Komm-Pot

Unsichtbares Komitee: Der kommende Aufstand

Un­sicht­ba­res Ko­mi­tee: Der kom­men­de Auf­stand

»Der kom­men­de Auf­stand« im Spie­gel des mo­der­nen An­ar­chis­mus

Nach dem Zu­sam­men­bruch der bi­po­la­ren Welt 1989/90 kam es in vie­len Re­gio­nen zu po­li­ti­schen, eth­ni­schen, so­zia­len oder öko­no­mi­schen Kon­flik­ten. Aus den Re­si­du­en der Stell­ver­tre­ter­krie­ge ent­wickel­ten sich mit­un­ter Bür­ger­krie­ge, die mit äu­ßer­ster Bru­ta­li­tät ge­führt wur­den und oft­mals jeg­li­cher Kon­trol­le ent­zo­gen wa­ren. Dies zum An­lass neh­mend, for­mu­lier­te Hans Ma­gnus En­zens­ber­ger 1994 sei­ne »Aus­sich­ten auf den Bür­ger­krieg« als ein glo­ba­les Phä­no­men, wel­ches ent­we­der weit ent­fernt in Afri­ka oder Asi­en ver­or­tet wur­de oder in Eu­ro­pa lo­kal be­grenzt blieb (bspw. Bas­ken­land oder Nord­ir­land) be­vor es mit den ju­go­sla­wi­schen Se­zes­si­ons­krie­gen mit vol­ler Ve­he­menz in das eu­ro­päi­sche Wohn­zim­mer ein­brach. En­zens­ber­ger mach­te auch in den west­eu­ro­päi­schen Na­tio­nen Ne­ster die­ses »mo­le­ku­la­ren Bür­ger­kriegs« aus, kon­sta­tier­te aber eher vor­sich­tig: »Man kann sich fra­gen, wie ernst der Ge­walt­kult der eu­ro­päi­schen Avant­gar­den zu neh­men ist. Ih­re Pro­vo­ka­tio­nen zeu­gen nicht nur von ei­nem tie­fen Haß auf das Be­stehen­de, son­dern auch von ei­nem eben­so tie­fen Selbst­haß. Wahr­schein­lich dien­ten sie auch der Kom­pen­sa­ti­on ei­ge­ner Ohn­machts­ge­füh­le und der Ab­wehr ei­nes Mo­der­ni­sie­rungs­zwan­ges, der ih­re Gel­tungs­an­sprü­che be­droh­te.« Süf­fi­sant er­gänz­te er noch: »Au­ßer­dem wird man die Nei­gung zur Po­se in Rech­nung stel­len müs­sen…«

En­zens­ber­ger hat­te da­mals hell­sich­tig die glo­ba­len Be­dro­hun­gen durch den is­la­mi­sti­schen Ter­ro­ris­mus vor­weg­ge­nom­men. Die wach­sen­den Un­zu­frie­den­hei­ten an und in den re­prä­sen­ta­ti­ven De­mo­kra­tien Eu­ro­pas, die sich bei­spiels­wei­se in den Un­ru­hen in den Pa­ri­ser Ban­lieues von 2005 zum er­sten Mal in grö­ße­rem Aus­maß zeig­ten, konn­te er je­doch un­mög­lich vor­her­se­hen. Die­se Un­ru­hen ha­ben 2007 ei­ni­ge Au­toren zu ei­ner grund­le­gen­den Schrift in­spi­riert, die den »kom­men­den Auf­stand« nicht nur be­schreibt, son­dern in ei­nem ei­gen­ar­ti­gen Stil zwi­schen Zy­nis­mus, Hoch­mut und Käl­te lo­gi­sti­sche und bel­li­zi­sti­sche An­wei­sun­gen ver­brei­tet. 2009 wur­de das Buch um die Kom­men­tie­rung der Er­eig­nis­se in Grie­chen­land 2008 er­gänzt. Die­se Neu­auf­la­ge liegt nun in der deut­schen Über­set­zung von El­mar Schme­da bei »Nau­ti­lus« vor.

Kon­spi­ra­ti­on und Ca­mou­fla­ge

Die Kon­spi­ra­ti­on, die als es­sen­ti­ell für die­se Form der po­li­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung be­schrie­ben, ja be­schwo­ren wird, zeigt sich schon in der Be­nen­nung des Ver­fas­sers, die ei­ne me­di­al ge­lun­ge­ne An­ony­mi­sie­rung dar­stellt: Ein »Un­sicht­ba­res Ko­mi­tee« probt da den Auf­stand. Nun kann ent­spre­chend ge­rät­selt wer­den, wer hin­ter dem Pam­phlet steckt. Da­bei dürf­te es sich kaum um un­ter­pri­vi­le­gier­te Trans­fer­lei­stungs­emp­fän­ger oder die zor­ni­gen Ju­gend­li­chen von 2005 han­deln. Auch die Ter­ro­ri­sten des 11. Sep­tem­ber wa­ren ja kei­ne in Ar­mut dar­ben­den Un­ter­drück­ten. Die­sen war le­dig­lich die Cla­queur-Rol­le zu­ge­schrie­ben.

Die Spra­che des Bu­ches ca­mou­fliert sich ent­we­der auf­ge­setzt un­in­tel­lek­tu­ell oder es han­delt sich bei den Au­toren um schlich­te Ge­mü­ter. Re­zen­sen­ten, die da ei­ne neue lin­ke Pro­gram­ma­tik her­aus­le­sen und/oder ei­ne in­tel­lek­tu­el­le Aus­ein­an­der­set­zung lo­ben, ha­ben ih­re Pro­jek­tio­nen ge­le­sen, aber nicht die­ses Buch. In Wirk­lich­keit wird kaum auf phi­lo­so­phi­sche oder po­li­ti­sche Wer­ke Be­zug ge­nom­men. Pro­mi­nen­te Re­fe­ren­zen (bei­spiels­wei­se die rus­si­schen An­ar­chi­sten oder auch Fou­cault) un­ter­blei­ben. Statt­des­sen wer­den Po­li­ti­ker­aus­sa­gen aus dem Fern­se­hen er­wähnt und zi­tiert. Der Auf­stän­di­sche als Couch-Po­ta­to – so än­dern sich die Zei­ten.

Exi­stenz statt Le­ben

»Der kom­men­de Auf­stand« kommt zu­nächst als Ana­mne­se der Ge­sell­schaft in sie­ben Kreise[n] (Ka­pi­teln) da­her. Die Grund­stim­mung ist re­si­gna­tiv bis de­pres­siv. Da­bei über­rascht, wenn ein­mal fast trot­zig po­stu­liert wird: Wir sind nicht de­pri­miert, wir strei­ken.

Die Er­kennt­nis­se sel­ber sind nicht neu. Die po­li­ti­schen In­sti­tu­tio­nen wer­den mit den so­zia­len, öko­no­mi­schen und öko­lo­gi­schen Pro­ble­men nicht mehr fer­tig. Die Po­li­tik­ka­ste bil­det ei­ne Art Staat im Staa­te und hat es längst auf­ge­ge­ben, die Wirt­schaft zu bän­di­gen oder zu zäh­men. Sie be­steht aus Ham­pel­män­nern, die sich im Pa­la­ver er­ge­hen. Der Par­la­men­ta­ris­mus wird zu sech­zig Jah­ren de­mo­kra­ti­sche An­äs­the­sie er­klärt. Ein Jahr­hun­dert lang, so in fos­si­lem Duk­tus, ha­be die Demokratie…bei der Her­vor­brin­gung fa­schi­sti­scher Re­gime den Vor­sitz ge­führt. Das Volk wird der­weil mit Kon­sum und al­ler­lei Ab­len­kung ru­hig­ge­stellt. Wo dies nicht mehr funk­tio­niert, wer­den die Bul­len ein­ge­setzt oder gleich die Ar­mee. Da­bei ist nicht die Ge­sell­schaft in der Kri­se – die Kri­se ist die­se Ge­sell­schaft. Und Kri­se ist – Krieg.

Die Ge­gen­wart ist aus­weg­los – dies ist die Quint­essenz, die be­reits im er­sten Satz vor­weg­ge­nom­men wird (es wird nicht ent­wickelt, son­dern de­kla­miert). Der Wohl­fahrts­staat wird in An­füh­rungs­zei­chen ge­setzt; sei­ne Aus­wir­kun­gen sind furcht­erre­gend. Die Men­schen wur­den ih­rer Spra­che ent­eig­net durch den Un­ter­richt, un­se­rer Lie­der durch die Schla­ger­mu­sik, un­se­rer Kör­per­lich­keit durch die Mas­sen­por­no­gra­fie, un­se­rer Stadt durch die Po­li­zei, un­se­rer Freun­de durch die Lohn­ar­beit. Statt zu le­ben exi­stie­ren sie nur noch. Im­mer wie­der setzt das Ko­mi­tee die als me­cha­nisch und ok­troy­iert emp­fun­de­ne Exi­stenz ei­nem nicht nä­her de­fi­nier­ten frei­en Le­ben ge­gen­über (Hob­bes’ Na­tur­zu­stand?). Die Ge­sell­schaft be­steht nur noch aus Pa­ti­en­ten, die zu­sam­men zit­tern. Auch die Pro­the­sen des Ich, der In­di­vi­dua­lis­mus, ver­mö­gen dies nicht auf­zu­hal­ten. Im Ge­gen­teil: Der dum­me Glau­be an die Dau­er­haf­tig­keit des Ichs ver­stärkt nur noch un­ser Ge­fühl der Halt­lo­sig­keit. Der In­di­vi­dua­lis­mus soll nicht ge­zähmt, son­dern ab­ge­schafft wer­den. Ge­gei­ßelt wird die grausame…Individualisierungsarbeit ei­ner Staats­ge­walt, die von der Schu­le an ih­re Sub­jek­te be­no­tet, ver­gleicht, dis­zi­pli­niert und trennt.

Uri Gordon: Hier und Jetzt

Uri Gor­don: Hier und Jetzt



Na­tür­lich as­so­zi­iert man an­ar­chi­sti­sches Ge­dan­ken­gut – so­wohl was die Dia­gno­se an­geht als auch im dann ent­wickel­ten Ak­tio­nis­mus. Schnell er­kennt man al­ler­dings die er­ste fun­da­men­ta­le Dif­fe­renz zum Groß­teil des zeit­ge­nös­si­schen po­li­ti­schen An­ar­chis­mus. Der is­rae­li­sche Ak­ti­vist Uri Gor­don hat in sei­nem in die­sem Jahr eben­falls bei »Nau­ti­lus« er­schie­ne­nen Buch »Hier und Jetzt« die un­ter­schied­li­chen Strö­mun­gen ak­tu­el­ler an­ar­chi­sti­scher Be­we­gun­gen be­han­delt. Da­bei steht der In­di­vi­dua­lis­mus in na­he­zu al­len Strö­mun­gen gar nicht zur Dis­po­si­ti­on (es sei denn, er rich­tet sich ge­gen an­de­re In­di­vi­du­en). Und in ei­nem an­de­ren Punkt un­ter­schei­det sich die Schrift auch von den gän­gi­gen Be­we­gun­gen: die um­fas­sen­de, glo­ba­le, über In­ter­net oder an­de­re Kom­mu­ni­ka­ti­ons­me­di­en mög­li­che Ver­net­zung un­ter­ein­an­der – für Gor­don ein wich­ti­ges »an­ar­chi­sti­sches« Kri­te­ri­um – wird in der fran­zö­si­schen Auf­stands­schrift ab­ge­lehnt. Zu ge­fähr­lich sei das Ri­si­ko des Auf­spü­rens und Ent­tar­nens. Man fa­vo­ri­siert das gu­te »al­te« pri­va­te Tref­fen, möch­te kei­nen zen­tra­li­sti­schen Über­bau, will Mi­lieus mei­den (sie sind al­le kon­ter­re­vo­lu­tio­när, weil ih­re ein­zi­ge Be­schäf­ti­gung dar­in be­steht, ih­ren schlech­ten Kom­fort zu be­wah­ren), lehnt her­kömm­li­che Or­ga­ni­sa­ti­ons­for­men ab (Or­ga­ni­sa­tio­nen sind ein Hin­der­nis da­bei, sich zu or­ga­ni­sie­ren) und plä­diert statt­des­sen für of­fen­si­ve Kom­pli­zen­schaf­ten. Das Ko­mi­tee prä­fe­riert klei­ne, zell­arti­ge Struk­tu­ren, die – oh Wun­der – Kom­mu­ne ge­nannt wer­den. Sie be­stehen aus »Par­ti­sa­nen«, die na­tür­lich im Krieg sind. Dann möch­te man auch wie­der die ver­schmäh­te Macht: Al­le Macht den Kom­mu­nen!

