Le­se­run­de trotz Fuß­ball-EM?

Vor zwei Jah­ren hat­te ich ver­sucht ei­ne Le­se­run­de zu eta­blie­ren. Ge­gen­stand war ein Fuß­­ball-Buch, denn schließ­lich stand die Welt­mei­ster­schaft an. Die Re­so­nanz fand ich vor al­lem qua­li­ta­tiv nicht so schlecht. Das Buch stell­te sich als zwie­späl­tig her­aus, was ich vor­her nicht wuss­te. Ich möch­te jetzt wie­der zur ei­ner Le­se­run­de auf­ru­fen. Dies­mal hat es al­ler­dings nichts ...

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Ka­ka­ni­en ist ab­ge­sackt

Ich blick­te vom Buch auf, um mir ein poe­ti­sches Bild aus den Fleurs du mal vor Au­gen zu füh­ren (sto­isch und oh­ne zu kla­gen ge­hen Müt­ter durch das Cha­os der wim­meln­den Städ­te) als vom Platz her durch das som­mer­abend­li­che Fen­ster ein fer­nes Stim­mens­ir­ren zu schwel­len be­gann. Vö­gel, dach­te ich zu­erst, Am­seln, ein ver­irr­ter, ver­wirr­ter Schwarm... Dann fiel mir ein, daß es da drau­ßen nur noch Spat­zen gab. Und Krä­hen, die sich im Som­mer ver­zo­gen. Aber jetzt knack­te und knarr­te es schon im Luft­ge­fü­ge. Das Sir­ren kam nä­her und ver­wan­del­te sich in ein mensch­lich-weib­li­ches Krei­schen. Ich stand auf, schob mei­ne Sil­hou­et­te in den Fen­ster­rah­men. Der Lin­den­baum ruh­te wind­still in sei­nem stau­bi­gen Grün. Zwi­schen sei­nen Wur­zeln ni­ste­ten die Au­tos der An­rai­ner. Ei­ne un­glaub­lich dicke Frau wat­schel­te auf den Kin­der­spiel­platz zu, in ei­nem fort Flü­che und Be­schimp­fun­gen aus­sto­ßend, die ziel­si­cher auf ein Mäd­chen am Rand des Sand­ka­stens zu­flo­gen. Die­se dicke Frau, jün­ger, als ich beim er­sten An­blick dach­te, noch nicht drei­ßig, stieß mit dem Bauch ge­gen die nied­ri­ge Um­zäu­nung. Das Git­ter hielt ih­ren mas­si­gen Kör­per zu­rück, wäh­rend ihr Ge­kreisch an­schwoll und an­schwoll. Von dem, was sie schrie, ver­stand ich nichts au­ßer zwei Wör­tern, die sie wie ei­nen Re­frain wie­der­hol­te, wäh­rend ein hel­les Glöck­chen an ih­rer Hand­ta­sche den Rhyth­mus be­ton­te: »...tür­ki­sche Fut, du tür­ki­sche Fut...«

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Fab­jan Haf­ner

Ge­ra­de le­se ich wie zu­fäl­lig dass der Literatur­wissenschaftler, Über­set­zer und Dich­ter Fab­jan Haf­ner ver­stor­ben ist. Haf­ner wur­de nur 49 Jah­re alt. Sein Tod ist un­fass­bar für mich. Na­tür­lich hat­te ich 2008 sein Buch »Pe­ter Hand­ke – Un­ter­wegs in Neun­te Land« ge­le­sen. In mei­ner Hy­bris schick­te ich ihm den Link zu mei­ner Be­spre­chung mit ei­ni­gen Kri­tik­punk­ten ...

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War­um ich kei­ne Li­te­ra­tur­kri­tik mehr schrei­be

