Rai­ner Ra­bow­ski: Mon­tag Ru­he­tag

Rainer Rabowski: Montag Ruhetag
Rai­ner Ra­bow­ski:
Mon­tag Ru­he­tag

Nach dem auch hap­tisch opu­len­ten Er­zäh­lungs- und Ge­dicht­band »Hal­te­stel­len«, der vorder­gründig vom Rei­sen und Un­ter­wegs-Sein (im wei­ten wie im na­hen) han­del­te, ist von Rai­ner Ra­bow­ski kürz­lich das de­zent-klei­ne Büch­lein »Mon­tag Ru­he­tag« er­schie­nen. Wenn man Pe­ter Hand­kes »Ver­such über den Stil­len Ort« als ei­ne Ge­schich­te über den ver­meint­li­chen Un-Ort Toi­let­te liest, der für den Er­zäh­ler im­mer wie­der eben auch zum »Asyl­ort« wur­de, so ist »Mon­tag Ru­he­tag«, die­ses Tri­pty­chon aus drei Ge­schich­ten, die zu ei­ner »Er­zäh­lung« zu­sam­men­ge­fasst wer­den, viel­leicht so et­was wie ein ‘Ver­such über den Fri­seur­la­den’; auch er zu­wei­len Asyl­ort, aber auch Fol­ter­stät­te.

Na­tür­lich fin­det sich auch in die­sem Buch der für Ra­bow­ski ty­pi­sche Sound des psy­cho­lo­gisch-re­fle­xi­ven Rea­lis­mus, dies­mal fast aus­schließ­lich ver­or­tet in Düs­sel­dorf (selbst in Thai­land er­in­nert er sich an ei­nen Düs­sel­dor­fer Fri­sier­sa­lon). Es ist aber deut­lich we­ni­ger ein Sich-Selbst-ins-Wort-Fal­len als sonst, was den Phä­no­me­nen mehr (Erzähl-)Raum gibt und den Le­ser mehr ins Nach­sin­nen ver­setzt. Et­wa wenn er von der Schmach und Ohn­macht er­zählt, als er als Kind auf den Fri­seur­stuhl muss­te (»Haare­schneiden ist ei­ne Ver­let­zung«). Oder der Le­bens­ab­schnitt, in der ei­nem die Fri­sur als Di­stink­ti­ons- oder son­sti­ges Merk­mal plötz­lich nicht mehr wich­tig war, ein Ak­zep­tie­ren »in der Welt des Aus­se­hens ein Au­ßen­sei­ter« zu sein und es trot­zig ge­nüg­te »gar kei­ne Fri­sur« ha­ben zu wol­len. Dann war der Fri­seur auf dem Flug­ha­fen ge­ra­de recht; so wur­de die War­te­zeit halb­wegs sinn­voll aus­ge­füllt.

Wei­ter­le­sen ...

De­cre­scen­do

Ir­gend­wann En­de der 1980er nahm ich das Jah­re zu­vor ge­schenk­te Ex­em­plar von »Der Na­me der Ro­se« zur Hand. Best­sel­lern stand (und ste­he) ich im­mer skep­tisch ge­gen­über, aber es war ein stür­mi­scher und reg­ne­ri­scher Kar­frei­tag und ich be­merk­te in mir ei­nen Über­druss an der so­ge­nann­ten ho­hen Li­te­ra­tur, der da­zu führ­te, dass ich mir ei­ne Aus­zeit ver­ord­ne­te, ...

Wei­ter­le­sen ...

Wei­ße Emi­nenz

Ein Ort wie – viel­leicht wie ein Gar­ten, der er­träum­te Gar­ten Can­di­des. Ein Gar­ten, ab­so­lut: Welt­gar­ten oh­ne Haus, zu dem er ge­hört. In der Wirk­lich­keit ei­ne auf den Erd­bo­den ge­stell­te, in die Wie­se bug­sier­te Con­tai­ner­hüt­te mit Ein­gangs­tür knapp über dem Bo­den, fast schwel­len­los, Fen­ster an zwei Wän­den, Rol­los, bü­ro­ar­tig: ein Land­bü­ro. Kli­ma­an­la­ge, Ent­lüf­tung, das ver­ti­ka­le ...

Wei­ter­le­sen ...