Die ein­zel­nen Kom­mu­nen bzw. de­ren Mit­glie­der sind in den so­zia­len In­ter­ak­tio­nen den is­la­mi­stisch-ter­ro­ri­sti­schen Schlä­fern nicht un­ähn­lich. Sie sol­len sich mit lo­ka­ler So­zi­al­hil­fe und ei­nem an­ge­leg­ten Ge­mü­se­gar­ten für ei­ni­ge Zeit tar­nen. Letz­te­res trägt zur von ei­nem Staat un­ab­hän­gi­gen, aut­ar­ken Ver­sor­gung bei und führt zum »au­to­nom wer­den« als er­ste Stu­fe der so­zia­len Sub­ver­si­on. Dies be­deu­tet ler­nen, auf der Stra­ße kämp­fen, sich lee­re Häu­ser an­zu­eig­nen, nicht zu ar­bei­ten, sich wahn­sin­nig zu lie­ben und in den Ge­schäf­ten zu klau­en. Wirft ein Be­ruf nütz­li­che Er­kennt­nis­se für die Par­ti­sa­nen­tä­tig­keit ab, ist auch die­ser ge­stat­tet. Sport­li­che Ak­ti­vi­tä­ten wie Bo­xen sind auch sinn­voll (Bo­xer­auf­stand!). Die ein­zel­nen Kom­mu­nen agi(ti)eren da­bei selb­stän­dig und un­ko­or­di­niert . Nicht ein­mal von der im An­ar­chis­mus so es­sen­ti­el­len »De­zen­tra­li­sie­rung« kann man da spre­chen, weil die­se im­mer­hin ei­ne Struk­tur vor­aus­setzt. So ruft das Ko­mi­tee zu Be­trü­ge­rei­en, An­eig­nun­gen (statt Plün­de­run­gen) und zu Brand­schat­zun­gen auf. Und ar­bei­ten­de Kom­mu­nar­den kön­nen Sa­bo­ta­ge­ak­tio­nen und Zer­stö­run­gen in den Un­ter­neh­men vor­neh­men.

»Dog­ma­tis­mus der In­fra­ge­stel­lung«

Die Me­tro­po­le schafft, so das Ko­mi­tee, ky­ber­ne­ti­sche Ein­sam­kei­ten. Sie muss zer­stört wer­den. Na­tür­lich ist Geld nur Schmier­mit­tel, da­mit der »Be­trieb« auf­recht er­hal­ten wer­den kann. Es ge­hört lang­fri­stig eben­falls be­sei­tigt. Fa­mi­lie ist die in­fan­ti­le Hin­ga­be an ei­ne flau­mi­ge Ab­hän­gig­keit. Ein Paar ist Au­tis­mus zu zweit. Mit der To­ta­li­tät des so­zia­len Raums wird dif­fus ein Ge­fühl der Ver­ein­nah­mung aus­ge­drückt. Schon zu Be­ginn wird ver­kün­det, dass es kei­ne so­zia­le Lö­sung ge­ben kann. Was das ge­nau be­deu­tet, bleibt un­deut­lich. Wie so häu­fig in die­sem Buch sieht man ei­nen Blitz und muss den Don­ner er­ah­nen.

Zu­wei­len sind die Be­schrei­bun­gen der Zu­stän­de mit über­ra­schen­den Schluss­fol­ge­run­gen ver­knüpft. So zum Bei­spiel, wenn es heißt, dass sich der Ok­zi­dent als spe­zi­fi­sche Zi­vi­li­sa­ti­on ge­op­fert [hat], um sich als uni­ver­sel­le Kul­tur durch­zu­set­zen. Der west­li­che Im­pe­ria­lis­mus heu­te, das ist der des Re­la­ti­vis­mus, des »Das ist dei­ne An­sicht«, das ist der klei­ne Sei­ten­blick oder der ver­letz­te Pro­test ge­gen all das, was dumm ge­nug, pri­mi­tiv ge­nug oder selbst­ge­fäl­lig ge­nug ist, um noch an et­was zu glau­ben, um noch ir­gend­et­was zu be­haup­ten. Dies könn­te so­wohl Mo­ham­med At­ta als auch ein ita­lie­ni­scher Neo­fa­schist ge­sagt ha­ben. An­ge­klagt wird hier nicht mehr und nicht we­ni­ger als der Plu­ra­lis­mus ei­ner wie auch im­mer or­ga­ni­sier­ten Ge­sell­schaft – schein­bar zu Gun­sten ein­fa­cher Wahr­hei­ten. Die Welt ist eben un­über­sicht­lich ge­wor­den. In der Mo­der­ne er­kennt man den Dog­ma­tis­mus der In­fra­ge­stel­lung ge­paart mit ei­nem Im­pe­ra­lis­mus des Re­la­ti­ven und er­klärt dem über­rasch­ten Le­ser, dass kei­ne ge­sell­schaft­li­che Ordnung…auf Dau­er auf das Prin­zip grün­den kann, dass nichts wahr sei. Im Dunk­len bleibt, wer die Wahr­hei­ten de­fi­niert, al­so die Fra­ge nach Le­gi­ti­ma­ti­on.

Und kon­si­stent ist man auch nicht, wie sich im Ka­pi­tel über die öko­lo­gi­sche Ka­ta­stro­phe zeigt, die in Wirk­lich­keit nicht be­rührt. Und das sei ge­ra­de die Ka­ta­stro­phe, so das Ko­mi­tee. Es folgt dann ei­ne für die­se Schrift ty­pi­sche Vol­te: Es gibt kei­ne Um­welt­ka­ta­stro­phe. Es gibt die­se Ka­ta­stro­phe, die die Um­welt ist. Die Um­welt ist das, was dem Men­schen üb­rig bleibt, wenn er al­les ver­lo­ren hat. Bio­le­bens­mit­tel wer­den pro­du­ziert, um noch pro­du­zie­ren zu kön­nen. Der grü­ne Ka­pi­ta­lis­mus sei, so das Ko­mi­tee, ge­schei­tert – eben weil er letzt­lich wei­ter­macht, wenn auch mit ge­rin­ge­rer In­ten­si­tät. Öko­lo­gie ist die neue Mo­ral des Ka­pi­tals. Falsch ist das nicht. Aber so geht »In­fra­ge­stel­lung« von al­lem: Die Ka­ta­stro­phe ist die Chan­ce; in ei­ner apo­ka­lyp­ti­schen At­mo­sphä­re or­ga­ni­siert sich hier und da (sic!) ein Le­ben neu. Bei­spie­le sind ein Miets­haus, in dem der Strom aus­ge­fal­len ist oder das zer­stör­te New Or­leans, in dem die Selbst­ver­ständ­lich­keit der Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on wie­der auf­keimt. Dass das reich­lich idea­li­stisch und ver­kür­zend ist, kann man in Kleists No­vel­le »Das Erd­be­ben von Chi­li« nach­le­sen und in Nord­ko­rea an­schau­en.

Man­ches ist in sei­ner pa­ra­no­iden Ver­quast­heit ein­fach nur ko­misch. Da ist von ei­ner Papp­kul­tur die Re­de und Li­te­ra­tur in Frank­reich sei der Raum, den man für die Un­ter­hal­tung der Ka­strier­ten sou­ve­rän be­wil­ligt hat. Na­he­zu al­les wird von die­sem Ko­mi­tee ab­ge­lehnt, weil na­tür­lich na­he­zu al­les zur Er­hal­tung des be­stehen­den Sy­stems dient (auch kei­ne gänz­lich neue Er­kennt­nis). Da blei­ben Un­ge­reimt­hei­ten nicht aus. Mal wird be­klagt, dass die Al­ten für schänd­li­che Prei­se den Hin­tern ab­ge­wischt be­kom­men, um die­se Al­ten dann we­nig spä­ter als lust­gie­ri­ge Rent­ner­hor­den zu be­schimp­fen. Na­tür­lich ar­bei­ten die ex­tre­men Rech­ten längst mit der po­li­ti­schen Lin­ken (die nur wei­ter ver­west) und den Ge­werk­schaf­ten zu­sam­men. Frank­reich, das Land der Ver­schwö­run­gen: Das Ich ist nicht das, was bei uns in der Kri­se ist, son­dern die Form, die man uns auf­zu­drücken ver­sucht. Das sa­gen wel­che, die das »Ich« als Rück­zugs­raum für ih­ren re­vo­lu­tio­nä­ren Auf­stand er­he­ben und ent­spre­chend pfle­gen. Die ge­le­gent­li­che auf­blit­zen­de Ko­mik im Buch ist eher ru­sti­ka­ler Na­tur, et­wa wenn der Aus­druck »brand­neu« in Be­zug auf neue Ein­kaufs­zen­tren die gan­ze Be­stim­mung be­inhal­ten soll. In Deutsch­land weiß man, wie die Kar­rie­ren von Kauf­haus­brand­stif­tern wei­ter­gin­gen.

Re­fle­xio­nen aus dem mo­der­nen An­ar­chis­mus wer­den ent­we­der igno­riert oder bis zur Un­kennt­lich­keit ra­di­ka­li­siert. Zu­nächst lehnt man jeg­li­che Form von Herr­schaft (»Macht über« nennt dies Gor­don) ab. Durch rhi­zom­ar­ti­ge Struk­tu­ren von von­ein­an­der un­ab­hän­gi­gen Ein­zel­kom­mu­nen er­scheint ei­ne Ko­or­di­na­ti­on un­ter den di­ver­sen Grup­pen (»Macht mit«) tat­säch­lich zu­nächst ent­behr­lich. Man kann auch zu dem Schluss kom­men, dass das Ko­mi­tee fürch­tet, dass die pro­ble­ma­ti­schen For­men von Macht, die sich im Ka­pi­ta­lis­mus zei­gen, in an­ar­chi­sti­schen Struk­tu­ren nicht so »ab­we­gig« sind, wie man dies leicht selbst-idea­li­sie­rend an­nimmt und ver­tagt da­her das The­ma. Aber die wil­den, un­ko­or­di­nier­ten »di­rek­ten Ak­tio­nen« (Gor­don), er­heb­lich wei­ter­ge­hend als blo­ßer zi­vi­ler Un­ge­hor­sam, ge­hö­ren ir­gend­wann mit­ein­an­der ver­knüpft. Selbst »Welt-An­ti-Sy­ste­me«, die das Le­ben in klei­nen, aut­ar­ken stam­mes­ähn­li­chen Struk­tu­ren vor­se­hen, im­ple­men­tie­ren ir­gend­wann ei­nen über­grei­fen­den, »uni­ver­sell gül­ti­gen Ge­sell­schafts­ver­trag«.

