Wel­ten und Zei­ten XVI

Trans­ver­sa­le Rei­sen durch die Welt der Ro­ma­ne

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Ar­son von Lau­ra Freu­den­tha­ler, ei­ne Art Um­welt­sor­ge­pro­sa in Welt­un­ter­gangs­stim­mung. Da und dort, im­mer wie­der, bre­chen Brän­de aus. Wie in der Wirk­lich­keit in Ka­li­for­ni­en, zum Bei­spiel. Was brin­gen sol­che Wald­brän­de für die Li­te­ra­tur, oder um­ge­kehrt: Wie soll der Au­tor ih­rer hab­haft, ih­nen ge­recht wer­den, wenn er sie schon nicht lö­schen kann? Was ver­mag das al­te, kul­tu­rell ge­präg­te Na­tur­ge­fühl ge­gen­über den Feu­ern? Über al­len Wip­feln ist Ruh; über ka­li­for­ni­schen Wip­feln schla­gen die Flam­men zu­sam­men.

Freu­den­tha­ler pflegt un­ter an­de­rem, wie vie­le Au­toren heu­te, ei­nen Es­say­is­mus im Mu­sil­schen Sin­ne, man er­laubt sich gern Ab­schwei­fun­gen – De­fi­ni­ti­on von »Es­sai«: das schwei­fen­de Gen­re –, hier zum Bei­spiel nach Su­ma­tra, über die dor­ti­gen Wald­brän­de. Auch Tho­mas Mann hat das ge­tan, sei­ner­zeit, nur we­ni­ger auf­dring­lich als Mu­sil, nicht so theo­rie­la­stig, nicht zwang­haft-über­höht, son­dern in al­ler Ru­he von der gu­ten Schreib­stu­be aus, sie­he zum Bei­spiel die um­fas­sen­de Welt­erklä­rung, die er im Fe­lix Krull ei­nem ge­wis­sen Pro­fes­sor Kuckuck un­ter­schiebt: Dort geht es nicht bloß um ein paar Aspek­te, nicht nur um die Mög­lich­keit des Welt­un­ter­gangs bzw. des En­des der Erd­ge­schich­te, die­se ist dem Pro­fes­sor so­wie­so ge­wiß; nicht nur das ein­zel­ne Men­schen­le­ben oder die gan­ze Mensch­heit, son­dern der Pla­net Er­de ist wei­ter nichts als ei­ne un­er­heb­li­che Epi­so­de im All. Un­ser klei­he­i­ner Pla­net… Der be­rühm­te Pas­cal­sche Schau­der. Trotz­dem sind die vor­zeit­li­chen Farn­wäl­der, von de­nen letz­te Re­ste im Bo­ta­ni­schen Gar­ten von Lis­sa­bon zu be­sich­ti­gen sind, wis­sen­schaft­li­cher Stu­di­en und all­ge­mein­mensch­li­cher Wert­schät­zung wert. Die Fi­gu­ren und ih­re Be­zie­hun­gen zu­ein­an­der sind nur Hilfs­kon­struk­te, um in­ter­es­san­te Ge­dan­ken aus­zu­füh­ren.

Blei­ben wir bei der ge­gen­wär­ti­gen Ge­gen­warts­li­te­ra­tur. Ar­son nennt sich auch gar nicht »Ro­man«, nennt sich über­haupt nicht. Das Buch bie­tet ei­ne Ver­samm­lung von Epi­so­den, Stim­mungs­bil­dern, Frag­men­ten, die hin und wie­der Se­quen­zen bil­den, Sprach­per­len an Mo­tiv­schnü­ren – das Tho­mas Mann-Jahr wirft sei­ne Schat­ten vor­aus – wie Schlaf­lo­sig­keit oder die Wun­de an der Lip­pe, sie wer­den vor­sätz­lich nicht ver­knüpft, son­dern locker auf­ge­fä­delt, so daß kei­ne Strän­ge ent­ste­hen, kei­ne Ge­we­be, son­dern. Hand­lungs­mo­men­te. Auf­pop­pen. Da ist wie­der mal ei­ne Lip­pe auf­ge­platzt. Ein Wald­stück auf­ge­flackert. Edel­pop!

