Mehr di­rek­te De­mo­kra­tie! Ein Plä­doy­er für den Um­bau un­se­rer po­li­ti­schen Sy­ste­me.

Ei­ne Ver­dich­tung von In­di­zi­en, Zu­stän­den und Be­find­lich­kei­ten, im Be­son­de­ren, aber nicht aus­schließ­lich, der öster­rei­chi­schen, re­prä­sen­ta­ti­ven De­mo­kra­tie, soll ex­em­pla­risch die Not­wen­dig­keit ih­res Um­baus auf­zei­gen und sei­ne Rich­tung knapp skiz­zie­ren. Nicht mehr: Das War­um ent­schei­dend, die kon­kre­ten De­tails kön­nen zu ei­nem spä­te­ren Zeit­punkt fol­gen — zu­erst muss nach Ei­nig­keit ge­fragt wer­den*.

Die ge­gen­wär­ti­ge La­ge

In Öster­reich folgt seit ge­rau­mer Zeit ein Kor­rup­ti­ons- und Po­lit­skan­dal auf den näch­sten: Die Re­gie­rungs­par­tei­en (und ei­gent­lich nicht nur sie) ver­su­chen die tra­dier­ten Verhaltens­weisen der Freun­derl­wirt­schaft und Ver­tu­schung fort­zu­füh­ren, der par­la­men­ta­ri­sche Un­ter­su­chungs­aus­schuss wur­de, ganz in die­sem Sinn, rasch be­en­det, die Lan­dung ei­ni­ger wich­ti­ger Zeu­gen ver­hin­dert und die Lie­fe­rung zu­sätz­li­cher Ak­ten be­schränkt**. Ih­re Wie­der­wahl ha­ben SPÖ und ÖVP da­mit ver­wirkt, die Al­ter­na­ti­ven sind rar und lau­fen, an­ge­sichts der Na­tio­nal­rats­wahl im näch­sten Jahr, fast al­le dar­auf hin­aus, dass ei­ne der bei­den (ehe­ma­li­gen) Groß­par­tei­en wie­der mit an die Macht ge­langt. Der po­li­tisch in­ter­es­sier­te Bür­ger ist der Ver­zweif­lung na­he: Die Fra­ge nach dem ge­ring­sten Übel stellt sich deut­li­cher denn je, ei­ne sinn­vol­le Ant­wort ist je­doch kaum zu schaf­fen. Zwi­schen der Ver­wei­ge­rung und der Mög­lich­keit ei­ne neue Par­tei zu grün­den, klafft ei­ne un­über­seh­ba­re Lücke; ab­ge­se­hen da­von, schei­nen die Struk­tu­ren der Par­tei­en ei­nen be­stimm­ten Typ von Po­li­ti­ker an die fal­sche Stel­le (al­so nach oben) zu be­för­dern (un­ge­ach­tet ei­ni­ger an­de­rer Pro­ble­me, über die noch zu spre­chen sein wird).

Nein, wenn un­ser Bür­ger dar­über nach­denkt und sich Klar­heit ver­schafft, dann will er et­was an­de­res und vor al­lem mehr als sein Kreuz am Wahl­tag ma­chen, er möch­te ein Ge­gen­ge­wicht zu den Struk­tu­ren der eta­blier­ten Par­tei­en sein (kön­nen) und nicht mehr bloß Zu­se­her; da wo er kom­pe­tent ist und ei­ne gu­te Idee hat möch­te er, nach ei­nem Pro­zess der dis­kur­si­ven Rei­fung, ei­ne In­itia­ti­ve star­ten und sie der All­ge­mein­heit vor­le­gen, weil er muss und es not­wen­dig ist, um das Sy­stem De­mo­kra­tie am Le­ben zu er­hal­ten. — Und um nicht we­ni­ger geht es: Das po­li­ti­sche Sy­stem, die re­prä­sen­ta­ti­ve De­mo­kra­tie, hat sich, vor al­lem durch die Re­prä­sen­tan­ten selbst, ab­ge­nutzt und ih­re Problemlösungs­kompetenz ver­wirkt — ein Ur­teil über ih­ren Zu­stand, nicht ihr We­sen. Es gilt, die re­prä­sen­ta­ti­ve De­mo­kra­tie kor­ri­gie­rend und ge­stal­te­risch mit der di­rek­ten zu ver­bin­den, wo­bei, in­ter­es­san­ter Wei­se, die Par­tei­en selbst zu ei­ner Aus­wei­tung der direktdemo­kratischen Mög­lich­kei­ten bis hin zur Ge­setz­ge­bung, Vor­schlä­ge ge­macht ha­ben und ein Volks­be­geh­ren in den Start­lö­chern steht. Wich­tig ist da­bei zwei­er­lei: Die di­rek­te De­mo­kra­tie muss mit der re­prä­sen­ta­ti­ven ver­bun­den wer­den und sie darf nicht bloß ein zahn­lo­ser Zu­satz, wie die Mög­lich­keit der Volks­be­geh­ren, wer­den. Man muss das Wag­nis ein­ge­hen, un­se­re De­mo­kra­tien neu zu de­fi­nie­ren.

