Gedanken zu Kommentaren in Blogs am Beispiel und mit Hilfe von Stefan Niggemeier
Warum kommentiert man auf Blogs? Was sind die Beweggründe derer, sich in teilweise zähen Wortgefechten mit Leuten streiten, die sie (in der Regel) nicht kennen und vermutlich auch niemals kennenlernen werden? Mitte März stellte Stefan Niggemeier diese Frage auf seinem Blog – vielleicht um herauszufinden, wie die Leute »gestrickt« sind, aber auch, um Material für seinen Artikel in der FASZ zu erhalten.
Sehr wohl war mir aufgefallen, dass Niggemeier die Kommentare auf seinem Blog mit einer offenbar zunehmenden Ambivalenz betrachtete. Seit einiger Zeit kann man diese sogar »abschalten«.
Die Philologisierung des Werkes von Peter Handke schreitet voran. Nach der Veröffentlichung des Briefwechsels mit Nicolas Born im Jahr 2005 und – ein Jahr später – Hermann Lenz nun die Publikation der Korrespondenz zwischen Freunden, die noch am Leben sind (Alfred Kolleritsch).
Peter Handke / Alfred Kolleritsch: Schönheit ist die erste Bürgerpflicht
Diese ist zunächst einmal für den werkinteressierten und ein bisschen kundigen Leser von Bedeutung, aber obendrein für den durch E‑Mail oder SMS inzwischen dem Briefschreiben entwöhnten Zeitgenossen. So ist dieser Briefwechsel zwischen Alfred Kolleritsch (geboren 1931) und dem elf Jahre jüngeren Handke zusätzlich ein Dokument einer schwindenden Kulturtechnik – einer Kulturtechnik des Wortes, der Nuance, der Albernheit, der Ernsthaftigkeit, der Schwermut (und auch des Nachschauens im Briefkasten ob der sehnsuchtsvoll erwarteten Antwort).
Viele der – man ahnt es im Verlauf des Buches – schönen, ja: reichen Briefe Kolleritschs sind nicht mehr da (der Verlust wohl Handkes zahlreichen Umzügen geschuldet), so dass die Korrespondenz von Peter Handke eine Überzahl bilden. Manchmal kann man aufgrund der Antworten ein bisschen erahnen, was wohl im Brief gestanden haben mag – später, wenn dann auch Kolleritsch-Briefe abgedruckt sind, merkt man, dass man diesen Stil dann vermisst.
Ein Buch mit einem geradezu kathedralen Überbau: »Reading-Room« der FAZ (ein hässlicher Anglizismus – dennoch: hörenswert das Lesen von Christian Berkel), Marginalienband mit Interviews, Graphiken und textinterpretatorischem Rüstzeug, eigene Webseite (noch ausführlichere Dokumente als im Marginalienband), und fast jedes Feuilleton äussert sich. Und wenn man das Buch mit seinen fast 1.400 Seiten vor sich liegen hat und in den Händen wiegt, dann fragt man sich, ob die Erwartungen ob dieses Monumentalismus überhaupt eingelöst werden können. Oder ob da nicht ein Autor Opfer seiner eigenen Hybris wird.
Jonathan Littell: Die Wohlgesinnten
»Die Wohlgesinnten« sind die fiktiven Memoiren von Dr. Maximillian Aue, Jahrgang 1913, deutsch-französischer Herkunft, promovierter Jurist und am Ende, 1945, SS-Obersturmbannführer. Aue ist Ich-Erzähler, was als »neu« in Bezug auf die »Täterperspektive« hingestellt wird. Das stimmt in dieser Absolutheit natürlich nicht und wird nicht besser, in dem man es dauernd wiederholt. Jeder zweite Krimi schiebt heutzutage den Täter und dessen Motivation in den Vordergrund – meist als Brechung zum Alltag des Kommissars. Hinsichtlich der Shoa stimmt das auch nicht. Man kann nicht so tun, als sei die »Sprache der Täter« zu erfinden. Es gibt sie längst – sowohl im Original, als auch in zahlreichen Fiktionen, die längst in die Weltliteratur und ‑dramatik eingeflossen sind.
