Mi­cha­el Rol­off

Michael Roloff

Mi­cha­el Rol­off

Ich ha­be Mi­cha­el Rol­off nie per­sön­lich ken­nen­ge­lernt. Er leb­te in Se­at­tle, ich in Düs­sel­dorf. Zum er­sten Mal wur­de ich 2006 im Rah­men der Dis­kus­sio­nen um den Hei­ne-Preis an Pe­ter Hand­ke auf ihn auf­merk­sam. Er nutz­te aus­gie­big die On­line-Kom­men­tar­spal­ten von Me­di­en, um Hand­ke ge­gen die An­grif­fe aus den Feuil­le­tons zu ver­tei­di­gen. Ge­nau­er ge­sagt: Er ver­tei­dig­te Hand­kes Li­te­ra­tur.

1937 ge­bo­ren, emi­grier­te er in den 1950er-Jah­ren von Deutsch­land in die USA. Er über­setz­te u.a. Theo­dor W. Ador­no, Her­mann Hes­se, Ed­gar Hil­sen­rath, Wal­ter Kem­pow­ski und bis die 1980er Jah­re auch Pe­ter Hand­ke ins Eng­li­sche. Im Brief­wech­sel zwi­schen Hand­ke und Al­fred Kol­le­rit­sch taucht Rol­off als skur­ri­ler Dan­dy mit »wild­le­der­nem Hut« und Fa­sa­nen­fe­der auf. Ir­gend­wann kam es zum Bruch mit Suhr­kamp und auch mit Hand­ke. Es ging, wie Hand­ke mir ein­mal in Cha­ville sag­te, um Geld.

Ir­gend­wie kam ich dann in Kon­takt mit ihm. Wer ein­mal in sei­nem Adress­buch war, ent­kam nicht mehr und er­hielt zu­ver­läs­sig (auch als Ver­stor­be­ner!) noch Mails. Auch ich be­kam nun täg­lich zum Teil ein Dut­zend Mails. Ne­ben Aus­zü­gen aus Re­zen­sio­nen über li­te­ra­ri­sche Bü­cher und Hin­wei­se auf sei­ne ei­ge­nen Pu­bli­ka­tio­nen im Netz wa­ren es Links, Hin­wei­se und Kom­men­ta­re zur ame­ri­ka­ni­schen Po­li­tik. Rol­off war po­li­tisch links­ra­di­kal. Er liess kein gu­tes Haar an der ame­ri­ka­ni­schen Po­li­tik, mach­te kei­nen Un­ter­schied zwi­schen Clin­ton, Bush, Oba­ma (den er früh ver­ächt­lich »Oba­mi« nann­te) und Trump. Sei­ne pu­bli­zi­sti­schen Hel­den wa­ren die Au­toren von WSWS und Noam Chom­sky.

In­ter­es­sant wa­ren für mich vor al­lem sei­ne Hin­wei­se und Deu­tun­gen in Be­zug auf Hand­ke und sein Werk. Ne­ben An­ek­do­ti­schem be­schäf­tig­te er sich aus­gie­big mit der Be­hand­lung Hand­kes durch das deutsch­spra­chi­ge Feuil­le­ton. Mit den Jah­ren sponn Rol­off ein schier un­ent­wirr­ba­res Netz von Web­sei­ten, die sich aus­gie­big und de­tail­ver­ses­sen mit Hand­ke und des­sen Werk be­schäf­tig­ten. Da­bei be­dien­te er sich an al­lem, was er fand. Nicht nur mei­ne Tex­te stell­te er zum Teil mit­tels »co­py & pa­ste« oh­ne Rück­fra­gen ins Netz. Da­zu gab es zu­wei­len def­tig-der­be Kom­men­ta­re, wenn Aus­sa­gen nicht sei­nem Gu­sto ent­spra­chen.

Rol­off un­ter­schied wie kaum je­mand zwi­schen Per­son und Li­te­ra­tur. Er lieb­te Hand­kes Li­te­ra­tur, ana­ly­sier­te sie in in­zwi­schen holp­ri­gem Deutsch (oder ein­fach di­rekt Eng­lisch) mit zum Teil in­ter­es­san­ten Vol­ten, die je­doch all­zu oft hin­ter der Ve­he­menz sei­ner psy­cho­ana­ly­tisch grun­dier­ten Schimpf­ti­ra­den ge­gen die Per­son Hand­ke ver­schwan­den. Zum Teil muss­te man sei­ne Kom­men­ta­re ent­fer­nen, weil sie straf­be­wehr­te Aus­sa­gen ent­hiel­ten. Als die Er­re­gun­gen zu Hand­kes Ju­go­sla­wi­en-En­ga­ge­ment in die USA über­schwapp­ten, ver­tei­dig­te er wie­der hef­tig die Li­te­ra­tur. Es war ei­ne Hass­lie­be. (Und wie stolz war er auf Hand­kes Lob zu sei­ner Über­set­zung von »Über die Dör­fer«.)

