Transversale Reisen durch die Welt der Romane
Gedichte von William Carlos Williams im Radio, Österreichischer Rundfunk, in einer Sendung, die seit achtzig Jahren ihre Struktur und Gestalt nicht verändert hat und die ich schon als Student gern hörte. Unverändert auch der Titel, ein Schubert-Lied zitierend, altertümlich und, immer schon, ohne Ironie: Du holde Kunst. Altertümlich oder besser, mit einem anderen altertümlichen Wort: zeitlos. Also hier William Carlos Williams, ein Gedicht aus dem Alltag, aus seinem Haus, seinem Garten, aus einer kleinen Stadt, aus der Provinz, der Provinz des Menschen. Später Gedichte aus und über Paterson, im Alter wurde sogar Williams ein wenig geschwätzig. Zweifellos hat sich Jim Jarmusch für seinen wunderbaren Film Paterson auch von Williams anregen lassen. Gedichte schreiben, Gedichte hören, Gedichte lesen – übrigens auch im Film – ist hier ein Platz machen, Wegräumen von Unerheblichem, nicht etwa, um irgendein Wesentliches ins Auge zu fassen, sondern um das, was da ist, die paar Dinge, meine eigene Wenigkeit, ins spärliche Wort zu setzen.
- Wenn meine Frau schläft
wenn das Kleine und Kathrin
wenn sie schlafen
und die Sonnenscheibe flammend
weiß in seidenen Nebeln
über schimmernden Bäumen steht
wenn ich dann in meinem Zimmer, –
nördlich, nackt, grotesk
vor meinem Spiegel tanze,
schwenk mein Hemd mir um den Kopf
und mir leise selbst zusinge:
»Ich bin einsam, einsam,
und zum Einsamsein geboren,
einsam bin ich auf der Höhe!«
Wenn ich Arme und Gesicht,
Schultern, Flanken, Hintern an mir selbst
bewundre vor den gelben Jalousien, –
Wer leugnet dann, daß ich hier glücklich
und mein guter Hausgeist bin?
Also Platz schaffen für Bedeutung, nicht für große, sondern für kleine, geringe, vereinzelte Bedeutung. Weg mit dem Blabla, mit dem Rauschen, dem Viel-zu-Vielen, weg mit den Medien (abgesehen von Radio und Buch). Kontext reduzieren, bis nur ein paar Wörter übrigbleiben, die die Dinge ihrer Existenz versichern, und dich deiner. Eine Art von – Genugtuung. Das Williamssche Gedicht tut genau genug.
Und diesen Roman wollte ich eigentlich gar nicht lesen: De Vriendt kehrt heim von Arnold Zweig. Warum nicht? Weil mir Arnold Zweig, so mein Vorurteil, zu sehr im Fahrwasser jener damals, seit den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, vor Hitlers Machtergreifung und der Emigration der deutschen Geisteswelt, im Schwange befindlichen, politisch korrekten, humanistischen, pazifistischen, antifaschistischen Literatur schrieb. Lion Feuchtwanger, Leonhard Frank, Erich Maria Remarque. Das Problem mit De Vriendt kehrt heim ist aber nicht sein Humanismus oder Antifaschismus (verstanden als Ablehnung von Gewalt als politischem Mittel), sondern die journalistische Machart. Literarische Konfektionsware, geschickt verfugt. Warum auch nicht? Als armer Schlucker kann ich mir maßgeschneiderte Klamotten ja auch nicht leisten, warum sollte ich von Büchern verlangen, daß sie exquisit sind? Exquisit wie was? Wie die Josephsromane, wo Thomas Mann – wie üblich – versteckt von sich selbst erzählt. Autofiktion, ist das etwa besser?