Wolfgang Kraushaar: Achtundsechzig – Eine Bilanz
Wolfgang Kraushaar legt mit seinem Buch »Achtundsechzig – Eine Bilanz« eine kritische Würdigung der deutschen utopistischen Studenten- und Gesellschaftssubkultur von ungefähr 1967 an vor. In einem ausführlichen Prolog dokumentiert er zunächst die Wurzeln der studentischen Proteste Mitteleuropas in der US-amerikanischen »Beat-Generation«-Bewegung ausgehend von den Literaten Burroughs, Kerouac und Ginsberg Mitte der 50er Jahre über die »Flower-Power«- und Hippie-Ära, die dort Mitte der 60er Jahre als zunächst gesellschaftliche Protest- und sexueller Befreiungsbewegung und – pauschal betrachtet – Kapitalismusverweigerung aufkam (und bereits im Herbst 1967 versandete) bis zum politisierten Anti-Vietnam-Protest und der militanten »Black Power«-Gruppierung Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre.
Diese ersten rund 40 Seiten zeigen, dass der intellektuelle und studentische Protest, der sich Ende der 60er Jahre in Deutschland (aber auch anderen europäischen Ländern wie Frankreich und Italien) zeigte, nicht ohne Vorgeschichte war, wobei Kraushaar nicht explizit darauf eingeht, wieviel Inspiration importiert wurde. Der weitere Verlauf des Buches zeigt, dass es neben dem Vietnamkrieg-Protest, einer Neudefinition des Sexuellen (stark angelehnt an Wilhelm Reich, der zum Guru wurde) und dem später reichlich praktizierten Drogenkonsum kaum Parallelen gab. Das oft spielerische der amerikanischen Hippiebewegung beispielsweise war den zumeist bierernsten und fränkischen Akteuren, die von einer protestantisch geprägten Moralität speziell in Deutschland durchdrungen schienen, ziemlich fremd.
Andrea Ypsilanti legte in der Zeit (Nr. 10/2008) ein Grundsatzpapier* – in der gekürzten Version der gedruckten Ausgabe ist von einem Manifest die Rede – vor, in dem sie ihre persönliche Weltsicht beschreibt. Was kann der Wähler, der politisch Interessierte davon erwarten? Zumindest zweierlei: Kompaktheit, dafür keine Argumentation in allen Details (eher einen Überblick), und klar herausgearbeitete Probleme, Lösungsvorschläge und einen Blick in die Zukunft.
Man wird aber – in den nicht allerbesten Zeiten für die SPD – auch jenseits Ypsilantis politischer Weltsicht, nach Befindlichkeiten der Partei, bzw. nach Ideen für eine Neupositionierung im politisch linken Spektrum Ausschau halten. Ypsilantis Manifest wird man als pars pro toto für die Bundes-SPD zu betrachten versuchen.
Götz Aly: Unser Kampf 1968 – Ein irritierter Blick zurück
Eine Philippika. Eine Anklage. Eine Selbstbezichtigung. Eine kalkulierte Provokation? Götz Alys »Unser Kampf 1968« (im Schmutztitel: »Unser Kampf 1968 – ein irritierter Blick zurück«) kommt vor allem auf den ersten Seiten mit schier atemlosen Furor daher.
Da ist von luxorierenden Jugendexistenzen die Rede, die bis ins hohe Alter ihre Mythen pflegen. Oder vom Parasitenstolz einer Generation, die ihre revolutionsselige Sturm- und Drangzeit als Geschichte einer besseren Heilsarmee verklärt und sich noch heute rühmt, seinerzeit Sozialhilfe erschlichen zu haben. Che und Meinhof als Maskottchen eines Sentimentalstalinismus.
Am Anfang zerpflückt Aly mit polemisch-scharfen Wortkaskaden das mythische Geraune jener Altachtundsechziger, zu denen er sich selber zählt (und woran er keinen Zweifel lässt), die sich heute ein Ferienhaus in der Toskana gönnen, mit der ihnen eigenen, selbstgerechten Hochnäsigkeit (allerdings grundlos) auf die DDR-Intelligenz hinunterschauen, die sie selber 1990 »abgewickelt« haben, um – endlich! – in den Genuss der seit langem ersehnten Pöstchen zu kommen: Die verspielten Wohlstandsrevoluzzer hatten ihre Umsturzphantasien nie zur Tat werden lassen. Jetzt profitierten sie vom Umsturz der Anderen.Die untergegangene DDR konfrontierte die Achtundsechziger – nicht zuletzt mit ihren marxologischen Formulierungen – an vergangene Zeiten, die sie für sich schon längst überwunden hatten. Die Westlinken waren angeekelt von diesem déjà-vu ihrer eigenen Unzulänglichkeiten. Die Ostdeutschen hielten den Spiegel parat, in dem sie [die Westlinken], falls sie nicht einfach wegsahen, vor allem eines erkennen mussten: den totalitären Charakter ihrer früheren Weltanschauung.