Ich schick­te ihm im Som­mer 2006 ei­ni­ge Fra­gen zum Mail-In­ter­view. Sei­ne Ant­wor­ten wa­ren manch­mal episch, er kor­ri­gier­te sie zum Teil, es dau­er­te lan­ge bis zur Frei­ga­be. Ich hat­te die drei Tei­le die­ses »In­ter­views« lan­ge auf »pri­vat« ge­schal­tet. Jetzt ha­be ich es wie­der pu­bli­ziert – un­ver­än­dert. Es zeigt sehr gut Rol­offs Re­zep­ti­on.

Mi­cha­el Rol­off war – so­weit man dies be­ur­tei­len kann – ein schwie­ri­ger Mensch. Ei­ne Ein­he­gung sei­nes We­sens war zeit­wei­se un­mög­lich. Auch ich be­kam dies zu spü­ren. Ich ver­such­te an­fangs sei­ne Auf­zeich­nun­gen mit dem pro­vo­ka­ti­ven Ti­tel »Dem Hand­ke auf die Schli­che« et­was zu ent­schär­fen oh­ne den Duk­tus zu zer­stö­ren. So­fort war ich sein »Ecker­mann«. Aber eben auch sei­nen Les­ar­ten un­ter­wor­fen. Zu wei­te­ren Pro­jek­ten kam es dann nicht mehr, weil ei­ne sy­ste­ma­ti­sche Ar­beit mit ihm (bzw. zwi­schen uns) fast un­mög­lich war. Sein Kopf quoll über, sei­ne Ge­dan­ken wa­ren sprung­haft. So gab es hin­ter ei­ner gran­dio­sen Deu­tungs­ma­schi­ne zum »Bild­ver­lust« eben auch üb­le In­vek­ti­ven – ge­gen je­den, der sei­nen The­sen nicht folg­te. Be­son­ders deut­lich wur­de dies bei der Hand­ke-Bio­gra­phie von Mal­te Her­wig. Gänz­lich hat­te ich ver­spielt, als ich die­ses Buch zu gro­ßen Tei­len lob­te.

Mails be­kam ich zu­wei­len im­mer noch. Auch Kom­men­ta­re auf dem Blog, die ich manch­mal mo­de­rie­ren muss­te, weil er un­ter meh­re­ren Iden­ti­tä­ten schrieb. Sein letz­ter Kom­men­tar hier war im Ja­nu­ar zu ei­nem Buch über Hand­kes Prin­ce­ton-Auf­tritt, den er live mit­er­lebt hat­te. Sei­ne Neu­gier, Lek­tür­elust und Ver­tei­di­gungs­be­reit­schaft zu Hand­kes Li­te­ra­tur war un­ver­än­dert. Mor­gens sei er im­mer mit sei­nem Lap­top am WLAN von Star­bucks, so er­zähl­te man es mir vor ei­ni­gen Jah­ren.

Die Mails der letz­ten Ta­ge konn­te ich nicht recht deu­ten. Heu­te er­fah­re ich, dass Mi­cha­el Rol­off ge­stor­ben ist. Er war ein Le­ser.

7 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Gut ge­sagt, Lo­thar. Iro­nisch, dass Du, den er so hetz­te, wahr­schein­lich das Aus­fuer­lich­ste ueber ihn schreibt.

  2. For ten – or has it be­en fif­teen – ye­ars I have had an al­most dai­ly email con­ver­sa­ti­on wi­th Mi­cha­el, sti­mu­la­ted in the be­gin­ning by our in­te­rest in the work of Pe­ter Hand­ke. Mi­cha­el was the gifted ear­ly trans­la­tor of Peter’s plays and poet­ry and the no­vel The Goalie’s An­xie­ty at the Pe­nal­ty Kick and I have trans­la­ted so­me of his la­ter work. Alt­hough Mi­cha­el and Pe­ter had an acri­mo­nious fal­ling out over mo­ney and over a wo­man, Mi­cha­el wor­shi­p­ed the work its­elf. He and I read and com­men­ted on the no­vel The Gre­at Fall so­on af­ter it was pu­blished in Ger­man and over the cour­se of se­ve­ral weeks po­sted our thoughts he­re: http://goaliesanxiety.blogspot.com/2011/07/peter-handkes-great-fall-walking.html

    We tried this kind of con­ver­sa­ti­on again while re­a­ding Peter’s The Mo­ra­vi­an Night, alt­hough the exer­cise tur­ned sour when Mi­cha­el in­si­sted on re­a­ding the no­vel from a psy­cho­ana­ly­tic and per­so­nal per­spec­ti­ve and I kept in­si­sting that we ought to read the book as a work of li­te­ra­tu­re and not as a win­dow in­to Peter’s soul. Mi­cha­el hel­ped me wi­th a few de­tails as I trans­la­ted Peter’s To Du­ra­ti­on and I hel­ped him wi­th his trans­la­ti­on of The Beau­tiful Days of Aran­juez.

