Jörg Döring sieht in Peter Handkes Princeton-Rede 1966 das Ende der Nachkriegsliteratur
Der Eklat ist nun schon fast 53 Jahre her und es scheint alles darüber gesagt. Aber Jörg Döring, Professor für Neuere deutsche Philologie, Medien- und Kulturwissenschaft an der Universität in Siegen, hat sich dennoch neu mit dem Vorfall von Princeton aus dem Jahr 1966 beschäftigt, in dem ein gewisser Peter Handke, der gerade seinen Erstling »Die Hornissen« veröffentlicht hatte, die gesamte deutsch(sprachige) Nachkriegsliteratur und deren Protagonisten als »läppisch« abkanzelte.
»Peter Handke beschimpft die Gruppe 47« lautet der Titel des Buches. Eine Anspielung auf die wenige Wochen nach dem Eklat stattgefundene Uraufführung von Handkes Theaterstück »Publikumsbeschimpfung«. Diese beiden, unmittelbar aufeinander folgenden Ereignisse, begründeten Handkes Ruhm in der deutschsprachigen Literaturszene.
Princeton war das vorletzte reguläre Treffen der Gruppe 47 (die »Gruppe« zerfiel nach der Zusammenkunft 1967; später fanden nur noch einige nostalgisch angehauchte, klassentreffenhafte Begegnungen statt), was damals noch niemand ahnen konnte. Zu Beginn weist Döring auf die ungeschriebenen Gesetze der Gruppe, den Absolutheitsanspruch eines Hans Werner Richter und das inzwischen weit verbreitete gewordene Urteil über die eher schwachen literarischen Texte der Tagung hin. Dies geschieht mit einem leicht ironischen Unterton; Döring misstraut den Eindeutigkeiten der »Nachkriegsliteratur-Forschung«. Das schließt auch das von ihm zunächst als »herrlich« apostrophierte Buch »Princeton-Recordings« »ausgeschlachtet« habe, aber, so Döring, »implizit«. Leider ist die Fußnote, die diesen Einwand illustrieren soll, nahezu unverständlich. Aber was er meint, erschließt sich bei der weiteren Lektüre.
Der ganze Beitrag hier bei »Glanz und Elend«
Das sind vergangene Kämpfe. Ich habe Interesse daran wegen zwei Protagonisten insbesondere: Handke und Hermann Peter Piwitt. Von Piwitt habe ich alles gelesen, von Handke nicht, dennoch mehr von Handke als von Piwitt.
Aber mehr nachgedacht habe ich wohl über Dinge, die Piwitt geschrieben hat, trotz »Langsam im Schatten« usw.. Piwitts Augstein-Beziehung ist ein interessanter Fleck auf der Landkarte. Zwei Biertrinker. Im ganz gelungenen Roman Die Gärten im März kommt Piwitt darauf zu sprechen. Das Buch wurde wohl nicht zufällig von Stephan Reinhardt im Spiegel ausführlich gewürdigt. Irgendwer sollte Piwitt mal dazu befragen. Piwitt ist – anders als Handke, unterrezipiert.
An Kleist musste ich beim Lesen plötzlich denken: »Vielleicht, dass es auf diese Art zuletzt das Zucken einer Oberlippe war, oder ein zweideutiges Spiel an der Manschette, was den Umsturz der Dinge bewirkte.«
Bislang scheint jede Deutung von Princeton einzeln (die letzte mir bekannte die von Delius) in sich schlüssig. Wahrscheinlich könnte man noch mehr daraus machen. – Hat Handke eigentlich selber mal was dazu gesagt? (Obwohl das mittlerweile wohl ebenfalls als Auslegung gelten müsste.)
Frappant, wie der Vorwurf des literarischen Schlappschwänzlertums dann heute wieder bei Biller auftaucht – sollte es ausgerechnet da eine Linie geben? Spräche dann wohl doch eher für Selbstmarketing? Der genialisch-getriebene junge Mann, der nicht anders kann, als sein J’Accuse zu performen. Hat das mal wer untersucht?
(Immerhin: All diese alten Männer, die mal die »kulturellen Wörter besetzt« hielten ... sie fehlen nun wirklich nicht [mehr].)
(Im GuE Text steht noch der falsche Vorname Piwitts.)
Ob Piwitt generell unterrezipiert ist, vermag ich nicht zu sagen. Bei mir ist er es. Shame on me – perhaps...
Es gibt zahlreiche Texte zu Handkes Princeton-Auftritt. Die Meinungen schwanken sehr stark. Karl Wagner, ein exzellenter Kenner Handkes, hält die Rede für ein Mischwesen zwischen Performance und Stegreif. Er relativiert auch den Performance-Vorwurf, in dem er auf die damals üblichen Inszenierungen von Schriftstellern wie Jandl oder Ginsberg (letzterer in den USA) eingeht, die großen Konzerthallen erfolgten.
Handke selber hat später immer eine Absicht ausgeschlossen. Als im Gespräch mit Friedrich Luft aus dem Jahr 1969 auf den Auftritt darauf die Rede kommt, lächelt der damals 27-Jährige leicht spöttisch, um dann zu erklären, dass er zunächst eine Absicht zugegeben habe (ab 3:25 im Video).