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Daß ich über­haupt Li­te­ra­tur­kri­tik ge­schrie­ben und ver­öf­fent­licht ha­be, liegt dar­an, daß ich als jun­ger Mann auf den Be­sitz von Bü­chern ver­ses­sen war, aber nicht ge­nug Geld hat­te, mir wel­che zu kau­fen. Als Re­zen­sent hat man ein Recht auf sein Re­zen­si­ons­exem­plar, man läßt sich nicht mit lo­sen Druck­fah­nen ab­spei­sen. Spä­ter dann, als ich nach Ar­gen­ti­ni­en und von dort nach Ja­pan ging, trenn­te ich mich von mei­ner mitt­ler­wei­le statt­li­chen Bi­blio­thek. Schon vor­her wa­ren mir die Bü­cher mehr und mehr zur Last ge­wor­den: die Woh­nung ver­staub­te, und es wur­de im­mer schwie­ri­ger, ei­ne Ord­nung auf­recht­zu­er­hal­ten. Ich sag­te mir, das We­sent­li­che die­ser Ge­brauchs­ge­gen­stän­de, ih­ren In­halt so­zu­sa­gen, hät­te ich oh­ne­hin in mei­nem Kopf ge­spei­chert, und so ver­kauf­te ich die ge­sam­te Bi­blio­thek zu ei­nem Spott­preis (ab­ge­se­hen von ei­ni­gen Aus­nah­men wie der Plé­ia­de-Werk­aus­ga­be von Bor­ges). Ich fühl­te mich er­leich­tert und ha­be die­sen Schritt nie be­reut.

Mit mei­ner kri­ti­schen Tä­tig­keit fuhr ich fort, aus Träg­heit und an­hal­ten­der Neu­gier. Hat­te ich die Bü­cher ge­le­sen, ver­schenk­te ich sie oder ließ sie ir­gend­wo zu­rück. Das di­gi­ta­le Zeit­al­ter hat­te in­zwi­schen be­gon­nen, und ich war froh, daß mir die Ver­la­ge pdf-Da­tei­en schick­ten an­stel­le von Bü­cher­pa­ke­ten. Sie ta­ten es an­fangs mit ei­nem ge­wis­sen Miß­trau­en, ganz so, als kön­ne man mit di­gi­ta­lem Gut mehr Schind­lu­der trei­ben als mit ana­lo­gem. Daß ich auf die Zu­sen­dung ei­nes »ech­ten« Buchs ver­zich­te­te, ver­stan­den sie nicht; hart­näckig schick­ten sie mir das Re­zen­si­ons­exem­plar, das mir zu­stand.

Ei­gent­lich woll­te ich im­mer schon Schrift­stel­ler wer­den, aber es man­gel­te mir am nö­ti­gen Selbst­be­wußt­sein. So war ich über­rascht und glück­lich, als mir ge­gen En­de mei­nes Stu­di­ums, als ich no­lens vo­lens ir­gend­wel­che be­ruf­li­chen Schrit­te un­ter­neh­men muß­te, wo­zu ich gänz­lich un­fä­hig war, der Lei­ter ei­ner Li­te­ra­tur­sen­dung im Ra­dio auf mei­ne An­fra­ge zu­rück­schrieb, er wol­le mich un­ter sei­ne frei­en Mit­ar­bei­ter auf­neh­men. Kurz dar­auf er­gab sich für mich, nach­dem zwei an­de­re Be­wer­ber ab­ge­sagt hat­ten, die Mög­lichkeit, als Lek­tor an ei­ne Uni­ver­si­tät nach Frank­reich zu ge­hen, und ich ließ sie nicht ver­strei­chen. Erst ei­ni­ge Jah­re spä­ter, als ich im­mer­hin schon ei­nen Ro­man in der Schub­la­de hat­te und ein we­nig aus dem Fran­zö­si­schen über­setz­te, be­gann ich wirk­lich, Li­te­ra­tur­kri­tik zu schrei­ben, aus dem ein­gangs er­wähn­ten Grund, denn mein Brot­be­ruf war nie be­son­ders ein­träg­lich. Da­mals ging man noch per­sön­lich in Re­dak­tio­nen, um Text zu lie­fern, an­fangs tat­säch­lich noch auf Pa­pier, dann auf ei­ner Dis­ket­te, die ich in ei­nen Schlitz am Haupt­com­pu­ter der Zei­tung, für die ich schrieb, stecken muß­te.