Auch wahr: »Je­mand muß die Trau­rig­keit aus­hal­ten.« Wir al­le müs­sen sie aus­hal­ten. Oder nicht? Mar­ty­n­o­va, Gru­ber, Freu­den­tha­ler: Übun­gen im Trau­er-Aus­hal­ten. Aus­hal­ten, oder doch: Über­win­den? Am Rand der gro­ßen Me­di­en­hy­ste­rie wird die Trau­er ge­dei­hen, wird lang­sam an­wach­sen. Letz­tes Re­fu­gi­um Li­te­ra­tur. Er­zäh­len hilft (nicht mehr).

»Der Wald wird nicht nach­wach­sen, es ist ei­ne ur­alte Land­schaft, die hier un­ter­geht.« Die Farn­wäl­der von Lis­sa­bon, die wahr­haft ur­tüm­li­chen, wer­den ver­schwin­den. Nun ja, es ist schon so vie­les ver­schwun­den. Wo­zu die Trau­er? Das Buch, die­se lücken­haf­te Mo­sa­ik­er­zäh­lung, auch Puz­zle ge­nannt, die­ser Nicht-Ro­man, zeich­net ei­ne Dys­to­pie. Dys­to­pien sind wie­der mal in Mo­de. Manch­mal wer­den sie Wirk­lich­keit. Ir­gend­wie hat die Mensch­heit ih­ren ei­ge­nen Un­ter­gang im­mer wie­der über­lebt. Bis­her. Al­so sind das bloß all­ge­mei­ne Be­mer­kun­gen zum Welt­zu­stand. Und ein biß­chen be­son­de­re, mit ein paar In­di­vi­du­en ver­setzt (Mu­sils Es­say­is­mus). Über glo­ba­le Phä­no­me­ne und Pro­ble­me glo­bal er­zäh­len, von oben her­ab, in Droh­nen­per­spek­ti­ve.

Trans­ver­sa­li­tät sieht sich da­zu als Ge­gen­kon­zept. Und ein Buch wie Ar­son ent­hält eben auch bei­des, da sind die Flucht­li­ni­en, die das glo­ba­le Ge­flam­me un­ter­wan­dern wie Grä­ben, die das Wü­ten der Brän­de stop­pen wol­len. Un­ter­ir­di­sche Flucht­li­ni­en. Flucht­li­ni­en an der Luft, hoch oben in der Luft. Stel­len­wei­se Atem­not. (Neu­lich wie­der ein­mal Gil­les De­leu­ze ge­hört, im fran­zö­si­schen Ra­dio, das wir dank In­ter­net so­gar in Ja­pan hö­ren kön­nen, sei­ne phan­ta­sti­schen li­gnes de fuite, die, so phan­ta­sie­re ich wei­ter, klei­ne Ex­plo­sio­nen er­zeu­gen, kal­te Feu­er­wer­ke. Pace non tro­vo . . . e ar­do, e so­no un ghi­ac­cio; e vo­lo so­pra il cie­lo, e gi­ac­co in ter­ra.) Feu­er ist ja auch et­was Schö­nes. Das Feu­er der Lei­den­schaft, die Käl­te der Wor­te.

Doch, der Wald wird nach­wach­sen. Die Men­schen viel­leicht nicht.

Mo­ti­ve durch­füh­ren, ein li­te­ra­ri­scher Sport; Mo­ti­ve aus­rei­zen, ganz gleich, wie die Er­fah­run­gen, meist chao­tisch, ge­macht wer­den oder zu­sto­ßen, sei es im Le­ben, sei es im Text. Un­be­küm­mert ums Er­zäh­len, das in Wirk­lich­keit und Wort­haf­tig­keit nie­mals ganz in Mo­tiv­struk­tu­ren auf­ge­hen wird.