Biller hatte ja während seiner Zugehörigkeit zum »Literarischen Quartett« das Magenau-Buch empfohlen und Handkes Rede wohl – wenn ich es richtig in Erinnerung habe – gelobt.
Achja, die Rede von den »alten Männern«. Als würde es durch »junge Frauen« oder »junge Männer« einen Deut besser!
As one of the few American witnesses of Handke’s famous May 1966 Gruppe 47 Prineceton critique this future Handke translator and specialist wishes to comment at some length.
First of all who was I to be invited to Princeton and what was I doing and what did I know. As a reader of contemporary German literature for various American publishers I had started to make up a lack of acquaintance with the culture of my childhood with which I sought to re-establish and maintain contact. In 1966 I was the U.S. scout for Suhrkamp Verlag, but never heard of Handke until Princeton. I had been the German literature scout for Seymour Lawrence at Atlantic Monthly Press& Alfred Knopf in 1964–5[also famously in East Berlin] and knew HM Enzensberer as of 1961 and had interviewed Uwe Johnson, Peter Weiss & Guenter Grass, and had read quite a few of the younger writers’s works in galleys at their German publishers, and spent much time at aunt Ursula von Krosigk’s bookshop on the Kudamm in Berlin making rather disorganized acquaintance with the wealth of material on offer, but if you had asked me to provide a general opinion of post WW II German literature I would have only been able to offer opinion of individual writers and not really used the WW II caesura as as reference point. Via acquaintance with Fritz Raddatz and my favorite German publisher Ledig Rowohlt I had made acquiescent with the Austrian avant garde that Rowohlt published. I even once signed a contract for Ossie Wiener’s famous VERBESSERUNG on a napkin at Harry’s Bar in Frankfurt, the kind of contract that if you changed your mind you would dip the napkin in a whisky soda for it to dissolve, as we then did a year later. And it was next to Hamburg acquaintance Erich Kuby that I happened to be sitting when Handke let loose his tirade and Kuby told me the name of the fellow in the beatles’s hair cut a few rows over.
Handke’s generalized attack did not strike someone who had participated in American creative writing classes, at Bryn Mawr/Haverford and Stanford University as all that momentous, I had heard for more aggressive and vicious & anticipated someone to ask the fellow to be more specific, which Handke might have of course have been when Richter [to whom Johnson had introduced me for us to remain mutually unimpressed in Berlin] cited the rules that generalized attacks were out of order, whereupon Handke, robotically, launched into a repeat of his initial charge. – It would never occurred to me at that moment that something on the order of a world historical event had transpired, or that the major critics had become a problem,
which shows to what extent I was entirely ignorant of the Gruppe’s group dynamic or its history, but that it was founded in 1947 at the inception of the Cold War to assure against the repeat of Nazi like censure ship, and under the aegis of the experience that German U.S. prisoners of war had made with the day to day workings of American democracy something that persists on that level no matter that nationally the U.S. is a n imperialist duopoly ruling under the dictatorship of Kapital. However, I knew the work of quite a few younger writers who indeed, including Piwit, and Handke’s own HAUSIERER text, were anything but potent descriptively. As a matter of fact, this great admirer of DER HAUSIERER finds that it was a huge mistake to read out from a phenomenological demanding text of that kind, an imaginative way to play with anxiety and dread while demonstrating what it consists of in literature – the sort of thing you couldn’t possibly write, seek disabuse yourself of in typical defensive obsessive literary fashion if you had not had a terror-filled childhood. Enzensberger’s verdict „oede” [desolate] exactly in one word describes the over-all texts read, and none of the famous great one’s read as I recall; not the sort of thing you want to show the first time you show abroad – at Princeton due to powerful Professoor Lange’s invitation. A day or so afterwards at a party that Pannah Grady, Jakov Lind [SOUL OF WOOD] and I gave for the Gruppe at Pannah’s splendid Dakota apartment, [the same complex where John Lennon would be gunned down in 1980], I sought to inquire whom Handke, who had described himself to friend Ted Ziolkovwky at Princeton, as „the new Kafka,” had had in mind, ‑however we were famously interrupted by Alan Ginsberg trying to get me to translate for Handke that Alan wanted to fuck him; and though I met Handke quite a few times subsequently i never thought of asking him again and continue to be amazed that his 1966 statement is more long-lived than as many of his works ought to be.
Hier ein aktuelles Feature von Helmut Böttiger über Handke und dessen Bedeutung für die 68er Bewegung. Er beginnt mit der Handkes Princeton-Beschimpfung, schwadroniert vom »einsamen« Studenten Handke in Graz, der nach seiner »Hausierer«-Lesung »bestimmt schlecht geschlafen« habe und zitiert Delius’ These von der vorbereiteten Rede. Er spricht von »Andy-Warhol-Ästhetik« und wiederholt seine unsinnige These, Handke sei einer der Begründer der Popliteratur gewesen (auch der »Tormann« hat wirklich nichts damit zu tun).
Richtig ist dann, dass bei Handke der politische Impetus der 68er nie eine Rolle gespielt hat. Er konnte mit deren ideologische Ausrichtung und, als Beispiel, auch mit deren Antiamerikanismus nichts anfangen (er war eher fasziniert von den Staaten). Sein Stück »Publikumsbeschimpfung« als Beginn der Popliteratur zu feiern, ist nicht mehr als eine brüchige These.