Ein Erlebnistagebuch von den 32. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt
Donnerstag, der 26. Juni 2008: Von der Wiege bis zur Urne
Wo blieben sie denn, die leisen Töne, die man eigentlich von Schriftstellern erwarten müßte, erwarten dürfte, gerade von ihnen, nur von ihnen, von wem denn sonst, wozu seien sie denn da? D., Übersetzer aus dem Französischen, schwadroniert mit verdrießlicher, mit verdrossener Miene und verteilt dabei Brötchenkrümel auf der Tischdecke. Klagenfurt sei Deutschland-sucht-den-Super-Dichter, die Medien suchten kulturelles Billigfutter, die Kulturindustrie wolle mit ungesättigten Fettsäuren abgefüttert werden, und schließlich sei er ja auch ein Kurzzeitgedächtnis auf zwei Beinen, der Leser von heute. Mir egal, denke ich, mir egal, denn ich habe gerade Salz in meinen Verlängerten (deutschländisch: Kaffee) geschüttet und es zu spät gemerkt.
Wir sitzen in der Häschenschule bei der Lesung des Klagenfurter Literaturkurses, gleichsam der Wiege des Bachmann-Wettbewerbs. Wir sitzen im Robert-Musil-Museum, im Raum, in dem Klein-Robert das Gehen gelernt hat oder das Lallen, und wir sind selbst schuld. Außer mir liegen alle Autoren am Wörthersee, bei 36 Grad im Schatten. Nur ich sitze in der Hitze. Die steht mitten im Raum wie ein Gast, den man nicht losgeworden ist. Trotz heruntergelassener Jalousien und dem allgemeinen Gefächel mit Programmheften spüre ich, wie ich schon nach weniger als zehn Minuten gar bin. Einem, dem man anmerkt, daß er heute zum ersten Mal in seinem Leben vor Publikum liest, fallen die Schweißtropfen aufs Papier. Seine dreißigminütige Erzählung ist ein Wegwollen auf Abruf, seinen Schlußsatz spricht er schon im Aufstehen.
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