Die Gret­chen­fra­ge

Fo­ren, Blogs, so­zia­le Netz­wer­ke ha­ben das her­vor­ge­bracht, was […] seit Jahr­zehn­ten in der Be­völ­ke­rung “bro­delt”. […] Es kann sein, dass der Ruf nach De­mo­kra­tie und mehr Teil­ha­be der Bür­gers plötz­lich nicht mehr un­be­dingt wün­schens­wert ist. Es be­ginnt auf der ei­nen Sei­te ei­ne Des­il­lu­sio­nie­rung – auf der an­de­ren Sei­te ei­ne merk­wür­di­ge Eu­pho­rie. Ent­lang die­ser Li­nie muss sich “De­mo­kra­tie” wenn nicht neu de­fi­nie­ren, so doch be­fra­gen: ge­hen wir den Weg von mehr Par­ti­zi­pa­ti­on – oder wählt man (aus pu­rer Angst vor dem Bür­ger) den Weg ei­ner Eli­te, die (über die EU) de­mo­kra­ti­sche Struk­tu­ren ni­vel­lie­ren will und da­bei “das Be­ste” im Au­ge hat (und da­mit auch gleich­zei­tig fest­legt, was das “be­ste” ist)?

Gre­gor Keu­sch­nig for­mu­lier­te vor ei­ni­ger Zeit die Gret­chen­fra­ge un­se­rer De­mo­kra­tien. Wel­chen Weg wol­len wir ge­hen? Gibt es ei­nen drit­ten? Aber man kann auch noch an­ders fra­gen: Wür­den, falls man den Weg zur Eli­te ein­schlägt, eben­die­se die Ge­folg­schaft der Bür­ger ver­lie­ren, sich die­se der re­prä­sen­ta­ti­ven De­mo­kra­tie mehr und mehr ver­wei­gern? Ist die De­mo­kra­tie dann nicht ge­schei­tert? Hat die­ser Pro­zess wo­mög­lich schon be­gon­nen? Und: Wie wä­re ihm, im Fall ne­ga­ti­ver Be­wer­tung, ge­gen­zu­steu­ern?

Grün­de, Ur­sa­chen und Aus­wir­kun­gen

Es exi­stie­ren et­li­che Über­le­gun­gen, die da­für spre­chen es ein­mal an­ders zu ver­su­chen: Zu­nächst könn­te die Mög­lich­keit der ge­stal­te­ri­schen Teil­ha­be all je­ne Bür­ger wie­der zu­rück­ho­len, die sich ent­täuscht ab­ge­wen­det ha­ben oder durch die Par­tei­po­li­tik abge­schreckt wur­den; dar­über hin­aus wür­de die Hin­wen­dung zur Po­li­tik und zur Demo­kratie, im Sin­ne von Loya­li­tät, ge­för­dert wer­den, wenn die Bür­ger über ent­spre­chen­de Mög­lich­kei­ten ver­füg­ten; die von Miss­stän­den Ver­är­ger­ten und Be­trof­fe­nen könn­ten die­sen be­geg­nen, was ei­ner Art Wahr­heits­fin­dung in Be­zug auf die lan­des­üb­li­chen po­li­ti­schen Res­sen­ti­ments, wie „Die tun was sie wol­len.“, „Wir sind oh­ne­hin macht­los.“, ent­sprä­che.

