Pe­ter Hand­ke und Ja­kob Böh­me

Es sind in neue­rer Zeit nicht eben vie­le Au­toren, aus de­ren Schrif­ten her­vor­geht, daß Ja­cob Böh­me für sie ein­mal ir­gend von Be­deu­tung ge­we­sen ist, und von den­je­ni­gen der Ge­gen­wart gilt das am au­gen­schein­lich­sten ge­wiß für Pe­ter Hand­ke. Da­bei han­delt es sich in sei­nen Er­zäh­lun­gen und Auf­zeich­nun­gen meist um eher knapp ge­hal­te­ne as­so­zia­ti­ve Be­zug­nah­men – mit­un­ter, wie in der Mo­ra­wi­schen Nacht, bleibt es bei ei­ner ein­zi­gen im Text.1 Auf gleich ei­ne gan­ze Rei­he von sol­chen Hin­wei­sen stößt man da­ge­gen in sei­ner Samm­lung von No­ti­zen aus den Jah­ren 2007–2015, die 2016 un­ter dem Ti­tel Vor der Baum­schat­ten­wand nachts2 von ihm ver­öf­fent­licht wur­den. Daß ich mich im fol­gen­den spe­zi­ell auf sie ein we­nig ge­nau­er ein­las­sen möch­te, be­darf, mit Blick auf den Rah­men, in dem die­ser Text zu ste­hen kommt, si­cher kei­ner be­son­de­ren Er­klä­rung; an­ge­sichts der Viel­fäl­tig­keit der von Hand­ke no­tier­ten Ge­dan­ken und Be­ob­ach­tun­gen er­scheint ei­ne Be­schrän­kung im Stoff oh­ne­hin un­um­gäng­lich. Ein we­nig mehr vom Gan­zen als nur der ge­wähl­te schma­le Aus­schnitt wird sich auch auf die­se Wei­se aber den­noch be­leuch­ten las­sen.

Die ins­ge­samt meh­re­re tau­send »Zei­chen und An­flü­ge«, wie es im Un­ter­ti­tel heißt, um­fas­sen­de Samm­lung von Kurz­tex­ten ist nach der Chro­no­lo­gie ih­rer Ent­ste­hung oder Nie­der­schrift an­ge­ord­net. Ein Groß­teil von ih­nen läßt sich da­bei un­ter zwei­er­lei Ru­bri­ken ein­ord­nen, zum ei­nen: Die um­ge­ben­de Na­tur im Wech­sel der Jah­res­zei­ten, und zum an­dern: Ge­dan­ken zu Ge­le­se­nem (oder Ver­wei­se auf Ge­le­se­nes), wo­durch sich im Ver­lauf des Buchs ein recht ge­nau­es Bild er­gibt (oder viel­leicht auch nur zu er­ge­ben scheint) über die Lek­tü­re­fol­ge in den Jah­ren zwi­schen 2007 und 2015. So fin­den sich über län­ge­re Zeit Ver­wei­se auf, Zi­ta­te aus den Ta­ge­bü­chern von John Chee­ver, spä­ter be­geg­net im­mer wie­der der Na­me Paul Ni­zon, noch spä­ter (u. a.) die »Brü­der Ka­ra­ma­sow«. Ge­gen En­de sind es dann vor al­lem die Zeug­nis­se zum Le­ben Goe­thes, die Hand­ke in ih­ren Bann zie­hen; als er, im Fe­bru­ar 2015 wohl, bei des­sen Tod an­ge­kom­men ist (»›Er such­te die gött­li­che Ru­he in sich her­zu­stel­len‹ [(Rie­mer von G., nach des­sen Ster­ben])« (334), be­ginnt er (»›Ich ha­be euch gar zu lieb, sie­he, ich schrei­be bei Nacht für euch‹ [G. an sei­ne Schwe­ster, 1765 […]]« wie­der »von vor­ne« (336) mit ihm. Und aus die­ser Lek­tü­re der Brie­fe und an­de­ren Le­bens­zeug­nis­se ist im üb­ri­gen auch die dem Buch vor­an­ge­stell­te Wid­mung ge­nom­men: der »Kop­pen­fel­si­sche[] Scheu­nen­gie­bel« stammt, wie man auf ei­ner der letz­ten Sei­ten er­fährt, aus ei­nem Brief an Zel­ter aus dem Jahr 1816 (411).

Ei­ne ei­ge­ne Ab­tei­lung in­ner­halb der Auf­zeich­nun­gen zu Li­te­ra­ri­schem bil­den die Kom­men­ta­re zu und Zi­tie­run­gen von Au­toren, die für ge­wöhn­lich dem Be­reich der My­stik zu­ge­rech­net wer­den. Das gilt, be­sieht man sich die Häu­fig­keit der Nen­nun­gen, im be­son­de­ren Ma­ße für sol­che des mus­li­misch-ara­bi­schen Raums: Ibn ʿA­ra­bī, Al-Gh­aza­li und Al-Min­hadj (u.a. 26, 48, 83f., 94); aus dem Be­reich der christ­li­chen My­stik wer­den je ein­mal Mecht­hild von Mag­de­burg (152) und Ju­an de la Cruz (255) von Hand­ke zi­tiert, und, als ein My­sti­ker der be­son­de­ren Art, weil ei­ner aus un­se­rer Zeit, und er wie­der gleich mehr­mals, der »My­sti­ker Carl­fried­rich Claus« (288), »der Zeich­ner, der Ma­ler« (295), wäh­rend in Op­po­si­ti­on zu ih­nen al­len Goe­the er­scheint, »ent­schlos­se­ner An­ti-My­sti­ker – aber im ›Gro­ßen Krieg‹ zu­gleich ge­gen sich sel­ber?« (343).

