Die­ter We­del: Gier / ARD

Die­ter We­del hat ei­nen Film über die »Gier« ge­macht. Über Fi­nanz­jon­gleu­re, die An­le­gern sa­gen­haf­te Ren­di­ten ver­spre­chen. Wo­bei die mei­sten die­ser An­le­ger den Un­ter­schied zwi­schen Ren­di­te und Ge­winn noch nicht ein­mal so ge­nau ken­nen, wes­halb man die ver­ein­fa­chen­de For­mu­lie­rung »Fak­tor« ver­wen­det. »Fak­tor 13« be­deu­tet, dass man das 13fache des »ein­ge­setz­ten« Gel­des zu­rück­be­kom­men soll. Bei die­ser Art Ver­spre­chen fragt of­fen­sicht­lich nie­mand, wie dies ge­sche­hen soll. Die An­ti­zi­pa­ti­on des er­war­ten­den Ge­winns ge­nügt zu­erst ein­mal.

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Ta­riq Ra­ma­dan: Mu­ham­mad

Tariq Ramadan: Muhammad
Ta­riq Ra­ma­dan: Mu­ham­mad

‘O ihr, die den Glau­ben ab­lehnt, [de­ren Her­zen ver­schlei­ert sind!] Ich ver­eh­re nicht, was ihr ver­ehrt, noch ver­ehrt ihr, was ich ver­eh­re! Ich bin kein Ver­eh­rer des­sen was ihr ver­ehrt, noch seid ihr Ver­eh­rer des­sen, was ich ver­eh­re. Euch eu­re Re­li­gi­on, und mir mei­ne Re­li­gi­on.’

Als ich das er­ste Mal da­von hör­te, dass Pier Pao­lo Pa­so­li­ni ei­nen Film über das Mat­thä­us­evan­ge­li­um ge­macht hat­te, dach­te ich, dass die­ser Film wohl ein Rie­sen­skan­dal ge­we­sen sein muss. Schließ­lich war Pa­so­li­ni Kom­mu­nist, Non­kon­for­mist und vor al­lem: Athe­ist. Von sei­ner Ho­mo­se­xua­li­tät, die in vie­len eu­ro­päi­schen Län­dern da­mals noch ganz of­fi­zi­ell als Ver­bre­chen galt und noch heu­te von der ka­tho­li­schen Kir­che ver­teu­felt wird, ganz zu schwei­gen. Aber als ich dann zum er­sten Mal den Film sah, war ich über­rascht. Und ver­zau­bert.

Der Film ist von 1964. Ge­dreht mit Lai­en­schau­spie­lern und in schwarz-weiß. Nichts wur­de hier hin­zu­ge­fügt; es ging tat­säch­lich um »Werk­treue«. Sug­ge­sti­ve Bild­spra­che und Mu­sik er­zeug­ten ei­ne Stim­mung, die ei­nem plötz­lich die Chan­ce bot, all dies für wahr zu hal­ten. So auch das na­tur­ge­mäß schwer zu glau­ben­de En­de. Der in­tel­lek­tu­ell-kor­rek­te Aus­weg ei­ner nur me­ta­pho­risch zu ver­ste­hen­den Auf­er­ste­hung war plötz­lich ei­ne all­zu ba­na­le Aus­re­de, der den Zau­ber die­ses Films, die­ser Si­tua­ti­on, die­ser Kon­stel­la­ti­on mut­wil­lig zer­stört hät­te. Und so re­du­zier­te Pa­so­li­ni Je­sus von Na­za­reth nicht auf die Rol­le ei­nes So­zi­al­re­vo­lu­tio­närs (die­se Sicht gab es frei­lich auch), son­dern zeig­te des­sen Spi­ri­tua­li­tät als Ge­wiss­heit. Das brach­te ihm ei­ni­ges Un­ver­ständ­nis ein, weil sich vie­le von Pa­so­li­ni ei­ne »ra­di­ka­le­re« Sicht­wei­se wünsch­ten. Aber ra­di­ka­ler konn­te es gar nicht sein, es war nur nicht die »er­war­te­te« Ra­di­ka­li­tät (sprich: Geg­ner­schaft). Die Gret­chen­fra­ge lau­te­te: War Pa­so­li­ni wirk­lich ein Athe­ist? Die äs­the­ti­sche Ant­wort wä­re: Was spielt das für ei­ne Rol­le?