Hät­ten die Bür­ger selbst die Mög­lich­keit, Ein­fluss auf bei­spiels­wei­se Steu­ern oder Ab­ga­ben zu neh­men, wä­ren sie we­ni­ger an­fäl­lig ge­gen­über Wahl­ver­spre­chen und die Par­tei­en wohl ehr­li­cher; au­ßer­dem gä­be es we­ni­ger Kuh­hän­del und Tausch­ge­schäf­te, weil die Bür­ger die­se ver­hin­dern könn­ten. Feh­ler der Re­prä­sen­tan­ten wür­den sich qua­si in Echt­zeit aus­wir­ken, man müss­te nicht bis zur näch­sten Wahl war­ten (der Wahl­tag als Zahl­tag ent­fie­le). Es wä­re mög­lich ver­kru­ste­te Struk­tu­ren und ein­ze­men­tier­te Po­si­tio­nen auf­zu­bre­chen und fest­ge­fah­re­ne Re­for­men in die We­ge zu lei­ten (sie­he Bildungs­diskussion); Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lun­gen wä­ren of­fe­ner, kom­pro­miss­be­rei­ter und we­ni­ger apo­dik­tisch (ei­ne con­di­tio si­ne qua non könn­te vom Bür­ger wie­der um­ge­sto­ßen oder –ge­baut wer­den).

Ein wei­te­res Pro­blem un­se­rer De­mo­kra­tien, das ha­ben die Ab­stim­mun­gen über die eu­ro­päi­schen Maß­nah­men zur Kri­sen­si­che­rung ge­zeigt, ist der Klub­zwang (und, da­mit in Ver­bin­dung, ei­ne Art Korps­geist). Wenn die Ab­stim­mungs­er­geb­nis­se im Par­la­ment ganz of­fen­sicht­lich vor­her im Klub fest­ge­legt wer­den und dar­über der ei­gent­li­che, demo­kratische Sinn ver­lo­ren geht, muss der Bür­ger über Mög­lich­kei­ten ver­fü­gen, dem zu be­geg­nen. Dar­über hin­aus könn­te ei­ne zu­fäl­li­ge Aus­wahl von Bür­gern und de­ren Ent­sen­dung als freie Ab­ge­ord­ne­te für ei­ne Pe­ri­ode die Zwän­ge wei­ter auf­wei­chen (eben­so ein Per­sön­lich­keits­wah­recht). Nicht zu­letzt ent­stün­de ei­ne frucht­ba­re Kon­kur­renz zwi­schen Par­tei­en und Bür­gern, in Rich­tung des all­ge­mei­nen Wohls hin.

Kor­rup­ti­on könn­te ef­fek­ti­ver be­kämpft wer­den, weil die Bür­ger selbst In­itia­ti­ven star­ten und Un­ter­su­chun­gen an­ord­nen könn­ten, po­li­ti­sche Deckung und Ver­tu­schung wür­de er­schwert. Im All­ge­mei­nen wür­de das de­mo­kra­ti­sche Sy­stem für Be­ob­ach­ter, die ih­re In­ter­es­sen durch­set­zen wol­len un­durch­sich­ti­ger und we­ni­ger be­re­chen­bar; ih­re Mü­hen hät­ten we­ni­ger Er­folg, weil Lob­by­ing bei den Re­prä­sen­tan­ten al­lei­ne, nicht mehr ge­nügt.