Er­geb­nis­of­fen­heit

Ein an­de­rer wich­ti­ger Punkt der neue­ren an­ar­chi­sti­schen Theo­rien wird (un­be­ab­sich­tigt?) über­nom­men: »Die Er­war­tung ei­nes re­vo­lu­tio­nä­ren Ab­schlus­ses ei­nes Kamp­fes« ist, so Gor­don, nicht mehr im­pli­zit im an­ar­chi­sti­schen Han­deln vor­ge­se­hen. Er ver­wen­det für die­ses Ver­fah­ren den Be­griff der »Er­geb­nis­of­fen­heit«: Man in­ter­es­siert sich aus­drück­lich »nicht für uto­pi­sche Ent­wür­fe ei­ner ‘post­re­vo­lu­tio­nä­ren’ an­ar­chi­sti­schen Ge­sell­schaft«. Auf­stand oder Re­vo­lu­ti­on exi­stie­ren aus sich her­aus be­reits; sie ge­nü­gen in ih­rer Aus­bil­dung als kon­ti­nu­ier­li­cher Pro­zess (dem »Kampf«) als Ent­wurf ei­ner neu­en Ge­sell­schafts­ord­nung. Au­ßer ei­ni­gen phra­sen­haf­ten For­mu­lie­run­gen feh­len in der Ko­mi­tee-Schrift eben­falls de­tail­lier­te Per­spek­ti­ven wo­für man ein­tritt noch wird ei­ne sy­ste­ma­ti­sche Me­tho­dik ent­wickelt. Ei­ni­ges schwingt je­doch zwi­schen den Zei­len mit. So wird phy­si­sche Ge­walt auch ge­gen an­we­sen­de Per­so­nen nicht aus­ge­schlos­sen. Es gibt kei­nen fried­li­chen Auf­stand. Gordons mo­der­ner De­fi­ni­ti­ons­ver­such von Ge­walt (»Ein Akt ist als Ge­walt zu be­zeich­nen, wenn ihn der­je­ni­ge, ge­gen den er sich rich­tet, als An­griff oder ab­sicht­li­che Ge­fähr­dung er­lebt«) wird un­ter­gra­ben. Statt­des­sen wer­den Po­li­zi­sten und an­de­re Staats­re­prä­sen­tan­ten ent­per­so­na­li­siert (Fick die Po­li­zei). Das weckt Par­al­le­len zu ein­schlä­gi­gen links­ter­ro­ri­sti­schen Pam­phle­ten der 70er Jah­re (bspw. der »RAF«). Bei Al-Qai­da sind schließ­lich pau­schal al­le west­lich ori­en­tier­ten Per­so­nen »schul­dig«, un­ab­hän­gig von ih­rer Funk­ti­on. Waf­fen wer­den vom Ko­mi­tee gou­tiert. Aber man soll al­les tun, um ih­ren Ge­brauch über­flüs­sig zu ma­chen und tun­lichst nicht ein­set­zen. Die Aus­füh­run­gen die­ses a prio­ri Pa­zi­fis­mus sind in­ter­es­sant und er­in­nern an die Ab­schreckungs­sze­na­ri­en wäh­rend des Kal­ten Krie­ges. Die Ar­mee (vul­go: staat­li­che Ge­walt) ist po­li­tisch zu be­sie­gen, aber ge­gen die re­gel­mä­ßi­ge Rück­kehr des Mo­lo­tow-Cock­tails be­stehen dann doch kei­ne Vor­be­hal­te.

Die Bot­schaft ist ei­ne per­ma­nen­te De­struk­ti­on bis hin zur Ent-Zi­vi­li­sie­rung der be­stehen­den Ge­sell­schaft. Ist die­se Form ei­nes prag­ma­ti­schen Schwei­gens zur Zu­kunft nicht letzt­lich Aus­weis ei­ner frap­pie­ren­den Vi­si­ons­lo­sig­keit oder nur ein »Feh­len al­ler Über­zeu­gun­gen«, wel­ches En­zens­ber­ger schon 1994 beim west­li­chen Bür­ger­krie­ger fest­stell­te? Je­den­falls ver­sucht der mo­der­ne An­ar­chist mit dem of­fen­si­ven Ver­zicht jeg­li­cher po­li­ti­scher Ent­wür­fe aus der Not ei­ne Tu­gend zu ma­chen, wäh­rend das Ko­mi­tee ge­gen En­de nur die Vo­ka­bel Kom­mu­nis­mus in den Ring wer­fen wird.

Au­to­ri­tät ge­biert Au­to­ri­tät

Im neu­zeit­li­chen An­ar­chis­mus ist es in den letz­ten Jahr­zehn­ten zu ei­ner wich­ti­gen und be­deut­sa­men theo­re­ti­schen Er­kennt­nis ge­kom­men: Der re­vo­lu­tio­nä­re Pro­zess ist nicht mehr von sei­nem an­ge­streb­ten Er­geb­nis zu ent­kop­peln. Der Zweck hei­ligt nicht mehr die Mit­tel. Be­we­gun­gen, die mit au­to­ri­tä­ren Struk­tu­ren von oben nach un­ten ih­re Zie­le ver­fol­gen (und sei es auch nur der un­end­li­che Pro­zess des Auf­stands oder der Re­vo­lu­ti­on), wer­den selbst in au­to­ri­tä­ren Struk­tu­ren mün­den. »So­bald man sich ganz dar­auf kon­zen­triert, le­dig­lich die Macht im Staa­te zu er­obern und des­halb an au­to­ri­tä­ren Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren fest­hält, wäh­rend man den Auf­bau ei­ner frei­en Ge­sell­schaft auf ’nach der Re­vo­lu­ti­on’ ver­tagt, ist der Kampf schon ver­lo­ren«, so Gor­don. Ein »Macht ka­putt, was Euch ka­putt macht« führt letzt­lich zu ei­ner Per­ver­tie­rung des­sen, was man an­strebt: Ei­ne Herr­schaft wird nur durch ei­ne an­de­re aus­ge­tauscht. Hier­von in der Ko­mi­tee-Schrift kein Wort.

So wird der Ver­zicht ei­nes neu­en Welt­bil­des – in An­be­tracht der gro­ßen drei ge­schei­ter­ten Ideo­lo­gien des 20. Jahr­hun­derts (Kom­mu­nis­mus, Fa­schis­mus und Na­tio­nal­so­zia­lis­mus) ein ver­mut­lich ab­sichts­vol­les Un­ter­fan­gen – der »Flug­schrift« zum Ver­häng­nis, weil sie ih­re Wer­te und Zie­le nicht sy­ste­ma­tisch aus­for­mu­liert, son­dern sehr all­ge­mein Sa­bo­ta­ge­ak­te, wil­de und ge­walt­tä­ti­ge De­mon­stra­tio­nen und das Ab­fackeln von Stra­ßen­zü­gen be­für­wor­tet. Es ist Krieg; man ist aus der klas­si­schen Po­li­tik de­ser­tiert. Tat­säch­lich sind die Ver­falls­er­schei­nun­gen de­mo­kra­ti­scher Ge­sell­schaf­ten durch ei­ne zu­neh­mend au­ti­stisch agie­ren­de po­li­ti­sche und öko­no­mi­sche Klas­se deut­lich zu spü­ren. Aber so­lan­ge kei­ne halb­wegs mas­sen­kom­pa­ti­ble Al­ter­na­ti­ve ent­wickelt wird, dürf­te der kru­de Ra­di­ka­lis­mus des Ko­mi­tees für die brei­te Be­völ­ke­rung nicht at­trak­tiv ge­nug sein.

Kro­pot­kins Ur­en­kel sind da längst wei­ter. Gor­don fasst das grif­fig zu­sam­men: »Ein Auf­stand der Mas­sen mag…unter be­stimm­ten Um­stän­den im­mer noch Er­folg ver­spre­chend sein, doch ist er auf ei­ne sehr trag­fä­hi­ge Ba­sis in der Be­völ­ke­rung an­ge­wie­sen« und be­für­wor­tet ei­nen höch­stens spar­sa­men Um­gang mit ge­walt­tä­ti­gen Ak­tio­nen. An­son­sten be­steht die Ge­fahr ei­ner eli­tä­ren, ja ter­ro­ri­sti­schen Auf­stands-Ka­ma­ril­la. Aber­mals ist das Ko­mi­tee der Ent­wick­lung weit zu­rück­ge­blie­ben.

»Der au­ti­sti­sche Cha­rak­ter der Tä­ter und…ihre Un­fä­hig­keit, zwi­schen Zer­stö­rung und Selbst­zer­stö­rung zu un­ter­schei­den« mach­te En­zens­ber­ger als Merk­mal der mo­le­ku­la­ren Bür­ger­krie­ger fest. Hier­in könn­te ih­re Ge­fähr­lich­keit lie­gen, die weit über ei­ne Sor­ge um ein neu zu ord­nen­des Ge­mein­we­sen hin­aus­reicht. Am En­de er­fährt man zwar, dass der Kom­mu­nis­mus das Ziel ist und dass man weiß, dass dies ein Be­griff ist, den man mit Vor­sicht ge­brau­chen muss. Aber man de­fi­niert ihn nicht. Die Par­al­le­len zum ja­ko­bi­nisch-ter­ro­ri­sti­schen Pol Pot-Re­gime Kam­bo­dschas der 1970er Jah­re sind evi­dent. Die Ro­ten Khmer de­por­tier­ten die Ein­woh­ner der Haupt­stadt Phnom Penh, zwan­gen die städ­ti­sche Be­völ­ke­rung zur land­wirt­schaft­li­chen Zwangs­ar­beit, plan­ten ei­nen rura­len, aut­ar­ken Bau­ern­staat, schaff­ten das Geld ab und brach­ten miss­lie­bi­ge oder für miss­lie­big ge­hal­te­ne Per­so­nen um. Zwar fehl­ten der Ro­ten Khmer je­doch der ty­pi­sche kom­mu­ni­stisch-ideo­lo­gi­sche Über­bau: Glau­be an die Ge­schich­te als Fort­schritt, Tech­nik­af­fi­ni­tät, Plan­wirt­schafts­den­ken (so Bo­ris Barth). Statt­des­sen hat­te Pol Pot als Stu­dent in Frank­reich wohl aus­gie­big Rous­se­au ge­le­sen.

Auch Ver­glei­che mit der Ko­mi­tee-Schrift zu Ma­os »Klei­nem ro­tem Buch« (»Die Wur­zeln der ex­tre­men De­mo­kra­ti­sie­rung [sind] in der klein­bür­ger­li­chen in­di­vi­dua­li­sti­schen Un­dis­zi­pli­niert­heit zu su­chen«) stel­len sich ein. Die Hel­den des Ko­mi­tees sind die Prak­ti­ker der Pa­ri­ser Kom­mu­ne von 1871 und die grie­chi­sche Er­he­bung von 2008. Sie sind die Vor­bil­der. Im­mer­hin ist die Per­spek­ti­ve ei­ner Stadt­gue­ril­la ira­ki­scher Art mehr zu fürch­ten als zu wün­schen, aber nur weil sie sich oh­ne Mög­lich­keit zur Of­fen­si­ve fest­fah­ren wür­de. Ei­ne Pri­se Clau­se­witz.

