Rein­hard Kai­ser-Mühlecker: Schwar­zer Flie­der

[...] Rein­hard Kai­­ser-Mühlecker er­zählt die Ge­schich­te von Fer­di­nand Gold­ber­ger mit gro­ßer sprach­li­cher Ge­nauigkeit. Da­bei spielt es für den Le­ser kei­ne Rol­le, dass »Schwar­zer Flie­der« ei­ne Wei­ter­füh­rung der »Gol­d­­ber­­ger-Sa­­ga« des Au­tors ist, die 2009 mit »Mag­da­len­aberg« be­gann, dann 2012 mit dem um­fang­rei­chen Ro­man »Ro­ter Flie­der« fort­ge­setzt wur­de und hier – schein­bar – sein En­de fin­det (der ...

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Der gro­sse Rad­datz

»Ge­strei­chelt wor­den bin ich in mei­nem Le­ben nicht« Die Au­to­bio­gra­phie und die Ta­ge­bü­cher von Fritz J. Rad­datz zei­gen nicht nur ei­ne längst ver­sun­ke­ne Welt der bun­des­deut­schen Nach­­kriegs-Li­te­ra­tur­­bo­­hè­­­me. Wer ge­nau liest, ent­deckt ei­nen auf­rech­ten und emp­find­sa­men In­tel­lek­tu­el­len – und ei­nen groß­ar­ti­gen Schrift­stel­ler Da sind sie al­so end­lich: Die letz­ten Ta­ge­bü­cher von Fritz J. Rad­datz, 2002–2012 (TB ...

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Jörn Birk­holz: Schach­brett­ta­ge

Jörn Birkholz: Schachbretttage
Jörn Birk­holz: Schachbrett­tage
Be­ne­dikt Buch­holz ist 37 Jah­re alt hat sei­nen er­sten Ro­man mit dem Ti­tel »De­ran­giert« ge­schrie­ben. Buch­holz ver­lässt sich nicht auf sei­nen Ver­lag, son­dern te­le­fo­niert Buch­händ­ler ab, ob sie sei­nen Ro­man nicht in ihr Sor­ti­ment über­neh­men möch­ten. Spä­ter wird er noch ein­mal ei­ne sol­che Rund­ruf­ak­ti­on star­ten und nach Mög­lich­kei­ten für ei­ne Le­sung fra­gen. »Schachbrett­tage« be­ginnt mit den Te­le­fon­dia­lo­gen zwi­schen Au­tor und Buch­hand­lun­gen aus al­len Re­gio­nen Deutsch­lands. Da­bei kom­men al­le denk­ba­ren Miss­ver­ständ­nis­se vor, wo­bei das stän­di­ge Ver­ball­hor­nen des ja äu­ßerst kom­pli­zier­ten Na­mens Buch­holz noch das harm­lo­se­ste ist. Ins­be­son­de­re die Re­ak­tio­nen Be­ne­dikts sind min­de­stens gro­ßer Rund­funk und er­in­nern in ih­rer la­ko­ni­schen Ko­mik zu­wei­len an den gro­ßen Mei­ster des Hu­mors: Lo­ri­ot. Vor al­lem, weil al­les nur ein ganz klei­nes biss­chen über­trie­ben zu sein scheint.

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Szc­ze­pan Twar­doch: Mor­phin

Szczepan Twardoch: Morphin
Szc­ze­pan Twar­doch: Mor­phin

Kon­stan­ty Wil­le­man, zer­wühl­tes Haar, blas­ses Ge­sicht, Zwei­ta­ge­bart, ist 29 Jah­re alt, war Un­ter­leut­nant im 9. pol­ni­schen Ula­nen­re­gi­ment und lebt in War­schau. Es ist der 53. Tag nüch­tern vom Mor­phin und der 14. Tag der Deut­schen in War­schau. Er ist schreck­lich ver­ka­tert, muss sich über­ge­ben, trinkt aus der Klo­schüs­sel. Ok­to­ber 1939. Drau­ßen: Be­sat­zung, Krieg, das ver­ge­wal­tig­te War­schau.

