Freund­li­che Waf­fen

Schon in Pe­ter Hand­kes No­tiz­bü­cher der 1970er Jah­re fin­den sich ver­ein­zelt Zeich­nun­gen des Schrift­stel­lers, wie man auf der Sei­te Hand­ke­on­line bei­spiel­haft se­hen kann. Fast le­gen­där sei­ne Skizze(n) des ge­ra­de ver­stor­be­nen Freun­des Ni­co­las Born. Nur sel­ten fin­det man Hand­kes Zeich­nun­gen in sei­nen Bü­chern, wie in »Ab­schied des Träu­mers vom Neun­ten Land« oder dem hei­te­ren Mär­chen »Lu­cie ...

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Mi­cha­el Rol­off

Michael Roloff
Mi­cha­el Rol­off

Ich ha­be Mi­cha­el Rol­off nie per­sön­lich ken­nen­ge­lernt. Er leb­te in Se­at­tle, ich in Düs­sel­dorf. Zum er­sten Mal wur­de ich 2006 im Rah­men der Dis­kus­sio­nen um den Hei­ne-Preis an Pe­ter Hand­ke auf ihn auf­merk­sam. Er nutz­te aus­gie­big die On­line-Kom­men­tar­spal­ten von Me­di­en, um Hand­ke ge­gen die An­grif­fe aus den Feuil­le­tons zu ver­tei­di­gen. Ge­nau­er ge­sagt: Er ver­tei­dig­te Hand­kes Li­te­ra­tur.

1937 ge­bo­ren, emi­grier­te er in den 1950er-Jah­ren von Deutsch­land in die USA. Er über­setz­te u.a. Theo­dor W. Ador­no, Her­mann Hes­se, Ed­gar Hil­sen­rath, Wal­ter Kem­pow­ski und bis die 1980er Jah­re auch Pe­ter Hand­ke ins Eng­li­sche. Im Brief­wech­sel zwi­schen Hand­ke und Al­fred Kol­le­rit­sch taucht Rol­off als skur­ri­ler Dan­dy mit »wild­le­der­nem Hut« und Fa­sa­nen­fe­der auf. Ir­gend­wann kam es zum Bruch mit Suhr­kamp und auch mit Hand­ke. Es ging, wie Hand­ke mir ein­mal in Cha­ville sag­te, um Geld.

Ir­gend­wie kam ich dann in Kon­takt mit ihm. Wer ein­mal in sei­nem Adress­buch war, ent­kam nicht mehr und er­hielt zu­ver­läs­sig (auch als Ver­stor­be­ner!) noch Mails. Auch ich be­kam nun täg­lich zum Teil ein Dut­zend Mails. Ne­ben Aus­zü­gen aus Re­zen­sio­nen über li­te­ra­ri­sche Bü­cher und Hin­wei­se auf sei­ne ei­ge­nen Pu­bli­ka­tio­nen im Netz wa­ren es Links, Hin­wei­se und Kom­men­ta­re zur ame­ri­ka­ni­schen Po­li­tik. Rol­off war po­li­tisch links­ra­di­kal. Er liess kein gu­tes Haar an der ame­ri­ka­ni­schen Po­li­tik, mach­te kei­nen Un­ter­schied zwi­schen Clin­ton, Bush, Oba­ma (den er früh ver­ächt­lich »Oba­mi« nann­te) und Trump. Sei­ne pu­bli­zi­sti­schen Hel­den wa­ren die Au­toren von WSWS und Noam Chom­sky.

In­ter­es­sant wa­ren für mich vor al­lem sei­ne Hin­wei­se und Deu­tun­gen in Be­zug auf Hand­ke und sein Werk. Ne­ben An­ek­do­ti­schem be­schäf­tig­te er sich aus­gie­big mit der Be­hand­lung Hand­kes durch das deutsch­spra­chi­ge Feuil­le­ton. Mit den Jah­ren sponn Rol­off ein schier un­ent­wirr­ba­res Netz von Web­sei­ten, die sich aus­gie­big und de­tail­ver­ses­sen mit Hand­ke und des­sen Werk be­schäf­tig­ten. Da­bei be­dien­te er sich an al­lem, was er fand. Nicht nur mei­ne Tex­te stell­te er zum Teil mit­tels »co­py & pa­ste« oh­ne Rück­fra­gen ins Netz. Da­zu gab es zu­wei­len def­tig-der­be Kom­men­ta­re, wenn Aus­sa­gen nicht sei­nem Gu­sto ent­spra­chen.

