Ma­nien und Ma­nie­ris­men (II)

Über den no­to­ri­schen Au­ßen­sei­ter Gerd-Pe­ter Eig­ner[hier Teil I]

Als Schü­ler stieß Eig­ner, sein In­ter­es­se für Li­te­ra­tur und Kunst war kaum erst er­wacht, auf die Wer­ke ma­nie­ri­sti­scher Künst­ler und ließ sich, wohl nicht zu­fäl­lig, son­dern in Über­ein­stim­mung mit dem, was er selbst zu Wer­den im Be­griff stand, da­von fas­zi­nie­ren. »Al­so das ist es. Ma­nie, Ma­nie­ris­mus, die Auf­he­bung der Stand­fe­stig­keit, Er­star­rung, Ent­kör­per­li­chung. Und zu­gleich und nicht zu­letzt, in sei­ner Wir­kung – Ma­ter Do­lo­ro­sa –, die­ser Tau­mel und Sog. Er war im Ein­klang mit dem, was er sah.« Tau­mel, Rausch, Ent­gren­zung... das Dio­ny­si­sche. Nietz­sches Za­ra­thu­stra steckt als Re­clam­bänd­chen in Bran­digs Jacke, wäh­rend er die Sta­tue Giord­a­no Bru­nos auf dem Cam­po de’ Fio­ri um­kreist. Von ei­ner selbst­zer­stö­re­ri­schen, zu­gleich selbst­ent­decke­ri­schen se­xu­el­len Ob­session spricht Ul­rich Horst­mann mit Be­zug auf Eig­ners Hel­den. Ab­ge­se­hen da­von, daß die­se Ob­ses­si­on bei man­chen Zeit­ge­nos­sen Un­be­ha­gen her­vor­ruft, sti­mu­liert sie auch die Ma­nie des Schrei­bens, in­so­fern die Al­ter-Egos des Au­tors ei­nem Ide­al nach­stel­len (Nach­stellungen hei­ßen zwei Es­say-Bän­de Eig­ners), das in den Ro­ma­nen schwer und in der Wirk­lich­keit kaum zu ha­ben ist. In ih­rem aus Ma­nien ge­bo­re­nen Rea­lis­mus ha­ben Eig­ners Bü­cher am Idea­li­schen teil, das der Wirk­lich­keits­fei­er, die sie voll­zie­hen, zu wi­der­stre­ben scheint. Se­ne Au­to­bio­gra­phie legt den Schluß na­he, daß die Un­nach­gie­big­keit des­sen, der sich seit sei­ner Ju­gend als Au­tor, als Selbst-Schöp­fer, ver­steht, den in­halt­lich-poe­ti­schen Kern ei­nes Werks aus­macht, das sich von Be­ginn an ge­gen Wi­der­stän­de durch­set­zen muß­te. Nach vor­läu­fi­gen Zu- und spä­te­ren Ab­sa­gen zu den er­sten Manu­skripten, die er an Ver­la­ge schickt, hält Eig­ner auf dem Mark­platz in Bre­men drei öffent­liche Le­sun­gen ab, die je­des Mal von der Po­li­zei un­ter­bun­den wer­den. Ein hal­bes Jahr­hundert spä­ter ist der Ver­such sei­ner Wil­helms­ha­ve­ner Ver­fol­ge­rin, Veröffent­lichungen und Aus­zeich­nun­gen Eig­ners zu ver­hin­dern, nur ein wei­te­rer Akt in den einge­spielten Bah­nen der öf­fent­li­chen Ord­nung, die sich durch künst­le­ri­sche Frei­heit – viel­leicht nicht ganz zu un­recht – ge­fähr­det sieht.

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Ma­nien und Ma­nie­ris­men (I)

Über den no­to­ri­schen Au­ßen­sei­ter Gerd-Pe­ter Eig­ner

Gerd-Peter Eigner © Leopold Federmair
Gerd-Pe­ter Eig­ner © Leo­pold Fe­der­mair

Ein volks­tüm­li­ches Dik­tum be­sagt, daß zum Strei­ten zwei ge­hö­ren. Es dient oft als be­que­mer Vor­wand, um sich die ge­naue­re Prü­fung ei­nes Kon­flikts und, in der Fol­ge, die Par­tei­nah­me zu er­spa­ren. Zu­nächst aber kommt man um die Fest­stel­lung der Tri­via­li­tät nicht her­um, will man die Me­cha­nis­men ei­nes Streits be­grei­fen. Um ihr Spiel spie­len zu kön­nen, sind bei­de Sei­ten auf­ein­an­der an­ge­wie­sen: so ist das bei Kin­dern und Er­wach­se­nen, zwi­schen Kri­ti­kern und Kon­servativen, zwi­schen der Ge­sell­schaft und ih­ren Außen­seitern. Ein sol­cher ist der deut­sche Schrift­steller Gerd-Pe­ter Eig­ner seit je­her, mit gro­ßer Kon­se­quenz, bis ins Al­ter. Au­ßen­sei­ter aus frei­em Ent­schluß und »durch die Ge­sell­schaft«, wie An­to­nin Ar­taud sei­ner­zeit for­mu­lier­te.