»Der kom­men­de Auf­stand« bie­tet in zwangs­ori­gi­nell-an­ge­streng­ten Sät­zen ei­nen ek­lek­ti­zi­sti­schen Cock­tail aus ob­sku­rem »An­ar­cho-Pri­mi­ti­vis­mus«, grob­schläch­ti­gem Kom­mu­nis­mus und Pol Pot an. So­zu­sa­gen »Komm-Pot«. Und das ist nicht lu­stig.


Die kur­siv ge­setz­ten Pas­sa­gen sind Zi­ta­te aus dem Buch »Der kom­men­de Auf­stand« des »Un­sicht­ba­ren Ko­mi­tees«.


Und hier ur­tei­len fünf sechs Kol­le­gen über das Buch: Glanz und Elend


34 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ein groß­ar­ti­ges Buch, so­weit ich es noch in Er­in­ne­rung ha­be, aber wo sonst kann die An­ar­chie sich im be­sten Fall herr­li­cher aus­le­ben als in der Li­te­ra­tur?

  2. nie­der­ma­chen ist ein­fach, und al­les?
    der ein­zig ak­zep­ta­ble kom­men­tar zum »auf­stand« ist der von herrn keu­sch­nig, der zu­min­dest nicht ganz so selbst­zu­frie­den im ei­ge­nen in­tel­lek­tua­lis­mus ba­det wie die an­de­ren. nach­dem ich, durch die ar­ro­gan­te io­gno­ranz der re­zen­sen­ten hin­durch­blickend, auf die be­haup­tun­gen stiess, die in dem büch­lein wirk­lich for­mu­liert wer­den, bin ich trau­rig ob der fest­stel­lung, das ge­nau die­se igno­ranz es ist, die sol­che bü­cher oder pam­phle­te über­haupt erst her­vor­brin­gen. nicht erst mi­chel hou­el­le­becq, über den be­kannt­lich ge­mut­maßt wur­de, ei­ner der au­toren zu sein, schrieb in »die welt als su­per­markt« sinn­ge­mäß, das ei­gent­lich kei­ner mehr lust auf die­ses sy­stem hat, das am lieb­sten je­der längst bom­ben in die­sen mo­der­nen spät­ka­pi­ta­lis­mus wer­fen wür­de, je­doch be­reits so ein­ze­men­tiert ist in die zwän­ge, das er sich nicht mehr traut. oder so ähn­lich. ei­ne der größ­ten sün­den, nicht nur in dan­tes ko­mö­die, ist die träg­heit. und schein­bar sind wir ge­nau da an­ge­kom­men, das die­se fa­ta­le egal – hal­tung sich schlei­chend, aber (hof­fent­lich nicht) si­cher und ste­tig breit­macht und je­des wa­che be­wusst­sein frü­her oder spä­ter nie­der­d­opt. als wol­le man sich schüt­zen vor wei­te­ren ent­täu­schun­gen und des­il­lu­sio­nie­run­gen hat man längst an­ge­fan­gen, nicht mehr hin­zu­se­hen, nicht mehr hin­zu­hö­ren; in der öf­fent­lich­keit sind die leu­te be­müht, zu je­der si­tua­ti­on ein po­ker­face auf­zu­set­zen, cool sein ist ‘in’, wo­bei die me­di­en flei­ssig dar­an ar­bei­ten das ‘cool’ zu ‘blöd’ mu­tiert. nach dem ‘du sollst-nicht-mer­ken’ – prin­zip frei nach ali­ce mil­ler wer­den die sin­ne so ru­hig­ge­stellt und doof gemacht(verzeihung, aber das ‑ist- ‑so‑, auch wenn es in die­sem schein­bar un­rei­fen heft­chen steht und ent­spre­chend miss­braucht wird) von tv, (tv-)werbung und mitt­ler­wei­le auch vom in­ter­net, das je­de emp­find­sa­me re­gung, je­de ge­sun­de em­pö­rung ob der ver­hält­nis­se be­lä­chelt, ver­nied­licht, ver­spot­tet wird. gün­ther grass hat sinn­ge­mäß ge­sagt, es ist schlimm, wenn man sich nicht mehr em­pört. und ge­nau das pas­siert ge­ra­de. man macht kom­plett zu, lenkt mit ekel­haf­ter ar­ro­ganz ab vom ei­ge­nen un­ver­mö­gen, end­lich aus dem arsch zu kom­men und sinn­vol­les zu tun an­statt selbst­ge­fäl­lig die bei­ne über­ein­an­der zu schla­gen und im ke­ro­sin­sprü­her zur kli­ma­kon­fe­renz nach bal­ler­mann 3000 – can­cun zu flie­gen. oder mit hoch­ge­zo­ge­nen au­gen­brau­en mil­de lä­chelnd den dümm­lich-nied­li­chen ‘auf­stand’ zu über­flie­gen, weil man nicht dau­ernd dar­an er­in­nert wer­den will, das man frü­her als noch jun­ger jour­na­list für den job ge­brannt hat und heu­te nicht mal mehr weiss, wie man in­ve­sti­ga­tiv schreibt und lie­ber sei­nen spät­bur­gun­der all­abend­lich ge­niesst an­statt sich ernst­haft zu fra­gen, ob man schon ge­nau so klein­ge­macht wur­de wie die, die au­sser neid und mü­dig­keit nichts mehr zu bie­ten ha­ben. der schuss die­ses büch­leins geht wohl nach hin­ten los, was nichts an der tat­sa­che än­dert, das ein quan­ten­sprung im be­wusst­sein (nett for­mu­liert vom mitt­ler­wei­le lei­der auch sehr be­que­men da­ni­el cohn ben­dit) un­be­dingt nö­tig ist, um uns zu ret­ten. und nie­mand ist durch die schlech­ten re­zen­sio­nen da­zu be­rech­tigt, die hän­de in den mass­ge­schnei­der­ten an­zug­ta­schen zu ver­gra­ben und ein bi­schen trau­rig-wis­send um­her­zu­schau­en mit mü­de zucken­den schul­tern.
    da­für ist die la­ge zu ernst. die er­de und die men­schen hal­ten ver­dammt viel aus, aber ir­gend­wann ist ein­fach schluss, mei­ne da­men und her­ren. und das schlimm­ste dar­an ist, das viel zu vie­le da­bei nicht mehr den­ken als »wenn, dann nicht jetzt, nicht in mei­ner ge­ne­ra­ti­on, ich werd noch durch­kom­men, al­les an­de­re ist mir egal«.

  3. Wut
    Die kann ich gut ver­ste­hen. Ei­ne an­de­re Blog­ge­rin schrieb kürz­lich:

    Ich kann kaum fas­sen, dass ich frü­her mal Hard­core­pa­zi­fist war. Dem­nächst muss man dem Frie­den zu­lie­be ler­nen, Mo­lo­tow zu brau­en.

    Und wenn sich wel­che wirk­lich trau­en von ih­rem de­mo­kra­ti­schen Recht zum Pro­test Ge­brauch zu ma­chen, dann dür­fen sie sich von Herrn So­boc­zyn­ski in der Zeit als Wut­bür­ger dif­fa­mie­ren las­sen. (Auch wenn ich Herrn So­boc­zynskis Ein­wür­fe mitt­ler­wei­le mit Be­lu­sti­gung und ge­las­se­ner zur Kennt­nis neh­me, nach­dem ich ge­merkt ha­be, dass er ja doch auch nur so ein Pseu­do­in­tel­lek­tu­el­ler ist, wie wir al­le.)

    Zwar ha­be ich auch iro­nisch mal zur Ver­ei­ni­gung al­ler Pseu­do­in­tel­lek­tu­el­len (hier: Blog­ger) auf­ge­ru­fen, aber da­hin­ter lag doch auch der Wunsch, dass Blogs nicht bei dem kri­ti­schen Po­ten­ti­al ei­ner Spree­wald­gur­ke ste­hen blie­ben.

    Ih­re Wut tut gut!
    (Auch wenn die­ses State­ment pro­ble­ma­tisch ist, wird es le­dig­lich auch wie­der nur Af­fir­ma­ti­on!)

    Man darf doch nicht die Hän­de in den Schoß le­gen und auf ei­nen Wys­soz­ki des Spät­ka­pi­ta­lis­mus hof­fen; man muss ver­su­chen ei­ner zu sein!

  4. @Phorkyas
    Wut ist zu­wei­len an­ge­bracht, ja not­wen­dig (Klein­schrei­bung üb­ri­gens eher nicht). Aber sie ver­stellt den Blick. Sie mag mensch­lich sein und auch als Ven­til nütz­lich, löst aber dau­er­haft kei­ne Pro­ble­me.

    Jetzt sind mir »Ver­ei­ni­gun­gen« oder So­li­da­ri­sie­run­gen im­mer auch ein Stück weit su­spekt. Ich ha­be noch nie auf der Stra­ße de­mon­striert, da ich die (zu­wei­len zwei­fel­los not­wen­di­gen) Kom­ple­xi­täts­re­du­zie­run­gen (= Pa­ro­len) has­se. Sie sind all­zu häu­fig nur von der Ge­sin­nung eher un­ter­schied­lich zum »Bild«-Schlagzeilen-Aufmacher.

    Das Auf­stands­buch bie­tet kei­ne leb­ba­ren Al­ter­na­ti­ven an. Es soll­te sich durch die ge­schicht­li­chen Ver­blen­dun­gen des 20. Jahr­hun­derts leid­lich her­um­ge­spro­chen ha­ben, wor­in sol­che af­fekt­ge­steu­er­ten Gue­ril­la-Idea­li­sie­run­gen füh­ren: KZ, Gu­lag, Kil­ling Fields. Nach der er­sten Wut müss­te ir­gend­wann wie­der der Ver­stand ein­set­zen.

  5. @Tanja Hal­ler
    Der Quan­ten­sprung ist ei­ne furcht­bar schlech­te Me­ta­pher – er ist ja ge­nau das Ge­gen­teil des in­ten­dier­ten. Oder soll­te der Sprung klein sein?

  6. Die­se Aus­sa­ge ha­be ich jetzt schon häu­fi­ger ge­hört.

    Die Ein­füh­rung des Quan­ten­sprun­ges war die Ant­wort auf die Fest­stel­lung, dass die Na­tur nicht kon­ti­nu­ier­lich ist. Es muss al­so »al­le Kraft zu­sam­men­ge­nom­men wer­den«, um die Hür­de zu über­win­den. Lang­sa­mes ran trot­ten reicht nicht. Zum Zeit­punkt als der Aus­druck ge­prägt wur­de, war das Bild stim­mig (wie bei den mei­sten Re­de­wen­dun­gen).