    Mi­cha­el had a wealth of ex­pe­ri­ence and wro­te about it in­ces­s­ant­ly, un­fort­u­n­a­te­ly wi­t­hout much of an au­di­ence. I be­ca­me, for him, a rea­der who would re­spond to his bril­li­ant, if so­me­ti­mes un­even, work.

    When Elai­ne Kauf­mann di­ed and her New York bar and re­stau­rant clo­sed, Mi­cha­el wro­te ex­ten­si­ve­ly about his me­mo­ries of the place and its peo­p­le.

    When the­re we­re wild­fi­res, he wro­te about his st­int as a fire­figh­ter in Alas­ka (in­clu­ding a spi­cy en­coun­ter wi­th Kim No­vak in Fair­banks).

    His ad­ven­tures wi­th Eu­ro­pean aut­hors, cou­pled wi­th the pro­duc­ti­ve pu­bli­shing ven­ture wi­th Uri­zen Books, ap­peared in mul­ti­ple ver­si­ons.

    He re­tur­ned of­ten to his ear­ly ye­ars in Ame­ri­ca as a high-school stu­dent and Ha­ver­ford stu­dent.

    He re­vi­si­ted his ear­ly days in nor­t­hern Ger­ma­ny, a child­hood wi­th pro­mi­nent par­ents and grand­par­ents in the midst of a de­va­sta­ting war.

    So­me­ti­mes his mind tur­ned to his Ba­ja ad­ven­tures and he wro­te pas­sio­na­te­ly about that place and the peo­p­le he knew the­re.

    The­re was a voya­ge by ship to and from In­dia.

    Ca­li­for­nia me­mo­ries.

    Do­zens of ex­pli­cit ero­tic en­coun­ters found their way from his com­pu­ter to mi­ne.

    I’ll miss that can­tan­ke­rous man and will, at so­me point wri­te about him and per­haps find a place for so­me of his work.

    Fi­nal­ly:

    Mi­cha­el had a host of con­nec­tions th­rough email, but se­ve­ral fri­ends in Se­at­tle ought to sin­gled out he­re.

    Lin­da Chal­ker-Scott, a fi­ne scho­lar and wri­ter about gar­dening, ca­me to Michael’s res­cue se­ve­ral times when his lap­top was sto­len and was deep­ly im­portant for him per­so­nal­ly.

    Ab­dul­lah Jaa­far, whom Mi­cha­el knew th­rough a Fe­dEx of­fice whe­re Mi­cha­el work­ed dai­ly be­cau­se of the free Wi­Fi, kind­ly sent me, last week, a back­pack Mi­cha­el had stored the­re wi­th so­me note­books and six or eight ma­nu­scripts Mi­cha­el wan­ted pre­ser­ved.

    Kayo­de K. Ojo was a ge­ne­rous fri­end who is sen­ding me Michael’s lap­top and who was of­ten wi­th Mi­cha­el du­ring his last days.

    A Se­at­tle ar­tist, John Pat­ter­son, drew Mi­cha­el at a Tully’s cof­fee shop in Se­at­tle.

  3. Der obi­ge Kom­men­tar in Eng­lisch von Scott ist mit sei­ner freund­li­chen Ge­neh­mi­gung aus ei­ner Mail. Am 29.4. schick­te Mi­cha­el an mehr als 100 Leu­te noch ei­ne Art Ab­schieds­mail. Nach der Be­kannt­ga­be sei­nes To­des wird die­se Mail als ei­ne Art vir­tu­el­les Kon­do­lenz­buch ver­wen­det. Vie­le Freun­de und Be­kann­te hin­ter­las­sen ih­re Ein­drücke und An­ek­do­ten. Das ist ziem­lich be­we­gend.

  4. Mir ist Mi­cha­el Rol­off als En­zens­ber­ger-Über­set­zer auf­ge­fal­len. Er hat hier auf Be­gleit­schrei­ben et­li­che links zur En­zens­ber­ger-Re­zep­ti­on in den USA ein­ge­stellt. Das war sehr in­ter­es­sant, wenn auch nicht sehr er­he­bend.
    Frie­de sei­nem An­ge­den­ken.

    Oh – Al­les neu / Macht der Mai! Schön. Schrift schön klar und groß – ganz gut.

  5. Mein Bei­leid...
    Ich wuss­te nicht, dass Herr Rol­off ge­stor­ben war...
    Sei­ne Home­page mit vol­len Hand­ke-Ar­ti­keln schätz­te ich sehr...