Ein stei­ni­ger Weg

Die Ver­hal­tens­mu­ster bei Mord- und Ter­ror­an­schlä­gen oder Amok­läu­fen lau­fen im­mer gleich ab. Man be­tont die Un­fass­bar­keit der Tat, stellt das Mon­strö­se her­aus, hebt den/die Tä­ter als Mon­ster aus jeg­li­cher so­zia­ler Ver­an­ke­rung her­aus und ruft in ei­ner Mi­schung aus Ah­nungs­lo­sig­keit, Ver­zweif­lung und vor­sätz­li­cher Dumm­heit nach Re­strik­tio­nen.

Po­li­ti­ker dä­mo­ni­sie­ren das In­ter­net wie wei­land welt­li­che und re­li­giö­se Macht­ha­ber den Buch­druck. Schon knapp ein­hun­dert Jah­re nach Gu­ten­bergs Er­fin­dung gab es die er­ste Aus­ga­be des »In­dex Li­brorum Pro­hi­bi­torum«, mit der die Kir­che ver­zwei­felt die po­li­ti­sche und spi­ri­tu­el­le Deu­tungs­macht in der Welt für al­le Zei­ten kon­ser­vie­ren woll­te. Da be­steht kein gra­vie­ren­der Un­ter­schied zwi­schen ei­nem mit­tel­al­ter­li­chen Papst und den af­fek­tiv agie­ren­den Po­li­ti­kern. Wie so häu­fig zeigt sich, dass das Ob­jekt des Res­sen­ti­ments weit­ge­hend un­be­kannt ist. Letzt­lich ist es ih­nen auch gleich­gül­tig; ent­schei­dend ist der Wunsch der Un­ter­wer­fung. So wer­den die Ta­ten von Mör­dern für die ei­ge­nen po­li­ti­schen Zwecke in­stru­men­ta­li­siert, wo­bei Ar­gu­men­te in An­be­tracht des weid­lich kol­lek­ti­ven Schocks, de­rer die Streß­ge­sell­schaft in An­be­tracht die­ses Aus­ma­ßes an De­struk­ti­on aus­ge­setzt ist, ent­behr­lich schei­nen. Haupt­sa­che, man be­frie­digt die Äng­ste der an­de­ren Ah­nungs­lo­sen.

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Li­te­ra­ri­sches Stil-Ex­pe­ri­ment

»Hirn­sti­mu­la­ti­on, Aus­wir­kun­gen auf den Nu­cleus ven­tra­lis in­ter­me­di­us tha­la­mi: Ich se­he die Not­wen­dig­keit ei­ner re­tro­spek­ti­ven Stu­die, in wel­cher der Tre­mor be­rück­sich­tigt wird. Ist er es­sen­ti­ell? Was ist über­haupt es­sen­ti­ell? Es­sen­ti­el­le Fett­säu­ren, Fet­te und Gly­ce­ri­de, un­ge­sät­tigt, ge­här­tet, was ist heu­te noch ge­sund? Ge­mü­se, Obst, Früch­te? Frau im Super­markt packt Scha­le mit Erd­bee­ren in ih­ren Ein­kaufs­wa­gen, kein ge­sun­der Ein­druck, auf­ge­dun­se­nes Ge­sicht, blas­ser Teint, gro­ße Au­gen­rin­ge, Pi mal den Ra­di­us 1 zum Qua­drat mi­nus Pi mal den Ra­di­us 2 zum Qua­drat, Ring­be­schleu­ni­ger, Syn­ch­ro­ton­strah­lung, im Be­reich der Gi­ga­elek­tro­nen­volt, Licht­ge­schwin­dig­keit, Mas­sen­zu­wachs. Rat­lo­sig­keit der Mas­sen, brei­te Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit in der Be­völ­ke­rung, Hat S. ei­ne Af­fä­re?

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Wahr­heit und Trost in der spä­ten Mo­der­ne. Ein Ver­such.

Die Wahr­heit ist dem Men­schen zu­mut­bar: In­ge­borg Bach­mann be­gann ih­re Re­de mit der Fest­stel­lung, dass es wun­der­bar sei, wenn der Schrift­stel­ler be­merkt, dass er zu wir­ken ver­mag [...] um­so mehr, wenn er we­nig Tröst­li­ches sa­gen kann vor Men­schen, die des Tro­stes be­dürf­tig sind, wie nur Men­schen es sein kön­nen, ver­letzt, ver­wun­det und voll von dem ...

