Bo­tho Strauß: Mi­ka­do (II)

DIE MÖBEL

Ein jun­ger Te­le­fon­tech­ni­ker, Züch­ter von Dal­ma­ti­nern im Ne­ben­be­ruf, kam am frü­hen Nach­mit­tag, et­was zu früh, von sei­ner Ar­beit nach Hau­se. Er fand sei­ne Woh­nung kahl, voll­kom­men aus­ge­räumt. Sei­ne Frau aber stand an der nack­ten Wand, lehn­te mit dem Rücken an, und ihr ge­gen­über, eben­falls mit dem Rücken an die Wand ge­lehnt, stand ein Mann, den er nie zu­vor ge­se­hen hat­te. Bei­de at­me­ten er­schöpft in den letz­ten Zü­gen ei­nes lan­gen Streits, ei­nes die Af­fä­re be­en­den­den, wie es schien, denn die Wor­te, die sie jetzt noch wech­sel­ten, trof­fen wie aus ei­ner aus­ge­preß­ten Lei­den­schafts­frucht und ihr Sinn ent­glitt ins Ab­stru­se.

Er, die­ser Frem­de, sag­te: Wenn wir die Mö­bel tie­fer ins Zim­mer ge­rückt hätten...Tiefer, ganz tief, nach hin­ten, noch tie­fer...

Sei­ne ihm nicht we­ni­ger frem­de Frau sag­te: Das Zim­mer ist nicht so tief, daß man sich ir­gend et­was hät­te vom Leib rücken kön­nen. Und schon gar nicht, um es ge­nau zu sa­gen, mich et­wa.

Da be­merk­te er an sei­ner Frau ein vor­her nie ge­se­he­nes Rucken des Kop­fes, und zwar zu dem an­de­ren hin, dem Frem­den, so wie man je­man­den mit an­ge­ho­be­nem Kinn auf- oder her­aus­for­dert: Komm Komm Komm! ... lch zeig es dir! Aber nichts kam mehr von der an­de­ren Sei­te. Sie ruck­te den Kopf auf­for­dernd, oh­ne noch et­was zu er­war­ten, als sei es ihr schon zur Ma­rot­te ge­wor­den.

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»In­de­pen­dent Je­wish Voices« für ei­ne dif­fe­ren­zier­te Be­trach­tung im Nah­ost­kon­flikt

Vor ei­ni­gen Ta­gen mel­de­te sich ei­ne Grup­pe bri­ti­scher Ju­den (hier­un­ter auch vie­le pro­mi­nen­te In­tel­lek­tu­el­le und Künst­ler wie bei­spiels­wei­se der Hi­sto­ri­ker Eric Hobs­bawm, der Fil­me­ma­cher Mi­ke Leigh, Schau­spie­ler Ste­phen Fry, Li­te­ra­tur­no­bel­preis­trä­ger Ha­rold Pin­ter und der So­zio­lo­ge Ri­chard Sen­nett) un­ter dem pro­gram­ma­ti­schen Ti­tel »Indepen­dent Je­wish Voices« zu Wort. Ih­re Er­klä­rung wur­de erst­ma­lig im li­be­ra­len »Guar­di­an« pu­bli­ziert.

Bei den »In­de­pen­dant Je­wish Voices« han­delt es sich um ei­nen (lo­sen) Zu­sam­men­schluss. Ih­re »De­cla­ra­ti­on« liest sich wie ein Be­frei­ungs­schlag ge­gen ein Estab­lish­ment, von dem sie sich nicht mehr re­prä­sen­tiert füh­len (Die Über­set­zung er­folg­te durch mich; sie ist we­der au­to­ri­siert noch be­an­sprucht sie al­lei­ni­ge Gül­tig­keit. Der ge­setz­te Link er­mög­licht es je­dem, den Wort­laut im Ori­gi­nal zu le­sen und selbst zu über­set­zen.):

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Pe­ter Hand­ke: Ka­li – Ei­ne Vor­win­ter­ge­schich­te

