil­li­gen rhe­to­ri­schen Trick her­hal­ten. Ein an­de­rer er­kennt Rea­ganis­mus und That­che­ris­mus in der deut­schen Po­li­tik. Wie ernst kann man so je­man­den in An­be­tracht des So­zi­al­staats Deutsch­land (im Ver­gleich zu den USA und Groß­bri­tan­ni­en) über­haupt neh­men? Für mich dis­qua­li­fi­zie­ren sich sol­che Kom­men­ta­to­ren.

    Ich mag auch die­ses lar­moy­an­te Ge­jam­mer um Hartz-IV, sin­ken­de Ren­ten und So­zi­al­lei­stun­gen und drin­gend be­nö­tig­te Min­dest­löh­ne nicht mehr hö­ren. Ich will end­lich wis­sen, wer dies al­les be­zah­len soll. Die we­ni­gen Groß­ver­die­ner ha­ben sich schon längst vom Steu­er­zah­len ver­ab­schie­det (üb­ri­gens mit Un­ter­stüt­zung von Rot-Grün) . Die Trans­fer­lei­stungs­emp­fän­ger sind da­zu na­tür­lich nicht in der La­ge. Bleibt der Mit­tel­stand, der ge­schröpft wer­den soll. Da­mit die­se Dünn­brett­boh­rer wie Amon­eit über die »Land­schafts­ver­bän­de« Gel­der mit der Gieß­kan­ne ver­tei­len kön­nen.

    Es ist na­tür­lich ein­fa­cher über die Miß­stän­de her­zu­zie­hen, als über ei­ne neue Form von so­zi­al­de­mo­kra­ti­scher Po­li­tik zu spre­chen. Da­von ha­be ich in all den Kom­men­ta­ren, die ich dann ent­spre­chend »ab­ge­bür­stet« ha­ben soll, nichts ge­le­sen. Da kommt näm­lich nichts. Kei­ne ori­gi­nel­le Idee, kein Ar­gu­ment.

  13. Al­so neo­li­be­ral ist die Selbst­be­zeich­nung ei­ner Wirt­schafts­schu­le, die von sich be­haup­tet in den west­li­chen In­du­strie­na­tio­nen vor­herr­schend zu sein und die­se Selbst­ein­schät­zung wird von den So­zio­lo­gen, die ich ken­ne, wei­test­ge­hend ge­teilt. Und zu den Phra­sen: die be­nut­zen frei­lich im­mer nur die an­de­ren, man selbst »denkt selbst«, ganz un­be­ein­flußt. Das ist all­be­kannt.

    Mein Bei­spiel soll­te ver­deut­li­chen: Lob­by­is­mus ist Lob­by­is­mus, Straf­tat ist Straf­tat, aber nicht je­de gleich schlimm. Das nennt man Ver­hält­nis­mä­ßig­keit. Die So­lar­lob­by be­droht nicht das Le­ben von Mil­lio­nen Men­schen, er­preßt den Staat nicht um Mil­li­ar­den (ich wür­de ger­ne mal wis­sen, was sie glau­ben, wer die End­la­ge­rung der Brenn­ele­men­te be­zah­len wird: Eon viel­leicht?).

    Und die Fra­ge, wer das al­les be­zah­len soll, drängt sich bei ei­nem Net­to-Ex­port-Über­schuß von 150 Mil­li­ar­den Eu­ro pro Jahr zu­min­dest mir nicht auf. Aber daß al­le Kas­sen leer sind, ist na­tür­lich kei­ne Phra­se son­dern ent­springt ih­rer ge­nau­en Kennt­nis von Ma­kro­öko­no­mie.