Ei­ne knap­pe Skiz­ze und ei­ni­ge Fra­gen

De­mo­kra­tie hat ir­gend­wie mit al­len zu tun, von da­her ge­winnt sie ih­re grund­le­gen­de Le­gi­ti­ma­ti­on und Recht­fer­ti­gung: Al­le dür­fen über das, was sie be­trifft mit­be­stim­men, di­rekt oder in­di­rekt, das ist der Kern. Bei­de Ele­men­te, das re­prä­sen­ta­ti­ve und das di­rek­te, müs­sen ein­an­der die Waa­ge hal­ten und gleich­zei­tig in ein­an­der grei­fen, wi­der­spre­chend oder die­nend, aber das re­prä­sen­ta­ti­ve muss die po­li­ti­schen Kreis­läu­fe und Pro­zes­se al­lei­ne ge­wäh­ren kön­nen, das di­rek­te darf ein­grei­fen, muss dies aber nicht: De­mo­kra­tie auch als Auf­ga­ben­tei­lung, als Mit­ein­an­der von Re­prä­sen­tant und Wäh­ler. Di­rekt­de­mo­kra­ti­sche Ele­men­te kön­nen das Ein­flie­ßen an­de­rer, ab­seits lie­gen­der Ideen ge­währ­lei­sten, die Bür­ger müs­sen Ge­set­ze in­iti­ie­ren oder ver­än­dern kön­nen, In­ter­ven­tio­nen durch­füh­ren (z.B. die La­dung von Per­so­nen vor Aus­schüs­se) oder Un­ter­su­chun­gen an­ord­nen. Selbst­ver­ständ­lich dür­fen kei­ne Un­ter­neh­men, NGOs oder po­li­ti­sche Par­tei­en di­rekt oder in­di­rekt die­se neu­en de­mo­kra­ti­schen Ele­men­te nut­zen. — Jeg­li­cher Miss­brauch muss un­ter­bun­den wer­den (denk­bar wä­re auch ei­ne Dro­hung ge­gen den Ko­ali­ti­ons­part­ner, ei­ne Art Instru­mentalisierung der Bür­ger durch die Po­li­tik). In Sum­me wä­re der Bür­ger Ge­stal­ten­der und Sy­stem­kor­rek­teur (ihm ob­lä­gen er­gän­zen­de, kor­ri­gie­ren­de und ge­stal­te­ri­sche Funk­tio­nen). Dar­über hin­aus muss es ei­ne un­ab­hän­gi­ge Kom­mis­si­on ge­ben an die sich Bür­ger zwecks Be­ra­tung wen­den kön­nen, um ih­re Ideen zu dis­ku­tie­ren und zu kon­kre­ti­sie­ren (ne­ben den ge­wohn­ten Dis­kurs­pro­zes­sen).

Selbst­ver­ständ­lich müs­sen al­le ge­wohn­ten Be- und Ein­schrän­kun­gen, wie Ge­wal­ten­tei­lung, Ver­fas­sung, Min­der­hei­ten­schutz, etc. für je­den di­rekt­de­mo­kra­ti­schen Me­cha­nis­mus bin­dend blei­ben. Aber: War­um je­doch soll­ten miss­lun­ge­ne Ge­set­ze nicht von Sei­ten der Bür­ger – ein klu­ger Me­cha­nis­mus, oh­ne Miss­brauchs­mög­lich­kei­ten, vor­aus­ge­setzt – kor­ri­giert wer­den kön­nen (die Bei­spie­le aus den Be­rei­chen Ter­ro­ris­mus, Über­wa­chung und Ver­bre­chens­be­kämp­fung sind zahl­reich)? Oder neue Richt­li­ni­en für Ab­ge­ord­ne­te ver­ab­schie­det wer­den (kei­ne wei­te­ren Be­schäf­ti­gun­gen ne­ben der par­la­men­ta­ri­schen Tä­tig­keit, kei­ne Mög­lich­keit der Nutz­nie­ßung durch po­li­ti­sche Ver­bin­dun­gen nach der Tä­tig­keit als Ab­ge­ord­ne­ter, etc.)? Oder die auf Eis ge­leg­te Er­neue­rung der Geschäfts­ordnung des Un­ter­su­chungs­aus­schus­ses dem Macht­zu­griff der re­gie­ren­den Par­tei­en ent­rei­ßen? Oder ei­ne La­dung aus­spre­chen?

