Ein Hauch von Ya­moussou­kro

Nie­mand spricht das heh­re Wort von »der Kul­tur« so in­brün­stig aus wie Ti­na Men­dels­ohn, wenn sie wie­der ein­mal in ei­nem »Kul­tur­zeit ex­tra« oder ir­gend­ei­ner Ra­dio­dis­kus­si­on mit Funk­tio­nä­ren und Kul­tur­schaf­fen­den zu­sam­men­sitzt und über die Zu­kunft »der Kul­tur« dis­ku­tiert. Lei­der kommt man dann ziem­lich schnell auf den ei­gent­li­chen Punkt: das Geld. Hier sub­ven­tio­nier­te Geld­ein­trei­ber, die längst ver­in­ner­licht ha­ben, dass Kul­tur und Geld sia­me­si­sche Zwil­lin­ge sind und in In­sti­tu­tio­nen und Etats den­ken. Und dort die Kommunal‑, Lan­des- und Bun­des­po­li­ti­ker, die mit dem Wort »Kul­tur« zu­nächst ein­mal je­ne Form von Event-Fe­ti­schis­mus ver­bin­den, den sie jahr­aus jahr­ein er­öff­nen, be­fei­ern, be­su­chen und be­schlie­ßen. Wie steht es mit ei­ner »Kul­tur«, wie sie sich in der Auf­takt­ver­an­stal­tung zur Kul­tur­haupt­stadt Ruhr­ge­biet 2010 in Es­sen vom 10. Ja­nu­ar 2010 zeigt?

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Leer­stel­le Gy­si?

Ma­ri­an­ne Birth­ler, die Bun­des­be­auf­trag­te für die Sta­si-Un­ter­la­gen, hat­te im ZDF am 22. Mai 2008 (laut Spie­gel On­line) in Be­zug auf ein Tref­fen zwi­schen Gre­gor Gy­si und sei­nem Man­dan­ten Ro­bert Ha­ve­mann ge­sagt: In die­sem Fall ist wil­lent­lich und wis­sent­lich an die Sta­si be­rich­tet wor­den, und zwar von Gre­gor Gy­si über Ro­bert Ha­ve­mann.

Gre­gor Gy­si hat­te ge­gen die Wei­ter­ver­brei­tung die­ser Äu­ße­rung ge­klagt und vor dem LG Ham­burg recht be­kom­men. Das ZDF ging in Be­ru­fung und un­ter­lag jetzt er­neut. In­ter­es­sant ist die Be­grün­dung. Es geht schein­bar gar nicht dar­um, ob Birth­lers Aus­sa­ge rich­tig ist oder falsch. Laut OLG darf die Äu­ße­rung Birth­lers nur nicht in der Art und Wei­se, wie dies er­folg­te, wie­der­ge­ge­ben wer­den. Das ZDF schreibt zur Ur­teils­be­grün­dung auf sei­ner Web­sei­te: »Nach Auf­fas­sung des Ge­richts hät­te das ZDF je­doch Gy­si kon­kre­ter zu den Äu­ße­run­gen Birth­lers be­fra­gen und Gy­sis Ver­tei­di­gungs­ar­gu­men­te aus­führ­li­cher dar­stel­len müs­sen.«

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Ro­bert Ha­beck: Pa­trio­tis­mus – Ein lin­kes Plä­doy­er

Robert Habeck: Patriotismus - Ein linkes Plädoyer
Ro­bert Ha­beck: Pa­trio­tis­mus – Ein lin­kes Plä­doy­er

Die Feind­schaft zum Staat als Re­pres­si­ons­in­stanz, »Atom­staat«, »Bul­len­staat«, als pa­ter­na­li­sti­scher Ak­teur, Hü­ter fau­ler Kom­pro­mis­se, ver­stell­te den grü­nen Blick dar­auf, was (mit ei­nem) ge­sche­hen wür­de, wenn man selbst zu dem ge­hör­te. Der zi­vi­le Mut woll­te im­mer über den Staat hin­aus, ziel­te auf die Idee ei­nes Ge­mein­we­sens oh­ne Staat. Als dann rot-grün 1998 an die Re­gie­rung kam, wa­ren die li­be­ra­len Vor­stel­lun­gen von Ge­mein­wohl nicht mehr ge­gen, son­dern mit dem Staat durch­zu­set­zen. Auf die­sen Schritt wa­ren die pro­gres­si­ven Kräf­te schlecht vor­be­rei­tet und sind es bis heu­te.

Hart geht Ro­bert Ha­beck, 41, Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der der Grü­nen im schles­wig-hol­stei­ni­schen Land­tag, mit der Lin­ken im All­ge­mei­nen und sei­ner Par­tei im Be­son­de­ren ins Ge­richt (wo­mit die po­li­ti­sche Rich­tung und nicht de­zi­diert die Par­tei »Die Lin­ke« ge­meint ist). Nach rot-grün, so Ha­becks The­se, ha­be das Land in ei­ner Gro­ßen Ko­ali­ti­on, die ih­re Chan­cen lei­der (!) sträf­lich ver­passt ha­be, vier Jah­re ver­lo­ren.