  14. @Thom
    Die Ent­sor­gung des Atom­mülls wur­de schon in den 60er Jah­ren durch die Po­li­tik so­zia­li­siert, wäh­rend die Ge­win­ne der Un­ter­neh­men im­mer pri­va­ti­siert wur­den. Kei­ne Re­gie­rung hat seit­dem ver­sucht, den Zu­stand zu än­dern. Der Atom­aus­stieg von Rot-Grün ging ein­her mit ei­nem Mo­ra­to­ri­um für Gor­le­ben. Aber es wur­de nicht nach ei­ner an­de­ren End­la­ger­stät­te ge­sucht; Trit­tin hat das Pro­blem »ver­tagt«, so als fie­le ab Un­ter­schrift kein Atom­müll mehr an. Vor­ausscheu­en­de Po­li­tik sieht ganz an­ders aus. Und auch da­mals: Kei­ne Ge­setz­ge­bungs­maß­nah­me zur Um­schich­tung der Ko­sten.

    Im Ge­gen­satz zu Ih­nen bin ich nicht der Mei­nung, dass man die ei­ne Lob­by mit der an­de­ren Lob­by ex­or­zie­ren soll­te. Es gibt in­zwi­schen Stim­men, die Pho­to­vol­ta­ik als ziem­lich rück­stän­dig emp­fin­den; die weit­ge­hen­de Fi­xie­rung der Sub­ven­tio­nie­rung auf die­sen Be­reich ver­hin­der­te an­de­re de­zen­tra­le Lö­sun­gen.

    Um noch ein­mal auf den Film zu­rück­zu­kom­men: Yp­si­l­an­tis Er­stau­nen ist in An­be­tracht der Ver­flech­tun­gen von Rot-Grün in der En­er­gie­bran­che ent­we­der Dumm­heit oder nur ein plum­per Ver­dum­mungs­ver­such. Die Macht der vier do­mi­nie­ren­den En­er­gie­kon­zer­ne wur­de un­ter Rot-Grün auch ze­men­tiert. Ver­mut­lich war das der Preis für den so­ge­nann­ten Atom-Kom­pro­miss.

  15. @Gregor Keu­sch­nig
    »... Ich will end­lich wis­sen, wer dies al­les be­zah­len soll. Die we­ni­gen Groß­ver­die­ner ha­ben sich schon längst vom Steu­er­zah­len ver­ab­schie­det (üb­ri­gens mit Un­ter­stüt­zung von Rot-Grün)... «
    Die Ant­wort ge­ben Sie schon selbst, oder? Selbst von Grie­chen­land sagt man ja, dass es sei­ne Schul­den locker aus ei­nem Teil des in der Schweiz la­gern­den Schwarz­gel­des sei­ner Ober­schicht be­die­nen könn­te. Die­ser hes­si­sche Steu­er­fahn­der, der neu­lich ein Buch ge­schrie­ben hat, sagt, dass ein Fahn­der in den rich­ti­gen Krei­sen pro Jahr ei­ne Mil­li­on ein­bringt.
    Um zur So­zi­al­de­mo­kra­tie zu­rück­zu­kom­men: De­ren ein­zi­ge Exi­stenz­be­rech­ti­gung ist und war doch, in ei­nem ka­pi­ta­li­sti­schen Sy­stem für mög­lichst aus­ge­gli­che­ne Ver­hält­nis­se zu sor­gen, al­so den Eli­ten und Rei­chen nicht kom­plett das Feld zu über­las­sen. Da­bei ver­sa­gen sie zu­neh­mend. Nicht, weil kein Geld mehr da ist (das ist nur wo­an­ders), son­dern weil sie of­fen­bar nicht mehr wol­len.

  16. @jokahl
    Schrö­der hat ei­gent­lich Kohls Po­li­tik­stil fort­ge­führt. Man glaub­te, dass man es nur der Wirt­schaft be­son­ders ein­fach ma­chen müs­se, da­mit am En­de für al­le mehr üb­rig­bleibt. Das führ­te un­ter Rot-Grün zu ei­ni­gen ab­sur­den Maß­nah­men, et­wa der Mög­lich­keit, dass Fi­nanz­in­ve­sto­ren un­ge­hin­der­ten Zu­gang er­hal­ten. Ei­ni­ge Jah­re spä­ter nann­te man die dann »Heu­schrecken« – ver­mut­lich um zu ver­ges­sen, dass man die­sen einst die Fel­der be­wirt­schaf­te­te. Gu­te Ideen, wie et­wa die Ab­schaf­fung der ge­ring­fü­gi­gen Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se wur­den ganz schnell wie­der auf­ge­ge­ben; die Ge­ring­fü­gig­keits­gren­zen lau­fend er­höht und mit Ali­bi-So­zi­al­ver­si­che­run­ge­bei­trä­gen ver­se­hen, die mehr Bü­ro­kra­tie als Nut­zen pro­du­zie­ren.