Der zu­stän­di­ge Re­dak­teur frag­te mich da­mals, was ich sonst so tä­te. Ich wuß­te kei­ne rech­te Ant­wort, von mei­nen Schub­la­den woll­te ich nicht er­zäh­len, und so lau­te­te der Kom­men­tar des Re­dak­teurs zu mei­nem Ge­stot­ter: »Aber vom Ar­ti­kel­schrei­ben kann man doch nicht le­ben.« Dan­ke für die Aus­kunft, dach­te ich und war zu per­plex, um zu ant­worten. Auf die Idee, mir ir­gend­wel­che Hin­wei­se, ei­ne klei­ne Hand­rei­chung zu ge­ben, kam der Mann nicht. Um­ge­kehrt kam ich nicht auf die Idee, die mir auf ab­strak­ter Ebe­ne durch­aus be­kannt war, daß man näm­lich sei­ne Ell­bo­gen ein­set­zen muß, um sich im Me­di­en­be­trieb ein sei es auch noch so klei­nes Plätz­chen zu ver­schaf­fen (im Literatur­betrieb gilt das­sel­be, auch un­ter Über­set­zern). Bei der Wo­chen­end­bei­la­ge der­sel­ben Ta­ges­zei­tung be­kam ich nach an­nä­hernd zehn Jah­ren frei­er Mit­ar­beit Schwie­rig­kei­ten, weil ich in an­de­ren Or­ga­nen zu ver­öf­fent­li­chen be­gon­nen hat­te. Man er­war­te­te von uns Schrei­ber­lin­gen, daß wir dem Blatt treu blie­ben – so sah die Frei­heit aus. Aus­nah­men wur­den bei so­ge­nann­ten Be­rühmt­hei­ten ge­macht, die durf­ten ver­öf­fent­li­chen, wo sie woll­ten.

Die­se Ge­schich­ten spie­len in Öster­reich, ei­nem en­gen Länd­chen mit so­ge­nann­ter Pres­se­kon­zen­tra­ti­on, wo Ei­fer­süch­te­lei­en und Miß­trau­en gang und gä­be wa­ren. An­de­rer­seits: Vom Ar­ti­kel­schrei­ben kann man nicht le­ben – vor al­lem nicht, wenn man nur für ein Or­gan schreibt. Ich ver­such­te zu wech­seln, was mir auch nicht recht ge­lin­gen woll­te, und war froh, als sich die Mög­lich­keit er­gab, re­gel­mä­ßig für ei­ne Schwei­zer Zei­tung zu schrei­ben, die über sol­chen Klein­kram er­ha­ben war und ist, ob­wohl ja auch die Schweiz, nach dem Be­kun­den ei­ni­ger von dort stam­men­der Au­toren, ein en­ges Länd­chen ist: wahr­schein­lich doch, trotz der ver­bin­den­den Al­pen, mit et­was wei­te­rem Ho­ri­zont.

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Ro­nald Tho­den (Hrsg.): ARD & Co.

Ronald Thoden (Hrsg.): ARD & Co
Ro­nald Tho­den (Hrsg.): ARD & Co

»Wie Me­di­en ma­ni­pu­lie­ren« lau­tet der Un­ter­ti­tel des Sam­mel­ban­des »ARD & Co.« Her­aus­ge­ge­ben wur­de das Buch von Ro­nald Tho­den, V.i.S.d.P.-Redakteur des seit 2010 on­line ver­wai­sten Ma­ga­zins »Hin­ter­grund«, für das im Im­pres­sum ei­ne »Ver­lag Selb­rund GmbH« zeich­net. Wenn man nach dem Her­aus­ge­ber goo­gelt fin­det man ei­nen Be­richt über ein »Querdenker«-Forum 2003 zu den An­schlä­gen des 11. Sep­tem­ber 2001, or­ga­ni­siert von Tho­den. Dort wur­den teil­wei­se ab­sur­de Theo­rien zu den An­schlä­gen aus­ge­brei­tet. Im­mer­hin: Für das Buch »ARD & Co.«, im Selb­rund-Ver­lag er­schie­nen, konn­ten mit Ul­rich Til­g­ner, Kurt Grit­sch und Wal­ter von Ros­sum Au­toren ge­won­nen wer­den, de­ren Ur­tei­le ich durch­aus schät­ze (auch wenn ich ih­nen nicht im­mer zu­stim­me).

Lei­der ver­läuft die Lek­tü­re recht er­nüch­ternd, wenn man sich durch Ti­tel und Un­ter­ti­tel kon­di­tio­niert sub­stan­zi­el­le Me­di­en­kri­tik er­hofft. Die gibt es zwar auch – häu­fig zu Be­ginn der je­wei­li­gen Bei­trä­ge. Dann je­doch er­greift et­li­che Au­torin­nen und Au­toren zu oft das Bes­ser­wis­ser-Pa­thos, mit dem sie nicht nur die me­dia­len Er­schei­nun­gen be­leuch­ten und kri­ti­sie­ren, son­dern sich in fach­li­che Ge­gen­ar­gu­men­ta­tio­nen be­ge­ben.