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Mat­thi­as Horx: Das Buch des Wan­dels

Matthias Horx: Das Buch des Wandels
Mat­thi­as Horx: Das Buch des Wan­dels

Das Pseud­onym von Mat­thi­as Horx in »World of War­craft« lau­tet Heil­prie­ster Pla­ne­ta­ri­us. Als man das un­ge­fähr in der Mit­te des Bu­ches er­fährt, ist man nicht mehr son­der­lich über­rascht. Hier ist je­mand, der nach lan­ger (und sug­ge­sti­ver) Re­de mit for­schem Ge­stus und an­gel­säch­sisch an­ge­hauch­tem Op­ti­mis­mus sei­nem Le­ser auf die Schul­ter klopft und »al­les Gu­te« wünscht. Lässt man sich auf sein »Buch des Wan­dels« ein, bleibt man zu­ver­läs­sig von den gro­ßen Ka­ta­stro­phen ver­schont. Fast ne­ben­bei soll sich beim Le­ser das woh­li­ge Ge­fühl ein­stel­len, Zig­tau­sen­de Sei­ten Lek­tü­re ge­spart zu ha­ben. Nach­fra­ger, Ab­wä­ger, Skep­ti­ker, Kri­ti­ker – sie ge­hören al­le­samt der Grup­pe der Alar­mi­sten an. Das hat man end­lich schwarz auf weiß. Da­ne­ben gibt es noch die mehr oder we­ni­ger gleich­gül­ti­gen Stoi­ker und, nach­dem die­se Zweiklas­sengesellschaft wi­der Er­war­ten doch nicht aus­reicht, kom­men noch die Wan­del­hek­ti­ker à la Slo­ter­di­jk da­zu, die nur mit Im­pe­ra­ti­ven agie­ren und re­gle­men­tie­ren kön­nen. Ein schö­ner Be­leg da­für, dass Horx Slo­ter­di­jks Buch nicht ver­stan­den hat. Aber wenn es nur das wä­re…

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Os­car Heym: Die Re­ser­ven

Oscar Heym: Die Reserven
Os­car Heym: Die Re­ser­ven

Deutsch­land 1976, mit­ten im »Kal­ten Krieg«. Die Öl­kri­se ist zwar vor­über (die Sonn­tags­fahr­ver­bo­te wur­den im De­zem­ber 1973 auf­ge­ho­ben), aber der Schock sitzt tief. Wen­zel Hoff­mann, deutsch-ame­ri­ka­ni­scher Geo­lo­ge kommt nach Deutsch­land, um in halb-ge­hei­mer Mis­si­on nach Öl zu boh­ren. Er wacht aus dem Flug aus blei­er­ner Mü­dig­keit auf und stellt fest, dass sei­ne Un­ter­la­gen ver­schwun­den sind. Er rennt zu­rück zum Flie­ger, trifft dort aber nur ei­nen al­ten Mann, der ihn kurz an sei­nen Va­ter er­in­nert, und die at­trak­ti­ve Ste­war­dess Mar­ga­re­the (Mag). Bei­de kön­nen ihm nicht hel­fen; die Un­ter­la­gen blei­ben un­auf­find­bar. Mag und Wen­zel ver­brin­gen ent­ge­gen je­der Pla­nung meh­re­re Ta­ge zu­sam­men und ge­ben sich hem­mungs­lo­sem Sex hin.

Wie ein klei­ner Tau­ge­nichts wird die­ser Wen­zel ein­ge­führt, der mit meh­re­ren Ta­gen Ver­spä­tung in dem fik­ti­ven (?) Ort Gro­nau im deutsch-deut­schen Grenz­ge­biet ein­trifft (das rea­le Gro­nau-Lei­ne stimmt geo­gra­fisch nicht ganz mit dem Er­zählort über­ein; al­ler­dings gibt es tat­säch­lich Erd­öl­vor­kom­men in Nie­der­sach­sen die ge­för­dert wer­den).

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Odes­sa Trans­fer – Nach­rich­ten vom Schwar­zen Meer (Hrsg.: Ka­tha­ri­na Raa­be und Mo­ni­ka Sznaj­der­man)

Odessa TransferIn »Odes­sa Trans­fer« be­gibt man sich in drei­zehn Etap­pen auf ei­ne Rei­se rund um das Schwar­ze Meer, wo­bei, wie Ka­tha­ri­na Raa­be als Mit­her­aus­ge­be­rin die­ses Bu­ches im Vor­wort fest­stellt, vie­le Bei­trä­ge här­ter und po­li­ti­scher aus­ge­fal­len sei­en, als man dies er­war­tet hat­te. Und der Le­ser schnauft mit­un­ter über die­sen tat­säch­lich ver­bis­se­nen po­li­ti­schen Im­pe­tus, der ei­ni­ge die­ser Er­zäh­lun­gen, Es­says und Re­por­ta­gen (es gibt auch ein Ge­dicht – und was für ei­nes!) be­stimmt und muss da­bei wohl kon­sta­tie­ren, dass die­se Re­gi­on vor­erst lei­der kei­ne Post­kar­ten­idyl­le ist, in der zwan­zig Jah­re nach Auf­he­bung der bi­po­la­ren Welt per Knopf­druck pa­ra­die­si­sche Zu­stän­de ein­ge­tre­ten sind.