  7. Quan­ten­sprung
    Über den war ich auch ge­stol­pert und ha­be mich ent­schlos­sen dar­über hin­weg­zu­sprin­gen. – Es scheint mir schon ver­ständ­lich was ge­meint ist: ei­ne neue, qua­li­ta­ti­ve Än­de­rung. Lei­der hängt die Me­ta­pher doch mehr­fach schief. Denn selbst, wenn man un­ter­stellt, die­ses sei ge­meint, so geht es ja ge­ra­de um sehr klei­ne, quan­ti­ta­ti­ve Än­de­run­gen (die dann zwar nicht mehr kon­ti­nu­ier­lich sind).. Wahr­schein­lich ha­ben die Jou­na­li­sten und Po­li­ti­ker die »Quan­ten­re­vo­lu­ti­on« im Hin­ter­kopf: wie die (klas­si­sche) Phy­sik auf den Kopf ge­stellt wur­de (kein Bahn­be­griff mehr, Un­schär­fe­re­la­ti­on, Ver­schrän­kung..), dass man al­so ein an­de­res Den­ken, ei­ne an­de­re Her­an­ge­hens­wei­se über­haupt be­nö­tigt.. aber »Quan­ten­sprung« hat schon ei­ne fest­ge­leg­te Be­deu­tung in der Phy­sik als Über­gang zwi­schen ver­schie­de­nen En­er­gie­ni­veaus im Atom.

    Z.B. hier wird’s auch be­schrie­ben.. und auch ge­sagt, das selbst schon Phy­si­ker das ver­wen­den.. Graus­lig.

  8. Der Herr Wer­ner er­scheint mir doch ein rech­ter Kreuz­züg­ler zu sein (Dumm­deutschaus­druck!), der ein­lei­tend kon­sta­tiert, dass die Ma­te­rie nur von Fach­leu­ten ver­stan­den wird. War­um schreibt er dann dar­über? Und na­tür­lich fin­det man auch ge­gen­tei­li­ge Aus­sa­gen.

    Die mei­sten Über­gän­ge in der Na­tur ver­hal­ten sich nach der üb­li­chen Wachs­tums­for­mel á la e^-t/T mit ei­ner Zeit­kon­stan­te T, die die Ge­schwin­dig­keit der Aus­gleichs­vor­gän­ge an­gibt. Der Quan­ten­sprung (der Aus­druck wird heu­te nicht mehr ge­braucht) fin­det da­ge­gen in­stantan statt und hat da­her ei­ne ganz an­de­re Qua­li­tät. Wer nur auf die Grö­ße der Ver­än­de­rung re­kur­riert, ver­steht das Bild glau­be ich falsch. Wenn ich je­man­den auf­for­de­re ei­nen Zahn zu­zu­le­gen, wird er mir auch nicht ant­wor­ten, dass er aber ei­nen Elek­tro­herd ha­be, der sehr wohl stu­fen­los ein­stell­bar ist.

  9. »Hei­se« halt... (dort hält man es mit Spra­che ja eh nicht so ge­nau).

    Tat­säch­lich ist »Quan­ten­sprung« ge­nau wie »Zahn zu­le­gen«: ei­ne eher nichts­sa­gen­de Pseu­do-Me­ta­pher. Bei Quan­ten­sprung par­fü­miert man sich nur noch mit dem Odi­um der Wis­sen­schaft­lich­keit. In der stil­len Hoff­nung, der/die an­de­re er­schrickt vor lau­ter De­mut.

    (Viel in­ter­es­san­ter wä­re es auf die an­de­ren zum Teil schie­fen As­so­zia­tio­nen der Wut­po­ste­rin ein­zu­ge­hen. Et­wa das Mi­chel Hou­el­le­becq ei­ner der Ver­fas­ser des Pam­phlets sein könn­te. Das ist ei­ne min­de­stens küh­ne Theo­rie, die im üb­ri­gen vom fran­zö­si­schen Her­aus­ge­ber längst de­men­tiert wur­de.)

  10. Ihr Kom­men­tar war jetzt aber auch nur Be­haup­tung oh­ne Ar­gu­ment. Und da­zu noch ab­wer­tend. Das kön­nen Sie glau­be ich bes­ser.

  11. Idio­syn­kra­si­en
    @Zufgas
    Mit »Dumm­deutsch« be­zo­gen Sie sich aber nicht auch auf das Büch­lein (das ich mal ganz amue­sant fand, aber auf Dau­er doch er­mü­dend, ja en­ner­vie­rend), son­dern auf den ver­link­ten Sprach­kri­ti­ker (ich muss zu­ge­ben, mir des­sen Web­prä­senz nicht wei­ter an­ge­se­hen zu ha­ben)?

    Den Ein­wand, dass es sich ja auch ge­ra­de um ei­ne »qua­li­ta­ti­ve« Än­de­rung des Zu­stan­des han­delt, wie in dem Hei­se-Ar­ti­kel ge­schrie­ben hat­te ich schon selbst an­über­legt aber doch ver­wor­fen (das »die dann zwar nicht mehr kon­ti­nu­ier­lich sind« in der Klam­mer zeugt noch da­von). Aber mit dem Quan­ten­sprung as­so­ziert man doch so­fort das ver­al­te­te Borhsche Mo­dell mit sei­nen Bah­nen und die Über­gän­ge, die sich dort er­ge­ben, oder? Und da ist man doch auf dem Holz­weg, wenn so ei­ner da­her­kommt und sei­nen Quan­ten­sprung an­preist. Ist nun mal nichts be­son­de­res. Strahlt man ein biss­chen Licht auf ei­ne Pro­be oder ähn­li­ches.

    »Das ent­schei­den­de dar­an ist, dass En­er­gie von ei­nem Quan­ten­sy­stem nur in ganz­zah­li­gen Viel­fa­chen ei­ner be­stimm­ten Grund­men­ge auf­ge­nom­men oder ab­ge­ge­ben wer­den kann.« – Ja, dies be­trifft die En­er­gie­ei­gen­wer­te, dass die­se dis­kret sind und so ein Elek­tron oh­ne äu­ße­re Stö­run­gen nicht aus die­sem Zu­stand her­aus­kä­me, sorgt letzt­lich da­für, dass die Materie/Atome sta­bil ist, was klas­sisch nicht ge­ge­ben wä­re. (Nur gibt es quan­ten­me­cha­nisch auch kon­ti­nu­ier­li­che Spek­tra.) Nun springt der Au­tor aber, denn im näch­sten geht es nicht mehr um die Quan­telung der En­er­gie, son­dern um Zu­stands­än­de­run­gen. Und da wird es mei­nes Er­ach­tens et­was un­scharf:
    »..in ei­nen an­de­ren Zu­stand über­geht, dann ist es tat­säch­lich, von ei­nem Schlag auf den an­de­ren. Da gibt es kei­nen lang­sa­men, glei­ten­den, in­fi­ni­te­si­mal an­ge­nähr­ten Über­gang – «
    Nein. Da soll­te er sich die Stö­rungs­theo­rie noch ein­mal an­schau­en, glau­be ich. Er scheint wohl an die Mes­sung zu den­ken, bei dem die Wel­len­funk­ti­on des Sy­stems in den ei­nen oder den an­de­ren Zu­stand kol­la­bie­ren muss und es so ei­ne kla­re Di­cho­to­mie gibt. – Für die Be­schrei­bung der Über­gän­ge gilt dies je­doch nicht. Dort gibt es nur sta­ti­sti­sche Be­schrei­bun­gen, die die Ra­ten oder Wahr­schein­lich­kei­ten für die Über­gän­ge wi­der­ge­ben.. denn die zu­grun­de lie­gen­de (Schrödinger-)gleichung hat kei­ne Sprün­ge, die ent­ste­hen erst durch die nach­träg­li­che Mes­sung (das ist ja ge­ra­de das Mess­pro­blem).
    Wei­ter:
    »das ist ein qua­li­ta­ti­ver Wech­sel in et­was völ­lig An­de­res. So wie gas­för­mig ein an­de­rer Ag­gre­gat­zu­stand als flüs­sig ist«
    Hmm.. et­was schief: Von den mi­kro­sko­pi­schen Zu­stän­den (bei de­nen es so et­was wie die ma­kro­sko­pi­schen Zu­stän­de flüs­sig, fest erst ein­mal gar nicht gibt) springt er plötz­lich in die Ther­mo­dy­na­mik und zu Pha­sen­über­gän­gen. Mit so ei­nem Quan­ten­sprung so ei­ner ein­zel­nen An­re­gung be­kommt man das aber be­stimmt nicht hin. Mei­stens hopst das Teil­chen schon nach kur­zer Zeit doch wie­der in sei­nen Grund­zu­stand zu­rück...

    Al­les in al­lem kann mich sein »qua­li­ta­ti­ver« Wech­sel nicht über­zeu­gen (gut ich war da vor­ein­ge­nom­men), wie ge­sagt wahr­schein­lich as­so­ziert er mehr, das was ich Quan­ten­re­vo­lu­ti­on nann­te, dass man ei­ne völ­lig neue Sicht auf die Na­tur be­kam (s. sei­ne Aus­füh­rung zu Planck)... aber das hat mit dem Quan­ten­sprung als ein­zel­nem phy­si­ka­li­schem Phä­no­men ja nix zu tun, son­dern mit der Theo­rie, in der die­ser auf­tritt.

    —–
    Hät­te ich mal die Klap­pe ge­hal­ten.. aber so hat je­der sei­ne Idio­syn­kra­si­en. Der ei­ne mag kei­ne Klein­schrei­bung, den and­ren brin­gen Quan­ten­sprün­ge auf die Pal­me,.. ich re­agier z.B. auch emp­find­li­cher auf den das-dass Un­ter­schied (weil ich da selbst mich öf­ter er­tap­pe)... Dem­nächst ver­su­che ich mal die ei­ge­nen bes­ser im Zaum zu hal­ten, dann blei­ben Ih­nen und mir so lan­ge Bei­trä­ge er­spart(;
    —–

    Mei­nen Sie mit »Die mei­sten Über­gän­ge in der Na­tur ver­hal­ten sich nach der üb­li­chen Wachs­tums­for­mel á la e^-t/T mit ei­ner Zeit­kon­stan­te T« so et­was wie ra­dio­ak­ti­ven Zer­fall, ge­dämpf­te Schwin­gun­gen, ..? – Wo Sie von Über­gän­gen spre­chen hät­te ich eher den Boltz­mann­fak­tor e^-E/(kT) an­ge­ge­ben (E En­er­gie, kT Bolts­mann­fak­tor mal Tem­pe­ra­tur), der nimmt man fuer E die An­re­gungs­en­er­gien die Wahr­schein­lich­keit fuer ther­mi­sche An­re­gun­gen wi­der­gibt (bei ho­hen Tem­pe­ra­tu­ren wird es dann ent­spre­chend wahr­schein­li­cher an­ge­reg­te Zu­staen­de vor­zu­fin­den).

  12. Wut?
    das mein kom­men­tar so wü­tend klingt, war mir gar nicht be­wusst. es sieht na­tür­lich nicht gut aus, mit zorn­ro­tem ge­sicht die wän­de hoch zu ge­hen. es be­ein­druckt auch eher ne­ga­tiv. al­ler­dings taugt »wer schreit, hat un­recht« mitt­ler­wei­le auch nur mehr als ali­bi für pas­si­vi­tät, fin­de ich. ag­gres­si­vi­tät ist ‑erst mal- »nur« ei­ne le­ben­di­ge form von le­bens­en­er­gie. die nicht zwin­gend gleich au­tos an­steckt und schei­ben ein­schlägt. die man ler­nen muss, sinn­voll ein­zu­set­zen, na­tür­lich. wach sein ist si­cher an­ge­sagt. gott, das ist furcht­bar an­stren­gend, ich weiss. aber dann läuft der spät­bur­gun­der viel­leicht auch eher mit gu­tem ge­wis­sen die keh­le run­ter? ich will dann auch die gross – und klein­schrei­bung be­ach­ten! und ich be­dan­ke mich, das mein recht lan­ger kom­men­tar ge­le­sen wur­de.

