Blick ins No­bel-Ar­chiv

Die teil­wei­se hef­ti­gen Dis­kus­sio­nen um die jüng­ste Ver­ga­be des Li­te­ra­tur­no­bel­prei­ses an Bob Dy­lan zei­gen, dass der Preis im­mer noch ei­ne ge­wis­se Strahl­kraft hat. An­son­sten wür­den sich die Emo­tio­nen nicht der­art hoch­schau­keln. We­nig Be­ach­tung fin­det da­bei, dass die Schwe­dische Aka­de­mie je­des Jahr ein klei­nes biss­chen ihr Ar­chiv öff­net. Mit dem je nach Tem­pe­ra­ment wohl­tu­en­den oder ob­so­let-hin­hal­ten­den Ab­stand von 50 Jah­ren wer­den die No­mi­nie­run­gen zu den No­bel­prei­sen ver­öf­fent­licht. Das Fin­den auf der Web­sei­te ist et­was kom­pli­ziert. Hat man sich aber erst ein­mal ein­ge­groovt, wird man mit in­ter­es­san­ten Er­kennt­nis­sen be­lohnt.

Der­zeit gibt es Zu­griff auf die No­mi­nie­rungs­li­sten zu den No­bel­prei­sen von 1901 bis 1965. Die Su­che kann leicht so­wohl über den Na­men als auch über das Ver­ga­be­jahr durch­geführt wer­den. Ins­ge­samt wa­ren bis da­hin 3005 No­mi­nie­run­gen für den Literaturnobel­preis ein­ge­gan­gen. 1901 la­gen 37 No­mi­nie­run­gen vor, 1965 wa­ren es be­reits 90. (Die Zahl ist in­zwi­schen deut­lich hö­her.) Ein Blick auf die Li­sten zeigt, dass ne­ben Ein­zel­vor­schlä­gen auch Sam­mel­no­mi­nie­run­gen meh­re­rer Per­sön­lich­kei­ten für ei­nen Kan­di­da­ten gab, die al­ler­dings nur ein­mal ge­zählt wur­den. Stu­diert man die Li­sten ge­nau, so gab es kei­ne Ga­ran­tie für den »Un­ter­le­ge­nen« bei ei­ner der näch­sten Preis­ver­ga­ben be­rück­sich­tigt zu wer­den.

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Ur­su­la Kre­chel: Land­ge­richt

Ursula Krechel: Landgericht
Ur­su­la Kre­chel: Land­ge­richt
Ri­chard Kor­nit­zer ist 1903 ge­bo­ren, stu­diert Ju­ra, lebt in Ber­lin und will un­be­dingt Rich­ter wer­den. Er pro­mo­viert, wird Mit­glied der Pa­tent- und Ur­he­ber­rechts­kam­mer beim Land­ge­richt I in Ber­lin und hei­ra­tet 1930 Clai­re Pahl. Clai­re ist Ge­schäfts­füh­re­rin ei­ner Fir­ma, die Wer­bung für Ki­nos pro­du­ziert. Al­les läuft be­stens. Sie be­kom­men zwei Kin­der, Ge­org (1932) und Sel­ma (1935). Aber bei Sel­mas Ge­burt ist das Le­ben der Kor­nit­zer be­reits exi­sten­ti­ell be­droht, denn Ri­chard ist das, was man im Na­zi-Jar­gon ei­nen Voll­ju­den nennt. Da spielt es auch kei­ne Rol­le, dass er sich nicht ein­mal als ein rich­ti­ger Ju­de fühl­te (er be­zeichnet sich als Ju­de von Hit­lers Gna­den). Das Paar er­lebt die im­mer per­fi­der wer­den­den »Ge­set­ze« und »Ver­ord­nun­gen«, die ge­gen Ju­den seit 1933 in Kraft ge­setzt wer­den. Ri­chard wird schnell in den Ru­he­stand ver­setzt und ar­bei­tet in ei­ner Glüh­lam­pen­fa­brik. Clai­re wird auf schmut­zi­ge Art und Wei­se ih­re Fir­ma ab­ge­nom­men, weil sie, die Protes­tantin, zu ih­rem Mann steht und sich nicht schei­den läßt. Man spürt förm­lich, wie die Luft zu At­men schwin­det und die Dro­hun­gen phy­si­scher wer­den. Auch die Frei­zeit hat ih­re Un­be­schwert­heit längst ver­lo­ren. Ge­stern noch im Wann­see ge­ba­det, ist dies am näch­sten Tag plötz­lich ver­bo­ten. Rüh­rend, wie Clai­re ein an­de­res Frei­bad sucht.

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»Im Kel­ler die Be­sti­en«

Vor­läu­fi­ger Ver­such über den ver­fem­ten Schrift­stel­ler Gerd Gai­ser

Auf den Nach­ruf zum Tod des Schrift­stel­lers Jo­sef W. Jan­ker er­hielt ich ei­nen Kom­men­tar von »zone­batt­ler« Ralph Sten­zel. Ralph hat­te sich 2007 in ei­nem kur­zen Bei­trag mit ei­nem ge­wis­sen Gerd Gai­ser be­schäf­tigt und mach­te mich auf auf­fäl­li­ge Par­al­le­len zwi­schen Jan­ker und Gai­ser auf­merk­sam. Das klang in­ter­es­sant und Ralph war so freund­lich, mir zwei an­ti­qua­ri­sche Bü­cher von Gai­ser zu­zu­sen­den: »Die ster­ben­de Jagd« und »Schluß­ball«.

Es ist nicht ganz ein­fach, ver­wert­ba­re In­for­ma­tio­nen über Gai­ser zu er­hal­ten. Das be­ginnt schon bei den An­ga­ben zur Per­son. Haupt­quel­le ist hier ein eher be­schei­de­ner Wi­ki­pe­dia-Ein­trag. Dem­nach wur­de Gerd Gai­ser 1908 als Sohn ei­nes Land­pfar­rers im württembergi­schen Ober­ri­ex­in­gen ge­bo­ren, stu­dier­te Kunst­ge­schich­te und Ma­le­rei, pro­mo­vier­te 1934 in Tü­bin­gen und ar­bei­te­te als Kunst­leh­rer. Gai­ser trat früh­zei­tig der NSDAP und dem NS-Leh­rer­bund bei (die Zah­len di­ver­gie­ren hier zwi­schen 1933 und 1937). 1941 er­schien sei­ne er­ste Buch­pu­bli­ka­ti­on – ein Ge­dicht­band mit dem Ti­tel »Rei­ter am Him­mel«. Gai­ser übt sich hier in Elo­gen an die Ideo­lo­gie des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus und an den »Füh­rer«. Im Krieg war er Luft­waf­fen­of­fi­zier bei den Jagd­flie­gern und ge­riet in Ita­li­en in kur­zer Gefangen­schaft. Nach dem Krieg schlug sich Gai­ser zu­nächst als Ma­ler durch, be­vor er 1947 wie­der in den Schul­dienst ein­trat und zwi­schen 1962 und 1973 als Pro­fes­sor für Kunst­ge­schich­te in Reut­lin­gen tä­tig war. Gai­ser hei­ra­te­te 1959 die Ma­le­rin Ire­ne Wid­mann. Er starb 1976 in Reut­lin­gen.

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