Leif Randt: Schim­mern­der Dunst über Co­by Coun­ty

Ein sil­ber­nes Fast-Qua­drat und grau-sil­ber­far­be­ne, ver­tief­te Buch­sta­ben auf wei­ßem Grund: Sel­ten hat ein Co­ver die Stim­mung ei­nes Bu­ches der­art kon­ge­ni­al be­bil­dert. Denn der­art asep­tisch er­scheint das Le­ben in der fik­tiv-uto­pi­schen Stadt Co­by­Coun­ty in Leif Randts Ro­man.

Leif Randt: Schimmernder Dunst über Coby County
Leif Randt: Schim­mern­der Dunst über Co­by Coun­ty

Tat­säch­lich heißt es auf den Ti­tel­sei­ten noch »Co­by Coun­ty« – im Buch gibt es dann über­all die­se schicken Bin­nen­ma­jus­keln, vom Ku­chen­bring­dienst Bak­ery­Ex­press über das Mu­se­um Cony­Coun­ty­Art­house, ei­ner ehe­ma­li­gen Fa­brik (Coleman&Aura), den Hü­geln der Stadt (Co­lem­anHills) und der Ei­sen­bahn­ge­sell­schaft CC.MetroExpress. Und na­tür­lich heißt es jetzt Co­by­Coun­ty, die­ser im geo­gra­fi­schen Nie­mands­land an­ge­sie­del­te Ort, we­der USA noch Eu­ro­pa. Ein Ort, in dem der Früh­ling En­de Fe­bru­ar be­ginnt und ei­ne ganz spe­zi­el­le Jah­res­zeit zu sein scheint – warm, mit vie­len Tou­ri­sten und Un­men­gen von Par­tys und Ver­an­stal­tun­gen.

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Ju­dith Schal­an­sky: Der Hals der Gi­raf­fe

Judith Schalansky: Der Hals der Giraffe
Ju­dith Schal­an­sky:
Der Hals der Gi­raf­fe

In­ge Loh­mark ist Leh­re­rin am »Charles-Dar­win-Gym­na­si­um« in ei­nem nicht nä­her ge­nann­ten Ort in Vor­pom­mern – schein­bar ei­ne Re­gi­on zwi­schen Wild­ostphantasien und deut­schem Mez­zo­gior­no. Loh­mark gibt als Klas­sen­leh­re­rin Bio­lo­gie und Sport in der neun­ten Klas­se – für nur noch zwölf Schü­ler – fünf Jun­gen, sie­ben Mäd­chen. Es gibt kei­ne Kin­der mehr; erst recht kei­ne Gym­na­si­um-Taug­li­chen. Es ist die letz­te neun­te Klas­se die­ser Schu­le, die in ei­ni­gen Jah­ren ge­schlos­sen wer­den soll. Nach­mit­tags be­her­bergt das Ge­bäu­de heu­te schon die Volks­hoch­schu­le (was von tei­len des Kol­le­gi­ums nicht gern ge­se­hen ist).

In­ge Loh­mark ist seit drei­ßi­ge­in­halb Jah­ren Leh­re­rin und vom al­ten Schlag. Wenn sie »Set­zen« sagt, set­zen sich die Schü­ler; die Sport­stun­de be­ginnt sie mit ei­nem zünf­ti­gen »Still­ge­stan­den«. Ihr Un­ter­richt ist krei­de­la­stig und fron­tal. Sie kennt kei­ne zärt­li­che Nach­gie­big­keit, denn es lohnt sich nicht, die Schwa­chen mit­zu­schlei­fen. Sie wa­ren nur Bal­last, der das Fort­kom­men der an­de­ren be­hin­der­te. Ge­bo­re­ne Wie­der­ho­lungs­tä­ter. Pa­ra­si­ten am ge­sun­den Klas­sen­kör­per. Nach we­ni­gen Sei­ten er­kennt man, wie der Na­me der Schu­le et­was mit dem Welt­bild von In­ge Loh­mark zu tun ha­ben soll (er­ste Skep­sis).