Wei­ter­le­sen ...


  1. "Wenn überhaupt etwas, konnte er nur das werden, ausüben und immer weiterüben, was sein Ureigenes oder, frei nach Jakob Böhme, sein Urstand war, oder, mit wieder anderen Worten, sein schönes und schreckliches Problem." (Peter Handke: Die morawische Nacht. Erzählung. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008, S. 541. 

  2. Peter Handke: Vor der Baumschattenwand nachts. Zeichen und Anflüge von der Peripherie 2007-2015 - Salzburg und Wien: Jung und Jung, 2016, im weiteren Verlauf des Textes Zitate ohne Sigle, nur mit Seitenzahl 

Wenn Ent­lar­ven schei­tert

Durch die Dis­kus­sio­nen um die Be­set­zung der Fern­seh­run­den vor den Land­tags­wah­len in Rhein­land-Pfalz und Ba­den-Würt­tem­berg wur­de wie­der­holt die For­de­rung laut, die rechts­po­pu­li­stisch agi(ti)erende AfD trotz al­ler Be­den­ken zu­zu­las­sen, um sie und ih­re Ideo­lo­gie zu ent­zau­bern. Da­bei wur­de kaum be­rück­sich­tigt, dass ei­ne Diskussions­sendung, in der meh­re­re Par­tei­en ih­re Wahl­pro­gram­me in po­pu­lä­rer Form und dis­kur­siv vor­stel­len, ein sol­cher »Ent­lar­vungs­dis­kurs« nicht prak­ti­ka­bel ist, weil die Kon­zen­tra­ti­on auf ein Wahl­pro­gramm nicht der Zweck der Sen­dung sein kann.

In den po­li­ti­schen Talk­show­for­ma­ten der öf­fent­lich-recht­li­chen Sen­der wird der »Ent­lar­vungs­dis­kurs« zu­wei­len durch­aus ver­sucht. Der Pro­to­typ der »Entlarvungs«-Talkshow fand al­ler­dings im deut­schen Pri­vat­fern­se­hen am 5. Fe­bru­ar 2000 in der ntv-Sen­dung »Talk in Ber­lin« statt. Erich Böh­me (ehe­ma­li­ger »Spiegel«-Chefredakteur) hat­te dort den Vor­sit­zen­den der öster­rei­chi­schen FPÖ, Jörg Hai­der, zu Gast.1 Hai­der war zum da­ma­li­gen Zeit­punkt Lan­des­haupt­mann (Mi­ni­ster­prä­si­dent) von Kärn­ten. Im Bund wur­de Öster­reich in ei­ner so­ge­nann­ten schwarz-blau­en Ko­ali­ti­on aus ÖVP und FPÖ re­giert. For­mal war Hai­der an die­ser Re­gie­rung nicht be­tei­ligt. Tat­säch­lich war er aber da­mals auf dem Hö­he­punkt sei­ner Macht und dürf­te maß­geb­lich die Strip­pen bei den Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lun­gen ge­zo­gen ha­ben.

Die schwarz-blaue Re­gie­rung in Öster­reich rief in­ter­na­tio­na­le Pro­te­ste her­vor. Die FPÖ war un­ter Hai­ders Vor­sitz von ei­ner li­be­ral-kon­ser­va­ti­ven in ei­ne rechts­extre­me Par­tei ver­wan­delt wor­den. Ein­zel­ne Aus­sa­gen von FPÖ-Po­li­ti­kern und auch von Hai­der sel­ber rie­fen Skan­da­le her­vor.

Ei­ne Sen­dung mit Hai­der – zu­mal im deut­schen Fern­se­hen – war ein Coup. Öf­fent­lich-recht­li­che An­stal­ten hat­ten es vor­her ab­ge­lehnt, Hai­der »ein Fo­rum« zu bie­ten. Die Re­dak­ti­on der Sen­dung bei n‑tv be­ließ es je­doch nicht bei ei­nem Dia­log, son­dern wähl­te das üb­li­che For­mat mit meh­re­ren Per­so­nen. Als wei­te­re Gä­ste wur­den ein­ge­la­den: Frei­mut Duve (SPD), Mi­cha­el Glos (CSU) und Ralf Giord­a­no, Pu­bli­zist. Hier­in kann man den er­sten Feh­ler fest­ma­chen.

Wei­ter­le­sen ...


  1. Wenige Tage nach der Sendung, am 28. Februar, trat Haider als FPÖ-Vorsitzender zurück.