Kon­stan­ty ist ver­hei­ra­tet mit He­la, hat ei­nen klei­nen Sohn. Die Näch­te ver­bringt er je­doch meist in ei­ner schä­bi­gen Woh­nung mit der Pro­sti­tu­ier­ten Sa­lo­mé, die auch schon mal ei­ne hei­li­ge Nut­te ist. Wenn die­se Frei­er hat, schmeißt Kon­stan­ty sie raus und schreckt da­bei auch vor Ge­walt nicht zu­rück. Zum ein­zi­gen Le­bens­ziel macht er sich an die Be­schaf­fung des ge­lieb­ten Mor­phi­um. Dann tau­melt er durch die zer­stör­te, ent­wür­dig­te Stadt. Von sei­nem Freund Jacek, ei­nem Arzt, der nur im Kran­ken­haus »funk­tio­niert« und an­son­sten ein de­pres­si­ves, gleich­gül­ti­ges Ner­ven­bün­del ist, könn­te Mor­phi­um-Nach­schub kom­men. Jacek wünscht im Ge­gen­zug, dass Kon­stan­ty sei­ne ver­miss­te Frau Iga sucht. Da­für gibt es ein Fläsch­chen, dass er sich mit Sa­lo­mé teilt. Man er­fährt, dass Iga Kon­stan­tys er­ste Ge­lieb­te war.

Min­de­stens drei Ichs

Szc­ze­pan Twar­doch hat ein wuch­ti­ges Set­ting für sei­nen Ro­man »Mor­phin« ent­wor­fen. Der Über­fall Deutsch­lands und die Auf­tei­lung des sou­ve­rä­nen Po­len durch Hit­ler und Sta­lin sind trau­ma­ti­sche Er­eig­nis­se in der pol­ni­schen Ge­schich­te. Twar­doch, 1979 ge­bo­ren, ent­wickelt im Lau­fe des Ro­mans ei­ne be­drücken­de To­po­gra­phie ei­ner ge­schun­de­nen Stadt, die schau­dern lässt. In zwei Wo­chen ha­ben sie uns um zwei­hun­dert Jah­re zurückge­worfen.

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Uwe Kol­be: Die Lü­ge

Uwe Kolbe: Die Lüge
Uwe Kol­be: Die Lü­ge
Neu­lich strahl­te das ZDF ei­nen zwei­tei­li­gen Film über den All­tag des »nor­ma­len« Bür­gers in der DDR aus. Es war der in­zwi­schen längst üb­li­che Mix aus hi­sto­ri­schen, teil­wei­se pri­va­ten Film­auf­nah­men und Pro­mi­nen­ten, die in den Zeu­gen­stand ge­ru­fen wur­den. Sie er­zähl­ten vom Man­gel, vom Zu­sam­men­halt, von ih­ren Idea­len, die sich suk­zes­si­ve pul­ve­ri­sier­ten. Über­ra­schen­der als die Tat­sa­che ei­nes sol­chen Films an sich war der Ti­tel: »Nicht al­les war schlecht«. Ad­ap­ti­on ei­nes Lied­ti­tels der »Prin­zen« von 2010? Mög­lich. Aber so­fort ka­men mir die Er­zäh­lun­gen von Ver­wand­ten und Be­kann­ten aus mei­ner Kind­heit in den Kopf. Man hör­te den Satz bis weit in die 70er Jah­re hin­ein: Da­mals, beim Hit­ler, sei nicht al­les schlecht ge­we­sen. Ei­nen Film im Jahr 1970 mit ei­nem sol­chen Ti­tel über den All­tag im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus zwi­schen 1933 und 1939 gibt es mei­nes Wis­sens nicht; er hät­te ei­nen ve­ri­ta­blen Skan­dal aus­ge­löst.

Jetzt ist es si­cher­lich nicht op­por­tun, Na­zi­deutsch­land mit der DDR zu ver­glei­chen. Das Grass-Wort von der »kom­mo­den Dik­ta­tur« war ja so ganz falsch nicht. Aber dass man ei­nen der­art kon­ta­mi­nier­ten Ti­tel ge­nom­men hat­te, be­frem­de­te mich doch. Merk­wür­dig dann, dass ich mich wäh­rend der Lek­tü­re von Uwe Kol­bes neu­em Buch »Die Lü­ge« an die­ses »Nicht al­les war schlecht« er­in­ner­te. Im Ro­man er­zählt der Kom­po­nist Ha­du­brand Ein­zweck, ge­nannt Har­ry, von den er­sten rund drei­ßig Jah­ren sei­nes Le­bens in der DDR. Un­trenn­bar ist dies ver­bun­den mit dem Ver­hält­nis zu sei­nem Va­ter Hil­de­brand, ge­nannt Hin­rich, der An­fang der 1950er Jah­re mit sei­ner da­ma­li­gen Frau Kar­la als über­zeug­ter Kom­mu­nist von Ham­burg in die sich for­mie­ren­de, so­zia­li­sti­sche deut­sche Re­pu­blik, »dem Mor­gen­rot ent­ge­gen«, über­sie­del­te.