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Das gro­ße Ver­sa­gen

Char­lot­te Ro­ches Schlam­pen­pa­la­ver »Schoß­ge­be­te«, der neue Neo-Rea­lis­mus der Li­te­ra­tur­kri­tik und ein klei­ner Aus­flug

»Schoß­ge­be­te« be­rich­tet von drei Ta­gen aus dem Le­ben der Eliza­beth Kiehl (33), die mit ih­rem Mann Ge­org (50) und 7jähriger Toch­ter Li­za in ei­ner »anale[n] Woh­nung« in ei­ner deut­schen Groß­stadt in der »Jo­na­than-Sa­fran-Foer-Ära« (d. i. die Ge­gen­wart) lebt. Li­zas Va­ter ist Eliza­beths Fast-Ehe­mann Ste­fan. Fast-Ehe­mann, weil drei Brü­der von Eliza­beth bei der An­rei­se zur Hoch­zeit töd­lich ver­un­glück­ten; die Mut­ter wur­de schwer­ver­letzt. Die Hoch­zeit wur­de ab­ge­sagt; die Be­zie­hung zer­brach. Li­za wur­de, wie Eliza­beth er­zählt, prak­tisch als letz­tes Mit­ein­an­der zwi­schen den bei­den ge­zeugt. Fast gleich­zei­tig lern­te Eliza­beth den Ga­le­ri­sten Ge­org ken­nen, der da­mals noch mit ei­ner an­de­ren Frau ver­hei­ra­tet war und Va­ter vom fast gleich­alt­ri­gen Max ist. (Die Verwandtschaftsver­hältnisse von Eliza­beth sind noch kom­pli­zier­ter, weil ih­re Mut­ter Liz mit drei Män­nern ver­hei­ra­tet war.)

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»Gruß aus dem Zeit­al­ter der Gleich­ma­chung«

In Ge­or­ge Or­wells Ro­man »1984« gibt es im Wahr­heits­mi­ni­ste­ri­um, dass sich dem Le­ser durch die Sicht auf den Prot­ago­ni­sten Win­s­ton Smith lang­sam er­schließt, ei­ne Fi­gur mit dem Na­men Am­ple­forth. Er ist ein »ver­träum­ter« Mensch mit »stark be­haar­ten Oh­ren«. Sei­ne Auf­ga­be be­steht dar­in, ge­än­der­te Tex­te von Ge­dich­ten hin zu » ‘end­gül­ti­gen Fassun­gen’ « zu er­stel­len. Er be­saß bei al­ler Un­tüch­tig­keit, die ihm at­te­stiert wird, immer­hin das Ta­lent, »mit Rei­men und Vers­ma­ßen zu jon­glie­ren«. Der­art ver­än­dert konn­ten Ge­dich­te, die »ideo­lo­gisch an­stö­ßig« ge­wor­den wa­ren, in den Ge­dicht­samm­lun­gen bei­be­hal­ten wer­den. Mit Zei­tun­gen und al­len an­de­ren li­te­ra­ri­schen Tex­ten ver­fuhr man ähn­lich: Sie wa­ren ei­nem »dau­ern­den Um­wand­lungs­pro­zeß« un­ter­zo­gen. »Auch Bü­cher wur­den im­mer wie­der aus dem Ver­kehr ge­zo­gen und neu ge­schrie­ben und oh­ne je­den Hin­weis auf die vor­ge­nom­me­nen Ver­än­de­run­gen neu auf­ge­legt.«

Bei Or­well heißt das »Wirk­lich­keits­kon­trol­le«. Win­s­ton führt ein Ta­ge­buch, wel­ches er vor den all­ge­gen­wär­ti­gen Ap­par­tu­ren der Über­wa­chung ver­stecken muss. Win­s­ton will die­ser Kon­trol­le et­was ent­ge­gen­set­zen. Da­bei ist das Füh­ren des Ta­ge­buchs ei­gent­lich sinn­los, da es nie­mand je­mals le­sen wird. Der »Gruß aus dem Zeit­al­ter der Gleich­ma­chung«, den er dort ei­nes Ta­ges nie­der­schreibt, wird mit größ­ter Wahr­schein­lich­keit ver­hal­len – oder so­gar be­straft wer­den.