So gei­ßelt Wolf­gang Bitt­ner in »Feind­bild Pu­tin« durch­aus be­rech­tigt die ein­sei­ti­ge Dä­mo­ni­sie­rung Pu­tins und Russ­lands in der Be­richt­erstat­tung um die Ukrai­ne-Kri­se von En­de 2013 bis heu­te. Aber er be­lässt es nicht da­bei, son­dern be­ginnt sei­ne ei­ge­nen Be­wer­tun­gen, sieht die Kri­se als In­sze­nie­rung der USA mit dem Hin­ter­grund ei­ner po­li­ti­schen De­sta­bi­li­sie­rung Russ­lands. Bitt­ner schreibt un­ter Be­ru­fung von Hen­ry Kis­sin­ger und sei­nem In­ter­view vom 2. Fe­bru­ar 2014 mit CNN, dass »der Re­gime Ch­an­ge in Kiew so­zu­sa­gen die Ge­ne­ral­pro­be für das sei, ‘was wir in Mos­kau tun möch­ten’ «. Als Quel­le wird der Link der »Neu­en Rhei­ni­schen Zei­tung« an­ge­ge­ben. Dort kann man al­ler­dings nach­le­sen, wie das Kis­sin­ger-Zi­tat von Bitt­ner sinn­ent­stel­lend ver­fälscht wur­de. Die Fra­ge des CNN-Re­por­ter lau­te­te: »Sie ken­nen Pu­tin gut. Sie ha­ben ihn häu­fi­ger ge­trof­fen als je­der an­de­re Ame­ri­ka­ner. Glau­ben Sie, dass er be­ob­ach­tet, was in der Ukrai­ne pas­siert, und denkt, der We­sten und die USA wür­den dies im Grun­de als Schritt zur Um­zin­ge­lung Russ­lands be­trei­ben?«. Kis­sin­gers Ant­wort: »Ich glau­be, dass er denkt, dass dies ei­ne Ge­ne­ral­pro­be ist, für das, was wir in Mos­kau tun möch­ten…« Kis­sin­ger hat al­so nicht ge­sagt, dass die USA ei­nen »Re­gime Ch­an­ge« in Russ­land plan­ten oder ihn ma­chen soll­ten, er hat le­dig­lich ei­ne Ver­mu­tung dar­über ge­äu­ßert, dass Pu­tin dies so emp­fin­den könn­te. Der Un­ter­schied ist frap­pie­rend.

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Der Frie­dens­kai­ser (3)

Teil 2

Ju­dith wohn­te al­lein in ei­ner Zwei­zim­mer­woh­nung, recht ge­räu­mig für ei­ne Stu­den­tin. Mar­tha, ih­re Freun­din, eben­falls Psy­cho­lo­gin, über­nach­te­te häu­fig bei ihr, sie wohn­te bei ih­ren El­tern in Brau­nau und der letz­te Zug ging früh am Abend. Wenn sie über Nacht blieb, schlie­fen die bei­den im Dop­pel­bett. In die­ser Nacht wa­ren wir zu dritt, Mar­tha ku­schel­te sich von hin­ten an mich, was mein auf Ju­dith fi­xier­tes Be­geh­ren – »Mutter­komplex«, er­klär­te Mar­tha am näch­sten Mor­gen beim Früh­stück – dros­sel­te. »Dann bin ich auch ein Zwangs­cha­rak­ter?«, sag­te ich mit Blick auf Ju­dith. Die­se Art Iro­nie, die den Spre­cher vor je­dem Ge­fühls­aus­druck schützt, hat­te ich von An­drás über­nom­men, ob­wohl sie nicht recht zu mir paß­te. »Du nicht«, sag­te sie sanft nach ei­ner Schwei­ge­pau­se, als hät­te sie sich die Fra­ge ernst­haft über­le­gen müs­sen. Sie leg­te mir die Hand auf den Nacken, schob sie un­ter das halb­lan­ge Haar. Ju­dith und Mar­tha ver­heim­lich­ten nicht, daß sie »ei­ne Be­zie­hung« hat­ten. Sie be­zeich­ne­ten sich als les­bisch, aber ich glau­be, das traf im ei­gent­li­chen Sinn nicht zu. (Zu­ge­ge­ben, ich hat­te und ha­be kei­ne Ah­nung, wor­in das ei­gent­lich Les­bi­sche be­steht; bei der männ­li­chen Ho­mo­se­xua­li­tät scheint die De­fi­ni­ti­on leich­ter zu fal­len.)

