Rai­ner Ra­bow­ski: Mon­tag Ru­he­tag

Rainer Rabowski: Montag Ruhetag

Rai­ner Ra­bow­ski:
Mon­tag Ru­he­tag

Nach dem auch hap­tisch opu­len­ten Er­zäh­lungs- und Ge­dicht­band »Hal­te­stel­len«, der vorder­gründig vom Rei­sen und Un­ter­wegs-Sein (im wei­ten wie im na­hen) han­del­te, ist von Rai­ner Ra­bow­ski kürz­lich das de­zent-klei­ne Büch­lein »Mon­tag Ru­he­tag« er­schie­nen. Wenn man Pe­ter Hand­kes »Ver­such über den Stil­len Ort« als ei­ne Ge­schich­te über den ver­meint­li­chen Un-Ort Toi­let­te liest, der für den Er­zäh­ler im­mer wie­der eben auch zum »Asyl­ort« wur­de, so ist »Mon­tag Ru­he­tag«, die­ses Tri­pty­chon aus drei Ge­schich­ten, die zu ei­ner »Er­zäh­lung« zu­sam­men­ge­fasst wer­den, viel­leicht so et­was wie ein ‘Ver­such über den Fri­seur­la­den’; auch er zu­wei­len Asyl­ort, aber auch Fol­ter­stät­te.

Na­tür­lich fin­det sich auch in die­sem Buch der für Ra­bow­ski ty­pi­sche Sound des psy­cho­lo­gisch-re­fle­xi­ven Rea­lis­mus, dies­mal fast aus­schließ­lich ver­or­tet in Düs­sel­dorf (selbst in Thai­land er­in­nert er sich an ei­nen Düs­sel­dor­fer Fri­sier­sa­lon). Es ist aber deut­lich we­ni­ger ein Sich-Selbst-ins-Wort-Fal­len als sonst, was den Phä­no­me­nen mehr (Erzähl-)Raum gibt und den Le­ser mehr ins Nach­sin­nen ver­setzt. Et­wa wenn er von der Schmach und Ohn­macht er­zählt, als er als Kind auf den Fri­seur­stuhl muss­te (»Haare­schneiden ist ei­ne Ver­let­zung«). Oder der Le­bens­ab­schnitt, in der ei­nem die Fri­sur als Di­stink­ti­ons- oder son­sti­ges Merk­mal plötz­lich nicht mehr wich­tig war, ein Ak­zep­tie­ren »in der Welt des Aus­se­hens ein Au­ßen­sei­ter« zu sein und es trot­zig ge­nüg­te »gar kei­ne Fri­sur« ha­ben zu wol­len. Dann war der Fri­seur auf dem Flug­ha­fen ge­ra­de recht; so wur­de die War­te­zeit halb­wegs sinn­voll aus­ge­füllt.

Zwi­schen­zeit­lich ent­wickelt der in­fol­ge ei­nes früh be­gin­nen­den Haar­aus­falls im­mer we­ni­ger fri­sier­be­dürf­ti­ge Fla­neur ei­ne Phä­no­me­no­lo­gie der Fri­seur­sa­lons in Düs­sel­dorf und star­tet ein pri­va­tes Fo­to­pro­jekt (lei­der ist kei­nes der Bil­der im Buch) wo­bei es bei die­sem Er­zäh­ler kein Wun­der ist, dass ihm vor al­lem dann die klei­nen, manch­mal et­was schmud­de­li­gen Ne­ben­stra­ssen­lä­den in­ter­es­sie­ren, die mit ih­ren en­gen Räum­lich­kei­ten et­was »Oa­sen­haf­tes« bie­ten, ei­ne In­ti­mi­tät, die dann aber im­mer wie­der aus unter­schiedlichen Grün­den zum Pro­blem wird.

Zum ei­nen ist da ei­ne »Scheu« nicht als Stamm­kun­de be­dient zu wer­den, was ver­blüf­fend mit Pe­ter Hand­kes Dik­tum kor­re­spon­diert, nicht als »Stamm­gast be­han­delt wer­den« zu wol­len, »nie und nir­gends«. Ra­bow­skis Er­zäh­ler sieht dar­in be­reits ei­ne Über­grif­fig­keit nebst Ge­fahr der (so­zia­len) Ver­ein­nah­mung (für was auch im­mer). Nichts hasst er so sehr wie Kom­pli­zen- und Seil­schaf­ten, was ihn ein­mal in fast bern­har­deskem Übertreibungs­furor über Düs­sel­dor­fer Schüt­zen- und Brauch­tums­ver­ei­ne her­zie­hen lässt. Zum an­de­ren al­ler­dings leuch­tet dann doch noch so et­was wie Men­schen-Neu­gier her­vor und die Be­reit­schaft, sich auf die­se Welt der »bra­ven Wel­la-Re­kla­men« ein­zu­las­sen, al­ler­dings oh­ne das letz­te Gran von Ge­ring­schät­zung für die Pro­fes­si­on voll­stän­dig aus­blen­den zu kön­nen.