Durch Zufall vergangenen Samstag, den 1. März, auf »Wetten, dass…« gekommen und als Hintergrundberieselung angelassen. Irgendwann dann ein Italiener, der rückwärts über Hürden sprintete. Einmal stürzte er, aber er schaffte es.
Pflichtschuldigst danach Gottschalk zum Interview. So oft ich die Sendung sehe: Diese Interviews sind meist von oben herab; eine Peinlichkeit für den Interviewten. Gottschalk ist immer schon auf dem Sprung auf das Sofa. Dort ist sein Platz. Dort umgibt er sich mit den Schönen, Reichen und vor allem Prominenten. Diese haben auch immer ein Anliegen. Mal ist es ein Film, dann ein Buch oder eine CD oder DVD oder alles zusammen. Man duzt sich. Na klar, warum nicht. Distanz war gestern. Und mit den internationalen Stars und Sternchen gibt’s ein Bussi. Plaudereien für die Galerie. Wann kommt das Emblem »Dauerwerbesendung« eigentlich für »Wetten, dass...?«
Jerzy Jedlicki, Jahrgang 1930, Historiker an der Polnischen Akademie der Wissenschaften und spezialisiert auf Ideengeschichte, hat mit der Aufsatzsammlung »Die entartete Welt« ein aufschlussreiches Buch vorgelegt. Sein detailreicher, aber nie erdrückender Blick auf die Ideengeschichte des 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg, speziell auf die Degeneration d’anglaise, deren Schilderung mehr als die Hälfte des Buches ausfüllt, ist erfrischend unaufgeregt. Da wird nicht in jedem dritten Satz eine Kontinuität in das 20. Jahrhundert hinein konstruiert, behauptet oder nachgewiesen. Jedlicki baut auf die geschichtsbewusste Kompetenz des Lesers und dessen Fähigkeit, Fäden aufzunehmen und ggf. weiterzuspinnen oder zu verwerfen.
Und wenn er – wie im Vorwort – die Brücke zur Neuzeit schlägt und feststellt, dass der Begriff der »Krise« heute gnadenlos überstrapaziert wird und dadurch seine klaren semantischen Konturen verliert, kommt dies nie als primitives Zeitgeistbashing daher – eher im Gegenteil. Jedlicki zeigt speziell am Beispiel Englands und Frankreichs, dass ungefähr seit der industriellen Revolution parallel zu den enthusiasmierten, teilweise futuristisch oder anderswie ideologisch beeinflussten Fortschrittsgläubigen und –hörigen heterogene Gegenbewegungen hervortreten, die in einer Mischung zwischen historisch argumentierendem Geschichtspessimismus, verzweifelten Restaurationsbemühungen (insbesondere der Romantiker, die Jedlinki als Gegenaufklärer begreift und mit denen er vergleichsweise scharf ins Gericht geht) und nihilistischen Weltuntergangsprophezeiungen das mehr oder weniger baldige Ende der Zivilisation und/oder Kultur befürchten (gelegentlich auch herbei zu beschwören scheinen).
Der »Diskurs über die Krise« beginnt mit der Aufklärung
Zwar wird auf hohem Niveau die praktisch seit Existenz der Schriftkultur messbare Zivilisationskritik in vielen (westlichen) Kulturen erläutert, Jedlicki plädiert aber nachdrücklich für eine klare zeitliche Abgrenzung des Diskurses über die Krise. Von dem Zeitpunkt an, als die Menschen auf den Gedanken kommen und das Bewusstsein entwickeln selbst ihre Geschichte [zu] machen, also in dem Moment, als die Verantwortung des Menschengeschlechts oder zumindest seiner aufgeklärten Führer für diese Zivilisation und für Europa anerkannt wird, beginnt das, was er zusammengefasst Degeneration…der Fortschrittsidee nennt.
Diese beginnt also mit der Aufklärung (und dem damit verbundenen sukzessiven Zurückweichen der Religionen) Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts. Sie ist unweigerlich mit der zunehmenden, später rasant sich entwickelnden Industrialisierung verbunden, dem mechanischen Zeitalter, und wird durch sie befeuert. Einer der ersten, die im Menschen das »entartete Tier« sahen, war Rousseau. Auch für Schiller galt die »geistige Aufklärung« bereits als Verderbnis. Für andere war der Mensch des Fortschritts eine »moralisch recht primitive Spezies« mit »schier unglaublichem« – primär destruktiv empfundenen – »Potential«.