Rol­off un­ter­schied wie kaum je­mand zwi­schen Per­son und Li­te­ra­tur. Er lieb­te Hand­kes Li­te­ra­tur, ana­ly­sier­te sie in in­zwi­schen holp­ri­gem Deutsch (oder ein­fach di­rekt Eng­lisch) mit zum Teil in­ter­es­san­ten Vol­ten, die je­doch all­zu oft hin­ter der Ve­he­menz sei­ner psy­cho­ana­ly­tisch grun­dier­ten Schimpf­ti­ra­den ge­gen die Per­son Hand­ke ver­schwan­den. Zum Teil muss­te man sei­ne Kom­men­ta­re ent­fer­nen, weil sie straf­be­wehr­te Aus­sa­gen ent­hiel­ten. Als die Er­re­gun­gen zu Hand­kes Ju­go­sla­wi­en-En­ga­ge­ment in die USA über­schwapp­ten, ver­tei­dig­te er wie­der hef­tig die Li­te­ra­tur. Es war ei­ne Hass­lie­be. (Und wie stolz war er auf Hand­kes Lob zu sei­ner Über­set­zung von »Über die Dör­fer«.)

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Der wun­der­ba­re Uni­ver­sal­di­let­tant

In Düs­sel­dorf gibt es Aus­stel­lung über den vor zwei Jah­ren ver­stor­be­nen Wolf­gang Welt 8. Sep­tem­ber 2018, 17.40 Uhr. Ich bin wie im­mer zu früh. Um 18 Uhr be­ginnt das Pro­gramm der Ver­nis­sa­ge. Die Tü­ren zur Aus­stel­lung sind schon of­fen. »Aber ich schrieb mich ver­rückt« lau­tet ihr Ti­tel. Da­ne­ben ein Aus­schnitt des in­zwi­schen fast schon le­gen­dä­ren ...

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Kind­ver­lust­ge­schich­te

1

ge­setzt, ich wür­de
ge­setzt, ich hät­te
al­so: ich hat­te
mei­ne Toch­ter, mein Ein und Al­les und mich
mei­nen ein­zi­gen Schatz, der ich sonst nichts be­sit­ze
                                                                                     be­sit­zen will
mein Ta­lent ver
                              ge­ssen
                        ver
                              schleu­dert
                        ver
                              dör­ren las­sen

al­so ich, hilfs­be­dürf­tig und ver­schwie­gen, hat­te sie, da sie noch klein war, bei Ver­wand­ten ge­las­sen, wuß­te aber lei­der nicht mehr, bei wel­chen, so daß ich nun mei­ne ei­ge­ne Fa­mi­li­en­ge­schich­te ab­gra­sen müß­te, um zu mei­nem Ein und Al­les zu­rück­zu­fin­den. Das will ich jetzt ver­su­chen, was bleibt mir üb­rig (nichts!), denn ich hat­te doch – mei­ne Recht­fer­ti­gung! – ei­nen Auf­trag zu er­fül­len (ge­habt) im Na­men mei­ner Schwe­ster Ma­ria oder mei­ner Freun­din Adel­heid, die ihn selbst nicht er­le­di­gen konn­te. Ich hat­te mich mit ih­rem Hünd­chen in der Ein­kaufs­ta­sche, ei­nem win­zi­gen wu­se­li­gen grau­en Hünd­chen, das er­krankt war und fast er­schlafft jetzt, auf den Weg zum Klein­tier­arzt ge­macht, wie hät­te ich mei­ner Freun­din oder Schwe­ster die Bit­te ab­schla­gen sol­len un­ter sol­chen Um­stän­den, da sie ver­hin­dert war. Und wo an­ders hät­te ich mich hin­be­ge­ben sol­len als in die Klein­tierarztpraxis un­se­rer ge­mein­sa­men Freun­din Bri­git­te. Als ich dort an­kam, war das War­te­zim­mer men­schen­leer und über­sät von mehr oder we­ni­ger ka­put­tem Kinderspiel­zeug und Pa­pier­schnip­seln und be­druck­ten, aus Kin­der­bü­chern ge­ris­se­nen Sei­ten: ei­ne ge­stran­de­te und ver­las­se­ne Ar­che No­ah, al­le Tie­re und Kin­der längst aus­ge­schifft. Die Gu­ten hat­ten sich mit ein we­nig Glück ei­ne neue Welt zu­recht­ge­macht, aber oh­ne sie, oh­ne mei­ne Toch­ter, mein Ein und Al­les, mein Ta­lent: trau­ri­ge Welt! Nein, hier konn­te ich das Hünd­chen nicht hei­len las­sen, und in die­sem Au­gen­blick war mei­ne Toch­ter viel­leicht zum er­sten Mal, oh­ne daß ich es merk­te, ver­schwun­den, da­bei hat­te ich nicht ein­mal mei­nen Auf­trag er­fül­len kön­nen