So­weit ei­ni­ge Bei­spie­le. Es bleibt viel­leicht trotz­dem die Fra­ge, was der Bür­ger über­haupt kann. Ist er nicht längst über­for­dert oder schlicht zu blöd? Dann al­ler­dings müss­ten wir uns von der De­mo­kra­tie über­haupt ver­ab­schie­den. Sehr wahr­schein­lich aber, ver­hält es sich an­ders: Dort wo er Wis­sen be­sitzt, Be­trof­fe­ner ist oder an­ge­zo­gen wird und sich Zeit nimmt, kann er in den Dienst an der All­ge­mein­heit tre­ten. Vie­le In­for­ma­tio­nen sind über die tra­di­tio­nel­len Me­di­en oder das In­ter­net ver­füg­bar und zahl­rei­che In­itia­ti­ven und Pro­te­ste (Da­ten­schutz, Ur­he­ber­recht, ACTA, etc.) zei­gen, dass Po­ten­ti­al vor­han­den ist. Der Bür­ger sol­cher re­prä­sen­ta­ti­ven Sy­ste­me ist auf Grund sei­ner de­mo­kra­ti­schen Ge­sin­nung und den ge­gen­wär­ti­gen Zu­stän­den im Recht sei­ne Mit­spra­che ein­zu­for­dern. Für die Po­li­tik be­deu­te­te dies die Wie­der­her­stel­lung ei­ner ab­wä­gen­den und be­ob­ach­ten­den Ver­nunft.

* * *

*Die Ebe­ne der eu­ro­päi­schen Uni­on bleibt hier un­be­rück­sich­tigt.
**Trotz­dem hat der Aus­schuss ei­ni­ges ans Licht ge­bracht.

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  2. Sehr in­ter­es­san­ter Auf­satz, der über die zu­wei­len arg scha­blo­nen­haft ge­führ­te Dis­kus­si­on um Volks­ent­schei­de Ja oder Nein hin­aus­geht.

    Ich möch­te vor­weg schicken, dass ich im­mer noch ein Skep­ti­ker mas­si­ver di­rekt­de­mo­kra­ti­scher Ver­fah­ren bin, ob­wohl be­stimm­te Ent­schei­dun­gen – und es sind die wich­ti­gen! – de­mo­kra­ti­scher Le­gi­ti­ma­ti­on be­dür­fen, um sie von jeg­li­chem ok­troy­ie­ren­den Ver­dacht zu be­frei­en. Im Bei­trag klingt ja an, dass die re­prä­sen­ta­ti­ve De­mo­kra­tie (rD) nicht ab­ge­schafft, son­dern er­gänzt wer­den soll. Es han­delt sich – und auch das kommt in Dei­nem Text vor – zu­nächst ein­mal um ei­ne Kri­se der han­deln­den Prot­ago­ni­sten in­ner­halb der rD, nicht pri­mär um die rD sel­ber. So ist zum Bei­spiel vom »Klub­zwang« die Re­de, al­so ei­nem im­pe­ra­ti­ven Man­dat, wel­ches die Ab­ge­ord­ne­ten an Be­schlüs­se der Frak­tio­nen bin­det. Ein sol­ches im­pe­ra­ti­ves Man­dat gibt es aber gar nicht; es ist ein in­for­mel­les Ver­fah­ren, das streng ge­nom­men ver­fas­sungs­wid­rig ist.

    Den Be­fund der Ver­lot­te­rung der rD durch das agie­ren­de po­li­ti­sche Per­so­nal tei­le ich. Er zeigt sich be­son­ders deut­lich in Öster­reich, weil die­ses Land (mit klei­nen Un­ter­bre­chun­gen) seit Jahr­zehn­ten groß­ko­ali­tio­när re­giert und ge­sell­schaft­lich durch­drun­gen ist. Der Zwang zu dau­er­haf­ten Kom­pro­mis­sen führt nicht nur zu ei­ner An­glei­chung der gro­ßen La­ger, son­dern be­för­dert Ne­po­tis­mus und stärkt à la longue die ex­tre­mi­sti­schen Kräf­te (in Öster­reich auf dem rech­ten La­ger, war­um auch im­mer). Der par­la­men­ta­ri­sche Dis­kurs ist ein Scheindis­kurs, weil die näch­ste Gro­ße Ko­ali­ti­on be­reits am Ho­ri­zont er­scheint.