Hans-Jo­chen Vo­gel wird 90

Groß in Er­schei­nung ge­tre­ten ist Hans-Jo­chen Vo­gel im Ver­gleich zu den da­mals »gro­ßen« So­zi­al­de­mo­kra­ten Brandt, Bahr oder Schmidt eher sel­ten. Selbst als er Bun­des­ju­stiz­mi­ni­ster im »Deut­schen Herbst« war. Nach Schmidts er­zwun­ge­ner De­mis­si­on 1983 ließ er sich über­re­den, als Kanz­ler­kan­di­dat zur Ver­fü­gung zu ste­hen. Selbst aus da­ma­li­ger Sicht, als die Me­di­en noch nicht der­art hy­per­ven­ti­lier­ten, er­schien ...

Wei­ter­le­sen ...

Was der Tag ver­spricht

Was der Tag ver­spricht, hält er schon ganz am An­fang nicht. Vor der rei­nen Hel­le, von der Zacken­li­nie ab­ge­grenzt, ruht ein dump­fer, lang­ge­zo­ge­ner Schat­ten­fleck, der, wenn über­haupt, in ei­ner Zu­kunft be­hä­big er­wa­chen wird. Die durch­hän­gen­de Dop­pel­schnur, die den Ge­rä­ten und Ge­bräu­chen der Men­schen Kraft zu­tra­gen soll, zum Bei­spiel den knopf­förmigen, auf Lan­zen ge­spieß­ten Lam­pen, die ...

Wei­ter­le­sen ...

Wenn Ent­lar­ven schei­tert

Durch die Dis­kus­sio­nen um die Be­set­zung der Fern­seh­run­den vor den Land­tags­wah­len in Rhein­land-Pfalz und Ba­den-Würt­tem­berg wur­de wie­der­holt die For­de­rung laut, die rechts­po­pu­li­stisch agi(ti)erende AfD trotz al­ler Be­den­ken zu­zu­las­sen, um sie und ih­re Ideo­lo­gie zu ent­zau­bern. Da­bei wur­de kaum be­rück­sich­tigt, dass ei­ne Diskussions­sendung, in der meh­re­re Par­tei­en ih­re Wahl­pro­gram­me in po­pu­lä­rer Form und dis­kur­siv vor­stel­len, ein sol­cher »Ent­lar­vungs­dis­kurs« nicht prak­ti­ka­bel ist, weil die Kon­zen­tra­ti­on auf ein Wahl­pro­gramm nicht der Zweck der Sen­dung sein kann.

In den po­li­ti­schen Talk­show­for­ma­ten der öf­fent­lich-recht­li­chen Sen­der wird der »Ent­lar­vungs­dis­kurs« zu­wei­len durch­aus ver­sucht. Der Pro­to­typ der »Entlarvungs«-Talkshow fand al­ler­dings im deut­schen Pri­vat­fern­se­hen am 5. Fe­bru­ar 2000 in der ntv-Sen­dung »Talk in Ber­lin« statt. Erich Böh­me (ehe­ma­li­ger »Spiegel«-Chefredakteur) hat­te dort den Vor­sit­zen­den der öster­rei­chi­schen FPÖ, Jörg Hai­der, zu Gast.1 Hai­der war zum da­ma­li­gen Zeit­punkt Lan­des­haupt­mann (Mi­ni­ster­prä­si­dent) von Kärn­ten. Im Bund wur­de Öster­reich in ei­ner so­ge­nann­ten schwarz-blau­en Ko­ali­ti­on aus ÖVP und FPÖ re­giert. For­mal war Hai­der an die­ser Re­gie­rung nicht be­tei­ligt. Tat­säch­lich war er aber da­mals auf dem Hö­he­punkt sei­ner Macht und dürf­te maß­geb­lich die Strip­pen bei den Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lun­gen ge­zo­gen ha­ben.

Die schwarz-blaue Re­gie­rung in Öster­reich rief in­ter­na­tio­na­le Pro­te­ste her­vor. Die FPÖ war un­ter Hai­ders Vor­sitz von ei­ner li­be­ral-kon­ser­va­ti­ven in ei­ne rechts­extre­me Par­tei ver­wan­delt wor­den. Ein­zel­ne Aus­sa­gen von FPÖ-Po­li­ti­kern und auch von Hai­der sel­ber rie­fen Skan­da­le her­vor.