Or­well schrieb sei­ne Dys­to­pie be­kann­ter­ma­ßen um 1948. 1951 ver­öf­fent­lich­te Ray Brad­bu­ry die Er­zäh­lung »Der Feu­er­wehr­mann«, aus der zwei Jah­re spä­ter der Ro­man »Fah­ren­heit 451« her­vor­ging. Bei Brad­bu­ry wer­den die Bü­cher nicht mehr um­ge­schrie­ben und der je­wei­li­gen Ideo­lo­gie an­ge­passt. Sie wer­den ver­bo­ten und von Feu­er­wehr­leu­ten mit Flam­men­wer­fern ver­nich­tet. Die ver­ein­zel­ten Wi­der­ständ­ler ge­gen die­se Ty­ran­nei sind die­je­ni­gen, die sie aus­wen­dig ler­nen, be­vor sie ver­nich­tet wer­den.

In bei­den fik­ti­ven Ge­schich­ten (aber nicht nur in die­sen) gibt es ei­nen em­pha­ti­schen Glau­ben an die Wir­kung des ge­schrie­be­nen, frei­en Wor­tes. Da­her muss es von den je­wei­li­gen Macht­ha­bern wenn nicht un­ter­drückt, so doch min­de­stens im Sin­ne des Sy­stems ma­ni­pu­liert wer­den.

Or­wells Wahr­heits­mi­ni­ste­ri­um ist da­bei zum In­be­griff ei­nes im ver­bor­ge­nen agie­ren­den ma­ni­pu­la­ti­ven Pro­pa­gan­da­ap­pa­ra­tes ge­wor­den. Ana­tol Ste­fa­no­witsch ist zwei­fel­los nicht für ei­nen sol­chen Ap­pa­rat tä­tig. Er ist Sprach­for­scher, was man sei­nen Ar­ti­keln an­sieht. Er be­schäf­tigt sich in sei­nem Auf­satz »Pip­pi Lang­strumpf, Ne­ger­prin­zes­sin und Über­setzungs­problem« mit Pas­sa­gen aus Astrid Lind­grens Bü­chern »Pip­pi Lang­strumpf geht an Bord« und »Pip­pi in Ta­ka-Tu­ka-Land«.

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Sahra Wa­gen­knecht: Frei­heit statt Ka­pi­ta­lis­mus

Ist es nicht merk­wür­dig, dass bis heu­te ei­ni­ge der schlimm­sten Dik­ta­tu­ren ein »de­mo­kra­tisch« in ih­ren Staa­ten­be­zeich­nun­gen füh­ren? Und/oder als »Volks­republik« so et­was wie Plu­ra­lis­mus sug­ge­rie­ren? War­um wer­den so häu­fig be­stimm­te Ter­mi­ni aus­ge­rech­net dann ver­wen­det, wenn sie ex­akt das Ge­gen­teil des­sen be­deuten, was man ge­mein­hin da­mit ver­bin­det? Und was hat das dau­er­haft für Aus­wir­kun­gen auf das ...

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Die Pa­nik­ex­per­ten

In den letz­ten Ta­gen konn­te man be­ob­ach­ten, wie Pe­ter Slo­ter­di­jks Dik­tum von der Streß­ge­sell­schaft von den Me­di­en mit Bra­vour um­ge­setzt wur­de.

Die Re­de ist von den ver­meint­li­chen Ein­brü­chen auf den in­ter­na­tio­na­len Ak­ti­en­märk­ten. Tat­säch­lich schei­nen die­se auf den er­sten Blick dra­ma­tisch; Rück­gän­ge der In­di­zes von 5–7% an ei­ni­gen Bör­sen an ei­nem Tag sind si­cher­lich un­ge­wöhn­lich. Aber das reicht nicht. Sie wer­den als hal­be Apo­ka­lyp­se ge­schil­dert. Ver­brau­cher­ma­ga­zi­ne ge­ben rüh­ren­de Rat­schlä­ge, die mit dem Be­griff »Ru­he be­wah­ren« zu­sam­men­ge­fasst wer­den kön­nen.

Ein Rat­schlag, der mit dem Hype, der da un­ab­läs­sig er­zeugt wird, schwer in Ein­klang zu brin­gen ist. Da ist von Mil­li­ar­den Eu­ro die Re­de, die »ver­nich­tet« wor­den sind – ein ha­ne­bü­chen­der Un­sinn, weil die mei­sten An­le­ger ih­re Ak­ti­en ge­hal­ten ha­ben (s. u.). Da wird sich schnell an den höch­sten Ak­ti­en­kurs ori­en­tiert und ein ima­gi­nä­rer Ver­lust aus­ge­rech­net.

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