Die Sit­zun­gen der Par­al­lel­ak­teu­re wur­den zä­her und kür­zer, nach­dem An­drás und Ju­dith uns ver­las­sen hat­ten; auch die Zahl der Teil­neh­mer schrumpf­te. Mi­chel­an­ge­lo ver­such­te, die Lei­tung zu über­neh­men. Er schlug Ta­ges­ord­nun­gen vor, die von Franz und vom Jüng­ling durch­kreuzt wur­den. »Wir brau­chen hier kei­nen Füh­rer«, hör­te ich ein­mal, wäh­rend der an­de­re zi­tier­te: »Der Lei­ter ist ein Ab­strak­tum, das sich von selbst auf­löst«. In letz­ter Zeit hat­te Mi­chel­an­ge­lo auf Ver­mitt­lung von An­drás bzw. des­sen Va­ter an Aus­stel­lun­gen in Ga­le­rien teil­neh­men kön­nen, ein­mal so­gar wäh­rend der Fest­spiel­zeit. We­nig spä­ter hat­te er ei­nen ei­ge­nen Ga­le­ri­sten, und er ver­kauf­te ein paar von sei­nen in­frarea­li­sti­schen Öl­ge­mäl­den zu recht gu­ten Prei­sen an Samm­ler. Von Ame­ri­ka aus hat­te An­drás so­gar ei­ne neue Kunst­rich­tung er­fun­den, den In­frarea­lis­mus, ei­ne Art La­bel, un­ter dem Mi­chel­an­ge­lo Ober­may­er be­rühmt wer­den soll­te. Aufs gan­ze, al­so im nach­hin­ein, be­trach­tet, schei­ter­te das Vor­ha­ben. Die Samm­ler ver­lo­ren das In­ter­es­se, Mi­chel­an­ge­lo sei­nen Ga­le­ri­sten, die von ihm ge­mal­ten Bil­der wa­ren und blie­ben ein­falls­los, ra­di­kal nett auch und ge­ra­de dann, wenn sie sich um ei­nen ag­gres­si­ven – »hap­ti­schen« – Ge­stus be­müh­ten. Ja, rich­tig, Kon­trol­le der Ag­gres­si­on war ei­ner der Ti­tel, die sich das Ge­nie da­mals von An­drás ein­flü­stern ließ.

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Geist und Macht

Zwei Bü­cher über Alar­mis­mus und Kon­for­mi­tät deut­scher In­tel­lek­tu­el­ler nach 1945 Im­mer wenn po­li­ti­sche, so­zia­le oder öko­no­mi­sche Kri­sen ein Ge­mein­we­sen er­schüt­tern, wer­den sie ge­ru­fen, um Stel­lung zu be­zie­hen: Die In­tel­lek­tu­el­len. In der all­ge­mei­nen Mei­nungs­ka­ko­pho­nie sol­len sie Halt bie­ten, Aus­we­ge auf­zei­gen, die Un­über­sicht­lich­keit ord­nen und re­prä­sen­ta­tiv für die kri­ti­sche Mas­se ihr Wort er­he­ben. Wo frü­her Pfar­rer die ...

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Der Frie­dens­kai­ser (2)

Teil 1

Ju­diths Hund, war­um fällt er mir jetzt wie­der ein? Als wä­re er die heim­li­che Haupt­fi­guer je­ner Jah­re. Ich se­he ihn vor mir, bes­ser ge­sagt: ne­ben mir, wie er still in ei­ner Ecke des Hör­saals liegt und manch­mal die Oh­ren be­wegt, als lausch­te er den mehr oder min­der klu­gen Dis­kus­sio­nen im Se­mi­nar. Da­mals reg­te sich kein Mensch dar­über auf, daß Hun­de oder Klein­kin­der an die Uni­ver­si­tät mit­ge­nom­men wur­den. In man­chen Se­mi­na­ren war es er­laubt zu rau­chen, und es war über­haupt kein Pro­blem, die Räum­lich­kei­ten am Wochen­ende für Fe­ste zu nut­zen (die Por­tie­re fei­er­ten mit). Ich will nicht sa­gen, daß es da­mals bes­ser war, die Luft in den Zim­mern war wirk­lich ver­pe­stet, aber . . . Nun ja, der Hund hör­te zu und dach­te mit, we­nig­stens sah es so aus, wäh­rend wir uns in end­lo­se Gedanken­gefechte ver­strick­ten. Ju­dith hat­te ihm ei­nen ty­pi­schen Hun­de­na­men ge­ge­ben, Bel­lo oder Wal­di oder Ajax, et­was in die­ser Art, ei­nen Na­men, der über­haupt nicht zu sei­nem me­lan­cho­li­schen Ge­müt paß­te. Sie selbst hat­te ei­nen ähn­li­chen Blick, vor al­lem, wenn sie An­drás an­schau­te, der sie so we­nig be­ach­te­te. Da­bei war sie ei­ne schö­ne Frau, die schön­ste weit und breit, dar­an zwei­fel­te nie­mand. Aber das schien An­drás nicht zu jucken; er ver­gnüg­te sich lie­ber mit Haus­frau­en, die un­ter sei­ner An­lei­tung das sich ab­zeich­nen­de Über­ge­wicht ih­res Kör­pers be­kämpf­ten.