Peter Handke: Kali
Pe­ter Hand­ke: Ka­li

Vor ei­nem Vier­tel­jahr­hun­dert de­kla­mier­te No­va in Über die Dör­fer: Die Na­tur ist das ein­zi­ge, was ich euch ver­spre­chen kann – das ein­zig stich­hal­ti­ge Ver­spre­chen. In ihr ist nichts »aus«, wie in der blo­ßen Spiel­welt, wo dann ge­fragt wer­den muß: »Und was jetzt?« Sie kann frei­lich we­der Zu­fluchts­ort noch Aus­weg sein. Aber sie ist das Vor­bild und gibt das Maß: die­ses muß nur täg­lich ge­nom­men werden...euer Ar­bei­ten soll ein Wir­ken sein – gebt et­was wei­ter. Wei­ter­ge­ben tun aber nur, die was lie­ben: liebt ei­nes – es ge­nügt für al­les. Die Lie­be erst er­mög­licht die Sach­lich­keit. Nur du, Ge­lieb­ter, giltst. Dich lie­bend, er­wa­che ich zu mir. Die em­pha­tisch-pro­gram­ma­ti­sche Re­de, nein: die­se Phil­ip­pi­ka des Poe­ti­schen – nie­mals hat Pe­ter Hand­ke ge­sell­schafts­po­li­tisch kon­kre­te­res ge­schrie­ben – nahm die Hä­me von Tei­len der Kri­tik be­reits vor­weg: Laßt die Il­lu­si­ons­lo­sen bö­se grin­sen: die Il­lu­si­on ist die Kraft der Vi­si­on, und die Vi­si­on ist wahr.

No­vas Vi­si­on ist ein­fach und doch grund­le­gend: Der ewi­ge Frie­de ist mög­lich. Nichts we­ni­ger als ei­ne neu­es Zeit­al­ter phan­ta­siert der Dich­ter hier (die An­leh­nung an den gro­ssen Phi­lo­so­phen ist na­tür­lich be­ab­sich­tigt) – und wenn man Hand­kes Werk ge­nau be­trach­tet und (grob ver­kür­zend) auf ei­nen Nen­ner brin­gen will, so hat er seit­dem nie­mals mehr von die­sem »Pro­jekt« ab­ge­las­sen. Im­mer su­chen Hand­kes Prot­ago­ni­sten »ihr Glück« in ei­ner an­de­ren als der Al­ler­welt (Ka­li) und so sind sei­ne Bü­cher fort­wäh­ren­de »Ver­su­che« ei­nes Ent­kom­mens; in sei­nen Jour­na­len le­sen wir dann die »Selbst(ver)suche« des Dich­ters (wie wort­mäch­tig die­se Bü­cher doch sind – er­hel­lend und wei­tend für den Le­ser; wirk­li­che Pre­tio­sen).

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Und sie wehr­ten sich...

We­ni­ge Ta­ge nach den Aus­schrei­tun­gen nach ei­nem Fuss­ball­spiel in Ita­li­en hat es auch den deut­schen Fuss­ball er­wischt: Am ver­gan­ge­nen Wo­chen­en­de ran­da­lier­ten in Leip­zig wäh­rend und nach ei­nem Lan­des­po­kal­spiel rund 800 Hoo­li­gans. Al­so kein Grund zur Hä­me hin­sicht­lich »ita­lie­ni­scher Ver­hält­nis­se«.

Das Aus­mass der Ge­walt über­rasch­te – aber die Tat­sa­che als sol­che, dass es (ins­be­son­de­re in Ost­deutsch­land, aber nicht nur dort) in den un­te­ren Li­gen zu Ran­da­le kommt, ist nicht neu.