    Die­se Po­li­tik der An­die­nung an die Wirt­schaft wird spä­te­stens seit der Im­ple­men­tie­rung der WASG/Linke im We­sten Deutsch­lands durch die Aus­ma­lung ei­ner ar­chai­schen »Ro­bin Hood«-Politik ab­ge­löst, die ein­fach den »Rei­chen« das Geld neh­men soll, um es den »Ar­men« zu neh­men. Das geht bis in die Se­man­tik des Be­griffs »arm«.

    Es ist na­iv zu glau­ben, dass ei­ne wie auch im­mer kon­zi­pier­te Um­ver­tei­lung al­le Pro­ble­me lö­sen könn­te. Ich schla­ge Ih­nen vor, sich ein­mal in So­zi­al­ein­rich­tun­gen um­zu­se­hen, die im­mer wie­der nied­ri­ge Bud­gets be­kla­gen. Schau­en Sie sich dort ein­mal an, wie­viel Geld tat­säch­lich noch vor­han­den ist – und wie es letzt­lich ver(sch)wendet wird. Wir lei­sten uns Bü­ro­kra­tien im Ge­sund­heits- und Pfle­ge­kas­sen­we­sen, die ab­surd sind. Wir ver­zich­ten aus ideo­lo­gi­schen Grün­den auf ei­ne Ver­ein­fa­chung des Steu­er­sy­stems, um min­de­stens ein­mal Schlupf­lö­cher zu schlie­ßen. Es ist ja auch ein­fa­cher, den So­li­da­ri­täts­bei­trag für Steu­er­zah­ler ste­hen zu las­sen, als da­für zu sor­gen, wie die Ein­nah­men an­ders ge­ne­riert wer­den könn­ten.

    Bei­de Po­li­tik­ent­wür­fe – die wirt­schafts­li­be­ra­le und die »Robin-Hood«-Politik – wer­den in ei­ner glo­ba­li­sier­ten Welt nicht zum Er­folg füh­ren. So­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Po­li­tik müss­te ver­su­chen, neue We­ge zu su­chen. Da­von ha­be ich in dem Film nichts ge­se­hen. Aber ein Vor­sit­zen­der, der glaubt, in je­des Mi­kro­fon das üb­li­che Op­po­si­ti­ons­bas­hing be­trei­ben zu müs­sen, hat ver­mut­lich kei­ne Zeit da­für.

  17. @Gregor Keu­sch­nig: Ich se­he das kaum an­ders als Sie. Al­ler­dings ist ge­ra­de die So­zi­al- und Ge­sund­heits­bü­ro­kra­tie ein­deu­tig mit Be­stand­teil der Um­ver­tei­lungs­ma­schi­ne­rie von un­ten nach oben. Et­wa Bil­dungs-/För­de­rungs­an­bie­ter, die aus dem Etat der Ar­beits­agen­tur be­dient wer­den oder Kran­ken­häu­ser – es gibt kaum un­se­riö­se­re Märk­te, die so gut wie aus­schließ­lich nur de­nen nüt­zen, die ir­re viel Geld da­mit ver­die­nen, al­les un­ter dem Deck­män­tel­chen der Wohl­fahrt. Ro­bin Hood wür­de da heu­te auch schon lan­ge nicht mehr mit­ma­chen.