Eig­ner ha­be ich in den frü­hen acht­zi­ger Jah­ren in Salz­burg ken­nen­ge­lernt, wir wa­ren vie­le Stun­den in Pa­ri­ser Ca­fés und Bars oder auf den Stra­ßen der Stadt zu­sam­men. An ei­nen Be­such in ei­nem Berg­dorf hoch über Niz­za, wo ich da­mals die Som­mer ver­brach­te, kann ich mich er­in­nern, und eben­so an die Gän­ge und Fahr­ten (auf dem Ves­pa-Rück­sitz) zu sei­nem Win­zer­häus­chen in den Mon­ti Pre­ne­sti­ni über Rom. Es hat sich mir oft be­stä­tigt, was auch die Lek­tü­re sei­ner Bü­cher ver­rät: Der Mann be­sitzt ein an­ge­bo­re­nes Ta­lent, Leu­te zu ver­stö­ren, Un­mut auf sich zu zie­hen und sich in un­halt­ba­re La­gen zu brin­gen.

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Mehr di­rek­te De­mo­kra­tie! Ein Plä­doy­er für den Um­bau un­se­rer po­li­ti­schen Sy­ste­me.

Ei­ne Ver­dich­tung von In­di­zi­en, Zu­stän­den und Be­find­lich­kei­ten, im Be­son­de­ren, aber nicht aus­schließ­lich, der öster­rei­chi­schen, re­prä­sen­ta­ti­ven De­mo­kra­tie, soll ex­em­pla­risch die Not­wen­dig­keit ih­res Um­baus auf­zei­gen und sei­ne Rich­tung knapp skiz­zie­ren. Nicht mehr: Das War­um ent­schei­dend, die kon­kre­ten De­tails kön­nen zu ei­nem spä­te­ren Zeit­punkt fol­gen — zu­erst muss nach Ei­nig­keit ge­fragt wer­den*.

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Jen­seits der Öko­no­mie

Die Re­ak­tio­nen schwan­ken zwi­schen Un­ver­ständ­nis, Hä­me und ei­nem wei­he­vol­lem »Seht-wie-wich­tig-das-doch-al­les ist«: Die Eu­ro­päi­sche Uni­on hat den Frie­dens­no­bel­preis 2012 be­kom­men. Am Ran­de in­ter­es­sant ist da­bei, dass das Ko­mi­tee in den letz­ten Jah­ren im­mer, wenn ei­ne Or­ga­ni­sa­ti­on aus­ge­zeich­net wur­de auch ei­ne Per­son, die un­trenn­bar mit die­ser Or­ga­ni­sa­ti­on in Ver­bin­dung stand, aus­zeich­ne­te. Bei den Ver­ein­ten Na­tio­nen 2001 war das Ko­fi An­nan, bei der In­ter­na­tio­na­len Atom­ener­gie­be­hör­de 2005 Mo­ham­med al Bara­dei und 2006 wur­de der Preis so­wohl Mu­ham­mad Yu­nus als auch der Gra­meen-Bank zu­ge­spro­chen. Bei der heu­ti­gen Aus­zeich­nung blieb es bei der In­sti­tu­ti­on. Wen hät­te man auch als Per­son, als Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gur aus­zeich­nen kön­nen? Herrn Bar­ro­so? Herrn Van Rom­puy? Auf ei­ne fast ko­mi­sche Wei­se zeigt sich wie­der ein­mal, dass Eu­ro­pa kei­ne Te­le­fon­num­mer hat, die man an­ru­fen kann, wie dies schon vor lan­ger Zeit Hen­ry Kis­sin­ger (üb­ri­gens auch ein Frie­dens­no­bel­preis­trä­ger) be­klag­te.