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Bo­tho Strauß: Mi­ka­do (I)

RÜCKKEHR Da gab es den Bäcker­mei­ster Al­win, der ei­nes Mor­gens nicht mehr in sei­ne Back­stu­be kam, sei­ne Frau My­ri­am ver­ließ und nach Me­xi­ko aus­wan­der­te. Dort kauf­te er sich ei­ne Pa­pier­fa­brik ein und wur­de ein er­folg­rei­cher Fa­bri­kant. Schließ­lich ge­hör­ten ihm zwölf Pa­pier­fa­bri­ken in ganz La­tein­ame­ri­ka. Nach fünf­und­zwan­zig Jah­ren kehr­te er nach Han­no­ver zu­rück. Dort leb­te sei­ne ...

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Aus­ra­ster

Wolf­gang Schäub­les Aus­ra­ster er­eig­nen sich in Zy­klen. Nicht nur Sa­bi­ne Leu­theu­sser-Schnar­ren­ber­ger neu­lich fest, dass der Bun­des­in­nen­mi­ni­ster of­fen­sicht­lich be­ses­sen ist von der Idee, die Bun­des­wehr im In­ne­ren ein­zu­set­zen und hier­für not­falls so­gar das Grund­ge­setz zu än­dern. Ein ent­spre­chen­der (er­neu­ter) Vor­stoss wur­de je­doch nach fast ein­hel­li­ger Ab­leh­nung über die Par­tei­gren­zen hin­weg schnell wie­der ad ac­ta ge­legt. Wie­der­vor­la­ge bei Schäub­le ver­mut­lich in 3–4 Jah­ren.

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Eu­phe­mis­men in der Po­li­tik – (I.) Pro­be­ab­stim­mung

Die Pro­be­ab­stim­mung ist in kei­nem Re­gel- oder gar Ge­set­zes­werk vor­ge­se­hen. Sie ist ein Brauch der po­li­ti­schen Par­tei­en. Vor gro­ssen und als wich­tig de­kla­rier­ten Ge­set­zes­vor­ha­ben wird in den / der Fraktion(en) vor der ei­gent­li­chen Ab­stim­mung im Par­la­ment ei­ne in­ter­ne Ab­stim­mung durch­ge­führt (not­falls meh­re­re; es wird so lan­ge »ge­probt«; bis das Er­geb­nis stimmt!). Die­ses Ver­fah­ren nennt man Pro­be­ab­stim­mung. Der frei ge­wähl­te, de ju­re nur sei­nem Ge­wis­sen ver­ant­wort­li­che Ab­ge­ord­ne­te wird auf Ein­heits­li­nie ge­trimmt.

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Kei­ne Em­pa­thie, nir­gends

Wir ha­ben nach 43 Ta­gen Hanns Mar­tin Schley­ers kläg­li­che und kor­rup­te Exi­stenz be­en­det.

Herr Schmidt, der in sei­nem Macht­kal­kül von An­fang an mit Schley­ers Tod spe­ku­lier­te, kann ihn in der Rue Charles Pe­guy in Mül­hau­sen in ei­nem grü­nen Au­di 100 mit Bad Horn­bur­ger Kenn­zei­chen ab­ho­len. Für un­se­ren Schmerz und un­se­re Wut über die Mas­sa­ker von Mo­ga­di­schu und Stamm­heim ist sein Tod be­deu­tungs­los. An­dre­as, Gud­run, Jan, Irm­gard und uns über­rascht die fa­schi­sti­sche Dra­ma­tur­gie der Im­pe­ria­li­sten zur Ver­nich­tung der Be­frei­ungs­be­we­gung nicht.

Wir wer­den Schmidt und den ihn un­ter­stüt­zen­den Im­pe­ria­li­sten nie das ver­gos­se­ne Blut ver­ges­sen. Der Kampf hat erst be­gon­nen. Frei­heit durch be­waff­ne­ten an­ti­im­pe­ria­li­sti­schen Kampf.

Das ist der Ori­gi­nal-Text des Kom­man­dos »Sieg­fried Haus­ner«. Am 19.10.1977 – al­so vor fast 30 Jah­ren – fand die Po­li­zei am an­ge­ge­be­nen Ort die Lei­che des ent­führ­ten Hanns-Mar­tin Schley­er.

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