Wim Wen­ders, der zu­erst ei­nen Do­ku­men­tar­film über High Tech-Klos in To­kyo ma­chen soll­te und dann, aus wel­chen Grün­den auch im­mer, aus Un­ge­nü­gen an der Auf­ga­be oder weil die Ge­schich­te eben er­zählt sein woll­te und sich von selbst ent­fal­te­te oder die Phan­ta­sie ih­re Rech­te ein­for­der­te und der Re­gis­seur-Er­zäh­ler der Ge­schich­te nach­ge­ben und sie ver­fil­men muß­te. Von der Do­ku­men­ta­ti­on zur Fik­ti­on. Die wun­der­ba­re Wirk­lich­keit, el re­al ma­ra­vil­lo­so, wie man frü­her, in den Blü­te­zei­ten li­te­ra­ri­schen Er­zäh­lens, sag­te, so schnö­de sie auf den er­sten Blick schei­nen mag: Toi­let­ten. Ein fil­mi­scher Ver­such über den stil­len Ort. Wo ja auch ei­ne Art Kom­mu­ni­ka­ti­on herrscht. Nicht Spu­ren von au­ti­sti­schem Van­da­lis­mus wie in den eu­ro­päi­schen Län­dern fin­det man hier, son­dern die fei­nen Pa­pier­k­as­si­ber des fer­nen Ostens.

Wer To­kyo kennt, wird den wun­der­ba­ren Mär­chen­film viel­leicht mit der Stadt­wirk­lich­keit kon­fron­tie­ren und zum Schluß kom­men, daß das al­les ge­schönt sei (aber in letz­ter In­stanz »schönt« Kunst ja im­mer). Die Ge­gend ist nicht ein­fach To­kyo, son­dern ei­ne sehr be­schränk­te Rei­he tou­ri­sti­scher Hot­spots in der Nä­he des be­rühm­ten Sky­tree, des höch­sten Bau­werks des Lan­des, ein An­zie­hungs­punkt für Ja­pa­ner (we­ni­ger für Aus­län­der). Und die To­po­gra­phie stimmt ei­gent­lich nicht zu­sam­men, Klo­wär­ter Hi­ra­ya­ma wohnt doch ganz in der Nä­he, im­mer wie­der kommt der Sky­tree ins Bild, an­de­rer­seits fährt er in sei­nem Klein­bus lan­ge We­ge durch die Stadt, nur da­mit er Wen­ders‘ Lieb­lings­mu­si­ken (dar­un­ter Per­fect Day von Lou Reed) aus dem Kas­set­ten­re­cor­der hö­ren kann. Paßt al­les nicht zu­sam­men.

Muß es auch nicht. Die Ko­or­di­na­ten der Wirk­lich­keit sind im Film ver­än­dert. Ein neu­er Zu­sam­men­hang der Din­ge ent­steht. Er­zäh­len ist im­mer se­lek­tiv, so­gar das all-er­zäh­len­de, welt-in­ven­ta­ri­sie­ren­de Er­zäh­len Tho­mas Manns. In Wirk­lich­keit gibt es in To­kyo im­mer noch je­de Men­ge Plumps­klos. Nur bes­ser ge­pflegt. Auch oh­ne High Tech. Das könnt ihr mir glau­ben!

Nimmt der Le­ser von Ma­li­na die Be­drückun­gen der Ich-Er­zäh­le­rin gar zu ernst, ih­re Ge­walt­phan­ta­sien und De­pres­si­ons­ge­schich­ten, wirkt der Ro­man auch auf ihn nie­der­drückend. War­um auch nicht, das vol­le Aus­le­ben der De­pres­si­on – im wirk­li­chen Le­ben wird sie bei den klein­sten An­zei­chen be­kämpft – ist ein Vor­recht, wenn nicht gar ei­ne not­wen­di­ge Auf­ga­be der Er­zähl­li­te­ra­tur. Mu­ster­bei­spiel Em­ma­nu­el Bo­ve, einst von Pe­ter Hand­ke für den deut­schen Sprach­raum ent­deckt. Auch die Ro­ma­ne und Ro­man­ver­su­che Bach­manns pas­sen in die­se Ka­te­go­rie.