  18. Lie­ber Gre­gor, sie schei­nen zu glau­ben, es lä­ge mir et­was dar­an die So­zi­al­de­mo­kra­ten zu ver­tei­di­gen. Ge­gen­tei­li­ges ist der Fall. Ich woll­te nur deut­lich ma­chen, daß mir der be­son­ders be­schimpf­te Scheer lie­ber ge­we­sen wä­re. Daß die SPD in ih­rer Re­gie­rungs­zeit un­an­ge­neh­mer war als Schwarz-Gelb heu­te, wür­de ich so­fort un­ter­schrei­ben.

  19. Ich schla­ge Ih­nen vor, sich ein­mal in So­zi­al­ein­rich­tun­gen um­zu­se­hen, die im­mer wie­der nied­ri­ge Bud­gets be­kla­gen. Schau­en Sie sich dort ein­mal an, wie­viel Geld tat­säch­lich noch vor­han­den ist – und wie es letzt­lich ver(sch)wendet wird.
    Das ist mit Ver­laub ei­ne schlich­te Frech­heit, die auf wel­chen Fak­ten fußt? Seit vie­len Jah­ren sind die Ge­häl­ter im So­zi­al­be­reich von de­nen im pro­du­zie­ren­den Ge­wer­be ab­ge­hängt. Die mei­sten Trä­ger ha­ben in den letz­ten Jah­ren durch Um­fir­mie­rung neue Ta­ri­fe im­ple­men­tiert, die Hun­ger­löh­ne zu nen­nen kei­ne Über­trei­bung ist. Selbst in der Kon­junk­tur­pha­se, in der die mei­sten Bran­chen deut­li­che no­mi­nel­le Lohn­stei­ge­run­gen er­zie­len konn­ten, wur­de der So­zi­al­be­reich ab­ge­hängt. Schau­en Sie sich ein­fach mal die Kur­ven der Lohn­ent­wick­lung in den un­ter­schied­li­chen Be­rufs­fel­dern an. Da­nach wer­den Sie die­se kru­de The­se hof­fent­lich nicht mehr ven­ti­lie­ren.

  20. @Peter
    Ich ken­ne ei­ni­ge Leu­te, die in Al­ten­hei­men ar­bei­ten. Fest­an­ge­stell­te wer­den zu nor­ma­len Ta­rif­löh­nen be­zahlt. Im Pfle­ge­be­reich wur­de Per­so­nal re­du­ziert, so dass dort in Ur­laubs- und Not­fäl­len Pro­ble­me ent­ste­hen kön­nen. An­son­sten wer­den vie­le Tä­tig­kei­ten von eh­ren­amt­li­chen Hel­fern über­nom­men; 400 €-Kräf­te sind »zu teu­er«. Die Jam­me­rei, dass durch den Weg­fall der Zi­vis der Not­stand aus­bre­chen wür­de, ist Un­fug. Das Pro­blem hat man da­mit ge­löst, dass man Leu­te für ein frei­wil­li­ges so­zia­les Jahr an­wirbt. Die sind noch zu­meist noch bil­li­ger als Zi­vis.

    Dass man Per­so­nal­ko­sten ein­spart hat nichts da­mit zu tun, dass es ge­nug Geld gibt. Es wird nur an­der­wei­tig ver­wen­det. Als in NRW ein Ge­setz für die Pflicht von Rauch­mel­dern in öf­fent­li­chen Ge­bäu­den be­schlos­sen wur­de, hat man na­tür­lich für ei­nen fünf­stel­li­gen Be­trag auch das Al­ten­heim noch mit Rauch­mel­dern und ei­ner ent­spre­chen­den In­fra­struk­tur aus­ge­stat­tet, das man ei­ni­ge Mo­na­te spä­ter ab­ge­ris­sen hat­te. Ein an­de­res Al­ten­heim wur­de re­no­viert – und drei Jah­re spä­ter ab­ge­ris­sen und neu ge­baut. Es gibt Hei­me, die kau­fen je­des Jahr ei­ne neue Weih­nachts­de­ko­ra­ti­on und neue Gar­ten­mö­bel (die al­ten hat­ten sie im Win­ter drau­ßen ste­hen las­sen).