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Be­ja­hen und Über­schrei­ten; Le­ben und Wi­der­spre­chen: Ei­ne Kri­tik der Mo­der­ne

In sei­nen An­fän­gen war das Pro­jekt Mo­der­ne1 noch der Su­che nach Wahr­heit ver­bun­den; aber das Wah­re be­gann zu ver­blas­sen, als man das Pro­jekt rück­halt­los dem Neu­en ver­schrieb, es mit der Wahr­heit in eins setz­te, warf, ver­wech­sel­te und misch­te: Das Wah­re wur­de ab­strakt und die Such­be­we­gun­gen der Mo­der­ne hilf­los: Aber man trieb das Pro­jekt vor­an und über­ant­wor­te­te Mensch und Na­tur die­sen os­zil­lie­ren­den Be­we­gun­gen: Im Leer­lauf ver­brauch­ten, zer­rie­ben und über­hitz­ten sich die Kör­per: Die Re­ste ver­brann­ten Treib­stoffs und der Ruß er­lo­sche­ner Flam­men [mar­kie­ren] die Flug­bah­nen des Fort­schritts2.

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Komm-Pot

Unsichtbares Komitee: Der kommende Aufstand
Un­sicht­ba­res Ko­mi­tee: Der kom­men­de Auf­stand

»Der kom­men­de Auf­stand« im Spie­gel des mo­der­nen An­ar­chis­mus

Nach dem Zu­sam­men­bruch der bi­po­la­ren Welt 1989/90 kam es in vie­len Re­gio­nen zu po­li­ti­schen, eth­ni­schen, so­zia­len oder öko­no­mi­schen Kon­flik­ten. Aus den Re­si­du­en der Stell­ver­tre­ter­krie­ge ent­wickel­ten sich mit­un­ter Bür­ger­krie­ge, die mit äu­ßer­ster Bru­ta­li­tät ge­führt wur­den und oft­mals jeg­li­cher Kon­trol­le ent­zo­gen wa­ren. Dies zum An­lass neh­mend, for­mu­lier­te Hans Ma­gnus En­zens­ber­ger 1994 sei­ne »Aus­sich­ten auf den Bür­ger­krieg« als ein glo­ba­les Phä­no­men, wel­ches ent­we­der weit ent­fernt in Afri­ka oder Asi­en ver­or­tet wur­de oder in Eu­ro­pa lo­kal be­grenzt blieb (bspw. Bas­ken­land oder Nord­ir­land) be­vor es mit den ju­go­sla­wi­schen Se­zes­si­ons­krie­gen mit vol­ler Ve­he­menz in das eu­ro­päi­sche Wohn­zim­mer ein­brach. En­zens­ber­ger mach­te auch in den west­eu­ro­päi­schen Na­tio­nen Ne­ster die­ses »mo­le­ku­la­ren Bür­ger­kriegs« aus, kon­sta­tier­te aber eher vor­sich­tig: »Man kann sich fra­gen, wie ernst der Ge­walt­kult der eu­ro­päi­schen Avant­gar­den zu neh­men ist. Ih­re Pro­vo­ka­tio­nen zeu­gen nicht nur von ei­nem tie­fen Haß auf das Be­stehen­de, son­dern auch von ei­nem eben­so tie­fen Selbst­haß. Wahr­schein­lich dien­ten sie auch der Kom­pen­sa­ti­on ei­ge­ner Ohn­machts­ge­füh­le und der Ab­wehr ei­nes Mo­der­ni­sie­rungs­zwan­ges, der ih­re Gel­tungs­an­sprü­che be­droh­te.« Süf­fi­sant er­gänz­te er noch: »Au­ßer­dem wird man die Nei­gung zur Po­se in Rech­nung stel­len müs­sen…«

