Klei­ne Bei­trä­ge zur Her­zens­bil­dung (1)

Ein In­ter­view mit Leo­pold Fe­der­mair, ge­führt von Ma­sa­hi­ko Tsu­chi­ya ‑1. Teil

Ma­sa­hi­ko Tsu­chi­ya: Du bist Au­tor, Über­set­zer und Kri­ti­ker. Wie un­ter­schei­dest du dich von­ein­an­der und wel­che Be­zie­hun­gen habt ihr zu­ein­an­der? Kannst du zu ant­wor­ten ver­su­chen, ob­wohl dir die Un­ter­schie­de viel­leicht nicht be­wusst sind?

Leo­pold Fe­der­mair: Bei der Lek­tü­re von so­ge­nann­ten in­ter­kul­tu­rel­len Schrift­stel­lern, die die Spra­che ge­wech­selt ha­ben und in­fol­ge­des­sen in ei­ner Fremd­spra­che schrei­ben, ha­be ich be­merkt, daß ei­ni­ge von ih­nen die sprach­li­chen Feh­ler, zu de­nen sie nei­gen, ab­sicht­lich pro­duk­tiv ma­chen. Die Fremd­spra­chig­keit wirkt auf ih­ren Stil. Das schicke ich vor­aus, weil ich dei­ne For­mu­lie­rung «Wie un­ter­schei­dest du dich von­ein­an­der?« äu­ßerst an­re­gend fin­de. Ich bin ich, aber ich bin auch ein an­de­rer, oder meh­re­re an­de­re. Ich be­stehe aus die­sen an­de­ren. Rim­bauds Satz »Je est un aut­re« ist heu­te schon ziem­lich ab­ge­dro­schen. Ich bin nicht ein an­de­rer, son­dern meh­re­re. Der Rei­he nach und gleich­zei­tig. Das ge­fähr­det nicht un­be­dingt die Ein­heit der Per­son (kann aber vor­kom­men, die­se Ge­fähr­dung).

Die drei Ak­ti­vi­tä­ten, die du nennst, wa­ren für mich nie streng ge­trennt. Al­le drei sind ver­schie­de­ne Be­rei­che von Li­te­ra­tur. Was ich ein­mal so­gar als Ti­tel für ei­nen klei­nen Auf­satz schrieb, muß ich im­mer wie­der be­kräf­ti­gen: DER ÜBERSETZER IST EIN AUTOR. Ei­ni­ge hal­ten das oh­ne­hin für ei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit. Ich sto­ße aber im­mer wie­der, auch jetzt vor kur­zem wie­der, auf Leu­te im Li­te­ra­tur­be­trieb, die das über­haupt nicht so se­hen. Man­che Ver­lags­leu­te hal­ten die Über­set­zer für Kü­chen­ge­hil­fen in ih­rem gro­ßen Be­trieb. Ent­spre­chend be­han­deln und be­zah­len sie sie.

In Be­zug auf Li­te­ra­tur­kri­tik war ich im­mer der An­sicht, daß ei­ne gu­te Kri­tik ei­ne klei­ne li­te­ra­ri­sche Form rea­li­siert. Als Kri­ti­ker muß ich häu­fig nach­er­zäh­len, Stim­mun­gen und Ein­drücke wie­der­ge­ben, Aus­ge­sag­tes ver­dich­ten. Ich ha­be nur be­grenz­ten Raum zur Ver­fü­gung, muß aufs We­sent­li­che zie­len, darf nicht zu sehr schwei­fen. Sub­jek­ti­ve Ein­drücke ver­sucht der Kri­ti­ker so zu ver­mit­teln, daß sie ei­ne All­ge­mein­heit in­ter­es­sie­ren oder auch über­zeu­gen. Das ist ei­ne li­te­ra­ri­sche Ak­ti­vi­tät, je­den­falls so, wie ich sie be­trei­be. Bei ei­nem Au­tor wie Jor­ge Lu­is Bor­ges ak­zep­tiert man selbst­ver­ständ­lich, daß in sei­nen ge­sam­mel­ten Wer­ken auch ein Band mit Kri­ti­ken ent­hal­ten ist, und ei­ner mit Vor­wor­ten.

Die, die am streng­sten tren­nen wol­len, sind mei­stens Aka­de­mi­ker, Uni­ver­si­täts­leu­te. In Eu­ro­pa ge­nau­so wie in Ja­pan. In den USA hat man an den Unis auch Platz für Schrift­stel­ler, und sie müs­sen sich in die­ser Ei­gen­schaft nicht ver­leug­nen.