    [EDIT: 2010-12-17 12:56]

  13. gott, das ist furcht­bar an­stren­gend, ich weiss. aber dann läuft der spät­bur­gun­der viel­leicht auch eher mit gu­tem ge­wis­sen die keh­le run­ter?
    Die Alt68er trin­ken eher Rot­wein. Ich Ries­ling.

    [EDIT: 2010-12-17 13:00]

  14. An »..und das im Hal­se stecken­ge­blie­be­ne La­chen in der Pau­se mit Cham­pa­gner run­ter­spült« muss­te ich da ge­ra­de den­ken http://web.archive.org/web/20150313062203/http://mimuse.de:80/mimuse/ueber-uns/kuenstler-ueber-uns/volker-pispers – ich weiss nicht, ob er mit die­ser klei­nen Pu­bli­kums­be­schimp­fung im­mer noch sein Pro­gramm be­ginnt..)

    Ich nehm lie­ber ’nen trocke­nen Spa­ni­er... na dann, Prost?

    Wut war viel­leicht schon et­was zu viel... aber manch­mal schreibt man sich bei sol­chen Kom­men­ta­ren ja in Ra­ge, bzw. ueber­hitzt die ei­ge­ne Rhe­to­rik ein biss­chen, war doch aber in die­sem Fal­le auch ge­ra­de rich­tig, fand ich.. Die Kom­men­tar­spal­ten eig­nen sich ja wun­der­bar, um ein biss­chen Dampf ab­zu­las­sen

    Wut muss doch nicht de­struk­tiv sein, son­dern kann pro­duk­tiv um­ge­setzt wer­den – sei es Le­ser­brief oder Blog,.. (wenn man den nur oft ge­nug den Berg hin­auf­rollt,.. pas­siert auch nichts)

    @Keuschnig: »Ver­ei­ni­gun­gen« sind mir eben­so su­spekt. Mas­sen in ei­nem Fuss­ball­sta­di­um ma­chen mir schon Angst – wenn man dann auch hoert was die da so sin­gen. – Von den Pro­te­sten um Stuttgart21 ha­be ich nur in den Me­di­en er­fah­ren, da er­schien mit ei­ne ge­wis­se In­sze­niert­heit auch schon su­spekt – aber viel­leicht lag das an der Be­richt­erstat­tung, die sich dar­an er­goetz­te, dass end­lich et­was pas­sier­te – letzt­lich weiss ich ja auch nicht, wie die­se Pro­te­ste wirk­lich in­iti­iert wur­den (aber ich glau­be ich las auch in ih­rem Zu­sam­men­hang schon von PR aehn­li­chen Ein­rich­tun­gen, die in so­zia­len Netz­wer­ken sol­che Din­ge jetzt schon zu trig­gern ver­su­chen)

    [EDIT: 2010-12-17 18:11]

  15. Pro­te­ste wie ge­gen Stutt­gart 21 ent­wickeln ih­re ei­ge­ne Dy­na­mik durch die me­dia­le Ver­mitt­lung. Je mehr dar­über be­rich­tet wird, de­sto mehr »zieht« die­ser Pro­test wie­der­um Leu­te an, weil sie da­mit wahr­ge­nom­men wer­den. Die Über­grif­fe der Po­li­zei vom 30.9.10 brach­ten dann noch zu­sätz­lich ei­ne So­li­da­ri­sie­rungs­wel­le in Gang. Das pro­blem ist, dass die Me­di­en die Pro­te­ste so dar­stel­len, als de­mon­strie­re da ei­ne Mehr­heit. Das ist aber em­pi­risch so gut wie nie be­legt. Auch in Um­fra­gen war die Be­völ­ke­rung zu­meist pa­ri­tä­tisch »ge­spal­ten«. Auch hier sind die me­dia­len Ein­flüs­se nicht zu un­ter­schät­zen. Die­se Wel­len schwap­pen ir­gend­wann wie­der ab, weil »Pro­test« nicht be­lie­big zu hal­ten ist.

    Die Wir­kung der Me­di­en lässt sich auch gut an­hand der Ca­stor-Pro­te­ste ab­le­sen: Der Trans­port nach Gor­le­ben neu­lich fand enor­me Re­so­nanz – der nach Lub­min vor ei­ni­gen Ta­gen so gut wie gar kei­ne. Da spie­len Sym­bo­le ei­ne gro­ße Rol­le.

    [EDIT: 2010-12-18 15:24]

  16. zu Herrn Keu­sch­nig »Pro­te­ste wie ge­gen Stutt­gart...«
    Das wür­de ja mal ein po­si­ti­ves Licht auf die Me­di­en wer­fen, wenn sie De­mon­stra­tio­nen wie in Stutt­gart de­mon­stran­ten­freund­lich dar­stel­len wür­den und den Ein­druck von ‘vie­len, sehr vie­len, al­so rich­tig vie­len Men­schen auf der Stra­sse..’ er­wecken wür­den. ich ha­be eher den Ein­druck, dass meist (viel­leicht nicht in Zei­tun­gen wie der TAZ) die an­de­re Sei­te, al­so die un­heim­lich stark in An­spruch ge­nom­me­ne Po­li­zei, die so furcht­bar vie­le Ver­letz­te zu be­kla­gen hat, mög­lichst gut aus­ge­leuch­tet rü­ber­kommt. Un­ab­hän­gig da­von möch­te ich noch er­wäh­nen, das mir Ihr Kom­men­tar zu »Deutsch­land schafft sich ab« sehr gut ge­fal­len hat; äu­sserst prä­zi­se, vie­len dank! ein bi­schen Ag­gres­si­on steckt al­so doch noch in ei­nem eta­blier­ten Jour­na­li­sten?! und die gibt dem Ar­ti­kel ge­nau die rich­ti­ge Do­sis Pfef­fer, wenn ich das mal mit al­lem Re­spekt so sa­gen darf..!;) Im üb­ri­gen bin auch ich kein Alt68er und be­vor­zu­ge Kölsch. Zum Wohl.

    [EDIT: 2010-12-18 20:30]

  17. zu Phor­k­yas
    Im Grun­de macht es mich un­zu­frie­den, wenn ich mer­ke, das Sie Recht ha­ben mit Ih­rer Be­haup­tung, das man ganz gut Dampf ab­las­sen kann in sol­chen Blogs. Weil ich tue mo­men­tan ja auch nicht viel mehr als das. Und das ist nicht viel bes­ser als was am Stamm­tisch pas­siert, oder? (Bit­te nicht falsch ver­ste­hen; ich mei­ne jetzt wirk­lich nur mich..!) Ok, viel­leicht kann ich mir noch ein bi­schen bes­ser vor­kom­men, weil ich mir et­was Zeit und Ru­he neh­me, um mich zu­min­dest halb­wegs blog­taug­lich aus­zu­drücken. Und ich muss auch nicht so schrei­en. Zu­ge­ge­ben tut ein Aus­tausch mit an­de­ren Zeit­ge­nos­sen mit­un­ter ja auch gut. Aber ich bin im­mer noch kein zah­len­des Mit­glied bei At­tac oder Am­ne­sty In­ter­na­tio­nal ge­schwei­ge denn Green­peace. ich ha­be so­gar immer(hin den Mut zu sa­gen..) noch nicht den Strom­an­bie­ter ver­öko­lo­gi­siert. Nach die­sem pein­li­chen Ge­ständ­nis wer­de ich es end­lich tun.! Und mir fällt auch noch mehr ein, hof­fe ich. Viel­leicht er­öff­ne ich dann im Früh­jahr ei­nen Ver­kaufs­la­den für Daim­ler-Ster­ne und Chrys­ler-Rück­spie­gel.. :) Tschö mit ö.

    [EDIT: 2010-12-18 20:57]

  18. @Tanja Hal­ler
    Ich bin kein eta­blier­ter Jour­na­list (falls Sie glau­ben, ich sei das).

    Im üb­ri­gen wer­fen die Me­di­en die Mei­nung zu ih­ren Bil­dern aus, wie sie es möch­ten. Mal eher pro – dann wie­der con­tra. Ich fin­de bei­des lang­wei­lig. Me­di­en, die mich in­dok­tri­nie­ren wol­len (egal in wel­che Rich­tung) muss man mei­den. Man lebt zu kurz für sol­che Ma­ni­pu­la­tio­nen.

    [EDIT: 2010-12-19 15:25]

  19. Das mit dem »Dampf ab­las­sen« schrieb ich und merk­te, dass es durch­aus ei­ne ne­ga­ti­ve No­te be­saß, die soll­te sich aber doch ge­gen mich selbst ver­stan­den wis­sen (denn in letz­ter Zeit schwa­fel ich doch ein biss­chen viel in den Kom­men­tar­spal­ten her­um)... und ich weiß es ja nicht – viel­leicht sind Sie ja in ei­nem krea­ti­ven Be­ruf tä­tig oder an­der­wei­tig ak­tiv (auch wenn sie die ent­spre­chen­den Ver­eins­zu­ge­hö­rig­kei­ten nicht auf­wei­sen, das heißt ja nichts).

    Mei­ne Teu­fels­hör­ner sind lei­der wohl ge­nau­so stumpf wie Fe­der und Ver­stand, da wer­de ich mei­nem Pseud­onym nicht sehr ge­recht.

    ...Al­ler­dings steht für mich doch fest, dass ich ge­ra­de die­se »Ver­ei­ne« mei­den muss, wenn ich es mit mei­nem Pro­test ernst mei­nen will (so wie man kei­ner Kir­che bei­tre­ten soll­te, wenn man es mit dem Evan­ge­li­um oder sei­nem Glau­ben ernst meint?)

    Und was bleibt dann man – so klug als wie zu­vor?

    @Keuschnig: Aber die In­dok­tri­na­ti­on ent­decken, sich ih­rer si­cher sein, wie kann man das? Ich wen­de mich auch so­fort ab, wenn ich das Ge­fühl ha­be, ei­nen Bä­ren auf­ge­bun­den zu be­kom­men. – Wo­her soll ich wis­sen, ob ich nicht oh­ne­hin nur die Wahl zwi­schen Braun­bär oder Pan­da hab und ich nur den ge­nom­men ha­be, der knuf­fi­ger aus­sieht? (Miss­lun­ge­nes Me­ta­pher (211))

    [EDIT: 2010-12-19 23:49]

  20. @Phorkyas
    Schwer zu sa­gen, wie man das er­kennt. Ich ha­be ei­ne Grund­skep­sis ge­gen­über Mas­sen­strö­mun­gen je­der Art. Bei­spiel­haft ist da für mich die Dis­kus­si­on um die Nach­rü­stung der NATO, die An­fang der 80er Jah­re die Ge­sell­schaft po­la­ri­sier­te. In der Spit­ze de­mon­strier­ten 2 Mil­lio­nen Men­schen an ei­nem Tag in Bonn da­ge­gen. Kohl, der das von Schmidt ge­erbt hat­te, ihm aber zu­stimm­te, schau­te sich die­se De­mon­stra­ti­on vom Hub­schrau­ber aus an. Er war, wie er spä­ter ein­räum­te, durch­aus be­ein­druckt. Ich glau­be so­gar, dass da­mals ei­ne Mehr­heit der Deut­schen ge­gen die­sen »Dop­pel­be­schluß« war. Ich da­mals auch. Aber ich hät­te mich nicht da­zu auf­raf­fen kön­nen, da­ge­gen zu de­mon­strie­ren, da mir das Prin­zip ja ei­gent­lich ein­leuch­te­te. Die Kon­se­quen­zen, die hier­aus hät­ten ent­ste­hen kön­nen, wä­ren al­ler­dings fa­tal ge­we­sen, weil Eu­ro­pa im Nu­kle­ar­krieg hät­te ver­sin­ken kön­nen.