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Al­ban Ni­ko­lai Herbst: Sel­zers Sin­gen

»Phan­ta­sti­sche Ge­schich­ten« wer­den Al­ban Ni­ko­lai Herbsts Er­zäh­lun­gen, die un­ter dem Ti­tel »Sel­zers Sin­gen« so­eben er­schienen sind, un­ter­ti­telt (und er­gänzt wird das ein biss­chen ko­kett mit: »und sol­che von frem­der Mo­ral«). Das Ad­jek­tiv phan­ta­stisch ist ei­ne zu­tref­fen­de Cha­rak­te­ri­sie­rung die­ser zwölf Ge­schich­ten (die kür­ze­ste hat knapp vier Sei­ten, die läng­ste 24), wo­bei der Grad der »Phan­ta­stik« durch­aus ...

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Chri­stoph Si­mon: Spa­zier­gän­ger Zbin­den

Christoph Simon: Spaziergänger Zbinden
Chri­stoph Si­mon: Spa­zier­gän­ger Zbin­den

Lu­kas Zbin­den ist 87 Jah­re alt und geht mit dem neu­en Zi­vil­dienst­lei­sten­den Kâ­zim ei­nen Tag durch das Be­tag­ten­heim. Er stellt ihm die ehr­ba­ren Da­men und ex­zen­tri­schen Her­ren, die ge­sprä­chi­gen Wit­wen und die schweig­sa­men Jung­ge­sel­len, die rou­ti­nier­ten Geh­rock­be­nüt­zer, schlur­fen­den Stu­ben­hocker mit dörr­flei­schi­gen Ge­sich­tern vor, weist de­zent auf die Ver­wirr­ten, de­ren Ge­dan­ken durch­ein­an­der­rol­len wie Erb­sen auf ei­nem Tel­ler hin und be­geg­net me­di­zi­nisch Be­treu­ten mit ei­nem Cock­tail in den Adern, bei dem Blut ei­ne ne­ben­säch­li­che Zu­tat ist. Die­ser Ort be­her­bergt aus­ge­dien­te In­ge­nieu­re, Ge­wer­be­trei­ben­de, Bü­ro­an­ge­stell­te, Haus­frau­en, Be­am­te, Ar­mee­an­ge­hö­ri­ge, Feu­er­lösch­ge­rä­te­kon­trol­leu­re, Bus­fah­rer, Über­soll­ar­bei­ter, Ser­vice, Pa­pe­te­rie und Leu­te, die sich Ur­laub erst gönn­ten, als Fe­ri­en ge­setz­lich vor­ge­schrie­ben wur­den.

Schon die­ser Be­ginn zeigt die Stim­mung die­ses Ro­mans an, der ein ein­zi­ger Mo­no­log des ehe­ma­li­gen Leh­rers Lu­kas Zbin­den ist. Die Ent­geg­nun­gen der an­de­ren Per­so­nen blei­ben dem Le­ser ver­bor­gen; er ent­nimmt sie al­len­falls Zbin­dens Re­ak­tio­nen. Die­ser klet­tert die Trep­pen­stu­fen hin­ab und hin­auf als sei er auf ei­ner Ex­pe­di­ti­on (wie elo­quent die Be­nut­zung des Fahr­stuhls trotz der Müh­sal des Trep­pen­stei­gens ab­ge­lehnt wird, ob­wohl: wäh­rend der Lift­fahrt baut man drau­ßen in we­ni­gen Se­kun­den die Welt um), nimmt am All­tag der ihm be­geg­nen­den Be­woh­ner und Pfle­ger re­gen An­teil, lä­stert ver­ein­zelt ein we­nig, amü­siert und är­gert sich über die über­trie­be­ne Ge­schäf­tig­keit des Heim­lei­ters und stellt Kâ­zim da­bei wie ei­nen per­sön­li­chen Pfle­ger vor.

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(Pl)Attitüden des Ka­ba­retts

Des­il­lu­sio­nie­ren­de und mes­ser­schar­fe Ana­ly­se des deut­schen po­li­ti­schen Ka­ba­retts in der Süd­deut­schen Zei­tung von Burk­hard Mül­ler – »Dumm zu sein be­darf es we­nig.« Zu­nächst macht Mül­ler ei­nen Par­force­ritt durch die Kul­tur­ge­schich­te des Ka­ba­retts, um dann fest­zu­stel­len:

    Das Ka­ba­rett war im al­ten West­deutsch­land, ne­ben Ma­ga­zi­nen wie Stern und Spie­gel, ei­ne der wich­tig­sten Aus­drucks­for­men der So­zi­al­de­mo­kra­tie auf der Ziel­ge­ra­den. Gibt es et­was Be­flü­geln­de­res, als kämp­fen­der Held und doch schon si­che­rer Sie­ger zu sein? Was das Ka­ba­rett sei­nem dank­ba­ren Pu­bli­kum schenk­te, war die be­se­li­gen­de Teil­ha­be an die­sem Ge­fühl. Der per­sön­li­che An­griff auf den Mäch­ti­gen und die per­sön­li­che Ge­fahr, die er be­deu­tet, die Ex­plo­si­on des Wit­zes, die ei­nen Gel­tungs­an­spruch zer­fetzt wie ei­ne Hand­gra­na­te den Leib des Po­ten­ta­ten: das setzt im Fall des Ge­lin­gens ge­wal­ti­ge Men­gen Glücks­hor­mo­ne frei.