En­zens­ber­ger hat­te da­mals hell­sich­tig die glo­ba­len Be­dro­hun­gen durch den is­la­mi­sti­schen Ter­ro­ris­mus vor­weg­ge­nom­men. Die wach­sen­den Un­zu­frie­den­hei­ten an und in den re­prä­sen­ta­ti­ven De­mo­kra­tien Eu­ro­pas, die sich bei­spiels­wei­se in den Un­ru­hen in den Pa­ri­ser Ban­lieues von 2005 zum er­sten Mal in grö­ße­rem Aus­maß zeig­ten, konn­te er je­doch un­mög­lich vor­her­se­hen. Die­se Un­ru­hen ha­ben 2007 ei­ni­ge Au­toren zu ei­ner grund­le­gen­den Schrift in­spi­riert, die den »kom­men­den Auf­stand« nicht nur be­schreibt, son­dern in ei­nem ei­gen­ar­ti­gen Stil zwi­schen Zy­nis­mus, Hoch­mut und Käl­te lo­gi­sti­sche und bel­li­zi­sti­sche An­wei­sun­gen ver­brei­tet. 2009 wur­de das Buch um die Kom­men­tie­rung der Er­eig­nis­se in Grie­chen­land 2008 er­gänzt. Die­se Neu­auf­la­ge liegt nun in der deut­schen Über­set­zung von El­mar Schme­da bei »Nau­ti­lus« vor.

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Jac­ques Mo­nod: Zu­fall und Not­wen­dig­keit

Jacques Monod: Zufall und Notwendigkeit
Jac­ques Mo­nod: Zu­fall und Not­wen­dig­keit

Jac­ques Mo­nod legt an­hand zen­tra­ler Er­kennt­nis­se der mo­der­nen Bio­lo­gie ei­ne Angst frei, die uns al­le, be­wusst oder un­be­wusst, zeich­net. Sie ent­springt dem Ver­sa­gen un­se­rer sub­jek­ti­ven Deu­tung der Welt, das wir auch als das Un­be­ha­gen an der Mo­der­ne ken­nen — und der Ur­sprung die­ser Angst liegt, was über­ra­schen mag, in der Evo­lu­ti­on des Men­schen be­grün­det.

Mo­n­ods Dar­stel­lung ist knapp, zu­ge­spitzt, la­ko­nisch: Dar­in ist er ein Mei­ster; doch er hü­tet sich vor Ver­ein­fa­chun­gen, und wo er fürch­tet es den­noch zu tun, merkt er es an. Mo­nod zau­dert nicht, sei­ne Schlüs­se sind mes­ser­scharf, und er bleibt nicht ste­hen, ehe zu­letzt ei­ne ge­sell­schafts­po­li­ti­sche Uto­pie er­scheint; aber er weiß auch was Zwei­fel be­deu­tet, und wie we­nig, trotz al­ler Lo­gik und Ent­schlos­sen­heit, am En­de ge­won­nen ist.

»Zu­fall und Not­wen­dig­keit« ist das Werk ei­nes Auf­klä­rers, der sich we­der als sol­chen be­zeich­net, noch das Wort Auf­klä­rung im Mund führt — man merkt die­sem Buch sei­nen vier­zig­jäh­ri­gen Ge­burts­tag kaum an.

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Frank Schirr­ma­cher: Payback

Frank Schirrmacher: Payback
Frank Schirr­ma­cher: Payback

In den 1980er Jah­ren ver­dich­te­te sich ins­be­son­de­re in links­in­tel­lek­tu­el­len Krei­sen die Furcht, ja Angst, vor ei­ner staat­lich kon­trol­lier­ten und re­gu­lier­ten Welt, ei­ner Art »Über­wa­chungs­staat« ge­mäß dem Schreckens­bild des En­de der 40er Jah­re ge­schrie­be­nen Bu­ches »1984« von Ge­or­ge Or­well. In der Bun­des­re­pu­blik be­ka­men die Vor­be­hal­te durch ei­ne ge­plan­te Volks­zäh­lung zu­sätz­li­che Nah­rung (wo­bei im Ver­gleich mit den heu­ti­gen tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten die Äng­ste von da­mals ge­ra­de­zu put­zig er­schei­nen). Frank Schirr­ma­cher zi­tiert in sei­nem Buch »Payback« ei­ne Stel­le aus Neil Post­mans Buch »Wir amü­sie­ren uns zu To­de« aus dem Jahr 1985, in dem die­ser die Dif­fe­renz zwi­schen Or­wells »1984« und dem an­de­ren, vi­sio­när-schau­ri­gen Ro­man des 20. Jahr­hun­derts, Al­dous Hux­leys »Schö­ne neue Welt«, her­aus­ar­bei­tet:

»Or­well warnt da­vor, dass wir von ei­ner von au­ßen kom­men­den Macht un­ter­drückt wer­den. Aber in Hux­leys Vi­si­on braucht man kei­nen Gro­ßen Bru­der, um die Men­schen ih­rer Au­to­no­mie, Ver­nunft und Ge­schich­te zu be­rau­ben. Er glaub­te, dass die Men­schen ih­re Un­ter­drückung lie­ben und die Tech­no­lo­gien be­wun­dern wer­den, die ih­nen ih­re Denk­fä­hig­keit neh­men. Or­well hat­te Angst vor den­je­ni­gen, die Bü­cher ver­bie­ten wür­den. Hux­ley hat­te Angst da­vor, dass es gar kei­nen Grund mehr ge­ben könn­te, Bü­cher zu ver­bie­ten. In ‘1984’ wer­den Men­schen kon­trol­liert, in­dem man ih­nen Schmer­zen zu­fügt. In der ‘Schö­nen neu­en Welt’ wer­den Men­schen kon­trol­liert, in­dem man ih­nen Freu­de zu­fügt.«

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Mo­ham­med Abed Al-Ja­bri: Kri­tik der ara­bi­schen Ver­nunft – Ein­füh­rung

Kritik der arabischen VernunftDie »Kri­tik der ara­bi­schen Ver­nunft« ist ein vier­bän­di­ges Werk: Der er­ste Teil er­schien 1984 un­ter dem Ti­tel »Die Ge­ne­se des ara­bi­schen Den­kens«, 1986 er­schien »Die Struk­tur des ara­bi­schen Den­kens«, 1990 »Die ara­bi­sche Ver­nunft im Po­li­ti­schen« und 2001 dann »Die prak­ti­sche ara­bi­sche Ver­nunft«.

Mo­ham­med Abed Al-Ja­bri* wur­de 1935 in ei­ner Ber­ber­fa­mi­lie im süd­li­chen Ma­rok­ko ge­bo­ren. Er ab­sol­vier­te ei­ne Schnei­der­leh­re, wur­de Volks­schul­leh­rer und be­gann 1958 ein Phi­lo­so­phie­stu­di­um in Da­mas­kus. 1970 pro­mo­vier­te er über den Hi­sto­ri­ker und »Vor­läu­fer der mo­der­nen So­zio­lo­gie«** Ibn Khal­dun. Er un­ter­rich­te­te is­la­mi­sche Ideen­ge­schich­te in Ra­bat. An­fang der 80er Jah­re be­gann Al-Ja­bri Bü­cher zu pu­bli­zie­ren und wur­de da­mit un­ter ara­bi­schen In­tel­lek­tu­el­len be­kannt. Bis auf Band drei der Kri­tik, der 2007 un­ter dem Ti­tel »Die po­li­ti­sche Ver­nunft im Is­lam: Ge­stern und heu­te« in fran­zö­si­scher Spra­che pu­bli­ziert wur­de, sei Al-Ja­bris Haupt­werk bis­her in kei­ner an­de­ren Spra­che ver­öf­fent­licht wor­den (so der Ver­lag), was durch­aus Ab­sicht des Au­tors war, der den in­ner­a­ra­bi­schen Dia­log be­för­dern woll­te statt in an­de­ren Kul­tur­krei­sen zu re­üs­sie­ren.

Die »edi­to­ri­sche No­tiz« des Ver­lags ver­wirrt den Le­ser mehr als das sie auf­klärt. Der Ver­lag schreibt, daß die »syn­op­ti­schen Tex­te, die in das vor­lie­gen­de Buch ein­ge­gan­gen sind« nicht Teil der »Kri­tik« sei­en, son­dern aus zwei an­de­ren Tex­ten Al-Ja­bris stamm­ten. Aus­ge­wählt wur­den die­se Tex­te von Ah­med Mah­foud und Marc Ge­off­roy, wo­bei Mah­foud, der als »Freund und Agent« Al-Ja­bris vor­ge­stellt wird, die Über­set­zung al­ler vier Bän­de der »Kri­tik« vom Ara­bi­schen ins Fran­zö­si­sche vor­ge­nom­men hat.

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