    Ich weiß bis heu­te nicht, ob die­ser Be­schluß rich­tig oder falsch war. Es gibt Hi­sto­ri­ker, die sa­gen, man hät­te da­mit die So­wjet­uni­on prak­tisch tot­ge­rü­stet. Und als Zei­chen, sich nicht alels bie­ten zu las­sen, wä­re es auch rich­tig ge­we­sen. Das mag sein. An­de­rer­seits glau­be ich aber nicht, dass dies ent­schei­dend für den Zu­sam­men­bruch des Kom­mu­nis­mus war.

    Der Pro­test ge­gen Stutt­gart 21 be­kommt durch die me­dia­le Auf­rü­stung ei­ne qua­si-re­li­giö­se Kom­po­nen­te. Im Netz gibt es in­zwi­schen schon S21-Be­für­wor­ter – Ge­gen­strö­mun­gen, die sich mei­stens dann auf­tun, wenn die Sicht als zu ein­sei­tig wahr­ge­nom­men wird. Die Po­la­ri­sie­run­gen neh­men übn­ri­gens im Netz und auch durch das Netz zu. Man kann dies schön am Wiki­leaks-Hype er­ken­nen: Je­des kri­ti­sche Wort hier­zu (oder zu Assan­ge) wird nicht nur ver­schwö­rungs­theo­re­tisch auf­ge­bauscht, son­dern durch den Netz-Mob, der durch nichts de­mo­kra­tisch le­gi­ti­miert ist, au­to­ri­tär sank­tio­niert. Die Art und Wei­se, wie man auf be­stimm­te Rech­te re­kur­riert (bs­opw. das Recht auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung) scheint nur für die­je­ni­gen zu gel­ten, die ei­ne glei­che Mei­nung ver­tre­ten. Die­se Ent­wick­lung ist sehr be­denk­lich.

    [EDIT: 2010-12-20 09:24]

  21. zu Herrn Keu­sch­nig
    Man soll­te die Stel­len, die man ne­ga­tiv kri­ti­siert, erst ge­nau le­sen;
    bzgl Mi­chel Hou­el­le­becq schrieb ich, dass dies über ihn ‑ge­mut­maßt- wur­de. Ge­hört und ge­se­hen ha­be ich die­se Be­haup­tung bei »Kul­tur­zeit«. Ich wür­de mir nicht an­ma­ßen, so et­was als Fakt dar­zu­stel­len.

    [EDIT: 2010-12-21 21:25]

  22. @Tanja Hal­ler
    Ja, ich hab’s schon so ge­le­sen (trotz Klein­schrift und Wut-Stak­ka­to). Aber al­lei­ne das man so et­was »mut­maßt« zeigt zwei­er­lei: 1. Man hat es nicht ge­le­sen und 2. man be­gibt sich auf die spe­ku­la­ti­ve, jour­na­li­sti­sche Ebe­ne, der zu­meist an­de­re Din­ge wich­ti­ger sind als die Text­ana­ly­se. Hier­auf zielt ja die be­wußt an­onym ge­hal­te­ne Au­toren­schaft (ein be­dacht ge­setz­ter Me­di­en-Coup). Hät­te man statt­des­sen zwei un­be­kann­te Po­li­tik­stu­den­ten ge­nannt, wä­re das Büch­lein nicht wei­ter be­ach­tet wor­den (was kein Feh­ler ge­we­sen wä­re). Mit dem »un­sicht­ba­ren Ko­mi­tee« ist aber das lu­sti­ge Au­toren­ra­ten los­ge­tre­ten. Und nur weil man ka­pi­ta­lis­mus­kri­ti­sche Ele­men­te auch bei Hou­el­le­becq her­aus­le­sen kann, wur­de des­sen Mit­au­toren­schaft ver­mu­tet. So »funk­tio­niert« in die­sen Zei­ten der Jour­na­lis­mus: In der voll­kom­me­nen Los­lö­sung des­sen, wor­um es ei­gent­lich geht, wird der Bou­le­vard be­dient.

    Das än­dert man als Le­ser nur da­durch, dass man es igno­riert und sich der Sa­che wid­met. Das ha­be ich ver­sucht. Man mag das nun kri­ti­sie­ren, ver­wer­fen oder auch lo­ben. Spe­ku­la­tio­nen von ir­gend­wel­chen Kul­tur­zeit-Quatsch­köp­fen sind für mich nicht sa­tis­fak­ti­ons­fä­hig.

    [EDIT: 2010-12-22 08:16]

  23. Ge­konn­tes Igno­rie­ren
    Das än­dert man als Le­ser nur da­durch, dass man es igno­riert

    Viel­leicht ist ne­ben dem Ge­schrie­be­nen, das wor­über man nicht schreibt, fast eben­so wich­tig (spon­tan wür­de ich ver­mu­ten dass ge­ra­de der Qua­li­täts­jour­na­lis­mus der FAZ sich ge­ra­de da­durch ‘aus­zeich­nen’ könn­te – im Gu­ten wie im Schlech­ten). Des­we­gen hat­te ich mal ei­ne Ru­brik »Un­wür­di­ge The­men« er­öff­net, um doch über The­men zu schrei­ben, über die ich ei­gent­lich schwei­gen will oder soll­te (He­ge­mann, Stutt­gart 21, Wiki­leaks etc.).

    —–

    Der Pro­test ge­gen Stutt­gart 21 be­kommt durch die me­dia­le Auf­rü­stung ei­ne qua­si-re­li­giö­se Kom­po­nen­te. [..] Man kann dies schön am Wiki­leaks-Hype er­ken­nen: Je­des kri­ti­sche Wort hier­zu (oder zu Assan­ge) wird nicht nur ver­schwö­rungs­theo­re­tisch auf­ge­bauscht, son­dern [..] au­to­ri­tär sank­tio­niert.

    Hier woll­te ich schon wi­der­spre­chen: Denn Mob und Hype, das hat für mich nichts Re­li­giö­ses; Mas­sen schrei­en doch eher nach Ori­en­tie­rung und cha­ris­ma­ti­schen Füh­rern (kü­chen­psy­cho­lo­gisch ge­ne­ra­li­siert ge­spro­chen). – Ge­stern ha­be ich mein er­stes In­ter­view mit Assan­ge ge­le­sen und ich hät­te nicht ge­dacht – bei ihm schei­nen doch ein ge­hö­ri­ger Schuss Cha­ris­ma und Ver­schwö­rungs­theo­rie zu­sam­men­zu­kom­men (bis­her hät­te ich ge­dacht, dass die Print­me­di­en nur ih­ren ei­ge­nen Ava­tar be­kämp­fen: Ein biss­chen wie der Zau­ber­lehr­ling, sie ha­ben den Hype um Wiki­leaks erst ent­facht und sich die­sen Geg­ner auf­ge­baut und schaf­fen es nicht dies wie­der zu stop­pen – aber nach dem In­ter­view hat­te ich doch den Ein­druck, dass er nicht rei­ne Pro­jek­ti­ons­flä­che, ein selbst­er­schaff­ner Schat­ten­box­geg­ner, son­dern dass er selbst schon ei­ni­ges mit­bringt, um zu die­ser Me­di­en­fi­gur zu wer­den.. – aber das ist hier a bis­serl off to­pic, d.h. als kryp­to­an­a­r­schi­sti­scher Ak­ti­vist ist Assan­ge in die­sem Th­read ja gar nicht so weit weg..)

    Das bringt mich zu­rück zur Aus­gangs­fra­ge: Wie in­for­mie­re ich mich (z.B. über Assan­ge)? Muss ich da­von aus­ge­hen me­di­al nur Zerr­bil­der zu er­hal­ten (das wä­re auch so ei­ne Ba­haup­tung von Assan­ge)? Wel­che Me­di­en sind noch sa­tis­fak­ti­ons­fä­hig?

    [EDIT: 2010-12-23 10:48]

  24. @Phorkyas
    So ganz ver­mag ich nicht zu er­ken­nen, war­um ein Hype nicht qua­si-re­li­giö­se Zü­ge an­neh­men kann – wie bspw. im Fall von Assan­ge, der ei­ne Art Klatsch­re­por­ter der po­li­tisch des­il­lu­sio­nier­ten Klas­se dar­stellt. Wo frü­her Müll­ton­nen der Pro­mi­nen­ten nach ver­wert­ba­rem un­ter­sucht wur­den, legt man nun so­ge­nann­te Ge­heim­nis­se of­fen. Der Un­ter­schied ist mar­gi­nal.

    Assan­ge muss ich in­sze­nie­ren, um sei­ne Be­deu­tung zu er­hal­ten. Dies würzt er mit Ver­schwö­rungs­theo­rien und nimmt sei­ne Jün­ger mit, in dem er de­kla­miert, sein Le­ben sei in Ge­fahr. So stellt man sich sel­ber als Mär­ty­rer dar, der für die ver­meint­li­che Mei­nungs­frei­hei­ten die Schmer­zen der Ver­fol­gung aus­hält. So ist nüch­ter­ne Be­richt­erstat­tung längst nicht mehr mög­lich, zu­mal der Mob mit An­grif­fen ge­gen die »Fein­de« droht. Tat­säch­lich kommt man da­mit zum Auf­stands-The­ma wie­der zu­rück.

    Hier­in zeig sich für mich dann auch die Gü­te der Be­richt­erstat­tung: In der Ge­nau­ig­keit. Wenn je­mand wie Ma­rio Six­tus auf Kul­tur­zeit her­um­stam­melt, die »Jungs«, die ei­ni­ge Web­sei­ten lahm­ge­legt hat­ten, »hät­ten viel Spaß«, dann weiß ich, dass die­ser Mann für al­le Zei­ten für ob­jek­ti­ve Wahr­neh­mun­gen ge­stor­ben ist. Oder wenn an­dau­ernd von »ge­hei­men« Do­ku­men­ten die Re­de ist – tat­säch­lich sind nur 10% der ir­gend­wann ein­mal voll­stän­dig ver­öf­fent­lich­ten Do­ku­men­te als »ge­heim« ein­ge­stuft. Dann stellt nie­mand Fra­gen nach der »Aus­wahl« der Do­ku­men­te. Wel­che Do­ku­men­te feh­len? Wo gibt es Schwer­punk­te? Was wur­de weg­ge­las­sen? – Al­les Auf­ga­ben von Jour­na­li­sten, die sich­lie­ber in Ak­kla­ma­ti­on oder Ver­teu­fe­lung üben,statt ih­re Ar­beit zu ma­chen.