Na­tür­lich kann das nie lan­ge gut­ge­hen und so en­den die­se Sze­nen in die­sem Buch so et­was ähn­li­chem wie ei­nem »Knacks«, über den einst Ro­ger Wil­lem­sen so ge­konnt phi­lo­so­phier­te. Da bahnt sich, so Wil­lem­sen, et­was an, »tritt aus der La­tenz ins Ma­ni­fe­ste, und selbst der au­gen­blick­li­che Schrecken ei­nes Er­eig­nis­ses hängt nicht so sehr mit sei­nem Ein­tre­ten als viel­mehr mit sei­ner An­bah­nung zu­sam­men. Auf dem Kri­stal­li­sa­ti­ons­punkt er­scheint der Knacks.« Es ist nie der gro­ße Streit oder das thea­tra­li­sche Zer­würf­nis. Es ist ein Blick, ei­ne Ge­ste, ein Bild, ein Wort oder auch nur ei­ne be­stimm­te In­to­na­ti­on ei­nes Wor­tes. Da­nach ist es nie mehr wie vor­her. Ra­bow­ski er­zählt nicht nur die­se »Anbah­nungen«, er re­flek­tiert sie auch und dies der­art, dass man es erst beim zwei­ten Le­sen be­merkt, dann je­doch so­fort das un­er­hör­tes Ge­sche­hen, dass sich so­eben er­eig­net hat­te nach­voll­zie­hen kann, nach­dem man es zu­nächst über­le­sen hat­te (wenn man nur ei­nen Mo­ment un­auf­merk­sam bei der Lek­tü­re die­ser Pro­sa ist, wird man so­fort be­straft). Und nein, das hier wird kei­ne Nach­er­zäh­lung sein und dem po­ten­ti­el­len Le­ser wer­den nicht die Wahr­neh­mun­gen vor­ab auf ei­nem Ta­blett ser­viert. Nur so­viel: Der Er­zäh­ler ver­lässt den je­wei­li­gen Ort – und zwar für im­mer und auch ein biss­chen mit »Angst vor der ei­ge­nen Cou­ra­ge« und da­bei geht es dann eben nicht mehr nur um das ba­na­le Haa­re­schnei­den son­dern um nichts ge­rin­ge­res als das Ver­hält­nis zur Welt mit dem Fri­seur­la­den aus Pe­tri­scha­le.

Es gibt fast wie ne­ben­bei wun­der­ba­re Bil­der, ei­ne Mi­schung aus Tri­stesse und (dann doch) Ge­bor­gen­heit wie das »Fri­sier­kit­tel­ny­lon­blau« oder die »Trocken­hau­ben­ge­spen­ster« mit ih­ren Alu­mi­ni­um­röll­chen. All die­se im be­sten Sin­ne stim­mungs­vol­len, ja an­re­gen­den Bil­der und Al­le­go­rien wer­den um­man­telt mit ei­nem über­aus de­ko­ra­ti­ven Co­ver­bild ei­ner »weib­li­chen Ge­schlechts­be­haa­rung« (ver­mut­lich je­nes aus ei­nem Pa­ri­ser Fri­seur­sa­lon, in dem der Er­zäh­ler ein­mal war).

Und dann al­so ent­ge­gen den hier üb­li­chen Usan­cen ei­ne Emp­feh­lung, sich die 5 Eu­ro (in­klu­si­ve Ver­sand­ko­sten) für das Buch zu gön­nen und di­rekt beim Ver­lag zu be­stel­len (Ama­zon hat es nicht auf La­ger, was nichts hei­ßen muss). Und ja, Rai­ner Ra­bow­ski hat hier ge­le­gent­lich pu­bli­ziert (und macht es hof­fent­lich ir­gend­wann wie­der ein­mal) und wir ha­ben auch schon ein­mal ei­nen Kaf­fee zu­sam­men­ge­trun­ken, aber das trübt mei­nen Blick nicht – eher im Ge­gen­teil.