Staat und Re­li­gi­on

Den Her­aus­for­de­run­gen die »der Is­lam« in Form un­ter­schied­li­cher Grup­pie­run­gen und Rich­tun­gen für die eu­ro­päi­schen Ge­sell­schaf­ten dar­stellt, wird u.a. mit spe­zi­el­len Ge­set­zen (Ver­schleie­rungs­ver­bo­te, No­vel­lie­rung des öster­rei­chi­schen Is­lam­ge­set­zes) zu be­geg­nen ver­sucht. Zeit­gleich tre­ten durch die Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on, die sich is­la­mi­scher Staat nennt, ver­schüt­te­te oder un­zu­rei­chend be­ant­wor­te­te Fra­gen wie­der deut­lich her­vor: Je­ne nach der Tren­nung von Is­lam und Is­la­mis­mus, dem Ver­hält­nis zur und der Recht­fer­ti­gung von Ge­walt oder die Po­li­ti­sie­rung von Re­li­gi­on: Das Ver­hält­nis der mus­li­mi­schen Gemein­schaften zu den eu­ro­päi­schen Ge­sell­schaf­ten scheint un­ter Zeit­druck for­mu­liert wer­den zu müs­sen, ob­wohl die ent­spre­chen­den Dis­kus­sio­nen min­de­stens 15 Jah­re alt sind. Den bis­he­ri­gen Be­mü­hun­gen bei­der Sei­ten steht die Flucht zahl­rei­cher jun­ger Men­schen in die Ar­me die­ser Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on, ge­gen­über: Die eu­ro­päi­schen Ge­sell­schaf­ten schei­nen über we­nig Bin­dungs­kraft zu ver­fü­gen und das Le­ben in Eu­ro­pa für ei­nen Teil der Mus­li­me we­nig er­fül­lend zu sein.

Die­ser Es­say ist auch ei­ne Re­plik auf zwei Tex­te von Ni­ko Alm1; er spürt dem Ver­hält­nis von Staat und Re­li­gi­on nach und ver­sucht ei­ne ar­gu­men­ta­tiv-prag­ma­ti­sche Ant­wort, oh­ne zu­erst ein be­stehen­des Kon­zept her­an­zu­zie­hen: So soll ver­sucht wer­den, der gegen­wärtigen Si­tua­ti­on, mit mög­lichst we­nig Vor­ein­ge­nom­men­heit, Rech­nung zu tra­gen. Dies soll in den Kon­text der bis­he­ri­gen Pra­xis in Öster­reich ge­stellt und das Is­lam­ge­setz, des­sen Be­gut­ach­tungs­frist so­eben en­de­te, in prin­zi­pi­el­ler Hin­sicht dis­ku­tiert wer­den. — Da­vor wird der Be­griff Re­li­gi­on, sein Ver­hält­nis zur Po­li­tik, den Men­schen im All­ge­mei­nen und den west­li­chen Ge­sell­schaf­ten im Be­son­de­ren um­ris­sen. — Wenn von »dem Is­lam« oder »dem Chri­sten­tum« (und an­de­ren Re­li­gio­nen) ge­spro­chen wird, dann ist da­mit kei­ne ho­mo­ge­ne Tra­di­ti­on ge­meint, son­dern zahl­rei­che, die die ei­ne oder an­de­re Cha­rak­te­ri­stik tei­len. — Die fol­gen­den Be­trach­tun­gen sind an et­li­chen Stel­len auf die gro­ßen mo­no­the­isti­schen Re­li­gio­nen hin ver­engt.

Wei­ter­le­sen ...


  1. Die Texte: Das Islamgesetz, der Entwurf zum Islamgesetz und diese Diskussion auf Twitter.  

Der Is­la­mi­sche Staat: I. Ei­ne un­be­ant­wor­te­te Fra­ge.

In die­sem und den fol­gen­den Tex­ten sol­len ei­ni­ge Ge­dan­ken und As­so­zia­tio­nen die mit dem aus­ge­ru­fe­nen Ka­li­fat (dem Is­la­mi­schen Staat) im wei­te­sten Sinn in Zu­sam­men­hang ste­hen, for­mu­liert wer­den, mehr als The­sen und Aus­gangs­punk­te all­fäl­li­ger Dis­kus­sio­nen, denn als ab­ge­schlos­se­ne Über­le­gun­gen.