Ei­ne Sen­dung mit Hai­der – zu­mal im deut­schen Fern­se­hen – war ein Coup. Öf­fent­lich-recht­li­che An­stal­ten hat­ten es vor­her ab­ge­lehnt, Hai­der »ein Fo­rum« zu bie­ten. Die Re­dak­ti­on der Sen­dung bei n‑tv be­ließ es je­doch nicht bei ei­nem Dia­log, son­dern wähl­te das üb­li­che For­mat mit meh­re­ren Per­so­nen. Als wei­te­re Gä­ste wur­den ein­ge­la­den: Frei­mut Duve (SPD), Mi­cha­el Glos (CSU) und Ralf Giord­a­no, Pu­bli­zist. Hier­in kann man den er­sten Feh­ler fest­ma­chen.

Wei­ter­le­sen ...


  1. Wenige Tage nach der Sendung, am 28. Februar, trat Haider als FPÖ-Vorsitzender zurück. 

Klei­ne Bei­trä­ge zur Her­zens­bil­dung (2)

Ein In­ter­view mit Leo­pold Fe­der­mair, ge­führt von Ma­sa­hi­ko Tsu­chi­ya ‑2. Teil

Hier Teil 1

Wie stehst du als Es­say­ist zur ja­pa­ni­schen Kul­tur und Ge­sell­schaft? Wie be­schreibst du dei­ne Ja­pan-Er­fah­run­gen? Mit Iro­nie und Witz, nicht wahr?

Ich fürch­te, zum Witz ha­be ich kein gro­ßes Ta­lent, aber ganz oh­ne Iro­nie kann je­mand wie ich we­der le­ben noch schrei­ben. Ich ha­be sehr ver­schie­de­ne Zu­gän­ge, aber das be­trifft nicht nur Ja­pan, son­dern al­le »Ge­gen­stän­de«. In ei­nem Buch wie Die gro­ßen und die klei­nen Brü­der ver­mi­sche ich be­wußt die Gen­res, von der Re­por­ta­ge bis zur ly­ri­schen Kurz­pro­sa. Der um­fang­reich­ste Teil des Buchs sind die To­kyo Frag­men­te, die ich im­mer noch fort­füh­re, sie er­schei­nen re­gel­mä­ßig, mit von mir ge­mach­ten Fo­tos, im On­line-Ma­ga­zin fixpoetry.com. In die­sen Frag­men­ten er­kun­de ich mit ei­nem ge­wis­sen Maß an Sy­ste­ma­tik, aber zu­gleich an­ar­chisch, in­dem ich mich und die Spra­che trei­ben las­se, die ja­pa­ni­sche Groß­stadt. Da­bei in­ter­es­sie­ren mich klei­ne All­tags­sze­nen und Or­te ab­seits der tou­ri­sti­schen Pfa­de – ob­wohl ich auch die­se nicht grund­sätz­lich ver­schmä­he. Es gibt so­gar ei­nen ro­ten Er­zähl­fa­den in die­sen Frag­men­ten, er wird in er­ster Li­nie von ei­ner Bar in Mus­a­shi­koy­a­ma und der dort sich re­gel­mä­ßig ein­fin­den­den dra­ma­tis per­so­nae ge­bil­det. Im Prin­zip sind die­se Ge­schich­ten nicht fik­tio­nal, aber es ist auch Er­fun­de­nes da­bei. Mei­ne Lieb­lings­sze­ne dar­in ist er­fun­den, auch de­ren Prot­ago­nist.

An­de­rer­seits schrei­be ich Ro­ma­ne wie Wand­lun­gen des Prin­zen Gen­ji, die eng mit mei­nen rea­len Er­fah­run­gen ver­bun­den sind, wo aber die Ge­samt­an­la­ge fik­tio­nal ist und auch die dar­in vor­kom­men­den Fi­gu­ren von et­wa­igen Vor­bil­dern in der Wirk­lich­keit mehr oder min­der stark ab­wei­chen. Die­ser Ro­man ent­hält auch ei­ne es­say­isti­sche Ebe­ne, die wie­der­um zu gro­ßen Tei­len aus Nach­er­zäh­lun­gen und Kom­men­ta­ren zum Gen­ji-Mo­no­ga­ta­ri be­stehen. Schon der Ro­man Er­in­ne­rung an das, was wir nicht wa­ren spielt aber et­wa zur Hälf­te in Ja­pan, zur an­de­ren in Ar­gen­ti­ni­en (die drit­te Hälf­te in Eu­ro­pa). Bei die­sem Buch, bis­her mein um­fang­reich­stes, in­ter­es­sier­te mich be­son­ders die Ge­gen­über­stel­lung sehr un­ter­schied­li­cher Kul­tu­ren mit teil­wei­se ge­gen­sätz­li­chen Le­bens­ge­wohn­hei­ten wie der ar­gen­ti­ni­schen und der ja­pa­ni­schen. Ich le­be gern zwi­schen sol­chen Ge­gen­sät­zen, weiß aber auch aus ei­ge­ner Er­fah­rung, daß so ei­ne Exi­stenz gro­ßen in­ne­ren Druck er­zeu­gen kann. Es gibt Gren­zen des Iden­ti­täts­plu­ra­lis­mus.