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Die Be­le­bung der Re­li­qui­en

(An­läss­lich der Aus­stel­lung der Zeich­nun­gen von Pe­ter Hand­ke in der Ga­le­rie Frie­se in Ber­lin)1

        Vor 35 Jah­ren ha­be ich im Nach­wort für mei­ne Über­set­zung des Bu­ches Wunsch­lo­ses Un­glück den Schrift­stel­ler Pe­ter Hand­ke als ei­nen »to­ta­len Au­tor« be­schrie­ben, der sich in vie­len Kunst­ar­ten er­probt hat – in der Li­te­ra­tur, im Thea­ter, in der Ki­ne­ma­to­gra­phie; da­mals war nicht be­kannt, dass Pe­ter Hand­ke auch zeich­net. Die ge­gen­wär­ti­ge Ausstel­lung der Zeich­nun­gen des Schrift­stel­lers Pe­ter Hand­ke in der Ga­le­rie Frie­se in Ber­lin bringt das zu­ta­ge. Die Aus­stel­lung sei »fun­da­men­tal«, war die Ein­schät­zung vie­ler Me­di­en im deutsch­spra­chi­gen Raum. Gleich, wenn man die un­ge­wöhn­li­chen Bil­der des Künst­lers an­schaut, der als episch-ly­ri­scher Er­zäh­ler, Dra­ma­ti­ker und Fil­me­ma­cher be­kannt ist, hat man ein über­wäl­ti­gen­des äs­the­ti­sches Er­leb­nis. In der Aus­ein­an­der­set­zung mit die­sen mi­nia­tur­haf­ten Zeich­nun­gen, die auf ein­fa­che Pa­pier­blät­ter des For­mats DIN A4 aufge­klebt und dann mit Steck­na­deln auf die wei­ßen Wän­den ge­steckt wur­den, be­we­gen uns die pla­stisch­sten Wahr­neh­mun­gen, er­schüt­ternd­sten Ge­füh­le und un­ter­schied­lich­sten Ge­dan­ken. Ich er­in­ner­te mich an ein Ge­spräch mit Pe­ter 1984, als ich mit ihm über das Ki­no spre­chen woll­te; er wich dem im­mer wie­der aus, ob­wohl er da­mals ei­ni­ge wich­ti­ge Fil­me ge­dreht hat­te; es war auch be­kannt, dass Pe­ter Hand­ke Wim Wen­ders ent­deckt und da­bei un­ter­stützt hat­te, zum Fil­me­ma­cher zu wer­den; (sie hat­ten ih­ren er­sten Film ge­mein­sam ge­dreht – »3 ame­ri­ka­ni­sche LPs«). Das Ge­spräch über Kinema­tographie ver­mei­dend, lenk­te Pe­ter die gan­ze Zeit mei­ne Auf­merk­sam­keit auf die Ma­le­rei – ins­be­son­de­re auf Paul Cé­zan­ne, der da­mals für Hand­kes Li­te­ra­tur sehr wich­tig war. Gleich nach dem Ge­spräch be­gann ich auch mei­ne Über­set­zung des Buchs Die Leh­re der Sain­te- Vic­toire. Lan­ge ha­be ich nicht ver­stan­den, war­um es zu die­sem »Ma­le­rei con­tra Film« kam.

Peter Handke: Regen am Zugfenster Friaul - © Klaus Gerrit Friese
Pe­ter Hand­ke: Re­gen am Zug­fen­ster Fri­aul – © Klaus Ger­rit Frie­se

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  1. bis 2. September 2017 

Dies­seits­welt­ent­frem­det

Im­mer wie­der sind es bei Hand­ke auch Frau­en, die zu Rei­sen in ein neu­es Zeit­al­ter auf­bre­chen und/oder in ei­ne neue Welt(erfahrung) auf­bre­chen. In den 1970er Jah­ren ist es die »links­hän­di­ge Frau«, die selbst­bewusst ih­re ehe­li­chen Ket­ten ab­streift. Die No­va aus »Über die Dör­fer« ist ei­ne Mi­schung aus Zukunfts­deuterin, Phi­lo­so­phin und Vi­sio­nä­rin. Schließ­lich die star­ken Frau­en­fi­gu­ren ...