Ich glau­be, daß ich als Au­tor ei­ne ähn­li­che Po­si­ti­on ha­be wie Laf­ca­dio Hearn vor über hun­dert Jah­ren. Auch Hearn war üb­ri­gens Über­set­zer (aus dem Fran­zö­si­schen). Und er hat für Zei­tun­gen ge­ar­bei­tet. Er leb­te in ganz ver­schie­de­nen Län­dern, war im­mer neu­gie­rig und hat­te die­sen eth­no­lo­gi­schen Blick. Er wur­de nie voll an­er­kannt, blieb im­mer Au­ßen­sei­ter. In Öster­reich ha­ben wir ei­nen Au­tor, der sich von vorn­her­ein als Universal­genie »po­si­tio­nier­te«, wie man heu­te sagt. Das konn­te und woll­te ich nie, auch des­halb, weil ich nicht glau­be, daß es noch Uni­ver­sal­ge­nies ge­ben kann. Des­halb ha­be ich das Kon­zept ei­ner »trans­ver­sa­len Äs­the­tik« ent­wickelt, in Op­po­si­ti­on zur glo­ba­li­sier­ten, glo­ba­li­sie­ren­den Kul­tur. In­ter­es­sant ist für mich nur, kon­kre­te Punk­te, Or­te, Wer­ke, Men­schen mit­ein­an­der zu ver­bin­den. All­ge­mei­ne Sche­ma­ta fin­de ich nicht in­ter­es­sant. Das Pro­blem für Leu­te wie Hearn und mich ist, daß man uns im­mer aufs Neue in Schub­la­den steckt: der Jour­na­list, der Be­schrei­bungs­künst­ler, der Sach­ver­stän­di­ge der neu­en fran­zö­si­schen Phi­lo­so­phie, der Über­set­zer, der Ja­pano­phi­le, der Pro­fes­sor usw. Nein! Wir sind vie­les und wis­sen das Vie­le un­ter ei­nen Hut zu brin­gen. Wir sind ein plu­ra­les Sub­jekt.

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Vom 19. Jahr­hun­dert ler­nen

Lafcadio Hearn: Chita
Laf­ca­dio Hearn: Chi­ta
Wie­der­ent­deckt: Laf­ca­dio Hearn

»Un­er­schöpf­lich sind die­se Bü­cher. Wie ich sie auf­blättere, ist es mir bei­na­he un­be­greif­lich, zu den­ken, daß sie wirk­lich un­ter den Deut­schen noch fast un­be­kannt sein sol­len.« Die­se Sät­ze schrieb Hu­go von Hof­manns­thal 1904 nach dem Tod von Laf­ca­dio Hearn, und sie sind mehr als hun­dert Jah­re spä­ter zu wie­der­ho­len. Der un­greif­ba­re, no­ma­di­sie­ren­de, in un­ter­schied­li­chen Gen­res tä­ti­ge Au­tor: daß sich an sei­ner Si­tua­ti­on post­hum et­was Ent­schei­den­des än­dern wird, ist zu hof­fen, wenn­gleich man es be­zwei­feln mag. Der Über­set­zer Alex­an­der Pech­mann tut das Sei­ne da­zu, in ei­ner her­vor­ra­gen­den Ar­beit von Prä­sen­ta­ti­on, Ein­füh­lung und Wie­der­ga­be. Im Nach­wort zu sei­ner Aus­ga­be des Ro­mans Chi­ta. Ei­ne Er­in­ne­rung an Last Is­land si­tu­iert er Hearn li­te­r­ar­hi­sto­risch zwi­schen Ro­bert Cra­ne, R. L. Ste­ven­son und Jo­seph Con­rad.

Ein an­gel­säch­si­scher Au­tor, ge­wiß. Viel­leicht ame­ri­ka­nisch. In­ter­kul­tu­rell und mehr­sprachig wie Con­rad. Neu­gie­rig auf Aben­teu­er wie Ste­ven­son. In Grie­chen­land ge­bo­ren, in Frank­reich zur Schu­le ge­gan­gen, nach Ir­land und in die USA ge­schickt, da­mit ihn die Fa­mi­lie los­wird. Von Cin­cin­na­ti nach New Or­leans ge­flüch­tet (oder wie­der ver­trie­ben). Dann Mar­ti­ni­que, dann Ja­pan, da­mals ein fast ganz un­be­kann­tes Land – Hearn trug viel da­zu bei, es jen­seits ei­nes ge­fäl­li­gen Exo­tis­mus be­kannt zu ma­chen. Die letz­ten 14 Jah­re bis zu sei­nem Tod. Hear­ns’ Werk ist he­te­ro­gen, es zeugt von ei­nem müh­sa­men Lebens­kampf, auch wenn die Mü­hen in den Tex­ten durch­aus nicht im­mer durch­klin­gen. Chi­ta zum Bei­spiel ist ein sorg­fäl­tig ge­wirk­ter Ro­man mit zahl­lo­sen Na­tur­be­schrei­bun­gen, die eben­so wie die lang­sa­me, dann doch wie­der be­schleu­nig­te Er­zähl­be­we­gung an Adal­bert Stif­ter er­in­nern. Er­zäh­lung ei­ner Ge­gend, der In­seln und Ba­yous und Sümp­fe in Loui­sia­na, am Golf von Me­xi­ko; aber auch ei­nes ver­wai­sten Mäd­chens und sei­ner Pfle­ge­el­tern.

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