Es be­ginnt mit Aka Mor­chil­ad­zes wun­der­ba­rer Orts­er­zäh­lung über die ge­or­gisch-tür­ki­sche Grenz­stadt Ba­tu­mi, wel­che den Schatz der Ewig­keit be­sitzt und im­mer auch nach Flucht riecht und dem Au­tor ge­lingt es auf die­sen noch nicht ein­mal zwan­zig Sei­ten fast die gan­ze Ge­schich­te vom 15. Jahr­hun­dert über Sta­lin bis in die Ge­gen­wart die­ses Or­tes zu evo­zie­ren und auf die Fra­ge, was wohl das Schön­ste an Ba­tu­mi sei, gibt es die­se klei­ne Elo­ge (und für ei­nen Mo­ment möch­te man so­fort dort hin):

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Der Lüg­ner

Nor­bert Lam­mert scheint Stand­pau­ken zu lie­ben. Als sich der neue Bun­des­tag kon­sti­tu­ier­te, be­schimpf­te er die öf­fent­lich-recht­li­chen Me­di­en, die­se Ver­an­stal­tung in den Spar­ten­ka­nä­len zu ver­stecken. Da hat­te er nicht ganz un­recht, auch wenn die­se Schel­te ein biss­chen Ab­len­kungs­ma­nö­ver war – sit­zen noch in den Gre­mi­en der öf­fent­lich-recht­li­chen An­stal­ten ge­nug Po­li­ti­ker.

Jetzt hat sich Nor­bert Lam­mert wie­der zu Wort ge­mel­det. Er ta­delt das Auf­tre­ten der Re­gie­rung und ins­be­son­de­re das so­ge­nann­te »Wachs­tums­be­schleu­ni­gungs­ge­setz«, in dem un­ter an­de­rem der Um­satz­steu­er­satz für Ho­tels ge­senkt wur­de. Auch hier stim­men ihm si­cher­lich vie­le zu.

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Lud­wig Witt­gen­stein:

Man hat Recht, sich vor den Gei­stern auch gro­ßer Män­ner zu fürch­ten. Und auch vor de­nen gu­ter Men­schen. Denn was bei ihm Heil ge­wirkt hat, kann bei mir Un­heil wir­ken. Denn der Geist oh­ne den Men­schen ist nicht gut – noch schlecht. In mir aber kann er ein üb­ler Geist sein. Lud­wig Witt­gen­stein »Denk­be­we­gun­gen«, Ta­ge­bü­cher ...

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Tho­mas Bern­hard – Sieg­fried Un­seld: Der Brief­wech­sel (Hrsg.: Rai­mund Fellin­ger, Mar­tin Hu­ber und Ju­lia Ket­te­rer)

Am 22. Ok­to­ber 1961 wen­det sich Tho­mas Bern­hard in ei­nem höf­lich-di­stan­zier­ten Brief an Sieg­fried Un­seld, der wie folgt be­ginnt: Sehr ge­ehr­ter Herr Dr. Un­seld, vor ein paar Ta­gen ha­be ich an Ih­ren Ver­lag ein Pro­sa­ma­nu­skript ge­schickt. Da­mit woll­te ich mit dem Suhr­kamp-Ver­lag in Ver­bin­dung tre­ten. Auf den im Fak­si­mi­le im Buch abge­druckten, mit Schreib­ma­schi­ne ge­tipp­ten Brief kann man er­ken­nen, dass Bern­hard ein Schreib­feh­ler un­ter­lau­fen war. Es steht dort nicht »Suhr­kamp«, son­dern »Suhr­kampf«. Das »f« wur­de hand­schrift­lich durch­ge­stri­chen.

Nach mehr als 800 Sei­ten Kor­re­spon­denz des Brief­wech­sels zwi­schen Tho­mas Bern­hard und sei­nem unzuverlässige[m] Ver­le­ger, dem Frank­fur­ter Un­ge­heu­er und Schau­er­kerl Sieg­fried Un­seld (Dik­tat­zei­chen »dr. u.«), mag der Le­ser nicht mehr an ei­nen Zu­fall glau­ben; al­len­falls an ei­nen Freud­schen Ver­schrei­ber. Viel­leicht ist die­ses »f« un­be­wuss­te Vor­weg­nah­me die­ser un­bän­di­gen Lust an der Pro­vo­ka­ti­on, die Bern­hard in un­kal­ku­lier­ba­ren Schü­ben zu fast cho­le­ri­schen Erup­tionen treibt, die zu Be­ginn noch von sei­ner Lek­to­rin An­ne­lie­se Bol­and be­feu­ert wer­den: »Ein kur­zer Ohls­dor­fer Don­ner als Ant­wort auf den Blitz aus dem Frank­fur­ter Himm­el emp­fiehlt sich«. Sie si­gna­li­siert Bern­hard »ei­gent­lich kann das Match nur zu Ih­ren Gun­sten aus­ge­hen«) und die­ser ent­wickelt schnell ein Ge­spür wie weit er mit sei­nen For­de­run­gen, Kla­gen und Be­schimp­fun­gen ge­hen kann, oh­ne den Bo­gen zu über­span­nen.

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