Es gibt aber ei­ne an­de­re Sicht­wei­se, ei­ne an­de­re Art der Lek­tü­re, die sich vom Spie­le­ri­schen die­ser Li­te­ra­tur an­re­gen und an­sto­ßen läßt. Von der (leich­ten) Ver­rückt­heit der Haupt­fi­gur (die na­tür­lich ins Pa­tho­lo­gi­sche kip­pen kann und auch kippt). Es ist die­se Ei­gen­schaft, die mich im­mer wie­der an Cor­tá­zars Rayue­la den­ken läßt, ei­nen Ro­man, der, in Pa­ris ge­schrie­ben, wo da­mals auch Ce­lan leb­te, die At­mo­sphä­re der fünf­zi­ger und frü­hen sech­zi­ger Jah­re at­met und ver­strömt. Spät­sur­rea­lis­mus und Exi­sten­tia­lis­mus, da­zu der sich oft er­neu­ern­de Jazz, der Be­bop, dem Cor­tá­zar nicht we­ni­ge Lob­lie­der sang. Wild, un­kon­trol­liert, die ei­ge­nen Re­geln und Mu­ster, so­bald sich wel­che bil­den, gleich wie­der durch­bre­chend. In die­sem jaz­zi­gen Er­zäh­len, bei Bach­mann wie bei Cor­tá­zar, lebt ein Über­mut, der akro­ba­ti­sche Kunst­stücke frei­setzt, die nicht im­mer ge­lin­gen, aber auch nicht ge­lin­gen müs­sen, denn auch das Schei­tern hat in die­sem Er­zäh­len sei­nen Platz, und letz­ten En­des ist es über­haupt ein Er­zäh­len vom – bei Cor­tá­zar – fröh­li­chen Schei­tern. Jaz­zig er­zäh­len? Gibt es das heu­te noch? Der Jazz hat, we­nig­stens für die Dich­ter, aus­ge­dient.

Gleich­zei­tig le­se ich ei­nen an­de­ren, or­dent­li­chen Ro­man, von Pe­ter He­nisch, eben erst er­schie­nen, Nichts als Him­mel. In ei­ner von ei­nem an­ony­men Schrei­ber ei­ner Pres­se­agen­tur ver­faß­ten Re­zen­si­on le­se ich, das Buch sei »kein Ro­man, son­dern ei­ne gro­ße Er­zäh­lung«. War­um das? Weil es dar­in die läng­ste Zeit kei­ne Hand­lung ge­be. Aha. Was gilt dem Ver­fas­ser wohl als Hand­lung? Nach sei­nen Kri­te­ri­en wä­ren vie­le Ro­ma­ne der Welt­li­te­ra­tur kei­ne Ro­ma­ne, son­dern Er­zäh­lun­gen, vom Don Qui­jo­te bis zur Su­che nach der ver­lo­re­nen Zeit. Ich hin­ge­gen neh­me Nichts als Him­mel als wohl­kon­stru­ier­ten Ro­man mit Hö­he­punkt und Auf­lö­sung wahr, ein Buch von le­ser­ge­rech­tem Um­fang – et­was mehr als 200 Sei­ten –, das nie­mals Ge­fahr läuft, den ge­neig­ten Le­ser zu er­mü­den. Mit ei­nem ak­tu­el­len The­ma, näm­lich Flücht­lin­ge in Eu­ro­pa, spe­zi­ell in Ita­li­en, mit hand­werk­li­chem Ge­schick und ei­ner hu­ma­ni­sti­schen Hal­tung – die zahl­lo­sen Schiff­brü­chi­gen im Mit­tel­meer! – er­zählt. Te­nés ofi­cio, hat ein­mal ei­ne ar­gen­ti­ni­sche Le­se­rin zu mir ge­sagt, nach­dem ich ihr ein Buch in fran­zö­si­scher Über­set­zung rü­ber­ge­scho­ben ha­be. »Gu­tes Hand­werk.« Oder bes­ser, ein­fa­cher, mit pas­sen­der Nu­an­ce: »Gut ge­schrie­ben.« (Pfleg­te Reich-Ra­nicki zu sa­gen: »Das ist seeeeerrr gut ge­schrie­ben.«) Ob das ein Kom­pli­ment ist? Zwei­fel­los war es so ge­dacht.