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PV

12.30 Uhr, Pres­se­vor­füh­rung (»PV«) in Düs­sel­dorf von Wim Wen­ders’ Film »Die schö­nen Ta­ge von Aran­juez« nach dem Thea­ter­stück von Pe­ter Hand­ke. Ur­sprüng­lich soll­te der Film be­reits im No­vem­ber in die Ki­nos kom­men. Jetzt heisst es 27. Ja­nu­ar. Ein Vor­ab­link ist nicht mög­lich, da er im 3D »Natural-Depth«-Verfahren ge­dreht wur­de. Wie im­mer bin ich zu früh; ...

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Jörg Ma­ge­nau: Prin­ce­ton 66

Jörg Magenau: Princeton 66
Jörg Ma­ge­nau:
Prin­ce­ton 66

Wie­der so ein Jah­res­tag: Im April 2016 ist es 50 Jah­re her, dass die Grup­pe 47 in Prin­ce­ton zu­sam­men­traf. Die Ta­gung gilt ge­mein­hin als der An­fang vom En­de der Grup­pe, nicht zu­letzt durch Pe­ter Hand­kes State­ment von der »Be­schrei­bungs­im­po­tenz«, die er bei Au­toren wie Kri­tik glei­cher­ma­ßen kon­sta­tier­te. Ein Wut­aus­bruch mit wuch­ti­gen Vo­ka­beln, ein Auf­bäu­men ge­gen das sich ein­ge­rich­te­te Li­te­ra­tur­estab­lish­ment und de­ren Äs­the­tik. Aber was kann man grund­le­gend Neu­es von die­sem Tref­fen er­fah­ren? Ist nicht schon al­les ge­schrie­ben und ge­sagt?

Ja. Und Nein. Jörg Ma­ge­nau ge­lingt mit sei­nem Buch »Prin­ce­ton 66« das Kunst­stück, aus leid­lich be­kann­ten Quel­len ei­ne packen­de und kon­zi­se Zeit­rei­se zu kom­po­nie­ren, die so­wohl die Stim­mung der Ta­gung prä­zi­se re­kon­stru­iert, als auch hi­sto­ri­sche Ein­ord­nun­gen vor­nimmt. Da­bei geht er chro­no­lo­gisch vor, auch wenn es ge­le­gent­li­che zeit­ge­schicht­li­che Ein­schü­be gibt, die, wie sich zeigt, not­wen­dig sind.

Prak­tisch von der er­sten Sei­te an wird der Le­ser hin­ein­ge­saugt. Man spürt die Lust und die Akri­bie des Au­tors sich durch die Auf­zeich­nun­gen der ins­ge­samt 31 Le­sun­gen (nebst Dis­kus­sio­nen), die al­le­samt auf der Web­sei­te der Prin­ce­ton-Uni­ver­si­tät im Ori­gi­nal ge­spei­chert sind, durch­ge­hört zu ha­ben. So er­schei­nen ei­ni­ge die­ser 50 Jah­re al­ten Tex­te plötz­lich in er­staun­li­cher Fri­sche. Ma­ge­nau er­zählt bei­spiels­wei­se über das (eher stei­fe) Dra­ma von Wal­ter Jens, be­tont die Bri­sanz des ero­tisch-def­ti­gen Grass-Ge­dichts und be­gei­stert sich für die Mi­li­tär-Sa­ti­re »Fein­de« von Rein­hard Lettau, die die ge­sam­te Struk­tur des mi­li­tä­ri­schen Den­kens für im­mer ad ab­sur­dum füh­re. Man scheint förm­lich die Er­zäh­lung des grund­sym­pa­thi­schen Pe­ter Bich­sel, das müh­sa­me Le­sen von Hel­ga M. No­vak oder Hand­kes Haupt­satz­an­ein­an­der­rei­hung zu hö­ren. Ähn­li­ches mit den Re­ak­tio­nen der Kri­tik: Der gut ge­öl­te Joa­chim Kai­ser; Wal­ter Jens, dem Wort­zer­tei­ler aus Tü­bin­gen, der nach sei­nem Vor­trag ganz schnell wie­der die Rol­le des Kri­ti­kers über­nahm. Hans May­ers ge­schlif­fe­ne For­mu­lie­run­gen. Dann Mar­cel Reich-Ra­nicki, ein Grob­motoriker des Ur­tei­lens, stets für Hei­ter­keit und gu­te Lau­ne sor­gend, nicht zu­letzt weil er al­len Red­nern recht gab, um al­len zu wi­der­spre­chen. Und der jun­ge Hell­muth Ka­ra­sek, der sich Mü­he gab, im­mer ein we­nig klü­ger zu wir­ken als er war – wo­ge­gen nichts zu sa­gen wä­re, denn das trifft ja auf al­le zu, bei ihm merk­te man es aber.

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