    [EDIT: 2010-12-23 11:02]

  25. Für die Re­li­giö­si­tät fehlt mir der Be­zug auf ei­ne ir­gend­wie ge­ar­te­te Tran­szen­denz.

    Dies würzt er mit Ver­schwö­rungs­theo­rien und nimmt sei­ne Jün­ger mit, in dem er de­kla­miert, sein Le­ben sei in Ge­fahr.

    Auf mich mach­te er den Ein­druck als sei er selbst von dem über­zeugt, was er da ma­che (al­so mehr ein ver­bohr­ter Ideo­lo­ge?). Ich muss auch ge­ste­hen, dass mir kryp­to­an­a­r­schi­sti­sche An­sät­ze durch­aus sym­pa­thisch sind. In der Süd­deut­schen gab es auch ei­nen Ar­ti­kel, der ge­nau in die­se Ker­be schlug, dass es nun end­lich der Bü­ro­kra­tie an den Kra­gen gin­ge, die ih­re Macht durch die In­trans­pa­renz und Will­kür er­lang­te (durch al­le De­ka­den hin­durch: ob Wei­mar, 3. Reich oder BRD) – Nun könn­ten sie eben nicht mehr si­cher sein, ob nicht doch ir­gend­wel­che Hin­ter­zim­mer­do­ku­men­te raus­kä­men.. Das er­schien mir ein ge­ra­de­zu mensch­lich-ro­man­ti­scher Denk­an­satz.

    (Ganz an­ders je­doch die FAZ, wenn Sie es nicht schon ge­se­hen ha­ben – ganz amü­san­ter Ar­ti­kel, aber doch a bis­serl mut­wil­lig mu­tet es mir an, die Au­tis­mus­dia­gno­se aus der Fer­ne zu stel­len, da wit­te­re ich doch Min­der­wer­tig­keits­kom­ple­xe ge­gen­über den »Nerds«...)

    [EDIT: 2010-12-23 15:45]

  26. Der FAZ-Ar­ti­kel ver­sucht Assan­ge zu pa­tho­lo­gi­sie­ren. Das nutzt rein gar nichts. Selbst wenn der Mann Au­tist wä­re, wür­de da­mit das Phä­no­men nich­te rklärt wer­den.

    So zu tun, als wür­de Wiki­leaks nun In­trans­pa­renz und WIll­kür ver­un­mög­li­chen – das ist das re­li­giö­se, was ich mei­ne: Die Sehn­sucht nach der hei­len, ge­rei­nig­ten Welt. Die Tran­szen­denz ent­steht durch Teil­ha­be (De­mon­stra­ti­on; Un­ter­stüt­zung; Spen­de; das Wis­sen, »Gu­tes« zu tun). Statt­des­sen wird es in der Di­plo­ma­tie nur noch mehr Ab­schot­tung ge­ben. Es sind zu­meist die glei­chen Jour­na­li­sten, die für »to­ta­le Trans­pa­renz« ein­tre­ten, die ih­re Ge­halts­ver­hand­lun­gen auch nicht ger­ne pu­blik ma­chen wür­den.

    Ei­ne Ge­sell­schaft, in der to­ta­le Trans­pa­renz herrscht, wä­re nicht le­bens­wert. In­ti­mi­tät muss auch für In­sti­tu­tio­nen gel­ten – so­lan­ge sie nicht kri­mi­nell agie­ren. Der Wunsch nach to­ta­ler Trans­pa­renz ent­springt nichts mehr als ei­ner Neu­gier, den »Gro­ßen« in der Welt auf­zu­lau­ern. Da­bei ist das – das zei­gen die­se Ver­öf­fent­li­chun­gen ja – zu­meist reich­lich ba­nal.

    Apro­pos Trans­pa­renz: Man stel­le sich vor, die Men­schen wür­den im­mer und über­all die Wahr­heit sa­gen. Nicht aus­zu­den­ken.

    [EDIT: 2010-12-23 16:08]

  27. Gre­go­ria­ni­scher Im­pe­ra­tiv
    Man stel­le sich vor, die Men­schen wür­den im­mer und über­all
    – die Wahr­heit sa­gen
    – lü­gen
    – blog­gen
    – wei­ter­bil­den
    – nur Gu­tes tun
    – nur Gu­tes den­ken
    – nur Gu­tes spre­chen
    – nur lie­ben
    – be­schei­den sein
    – sich an Ge­set­ze hal­ten
    – kei­nen Scha­den an­rich­ten
    – ge­win­nen
    ...
    Nicht aus­zu­den­ken.

  28. Der FAZ-Ver­riss will mir auch zu mut­wil­lig pa­tho­go­li­sie­ren. Da­bei hät­te man doch schö­ne an­de­re An­knüp­fungs­punk­te ge­habt: Die Ver­schwö­rungs­theo­rie­la­stig­keit – Herr Assan­ge zehrt wie an­de­re da­von, dass die »Main­stream­m­e­di­en« ein völ­lig fal­sches, schie­fes Bild der Wirk­lich­keit lie­fern wür­den, so dass es Wiki­leaks erst mög­lich sei ei­nen Blick hin­ter die Fas­sa­den zu wer­fen, zu zei­gen was wirk­lich ge­spielt wer­de [Hier auch das Mo­tiv des Schlüs­sel­loch­blicks – Voye­ris­mus – Bou­le­var­dis­mus?]. (Et­wa so: Sar­ra­zin be­nö­tigt die Po­li­tisch-Kor­rek­ten, die er an­geb­lich de­mon­tiert ge­nau­so wie Assan­ge sei­ne Main­stream­m­e­di­en – auch wenn sie von bei­den nur ein Stroh­man-Zerr­bild bie­ten?)

    Das Ge­nie zeigt sich da­bei in ei­ner neu­en Form, als trans­hu­ma­nes Sub­jekt, das we­gen sei­ner tech­ni­schen Fä­hig­kei­ten im Um­gang mit Da­ten und Com­pu­tern über die mensch­li­che Gat­tung hin­aus­weist und die Mas­se der Nicht-Se­hen­den in Gna­den­ak­ten in­for­miert.

    Hier spielt Ka­raf­yl­lis wie­der mit Re­li­giö­sem. Mir er­schie­nen nur Trans­pa­renz und Auf­klä­rung eher sä­ku­lär, wes­we­gen ich mich auch so lan­ge ge­gen das »re­li­gi­ös« wehr­te (aber die Ein­schlä­ge gibt es wahr­schein­lich auch in der Auf­klä­rung.. mit der müss­te man sich wohl auch noch aus­ein­an­der­set­zen, woll­te man die Kri­tik an Wiki­leaks wirk­lich füh­ren, scheint mir) – Herr Assan­ge ver­steht sich ja eher auch als je­mand, der ge­wis­ser­ma­ßen die Roh­da­ten, die Quel­len, das Ma­te­ri­al selbst lie­fert, die­se sind sei­ner An­sicht nach zu­nächst neu­tral, nichts als die In­for­ma­ti­on selbst. Dies hät­te dann nichts von Er­leuch­tung, Gna­den­akt, son­dern von... De­mo­kra­ti­sie­rung? In­dem dem Bür­ger das Ma­te­ri­al selbst zu­gäng­lich ge­macht wer­de?
    [Hier müss­ten wohl auch vie­le kri­ti­sche Dis­kus­sio­nen be­gin­nen: Selbst die neu­tral­sten Da­ten sind ja nicht neu­tral, auch sie müs­sen ge­sich­tet, vor­ausge­wählt wer­den.. Wie trans­pa­rent ge­schieht dies nun, wo­her wis­sen wir, was nun ver­öf­fent­licht wird, was nicht? Nach wel­chen Do­ku­men­ten über­haupt ge­sucht wird? usw. usf.]

  29. @Phorkyas
    Ich glau­be ja, dass die Be­deu­tung von Wiki­leaks und vor al­lem die Deu­tung des Phä­no­mens viel zu sehr hoch­ge­spielt wird. Blas­se Jün­gel­chen, die in ih­rem (Journalisten-)Leben noch nicht viel er­lebt ha­ben au­ßer das, was ih­nen durch die Me­di­en na­he­ge­bracht wur­de, ent­decken plötz­lich die gro­ße, wei­te Welt der Di­plo­ma­tie. Je­der Furz in der Ba­de­wan­ne ist für sie ganz schnell ein Tsu­na­mi. Ich le­se , dass ak­tu­ell pro Tag 20 Do­ku­men­te aus dem Leak tröp­feln – so toll kann das dann ja nicht sein. In Wirk­lich­keit wüh­len da Leu­te in den Müll­ton­nen der an­de­ren und ver­kau­fen das Re­sul­tat als »Ent­hül­lung«.

    Assan­ge muß sich mit sei­nen Ver­schwö­rungs­theroei­en um­ge­ben, da­mit nicht ir­gend­wann mal je­mand sagt, dass er ei­gent­lich ziem­lich nackt ist.

    Was Sie in ecki­ge Klam­mern set­zen ist ja fun­da­men­tal für die Be­ur­tei­lung die­ser »Da­ten«. Hin­zu kommt, dass es sich um In­dis­kre­tio­nen han­delt, d. h. die Da­ten müs­sen aus Grün­den des In­for­man­ten­schut­zes auch wie­der der­zeit zu­sam­men­ge­stellt sein, dass nicht deut­lich wird, wer der In­for­mant sein könn­te. Hin­zu kommt, dass der Pro­zeß der In­dis­kre­ti­on sel­ber wie­der­um se­lek­tiv ist.

  30. Dass in un­se­rer Er­re­gungs­öf­fent­lich­keit (vgl. Slo­ter­di­jk) Wiki­leaks so­viel Air­play be­kommt, ist schon ver­wun­der­lich. Ir­gend­wie schei­nen zu­min­dest ei­nen Rie­cher, ih­re Ent­hül­lun­gen auch an den Mann zu brin­gen – und Herr Assan­ge wird auch ent­spre­chend in Sze­ne ge­setzt. (Des­halb woll­te ich schon mit der Zau­ber­lehr­lings­me­ta­pher kom­men: die Zei­tun­gen bla­sen und pum­pen sich da ih­ren ei­ge­nen Phan­tom­geg­ner auf – da­mit wie­der ein biss­chen Rab­batz ist?)

    Sonst.. eben ei­gent­lich doch ein un­wür­di­ges The­ma?

    PS. Sollte/Wollte mich ei­gent­lich wei­ter der Mo­ra­wi­schen Nacht wid­men, denn die ge­fällt mir nach an­fäng­li­chen Zä­hig­kei­ten im­mer bes­ser – Ab und an scheint es als wür­de er nur sein schö­nes Er­zäh­len ver­wal­ten, als gin­ge es nur noch dar­um über das Er­zäh­len zu Er­zäh­len und dann sind doch wie­der zu vie­le Stel­len zu wun­der­bar, zu tref­fend – Ich freue mich je­den­falls schon dar­auf, nach der Lek­tü­re auch end­lich Ih­re Re­zen­si­on (im Ver­gleich zur ei­ge­nen Le­se­er­fah­rung) ganz zu le­sen..

  31. An­mer­kung zu ei­ner Kom­men­tar­lö­schung
    ich ha­be hier ei­nen Kom­men­tar ge­löscht, der ei­nen Link auf ei­nen Text ent­hielt, der sich Ein­füh­rung in den Bür­ger­krieg nann­te. So et­was wird hier ge­löscht. Und zwar oh­ne Dis­kus­si­on.