Der Don Qui­jo­te gilt vie­len als Ur­sprung des neue­ren eu­ro­päi­schen Ro­mans (Mu­ra­sa­ki Shi­ki­bu hat ih­ren fern­öst­li­chen Gen­ji-Ro­man ein hal­bes Jahr­tau­send frü­her ge­schrie­ben). Das Werk zeigt auch, daß das Gen­re dem Geist des Plau­derns, des Ge­re­des, wie Heid­eg­ger es nann­te, des Ge­rüchts, der Auf­schnei­de­rei und der Ein­bil­dung, auch Phan­ta­sie ge­nannt, ent­sprun­gen ist und im­mer noch ent­springt. Ma­li­na, die­ser »schwe­re« Ro­man, ist eben­falls in sol­chem Plau­der­to­ne ge­schrie­ben, mit dau­ern­dem in­tel­lek­tu­el­lem Hin und Her, mit Re­fle­xio­nen über Kunst und Welt in dia­lo­gi­scher oder mo­no­lo­gi­scher Form, die oft zum fi­gur-un­ab­hän­gi­gen Es­say wer­den, ehe sie wie­der ins all­zu­mensch­li­che Ge­plau­der und Ge­plap­per zu­rück­sin­ken: »…und ich bin auch sehr mü­de, Ivan ist zu lan­ge auf­ge­blie­ben, er war mit ei­ni­gen Leu­ten in Nuß­dorf beim Heu­ri­gen, bis fünf Uhr früh, dann ist er mit ih­nen in die Stadt zu­rück­ge­fah­ren, und sie ha­ben ei­ne Gu­lasch­sup­pe ge­ges­sen…«

Ja ja, in Nuß­dorf am Fuß der Wein­ber­ge, da war ich auch neu­lich, man kommt sehr be­quem mit der Stra­ßen­bahn hin. En­de Au­gust, da gab es schon Sturm, mein Freund K. und ich ha­ben zwei Vier­tel da­von ge­trun­ken: ei­nes zu viel, wie ich spä­ter fest­stel­len muß­te. An­mer­kung: Sturm nennt man in Wien den neu­en, noch stark gä­ren­den Wein, den man am En­de des Som­mers oder zu Herbst­be­ginn ser­viert be­kommt. Ein hüb­sches Ört­chen, Nuß­dorf, ge­nau wie Grin­zing und Sie­ve­ring. Hübsch her­aus­ge­putzt, Bach­mann wird sich im Gra­be freu­en. Und die Sup­pe, die es­se ich nach durch­zech­ter Nacht lie­ber im Kent in Ot­ta­kring, ei­ne tür­ki­sche Sup­pe, wir ha­ben ja jetzt vie­le Tür­ken hier, gott­sei­dank, lie­be In­ge­borg. Gu­lasch­sup­pe es­se ich tags­über im Ca­fé Rit­ter, die ma­chen sie sä­mig und aus­ge­wo­gen, mit klei­nen Fleisch- und Kar­tof­fel­stück­chen, es wür­de dir schmecken.

»Ich wür­de mich nicht durch ein Buch ›hin­durch­ar­bei­ten‹, das wür­de ja schon an Be­schäf­ti­gung gren­zen«, sagt die Ich-Er­zäh­le­rin in Ma­li­na. Meint sie das ernst? Meint die Au­torin das ernst? Iro­nie? Un­ent­scheid­bar. Durch Ma­li­na muß man sich je­den­falls ent­schie­den durch­ar­bei­ten, um zum letz­ten Satz zu ge­lan­gen und ihn wo­mög­lich, im Rück­blick auf al­les Vor­he­ri­ge, zu ver­ste­hen. Es ist bei al­ler Lau­nen­haf­tig­keit der Er­zäh­le­rin ein an­stren­gen­des Buch.