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Pe­ter Slo­ter­di­jk: Zei­len und Ta­ge

Peter Sloterdijk: Zeilen und Tage
Pe­ter Slo­ter­di­jk: Zei­len und Ta­ge

In den Vor­be­mer­kun­gen zu die­sem Buch heißt es, dass es der Über­re­dungs­kün­ste von Rai­mund Fellin­ger und Ul­rich Raulff be­durft ha­be, um die zwölf ta­ge­buch­ar­ti­gen »Hef­te« von Pe­ter Slo­ter­di­jk, die zwi­schen dem 8. Mai 2008 und dem 8. Mai 2011 (!) ent­stan­den sind, zu ver­öf­fent­li­chen. Die­ses ge­spreiz­te Un­der­state­ment un­ter­stützt Slo­ter­di­jk in dem er für ei­nen kur­zen Mo­ment so­gar von sich in der drit­ten Per­son spricht. Schließ­lich wur­de dem Drän­gen nach­ge­ge­ben, die Hef­te 100 bis 111 wur­den tran­skri­biert und si­cher­lich auch lek­to­riert (al­te Recht­schrei­bung!). Lei­der hat man da­bei das Inhalts­verzeichnis ver­ges­sen, denn dort wer­den für Heft 105 und Heft 106 fal­sche Da­ten ge­nannt; ei­ne Pe­ti­tes­se zwar, aber är­ger­lich.

Vor­ab sei ge­sagt: »Zei­len und Ta­ge« ist kein Stein­bruch, son­dern ein weit­ver­zweig­tes, zu­wei­len la­by­rin­thisch an­mu­ten­des Stol­len­sy­stem mit vie­len ver­schie­de­nen Ein- und Aus­gän­gen und ge­le­gent­li­chen Sack­gas­sen. Mit der er­sten Lek­tü­re die­ses Bu­ches soll­te der Le­ser sei­ne ei­ge­ne Kar­to­gra­phie die­ses Kon­vo­luts an­fer­ti­gen um dann, je nach Zeit und Ge­le­gen­heit, die Gold­pfan­nen ziel­ge­rich­tet krei­sen las­sen zu kön­nen. So man­ches Körn­chen wird bei der zwei­ten oder drit­ten Lek­tü­re um­so hel­ler auf­leuch­ten.

Da wird do­ziert, re­flek­tiert, brüs­kiert, iro­ni­siert, rä­so­niert, bram­ar­ba­siert und, vor al­lem, phi­lo­so­phiert.

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An­dre­as Gurs­ky in Düs­sel­dorf

Es gibt nur ein klei­nes Heft­chen, ein »Kurz­füh­rer« bzw. »Mi­ni­gui­de«, mit kur­zen An­ga­ben zu aus­ge­such­ten Fo­to­gra­fien und all­ge­mei­nen Hin­wei­sen (die man sehr gut nach der er­sten Sich­tung le­sen kann). An­son­sten ent­fal­len bei der ge­ra­de er­öff­ne­ten An­dre­as Gurs­ky-Aus­stel­lung im Mu­se­um Kunst­pa­last in Düs­sel­dorf die üb­li­chen auf­dring­li­chen Erklä­rungsversuche. Im Mu­se­ums­la­den fin­det man zwei ka­ta­lo­g­ähn­li­che Bü­cher (der of­fi­zi­el­le Ka­ta­log trägt den Ti­tel »Bang­kok«) aber kei­ne Post­kar­ten oder an­de­re De­vo­tio­na­li­en. Die Vor­stel­lung des Künst­lers in der Aus­stel­lung fällt knapp aus; oh­ne Por­trait­bild und Hin­wei­se auf die er­ziel­ten Prei­se der Ori­gi­nal-Fo­to­gra­fien.

Der­art un­be­schwert geht oder schlen­dert der Be­su­cher frei­en Blickes durch ei­ne Aus­stel­lung, die ih­re 60 Ex­po­na­te we­der chro­no­lo­gisch noch mo­ti­visch ge­ord­net hat. Nur am Ran­de ist da­bei in­ter­es­sant, dass die Ob­jek­te in der Aus­stel­lung aus­schließ­lich »C‑Prints oder Pig­ment­aus­drucke« (»Kurz­füh­rer«) sind, was das Mu­se­ums­per­so­nal nicht dar­an hin­dert, Zu­schau­er, die den Ob­jek­ten zu na­he kom­men, auf Di­stanz zu hal­ten. Es ist den­noch ein wun­der­ba­res Her­um­su­chen und –fin­den, Zu­sam­men­stel­len und Nach-Schau­en und wenn man nach ei­ner Stun­de al­les ge­se­hen hat (bzw. glaubt, al­les ge­se­hen zu ha­ben – bei Gurs­ky kann man nie­mals »al­les« ge­se­hen ha­ben), dann freut man sich nach ei­nem Kaf­fee auf ei­ne zwei­te Ex­pe­di­ti­on in den Kos­mos die­ses Künst­lers.