    In die­sem po­li­ti­schen Kli­ma wächst das Ohn­machts­ge­fühl des Bür­gers noch um ei­ni­ges stär­ker. In­ter­es­sant in die­sem Zu­sam­men­hang ist, dass das Kon­kor­d­anz­mo­dell der Schweiz noch viel wei­ter­ge­hen­der ist. Durch das Prin­zip der Volks­ent­schei­de wird hier je­doch die Letzt­be­grün­dung ge­setz­li­cher Vor­ha­ben an den Bür­ger ab­ge­tre­ten (bzw. dies kann her­bei­ge­führt wer­den). Das hat üb­ri­gens nicht die SVP ver­hin­dert; im Ge­gen­teil, sie ist prak­tisch so­fort in die Kon­kor­d­anz­struk­tur über­führt wor­den.

    Es bleibt im Text ein biss­chen dif­fus, wie die di­rek­ten Ein­fluß­mög­lich­kei­ten or­ga­ni­sa­to­risch ein­ge­bracht wer­den sol­len. Wenn es brennt, ruft man die Feu­er­wehr. Dies ist je­doch in den hier an­ste­hen­den Pro­zes­sen schwie­rig bzw. könn­te da­zu füh­ren, dass die Bür­ger ih­rer­seits nach Re­prä­sen­ta­ti­on ru­fen, was ja ei­gent­lich ein Wi­der­spruch wä­re.

    Nach wie vor in­ter­es­sant uns dis­kus­si­ons­wür­dig fän­de ich das, was Hu­bert Buch­stein in sei­nem Buch »De­mo­kra­tie und Lot­te­rie« als »Hou­se of Lots« für die EU vor­schlägt: Ei­ne zwei­te Kam­mer, be­stehend aus Bür­gern, die, das ist in Buch­steins Buch im­ma­nent, über das Los be­stimmt wer­den. Man könn­te sich je­doch hier durch­aus auch an­de­re Ver­fah­ren vor­stel­len. Ent­schei­dend ist, dass die­se Kam­mer so­wohl Kon­troll- wie auch In­itia­tiv­rech­te be­kommt. Pro­ble­ma­tisch bleibt, dass der Ge­dan­ke der Re­prä­sen­ta­ti­on der Bür­ger durch die je­wei­len Par­tei­en da­mit qua­si ab­ge­schafft wird, denn ei­gent­lich bräuch­te man ja gar kei­ne zu­sätz­li­chen »Volks­ver­tre­ter«.

    So weit erst ein­mal.

  3. Ich weiß, dass der Klub­zwang (theo­re­tisch) nicht exi­stie­ren darf, prak­tisch er­gibt er sich al­ler­dings aus dem was ich Korps­geist nann­te (Geg­ner­schaft Ab­weich­lern ge­gen­über) und dar­aus, dass die Man­da­ta­re bei der näch­sten Wahl ei­nen ent­spre­chen­den Li­sten­platz ha­ben wol­len (und na­tür­lich wird ein­heit­li­ches Stimm­ver­hal­ten ver­langt). Das treibt bis­wei­len skur­ri­le Blü­ten, Son­ja Ab­lin­ger, die ein­zi­ge Ab­ge­ord­ne­te der SPÖ die ge­gen den Fis­kal­pakt stimm­te, wur­de des­we­gen so­gar in ei­nem of­fe­nen Brief von den üb­ri­gen Ab­ge­ord­ne­ten an­ge­grif­fen. Nach­zu­le­sen hier.

    Zum Or­ga­ni­sa­to­ri­schen viel­leicht noch (ich hof­fe, dass sich dar­über ei­ne Dis­kus­si­on er­ge­ben wird): Man wird ei­nen sol­chen Um­bau nicht von heu­te auf mor­gen, son­dern in Schrit­ten ein­füh­ren und zu­vor stets über­prü­fen wie ein sol­cher funk­tio­niert und an­ge­nom­men wird. Um ei­ne ge­wis­se Aus­ge­wo­gen­heit her­zu­stel­len, könn­te man fest­le­gen, dass ein di­rek­ter Ent­scheid (ei­ne Kor­rek­tur oder ei­ne In­itia­ti­ve), so­fern er ver­fas­sungs­kon­form ist, von der am­tie­ren­den Re­gie­rung nicht an­ge­ta­stet wer­den darf (erst wie­der in der näch­sten Le­gis­la­tur­pe­ri­ode). Des­wei­te­ren muss es ei­ne Schwel­le ge­ben, erst ab dann wird ein di­rek­ter Ent­scheid, der doch ei­ni­gen Auf­wand be­deu­tet, in­iti­iert (ähn­lich wie es der­zeit bei Volks­be­geh­ren prak­ti­ziert wird).