Dem­ge­gen­über: Le­sen als Un­ter­hal­tung. »Jetzt ist schon wie­der was pas­siert.« Der Kri­mi-Le­ser will wis­sen, was denn pas­siert ist, und weiß zu­gleich, daß er es frü­he­stens am En­de er­fah­ren wird. Das heißt, er will wis­sen, was pas­sie­ren wird. Ob sich der Fall auf­klä­ren läßt. Und wie er auf­ge­klärt wird. In an­de­ren Ge­schich­ten will er von vorn­her­ein, an- und auf­ge­regt durch ei­nen an­de­ren Vor­fall, ei­ne Vor­her­sa­ge, ei­ne An­deu­tung, was auch im­mer, wis­sen, was pas­sie­ren wird. Der Aus­lö­ser kann et­was ganz Be­lie­bi­ges, Ge­ring­fü­gi­ges sein. Aber man will es wis­sen. Ob die An­ge­be­te­te des Hel­den ja oder nein sa­gen wird. Ob ein Ge­wit­ter aus­bre­chen wird oder nicht. Ob das Was­ser an der Tisch­kan­te ver­schüt­tet wer­den wird. Ob der Held stirbt oder über­lebt. Am En­de will man wis­sen, wie das Le­ben en­det. Daß es en­den wird, ist klar. Sehr oft geht es um das Wie, we­ni­ger um das Daß. Al­les, was sich in den Text ein­spei­sen läßt, je­der be­lie­bi­ge In­put, er­zeugt Span­nung = Un­ter­hal­tung, so­fern die Ge­schich­te gut er­zählt ist.

Ei­ne Tür geht auf, und ich will wis­sen, wer oder was her­ein­kommt. Ich wer­de neu­gie­rig ge­macht. Das Er­zäh­len öff­net Tü­ren, ei­ne nach der an­de­ren. Zu­viel Re­fle­xi­on, zu­viel Sprach­re­fle­xi­on vor al­lem, lenkt da­von ab. Oder zwingt uns zum War­ten, schiebt die näch­ste Ant­wort auf die lan­ge Bank und in­ten­si­viert da­durch die Span­nung. Zu­viel Re­fle­xi­on, und die Un­ter­hal­tung schwin­det.

Hängt na­tür­lich auch vom Le­ser ab: Wie sehr und wie lan­ge ist er be­reit, sich an­zu­stren­gen? Er will je­den­falls be­lohnt wer­den. Wo­durch? Durch Wis­sen, durch Ant­wor­ten auf sei­ne stil­len Fra­gen. Oder durch noch mehr Fra­gen. Oder durch die schö­nen Wor­te, das schö­ne Buch, sei­ne klu­ge Mach­art.

Der Er­zäh­ler, ist ge­sagt wor­den, sei der rau­nen­de Be­schwö­rer des Im­per­fekts. Ja, aber mit dem Er­zäh­len, durch sei­ne Er­in­ne­rungs­ar­beit (-ar­beit!), be­schwört der Au­tor un­wei­ger­lich ei­ne Zu­kunft her­auf (auch wenn sie in ei­ner von ihm er­leb­ten Ver­gan­gen­heit lie­gen soll­te), und die­se Zu­kunfts­be­schwö­rung, die­ses Her­bei­zau­bern und Her­auf­be­schwö­ren ei­ner Welt, sei es auch ei­ner ver­gan­ge­nen, ist sein Ge­schäft.

»Ich ha­be nie ei­nen Un­ter­schied ge­macht zwi­schen Er­zäh­lung und Re­por­ta­ge.« Chri­stoph Rans­mayr, so­eben im Ra­dio ge­hört. Fik­ti­on und Do­ku­men­ta­ti­on. Zeug­nis und Phan­ta­sie. Es le­be das Ra­dio, die­ses al­te, aber un­ver­zicht­ba­re Me­di­um! (An­ders als ge­wis­se neue, ver­zicht­ba­re.)

Bach­mann mixt in Ma­li­na al­les mög­li­che zu­sam­men, ver­schie­de­ne Gen­res, di­ver­ses Ma­te­ri­al, Brie­fe, Te­le­phon­ge­sprä­che, In­ter­views, die Le­gen­de von der Prin­zes­sin von Ka­gran, hin­ter der sich, soit dit en pas­sant, die Lie­bes­ge­schich­te zwi­schen Bach­mann und Ce­lan ver­birgt. (An­mer­kung: Ka­gran ist ein trans­da­nu­bi­scher, nicht son­der­lich ele­gan­ter Stadt­teil von Wien.) Bach­mann ge­braucht das Col­la­ge­ver­fah­ren, oder sa­gen wir bes­ser: sie be­flei­ßigt sich ei­ner grund­sätz­li­chen Col­la­ge­hal­tung, wie man sie auch in Rayue­la fin­det, wo­bei in Cor­tá­zars Ro­man die Fle­xi­bi­li­tät der Zu­sam­men­set­zung noch da­durch ge­stei­gert wird, daß der Au­tor ver­schie­de­ne Rei­hen­fol­gen der Ka­pi­tel im Lek­tü­re­pro­zess vor­schlägt. Man muß das Buch nicht von vor­ne bis hin­ten le­sen, man kann dar­in hin und her sprin­gen wie ein Pferd auf dem Schach­brett.