Wo­für in­ter­es­sierst du dich zur Zeit und war­um?

Es wird wahr­schein­lich bis zu mei­nem Le­bens­en­de so sein, daß ich ei­ne be­stimm­te Zahl von Pro­jek­ten vor mir ha­be, die ich zu rea­li­sie­ren be­strebt bin. Al­les zu schaf­fen, wird die Zeit nicht rei­chen. Auch das muß man ak­zep­tie­ren. Der­zeit schrei­be ich an ei­nem Ro­man, der durch ein ja­pa­ni­sches fait di­vers an­ge­regt ist, aber ei­nen ima­gi­nä­ren Schau­platz hat. Seit ei­ni­gen Wo­chen glau­be ich, die rich­ti­ge Form da­für ge­fun­den zu ha­ben, nach­dem ich jah­re­lang dar­an her­um­ge­dacht und her­um­pro­biert ha­be. Wie Kenzabu­ro Oe sagt, die Form ist das Ent­schei­den­de. Ein an­de­res Pro­jekt, in dem ich stecke, ist die Über­set­zung ei­nes um­fang­rei­chen Ly­rik­zy­klus von Ju­an Ramón Ji­mé­nez, 1916 wäh­rend sei­ner Ame­ri­ka­rei­se ent­stan­den. Und dann ha­be ich noch ei­ne Idee, die ich bes­ser nicht ver­ra­te. Es hat mit der Fi­gur Adolf Hit­lers zu tun und ist das er­ste Mal, daß ich das Ge­fühl ha­be, man könn­te mir die Idee klau­en, wenn ich sie wei­ter­erzäh­le.

Wie schreibst du Ro­ma­ne oder Er­zäh­lun­gen? Bis dei­ne li­te­ra­ri­sche Form aus­ge­reift ist und dich selbst über­zeugt?

Wei­ter­le­sen ...

Klei­ne Bei­trä­ge zur Her­zens­bil­dung (1)

Ein In­ter­view mit Leo­pold Fe­der­mair, ge­führt von Ma­sa­hi­ko Tsu­chi­ya ‑1. Teil

Ma­sa­hi­ko Tsu­chi­ya: Du bist Au­tor, Über­set­zer und Kri­ti­ker. Wie un­ter­schei­dest du dich von­ein­an­der und wel­che Be­zie­hun­gen habt ihr zu­ein­an­der? Kannst du zu ant­wor­ten ver­su­chen, ob­wohl dir die Un­ter­schie­de viel­leicht nicht be­wusst sind?

Leo­pold Fe­der­mair: Bei der Lek­tü­re von so­ge­nann­ten in­ter­kul­tu­rel­len Schrift­stel­lern, die die Spra­che ge­wech­selt ha­ben und in­fol­ge­des­sen in ei­ner Fremd­spra­che schrei­ben, ha­be ich be­merkt, daß ei­ni­ge von ih­nen die sprach­li­chen Feh­ler, zu de­nen sie nei­gen, ab­sicht­lich pro­duk­tiv ma­chen. Die Fremd­spra­chig­keit wirkt auf ih­ren Stil. Das schicke ich vor­aus, weil ich dei­ne For­mu­lie­rung «Wie un­ter­schei­dest du dich von­ein­an­der?« äu­ßerst an­re­gend fin­de. Ich bin ich, aber ich bin auch ein an­de­rer, oder meh­re­re an­de­re. Ich be­stehe aus die­sen an­de­ren. Rim­bauds Satz »Je est un aut­re« ist heu­te schon ziem­lich ab­ge­dro­schen. Ich bin nicht ein an­de­rer, son­dern meh­re­re. Der Rei­he nach und gleich­zei­tig. Das ge­fähr­det nicht un­be­dingt die Ein­heit der Per­son (kann aber vor­kom­men, die­se Ge­fähr­dung).