  4. Al­so ent­steht das im­pe­ra­ti­ve Man­dat we­ni­ger aus ei­nem Korps­geist son­dern aus der Furcht, nicht mehr auf der Li­ste an pro­mi­nen­ter Stel­le zu ste­hen – al­so aus schnö­den Kar­rie­re-Grün­den. Das gibt es üb­ri­gens auch in Deutsch­land. In sei­ner Zeit als Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der der SPD hat Mün­te­fe­ring ganz of­fen »Ab­weich­lern« da­mit ge­droht. Die gan­ze Sa­che könn­te man aus­trock­nen, wenn man das Wahl­recht ver­än­dert, aber die­ses Fass möch­te ich jetzt nicht auch noch auf­ma­chen.

  5. Na­ja, »Kar­rie­re-Grün­de«, man könn­te auch sa­gen: Angst vor dem En­de der po­li­ti­schen Exi­stenz. Ob man das mit Si­cher­heit aus­trock­nen kann? Bei Be­darf kön­nen wir ja noch ein­mal dar­auf zu­rück­kom­men.

  6. Man könn­te – viel­leicht müss­te – Man­dats­zei­ten auf zwei Le­gis­la­tur­pe­ri­oden be­schrän­ken (die­se dann 5 oder 6 Jah­re lau­fen las­sen). Ei­ne zwei­te Kam­mer wür­de für die Hälf­te der Zeit im­ple­men­tiert. So wä­re Kon­trol­le je­der­zeit mög­lich; Be­rufs­po­li­ti­ker­tum er­schwert. Aber ich grei­fe der Dis­kus­si­on wo­mög­lich vor.

  7. Öster­reich, Wah­len 2013: Wahl­be­tei­li­gung he­ben – Kor­rup­ti­on ab­wäh­len

    Das Maß ist schon längst voll ist und es stinkt, daß es reicht.
    In der Po­li­tik än­dert sich of­fen­bar nur dann et­was, wenn der Lei­dens­druck groß ge­nug ist.

    Man kann ein Pro­blem nicht mit der glei­chen Denk­wei­se lö­sen, die es hat ent­ste­hen las­sen (A. Ein­stein).
    Und da­her ist wohl kaum das Pro­blem Kor­rup­ti­on mit kor­rup­ti­ons­be­la­ste­ten Par­tei­en lös­bar.

    Da un­ser Wahl­sy­stem in Ö. dem Wäh­le au­ßer ein Kreu­zerl zu ma­chen ei­ne tie­fer ge­hen­de Ein­fluß­nah­me nur vor­gau­kelt, aber nicht wirk­lich ge­währt, muß man zur kon­se­quen­ten ABWAHL der Par­tei­en auf­ru­fen, die je­der Re­form im We­ge ste­hen und dar­über hin­aus auch noch er­heb­lich im KOR­RUP­TI­ONs­sumpf stecken.

    Die­se Par­tei­en sol­len von der Macht ent­fernt wer­den, da­mit sie sich in der Op­po­si­ti­ons­zeit re­ge­ne­rie­ren kön­nen und dort neue, an­stän­di­ge Leu­te ih­re Chan­ce be­kom­men.
    Mit Bit­teln und Bet­teln ge­schieht da so lan­ge nichts, so lan­ge die­se Leu­te ih­res Pöst­chens samt über­durch­schnitt­li­cher Be­zah­lung nd Pen­si­ons­au­sicht si­cher sein kön­nen!

    Wahl­ver­wei­ge­rung oder un­gül­tig wäh­len ze­men­tiert nur die üb­len Zu­stän­de.
    Es gibt sau­ber ge­blie­be­ne Al­ter­na­ti­ven.

    “Sei du selbst die Ver­än­de­rung, die du dir wünschst für die­se Welt.” Ma­hat­ma Gan­dhi

    Mehr un­ter: http://web.archive.org/web/20150801230316/http://korruption-abwahl-jetzt.at/ <==