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Der Hin­ter­welt­ler und die Igno­ranz

    Tat­säch­lich war es viel­leicht noch zu kei­ner Zeit we­ni­ger schwie­rig als heu­te zu Wir­kung und Gel­tung zu ge­lan­gen; und ge­ra­de weil es so leicht ist zu »wir­ken«, scheint es un­mög­lich zu wir­ken.

    Von je­der Pla­kat­säu­le droht ein neu­er, be­son­de­rer Welt­um­sturz, schrei­en Ent­hül­lun­gen, locken frisch ent­deck­te Di­men­sio­nen. Die Fol­ge ist, daß sich nie­mand mehr dar­über auf­regt; au­ßer den Leu­ten na­tür­lich, die von ih­rer Auf­re­gung le­ben.

    Wir sind über­füt­tert mit Ge­dan­ken.*

Ist das die Kla­ge ei­nes gut be­zahl­ten Re­dak­teurs ei­nes (so­ge­nann­ten) Qua­li­täts­me­di­ums, der sei­ne Mei­nungs­füh­rer­schaft durch neue, ob­sku­re Kräf­te un­ter­mi­niert sieht? Oder ein­fach nur ei­ne Fest­stel­lung ei­nes des­il­lu­sio­nier­ten Blog­gers, der das sou­ve­rä­ne Ig­norieren durch die eta­blier­ten Me­di­en sträf­lich un­ter­schätzt hat­te und trotz al­ler An­stren­gun­gen sei­ne re­gel­mä­ßi­gen Be­su­cher pro­blem­los in ei­nem Mit­tel­klas­se­wa­gen un­ter­brin­gen könn­te? Und mit­ten­drin der seuf­zen­de Le­ser, Zu­schau­er, Zu­hö­rer: Wir hin­ge­gen stöh­nen un­ter der Last von [...] Mei­nun­gen, von de­nen je­de ein­zel­ne nicht Un­recht hat und die doch we­der ein­zeln, noch mit­sam­men das Ge­fühl der Wahr­heit ge­ben. Es scheint, wir sind mit­ten im ak­tu­el­len Über­for­de­rungs-Kla­ge­dis­kurs à la »Payback«.

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Leo Pe­rutz: Zwi­schen neun und neun

Tat­säch­lich ei­ne ge­lun­ge­ne Neu­auf­la­ge von Leo Pe­rutz’ 1918 er­schie­ne­nem Buch »Zwi­schen neun und neun«. Ne­ben der tem­po­rei­chen Er­zäh­lung gibt es ei­nen klei­nen aber fei­nen, fünf­sei­ti­gen An­mer­kungs­teil und ein kennt­nis­rei­ches,

Leo Perutz: Zwischen neun und neun
Leo Pe­rutz: Zwi­schen neun und neun
be­hut­sam er­gän­zen­des Nach­wort von Tho­mas Bleit­ner. Das al­lei­ne wä­re schon Grund zur Freu­de, aber da sind auch noch die wun­der­ba­ren, die Stim­mung des Bu­ches und der Prot­ago­ni­sten kon­ge­ni­al tref­fen­den me­lan­cho­lisch-ex­pres­sio­ni­sti­schen Il­lu­stra­tio­nen von Ra­sha El Sa­wiy, die er­staun­li­cher­wei­se die Phan­ta­sie des Le­sers nicht ein­engen, son­dern so­gar er­wei­tern. (Klei­ner Wer­muts­trop­fen: Lei­der wird der Na­me der Künst­le­rin aus­ge­rech­net auf Sei­te 3 falsch ge­schrie­ben.)

»Zwi­schen neun und neun« – das sind zwölf Stun­den im Le­ben des Sta­nis­laus Dem­ba im Mai 1917. Dem­ba lebt als Stu­dent in Wien und ist ein kau­zi­ger, zu­wei­len cho­le­ri­scher Ge­sel­le, der sich als Nach­hil­fe- bzw. Haus­leh­rer in den bes­se­ren Krei­sen ver­dingt. Er hat her­aus­be­kom­men, dass sei­ne Freun­din Son­ja ei­nen neu­en Lieb­ha­ber hat, mit dem sie am näch­sten Tag nach Ve­ne­dig fah­ren will. Dem­ba will dies un­be­dingt ver­hin­dern, ak­zep­tiert Son­jas Ab­wen­dung nicht und glaubt, sie um­stim­men und mit ihr die Rei­se ma­chen zu kön­nen, wenn er ihr das Geld in den näch­sten Stun­den vor­legt. So ha­stet er nun durch die Groß­stadt, möch­te ein (ge­stoh­le­nes) Buch ver­kau­fen, treibt Schul­den ein, er­bit­tet Vor­schüs­se und fin­det sich so­gar am Bu­ki­do­mi­no-Spiel­tisch wie­der, ob­wohl er die Re­geln gar nicht kennt.

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