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Karl Heinz Boh­rer: Gra­nat­split­ter

Ein »neu­es Spiel« ir­gend­wann 1939 oder 1940: Das Su­chen, Fin­den und Sor­tie­ren von Gra­nat­split­tern. Das Be­wun­dern der bi­zar­ren Far­ben und For­men, das Leuch­ten­de. Und, im Ge­gen­satz zu den ge­schlif­fe­nen Schmuck­stücken der Mut­ter, das Ris­si­ge der schar­fen Rän­der. Der Jun­ge ist sechs oder sie­ben Jah­re alt und die­se Gra­nat­split­ter er­in­nern ihn an die Mu­scheln, die man ...

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Frank Bra­dy: End­spiel

Frank Brady: Endspiel
Frank Bra­dy: End­spiel
Es ist fast auf den Tag ge­nau 40 Jah­re her, dass der Ame­ri­ka­ner Bob­by Fi­scher in Reykja­vik Bo­ris Spasski be­sieg­te und Schach­welt­mei­ster wur­de. Die schier über­mäch­ti­ge Do­mi­nanz der so­wje­ti­schen Schach­spieler war ge­bro­chen. Über­la­gert wur­den die letz­ten Ta­ge des Fi­na­les die­ses heu­te noch als denk­würdig gel­ten­den Zwei­kamp­fes von den be­gin­nen­den Olym­pi­schen Spie­len in Mün­chen (und spä­ter dem Ter­ror­an­schlag eben­da). Schon da­mals war man un­ge­dul­dig und in­ter­es­sier­te sich mehr für die un­über­wind­lich schei­nen­den Pro­ble­me zwei Mo­na­te vor­her, die den Schach­wett­kampf fast zum Plat­zen ge­bracht hät­ten. Bob­by Fi­scher galt – freund­lich for­mu­liert – als ex­zen­trisch, stell­te Be­din­gun­gen, die bis ins klein­ste De­tail gin­gen und droh­te stän­dig, den Wett­kampf­ort zu ver­las­sen. Mehr­mals wa­ren die Rück­flü­ge schon ge­bucht. Die er­ste Par­tie hat­te er ver­lo­ren und fühl­te sich durch ei­ne Ka­me­ra ge­stört. Zur zwei­ten Par­tie trat er nicht an, da sei­ne For­de­rung, al­le Ka­me­ras aus dem Spiel­saal zu ent­fer­nen, nicht um­ge­setzt wur­de. Nun droh­ten die So­wjets ih­rer­seits, Spasski wer­de Reykja­vik ver­las­sen soll­te Fi­scher nicht an­tre­ten. Fi­scher kam nicht zur Par­tie, Spasski ge­wann die­se kampf­los und lag nun mit 2:0 in Füh­rung. Der Weltschach­verband FIDE, da­mals Mo­no­po­list, te­le­gra­phier­te an den Schieds­rich­ter Lo­thar Schmid, dass Fi­scher dis­qua­li­fi­ziert wer­den soll­te, wenn er wei­ter­hin nicht zu den Par­tien er­schei­nen soll­te. Die ame­ri­ka­ni­sche Pu­bli­zi­stik fleh­te Fi­scher an. Vor­her hat­te schon Hen­ry Kis­sin­ger in ei­nem per­sön­li­chen Te­le­fo­nat an Fi­schers Pa­trio­tis­mus ap­pel­liert. Schließ­lich hat­te Fi­scher dann durch­ge­setzt, dass ihm (und Spasski) ein Teil der Ein­trittsgelder eben­falls zu­kom­men soll­ten. Da­mit hät­te er selbst bei ei­nem Ver­lust rund 120.000 Dol­lar er­hal­ten; ei­ne für da­ma­li­ge Zei­ten in Ver­bin­dung mit Schach un­fass­bar ho­he Sum­me. End­lich kam der di­plo­ma­tisch-klu­ge Lo­thar Schmid auf ei­ne ret­ten­de Idee, das Match ging wei­ter, Fi­scher ge­wann mit bril­lan­ten Spiel – und die­ser Wett­kampf wird heu­te in der Tra­di­ti­on von Mu­ham­mad Alis »Rum­ble in the Jungle« als Jahrhundert­event ein­ge­ord­net.

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