    Und noch ei­ne an­de­re, klei­ne Epi­so­de: Ein Kol­le­ge hat­te ei­nen meh­re­re Jah­re al­ten, aber ein­wand­frei­en Fern­se­her (ei­ner der er­sten Flach­bild­ge­rä­te). Er hat­te ei­nen neu­en ge­schenkt be­kom­men und woll­te die­sen ei­nem Heim spen­den. Ein­zi­ge Be­din­gung: Er soll­te von den Leu­ten ab­ge­holt wer­den. Er rief dort an – ein Zi­vi ging ans Te­le­fon. Man ver­ein­bar­te ei­nen Ab­hol­ter­min. Ei­nen Tag vor­her be­kam der Kol­le­ge ei­nen An­ruf: Man ha­be zum ver­ein­bar­ten Ter­min kei­ne Zeit und wol­le den Fern­se­her am Tag X ab­ho­len. Da hat­te mein Kol­le­ge aber kei­ne Zeit. Der Zi­vi woll­te das ab­klä­ren. Er rief dann an und mein­te im Er­geb­nis, wenn er am Tag X nicht da sei, kön­ne man das Ge­rät eben nicht ab­ho­len. – Ich ha­be spä­ter er­fah­ren, dass man ein neu­es im Ge­schäft ge­kauft hat­te.

  21. An an­de­rer Stel­le ha­ben Sie sol­ches als Hö­ren­sa­gen oder Land­ge­schich­ten ab­ge­tan. Ich ver­zich­te dar­auf mei­nen aus er­ster Hand ge­won­ne­nen Kennt­nis­stand hier zum be­sten ge­ben. Nor­ma­ler­wei­se bin ich von Ih­nen et­was hö­he­res Ni­veau bei ei­ner Pro­blem­be­trach­tung ge­wohnt. Mei­nen Tipp, sich die Lohn­ent­wick­lung der Bran­chen an­zu­se­hen, ha­ben Sie aber nicht be­her­zigt?

  22. Es na­tür­lich ein­fach, Er­fah­run­gen als »Land­ge­schich­ten« oder »Hö­ren­sa­gen« ab­zu­tun. Frü­her nann­te man so­was Pra­xis. Dann gibt’s auch noch die Keu­le des Ni­veaus. Oje.

    Über die Lohn­ent­wick­lung ha­be ich gar kei­ne Aus­sa­gen ge­trof­fen. Sie in­ter­es­siert mich im Zu­sam­men­hang mit der in­kri­mi­nier­ten The­se, dass es ge­nug Geld in den Töp­fen der So­zi­al­ein­rich­tun­gen gibt, auch gar nicht.

  23. Jetzt le­sen Sie auch noch ober­fläch­lich. Ich darf auf Ih­ren Bei­trag bei Köpp­nik ver­wei­sen, in dem Sie mei­ne Er­fah­run­gen als ir­rele­vant (Land, 70er Jah­re) ab­tun. Sol­che Asym­me­trien sind al­ler­dings nicht un­üb­lich bei Ih­nen. Und, was glau­ben Sie be­la­stet den Etat von So­zi­al­ein­rich­tun­gen? Gar­ten­stüh­le? Das ist jetzt wirk­lich nur noch Recht­ha­be­rei. Ihr »Ein­blick« in die Pra­xis hat mit der Rea­li­tät über­haupt nichts zu tun. Der Ort wo tat­säch­lich ver­schwen­det wird, ist der Land­schafts­ver­band selbst.

  24. @Peter
    Der Land­schafts­ver­band ist ei­nes der Übel, ja. Und es sind nicht al­lei­ne die »Gar­ten­stüh­le«. Es ist die fal­sche Set­zung von Prio­ri­tä­ten. Die ver­än­dert man üb­ri­gens er­fah­rungs­ge­mäss nicht da­durch, dass man mehr Geld in ir­gend­et­was hin­ein­pumpt.