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Wolf­gang Herrn­dorf: Ar­beit und Struk­tur

Ta­­ge­­buch-Tex­­te von Künst­lern po­ten­ti­el­len Le­sern na­he­zu­brin­gen und da­bei wo­mög­lich li­te­ra­risch ein­zu­ord­nen, ist im­mer schwie­rig. Fühlt man sich doch stän­dig her­aus­ge­for­dert Werk­be­zü­ge zu ent­decken bzw. fort­zu­schrei­ben, die den mit der Ma­te­rie nicht ei­ni­ger­ma­ßen ver­trau­ten Le­ser eher lang­wei­len. Ta­ge­bü­cher von Li­te­ra­ten lie­fern ja zu­wei­len durch­aus in­struk­ti­ve Ein­blicke in die so­ge­nann­te Werk­statt. Ne­ben Form- und Schreib­pro­ble­men und literaturwissen­schaftlichen ...

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John Wil­liams: Stoner

John Williams: Stoner
John Wil­liams: Stoner

Wenn es ein Buch 2013 ge­schafft hat, die zu­wei­len kon­sta­tier­te »Ver­kom­men­heit« des Li­te­ra­tur­be­triebs (nicht nur Fritz J. Rad­datz’ Ur­teil) für we­ni­ge, kost­ba­re Au­gen­blicke durch so et­was wie Em­pa­thie und Mil­de zu er­set­zen, dann dürf­te es John Wil­liams’ »Stoner« ge­lun­gen sein. Kaum je­mand konn­te sich der Begeis­terung ent­zie­hen, von El­ke Hei­den­reich über Hu­bert Spie­gel bis Ul­rich Grei­ner, von »Bild«, über »FAZ« bis zum »Play­boy« schie­nen al­le ver­söhnt durch ei­nen Ro­man der 1965 in den USA er­schie­nen war und über Um­we­ge erst seit ei­ni­gen Jah­ren in den eu­ro­päi­schen Sprach­raum ein­dringt. Merk­wür­dig, dass dies in Deutsch­land so spät der Fall war – ein Land, in­dem an­son­sten fast je­des Ro­man­de­but ei­nes Schreib­schul-Jün­gel­chens me­di­al auf­motzt und auch schon ein­mal stan­te pe­de mit Tol­stois »Krieg und Frie­den« gleich­ge­setzt wird

Da­bei ist »Stoner« ein voll­kom­men aus der Zeit ge­fal­le­nes Buch. Es wird kei­ne Ziel­grup­pe be­dient. Zeit­ge­nös­si­sche »Pro­blem­stel­lun­gen« feh­len. Die Welt soll we­der ver­bes­sert noch ge­ret­tet wer­den. Und al­les spielt weit ent­fernt von un­se­rer un­mit­tel­ba­ren Er­fah­rungs­welt. Der Ti­tel­held, Wil­liam Stoner, ist 1891 ge­bo­ren und stirbt 1965. Ein aukt­oria­ler Er­zäh­ler hält bis auf we­ni­ge Aus­nah­men streng die Chro­no­lo­gie ein.

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Idyl­len­split­ter und Ra­se­rei

Der ju­go­sla­wi­sche Schrift­stel­ler Dra­gan Al­ek­sić ist mehr als nur ei­ne Ent­deckung für ei­nen Le­se­abend »Un­ten, am We­ges­rand fie­len in den war­men, tie­fen, vom Mond­licht gol­den ge­färb­ten Staub dicke, pral­le schwar­ze Maul­bee­ren«. So en­det der Ro­man »Zwi­schen Ne­ra und Ka­rasch« des ju­go­sla­wi­schen Schrift­stel­lers Dra­gan Al­ek­sić. Be­gon­nen hat­te er mit dem Satz: »Dicke, pral­le schwar­ze Maul­bee­ren fal­len ...

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