Hän­gen las­sen

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 17

Es ist Frei­tag. Es ist heiß, auf der Kip­pe zu schwül. Die Stadt ist voll. Al­le Rä­der rol­len für das Porte­mon­naie. Die Gä­ste ar­bei­ten das tou­ri­sti­sche Pflicht­pro­gramm ab. Die Ein­heimischen müs­sen mit dem Au­to et­was lie­fern, zur Be­spre­chung, Kun­den be­su­chen. Blin­ker wer­den nicht be­tä­tigt, Stra­ßen oh­ne links und rechts zu schau­en über­quert, We­ge ge­schnit­ten. Man muss hal­ten, an­fah­ren, flu­chen, dan­ken fürs Rein­las­sen, sich durch­kämpfen zwi­schen wü­ten­den Hu­pen. Auf mei­nem Kör­per klebt ei­ne Schicht aus Schweiß und Staub. An mei­nem Mund hän­gen end­los ge­sab­bel­te Stadt­füh­rungs­fran­sen. Kopf­weh kün­digt sich an. Ich ste­he seit zehn Mi­nu­ten auf der West­sei­te des To­res. Die Son­ne brennt. Ein Schlips­trä­ger kommt her­an. Dun­kel­grau­er An­zug, le­der­nes Akten­mäppchen, höch­stens drei­ßig, blaß, groß, un­schön, und fragt matt nach dem Preis für die Fahrt ins Ho­tel: In­ter­con­ti, Bu­da­pe­ster Stra­ße. Ich se­he vor mei­nem in­ne­ren Au­ge die Stei­gung der Cor­ne­li­us­brücke. Ich er­wä­ge für den Bruch­teil ei­ner Se­kun­de, die Fahrt abzu­lehnen. Ich leh­ne die Fahrt nicht ab. Ich nen­ne den Preis. Der Schlips­trä­ger nickt und steigt ein.

Im Tier­gar­ten, im Schat­ten der Bäu­me, ist es gleich et­was küh­ler. Der Schlips­trä­ger schweigt. Der Stra­ßen­lärm ent­fernt sich. Ich den­ke, dass ich jetzt et­was sa­gen müss­te (Wet­ter, Tier­gar­ten, Lo­ka­les). Die Un­ter­hal­tung ist im Preis in­be­grif­fen und macht am En­de das Trink­geld. Ich sa­ge nichts. Ich fra­ge mich, ob er das wo­mög­lich für schlech­ten Ser­vice hält. Ich tre­te me­cha­nisch. Der Schlips­trä­ger sitzt und glotzt mit lee­rem Blick in die Bäu­me und Wie­sen und sieht sie nicht. Der Schlips­trä­ger ist ge­nau­so fer­tig wie ich. Der lässt sich hän­gen. Ich hän­ge mit. Ich weiß nicht wann ich mer­ke, dass ich in das per­fek­te Tem­po ge­ra­ten bin. Die Träg­heit der Mas­se mit mi­ni­ma­lem Kraft­auf­wand op­ti­mal nut­zen. Den Schwung des Fahr­zeugs er­hal­ten, mehr nicht. Die Schwe­re fällt ab. Pe­da­le krei­sen wie ein Per­pe­tu­um mo­bi­le. Das Rau­schen der Stadt ver­liert sich. Vo­gel­stim­men von den Ästen her­ab. Halb­schat­ten durch lich­tes Blatt­werk. Ich fah­re auf die kopf­stein­ge­pla­ster­te Que­rung der Bel­le­vue­al­lee zu und glei­te sanft dar­über hin­weg. Nie zu­vor bin ich so sanft über Kopf­stein­pfla­ster ge­glit­ten. Ich hü­te das Schwei­gen des Schlips­trä­gers wie mei­nen Aug­ap­fel. Der Weg fällt leicht ab und wird vor­ne et­was mehr an­stei­gen. Be­hut­sam ho­le ich Schwung. Kein Mensch un­ter­wegs hier. Nur der Schlips­trä­ger, sein Schwei­gen, die Pe­dalkreise und ich zwi­schen Bäu­men, Lich­tun­gen, Denk­mä­lern, Ge­wäs­ser. Ich fah­re an FW3 und Lui­se vor­bei. Nichts sa­gen über die bei­den. Die bei­den in Ru­he las­sen. Vor­he­ri­ge Fahr­gä­ste fal­len mir ein, Kurz­stecke: »Sie er­zäh­len doch was?!« Wir re­den zu viel. Ich rol­le in die Rho­do­den­dron-Al­lee, der Weg folgt dem Was­ser. Mus­keln lö­sen sich. Ich wün­sche mir, dass das Schwei­gen des Schlips­trä­gers, das Krei­sen der Pe­da­le und der Tier­gar­ten nie auf­hö­ren. Ver­wei­le doch. Der Tier­gar­ten wird in Kür­ze zu En­de sein. Ich hal­te das Tem­po. Der Sand­weg knirscht un­ter den Rei­fen. Reg­los steht ein Grau­rei­her am Ufer. Der Schlips­träger schweigt. Ich den­ke ›Dan­ke‹, ich ha­be an­de­re Ge­dan­ken, ich tre­te und len­ke hin­ein in das letz­te Stück der Strecke im Park. Den er­fri­schen­den Schat­ten ganz aus­ko­sten. Au­tos schlei­chen sich in die Oh­ren. Das Rau­schen der Stadt kriecht her­an. Das Grün mit den Au­gen ein­sau­gen. Hin­ter den Bäu­men kei­ne wei­te­ren Bäu­me mehr, kei­ne Wie­sen, statt­dessen das Grau des Asphalts und die Kon­rad-Ade­nau­er-Stif­tung. Ich fah­re her­aus, ich las­se die Bäu­me hin­ter mir, der Zau­ber ist aus, ich über­que­re die sechs­spu­ri­ge Hofjäger­allee.

Die Stei­gung der Cor­ne­li­us­brücke ist gar nicht so schlimm. Der Schlips­trä­ger schweigt, bis er aus­ge­stie­gen ist, dann be­zahlt er: »Stimmt so.«, lä­chelt sehr schön und be­tritt leich­ten Fu­ßes das Ho­tel.

© Ste­pha­nie Bart

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4 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ge­fällt mir sehr gut, Ste­phi! In ei­nem hal­ben Jahr wünsch ich Dir wie­der so ent­span­nen­de Fahr­ten!!
    IB

  2. Es ist wirk­lich schwie­rig, Ru­he, Schwei­gen, Stil­le in Wor­te zu fas­sen.
    Und dem ge­gen­über die Re­flek­ti­on von Ge­räu­schen, die auf obi­ger Tour nicht aus­zu­schlie­ßen sind, wie z.B. das Knir­schen des San­des un­ter den Rei­fen oder Au­tos schlei­chen sich in die Oh­ren ( schö­nes Bild!), ist wahr­lich ge­lun­gen!

    Nur mit dem Schluss wer­de ich nicht ganz so warm. Viel­leicht weil der zu­vor so schweig­sa­me Rik­scha­gast so schön lä­chelt und kein Trink­geld gibt?

    Ha­be obi­gen Text wie­der sehr ge­nos­sen! LG l‑s