Noch ein Gen­re, das Bach­mann pflegt, oder aus­reizt: die Träu­me. An­schei­nend ist vie­les aus (»rea­len«) Träu­men her­aus ent­stan­den. Bach­mann war von ih­rem Psy­cho­the­ra­peu­ten, als die ver­krampf­te und auf­rei­ben­de Be­zie­hung zu Max Frisch in die Brü­che ge­gan­gen war, auf­ge­for­dert wor­den, ih­re Träu­me für ihn (den The­ra­peu­ten) auf­zu­schrei­ben. Die­se Träu­me, so­weit sie im Ro­man ein Echo fin­den, wir­ken auf mich al­ler­dings ziem­lich öd, so wie mei­stens die Träu­me in der Li­te­ra­tur. Au­ßer bei Kaf­ka, da öff­nen sie die Tür in ei­ne oni­ri­sche Welt, in der man sich mit wach­sen­der Fas­zi­na­ti­on be­wegt. Kaf­kas Träu­me wer­den un­ver­züg­lich in Li­te­ra­tur über­führt, wäh­rend sie bei Bach­mann und vie­len an­de­ren in die­sem wir­ren, kunst­lo­sen Stand der Un­ter- und Halb­be­wußt­heit, al­so des Un­aus­ge­go­re­nen blei­ben. Bei Bach­mann (und so vie­len an­de­ren) sind es im­mer nur kur­ze Sze­nen, die gleich wie­der ab­bre­chen, kei­ne Auf­lö­sung er­fah­ren, kei­ne Über­gän­ge ha­ben, son­dern ir­gend­was Neu­em Platz ma­chen, an das man sich zu ge­wöh­nen die Zeit nicht be­kommt. Was war das noch mal, was hab ich da ei­gent­lich gelesen/geträumt? Es ist ein Vor­hof­flim­mern, durch das man nie in die Herz­kam­mer ge­langt.

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  1. Da stecken ein paar ge­nia­le In­tui­tio­nen drinn, in ih­rer Rund­schau über das Er­zäh­len. Die Um­welt­sor­ge­pro­sa ver­pufft ver­mut­lich an der Grö­ße des The­mas. Trans­for­ma­ti­on?! Nicht ge­ra­de ei­ne Stär­ke des Men­schen, ob­wohl die An­thro­po­lo­gen die An­pas­sungs­be­reich­schaft der Gat­tung im­mer lo­ben. Aber im Sin­gu­lar ver­sa­gen wir. Ich has­se Ver­än­de­run­gen... Dem­ge­gen­über Bach­mann und der Geist der Schwe­re, der sich nicht ab­schüt­teln lässt, und im­mer die Fra­ge, wer mit­hält, und wer die Kar­ten auf den Tisch wirft... Die Re­fle­xi­on in der Er­zäh­lung ist ein Sperr­gut. Das stellt den »Le­ser­ver­trag« auf die Pro­be. Ir­gend­wo zwi­schen Freund­schaft und Lehr­ver­hält­nis ent­steht Ver­druss, als hät­te man die fal­sche Ver­an­stal­tung ge­bucht. – Die Sa­che mit dem Jazz hat mir ge­fal­len. Ob­wohl Sie hier die Un­spiel­bar­keit zu Pro­to­koll ge­ben. Aber we­nig­stens ide­al­ty­pisch kommt die ge­lun­ge­ne Er­zäh­lung dem am näch­sten. – Sehr wit­zig, ih­re Be­mer­kung über die Gu­lasch­sup­pe. Ja, an die­sen »plötz­lich nicht mehr« Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten bleibt man in ei­nem Dickicht wie dem Bach­mann-Text ger­ne mal hän­gen. Lo­ri­ot hät­te pro­te­stiert: War­um denn ei­ne Gu­lasch­sup­pe?!?!

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