Ju­dith hat­te kei­ne Pro­ble­me die­ser Art. Kein Wun­der, sie war zehn, fünf­zehn Jah­re jün­ger als die­se Frau­en. Wenn ich an Mu­sils Ro­man den­ke, fällt mir auf, daß Ul­rich über­haupt kei­ne ernst­zu­neh­men­den Ge­schlechts­part­ne­rin­nen hat, je­den­falls kei­ne, die er von sich aus ernst­nimmt, ernst­neh­men will. All die­se Diot­imas und Ger­das und Bo­na­de­as – hö­he­re Haus­frau­en der Jahr­hun­dert­wen­de. Und dann, als der Strang der Frau­en­ge­schich­ten durch­zu­hän­gen be­ginnt, plötz­lich die ei­ge­ne Schwe­ster, die an­geb­lich ver­ges­se­ne. War­um aus­ge­rech­net die ei­ge­ne Schwe­ster? Gibt es in der ka­ka­ni­schen Groß­stadt un­ter den zwei Mil­lio­nen Ein­woh­nern wirk­lich kei­ne ein­zi­ge schö­ne Frau, die vom Al­ter und vom gei­sti­gen Ni­veau her zu ihm pas­sen wür­de? Viel­leicht hat An­drás Ju­dith ver­schmäht, weil sie nicht in das An­ders-Sche­ma paß­te. Oder weil die­ser Ul­rich-Ty­pus, den er wil­lent­lich oder, was wahr­schein­li­cher ist, un­wil­lent­lich ver­kör­per­te, für sol­che Frau­en kei­nen Sinn hat, weil er nichts mit ih­nen an­fan­gen kann. Weil sie ihn öff­nen, lockern wür­den? So sah es Ju­dith selbst, in manch­mal nacht­lan­gen Ge­sprä­chen ver­trau­te sie es mir an. »Sei­ne Pan­ze­run­gen wer­den ab­fal­len, wenn er sich erst ein­mal auf mich ein­läßt.« Das war der Stil, den wir da­mals pfleg­ten. An­drás hat sich aber nicht auf sie ein­ge­las­sen. Ob er nicht woll­te oder nicht konn­te, wer will die­se Fra­ge ent­schei­den? Am we­nig­sten er selbst . . . Er ließ sich nicht auf Ju­dith ein, nicht ein­mal durch die Hei­rat, die er auf dem Stan­des­amt wie ei­nen mit­tel­mä­ßi­gen Scherz ab­sol­vier­te (ich war Trau­zeu­ge). Ju­dith wein­te, und der, der seit ein paar Se­kun­den ihr Mann war, mach­te ir­gend­ei­ne iro­ni­sche Be­mer­kung. Kein ein­zi­ger Ver­wand­ter war zu­ge­gen, auch nicht der Mu­si­ker-Va­ter, nur ei­ne klei­ne Schar Pa­ralel­l­ak­tio­ni­sten in ih­rem üb­li­chen Auf­zug. An­drás hat­te die Hei­rat ak­zep­tiert, da­mit Ju­dith ein Vi­sum für die USA be­kä­me, wo er ein Jahr lang stu­die­ren oder for­schen soll­te, post­gra­dua­te, ein für mich da­mals neu­es Wort. Und Ju­dith, die New York für das Mek­ka der Psy­cho­ana­ly­se hielt, brann­te auf die Rei­se. Sie führ­te nicht nach New York, son­dern in die Pro­vinz, nach Ma­ry­land.

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