Die drei Ak­ti­vi­tä­ten, die du nennst, wa­ren für mich nie streng ge­trennt. Al­le drei sind ver­schie­de­ne Be­rei­che von Li­te­ra­tur. Was ich ein­mal so­gar als Ti­tel für ei­nen klei­nen Auf­satz schrieb, muß ich im­mer wie­der be­kräf­ti­gen: DER ÜBERSETZER IST EIN AUTOR. Ei­ni­ge hal­ten das oh­ne­hin für ei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit. Ich sto­ße aber im­mer wie­der, auch jetzt vor kur­zem wie­der, auf Leu­te im Li­te­ra­tur­be­trieb, die das über­haupt nicht so se­hen. Man­che Ver­lags­leu­te hal­ten die Über­set­zer für Kü­chen­ge­hil­fen in ih­rem gro­ßen Be­trieb. Ent­spre­chend be­han­deln und be­zah­len sie sie.

In Be­zug auf Li­te­ra­tur­kri­tik war ich im­mer der An­sicht, daß ei­ne gu­te Kri­tik ei­ne klei­ne li­te­ra­ri­sche Form rea­li­siert. Als Kri­ti­ker muß ich häu­fig nach­er­zäh­len, Stim­mun­gen und Ein­drücke wie­der­ge­ben, Aus­ge­sag­tes ver­dich­ten. Ich ha­be nur be­grenz­ten Raum zur Ver­fü­gung, muß aufs We­sent­li­che zie­len, darf nicht zu sehr schwei­fen. Sub­jek­ti­ve Ein­drücke ver­sucht der Kri­ti­ker so zu ver­mit­teln, daß sie ei­ne All­ge­mein­heit in­ter­es­sie­ren oder auch über­zeu­gen. Das ist ei­ne li­te­ra­ri­sche Ak­ti­vi­tät, je­den­falls so, wie ich sie be­trei­be. Bei ei­nem Au­tor wie Jor­ge Lu­is Bor­ges ak­zep­tiert man selbst­ver­ständ­lich, daß in sei­nen ge­sam­mel­ten Wer­ken auch ein Band mit Kri­ti­ken ent­hal­ten ist, und ei­ner mit Vor­wor­ten.

Die, die am streng­sten tren­nen wol­len, sind mei­stens Aka­de­mi­ker, Uni­ver­si­täts­leu­te. In Eu­ro­pa ge­nau­so wie in Ja­pan. In den USA hat man an den Unis auch Platz für Schrift­stel­ler, und sie müs­sen sich in die­ser Ei­gen­schaft nicht ver­leug­nen.

Ich glau­be, daß ich als Au­tor ei­ne ähn­li­che Po­si­ti­on ha­be wie Laf­ca­dio Hearn vor über hun­dert Jah­ren. Auch Hearn war üb­ri­gens Über­set­zer (aus dem Fran­zö­si­schen). Und er hat für Zei­tun­gen ge­ar­bei­tet. Er leb­te in ganz ver­schie­de­nen Län­dern, war im­mer neu­gie­rig und hat­te die­sen eth­no­lo­gi­schen Blick. Er wur­de nie voll an­er­kannt, blieb im­mer Au­ßen­sei­ter. In Öster­reich ha­ben wir ei­nen Au­tor, der sich von vorn­her­ein als Universal­genie »po­si­tio­nier­te«, wie man heu­te sagt. Das konn­te und woll­te ich nie, auch des­halb, weil ich nicht glau­be, daß es noch Uni­ver­sal­ge­nies ge­ben kann. Des­halb ha­be ich das Kon­zept ei­ner »trans­ver­sa­len Äs­the­tik« ent­wickelt, in Op­po­si­ti­on zur glo­ba­li­sier­ten, glo­ba­li­sie­ren­den Kul­tur. In­ter­es­sant ist für mich nur, kon­kre­te Punk­te, Or­te, Wer­ke, Men­schen mit­ein­an­der zu ver­bin­den. All­ge­mei­ne Sche­ma­ta fin­de ich nicht in­ter­es­sant. Das Pro­blem für Leu­te wie Hearn und mich ist, daß man uns im­mer aufs Neue in Schub­la­den steckt: der Jour­na­list, der Be­schrei­bungs­künst­ler, der Sach­ver­stän­di­ge der neu­en fran­zö­si­schen Phi­lo­so­phie, der Über­set­zer, der Ja­pano­phi­le, der Pro­fes­sor usw. Nein! Wir sind vie­les und wis­sen das Vie­le un­ter ei­nen Hut zu brin­gen. Wir sind ein plu­ra­les Sub­jekt.

Wei­ter­le­sen ...