Wei­ter­le­sen ...

Is­lam-Fun­da­men­ta­lis­mus, Re-Is­la­mi­sie­rung und »Is­la­mis­mus«

Es­say zur Ge­schich­te is­la­mi­scher Re­form­be­we­gun­gen

1. Is­la­mi­sche Re­form­be­we­gun­gen

Is­lam-Fun­da­men­ta­lis­mus, Re-Is­la­mi­sie­rung und »Is­la­mis­mus« sind Schlag­wor­te für is­la­mi­sche Re­form­be­we­gun­gen. »Re­form« meint in den Of­fen­ba­rungs­re­li­gio­nen (Par­sis­mus, Ju­den­tum, Chri­sten­tum, Is­lam) die Rück­kehr zur »Rein­form« der re­li­giö­sen Leh­re auf Grund­la­ge der ge­of­fen­bar­ten Tex­te. Es han­delt sich al­so stets um ei­ne »Schrift­fröm­mig­keit«, wie auch im re­for­ma­to­ri­schen Chri­sten­tum die Rück­kehr zur Schrift als »Bi­bel­treue« ver­stan­den wird.

Im Ge­gen­satz zum Chri­sten­tum kennt der Is­lam kei­ne gro­ße Re­form­be­we­gung wie die lu­the­ri­sche, cal­vi­ni­sti­sche oder zwing­lia­ni­sche Re­for­ma­ti­on. Da­ge­gen gibt es von al­ters her klei­ne­re Strö­mun­gen und »Sek­ten« (im Sin­ne von is­la­mi­schen Schu­len), die zu­rück wol­len zu ei­nem »rei­nen Is­lam« als Ge­gen­bild des of­fi­zi­el­len, des »Ka­li­fat-Is­lams«, der als »ver­derbt« ab­ge­lehnt wird. Kenn­zeich­nend für die­se Sek­tie­rer ist die Ver­mi­schung von Re­li­gi­on und re­li­giö­ser Kul­tur mit po­li­ti­schen Zie­len (was sie wie­der­um von der ursprüng­lichen christ­li­chen Re­for­ma­ti­on un­ter­schei­det): is­la­mi­sche Re­form­be­we­gun­gen mün­den von je­her in po­li­ti­schen Ak­ti­vis­mus.

An­stel­le des Be­griffs Re­form­be­we­gung spricht die west­li­che Welt – al­ler­dings in zu­neh­mend ideo­lo­gi­sie­ren­der Wei­se – von »Is­la­mis­mus« oder ei­ner »Funda­mental­bewegung«, u.a. um po­si­ti­ve Kon­no­ta­tio­nen, die im We­sten mit dem Wort »Re­form« ver­bun­den sind, gar nicht erst auf­kom­men zu las­sen.

Wei­ter­le­sen ...

Der Mes­si­as der Mit­tel­schicht

Ge­dan­ken zu Thi­lo Sar­ra­zins Buch »Deutsch­land schafft sich ab« und die Dis­kus­si­on hier­über

Thilo Sarrazin: Deutschland schafft sich ab
Thi­lo Sar­ra­zin:
Deutsch­land schafft sich ab

I. Pro­log

Auf dem Hö­he­punkt der Wirt­schafts­kri­se, als der Steu­er­zah­ler (und nur der!) von der po­li­ti­schen Klas­se, die den Staat re­prä­sen­tiert, zum Bür­gen für des­sen selbst­ge­mach­te und selbst­ge­dul­de­te Feh­ler her­an­ge­zo­gen wur­de, ent­warf der Phi­lo­soph Pe­ter Slo­ter­di­jk in ei­nem sehr kon­tro­vers dis­ku­tier­ten Ar­ti­kel ei­ne Ge­gen­welt: »Die ein­zi­ge Macht, die der Plün­de­rung der Zu­kunft Wi­der­stand lei­sten könn­te, hät­te ei­ne so­zi­al­psy­cho­lo­gi­sche Neu­erfin­dung der ‘Ge­sell­schaft’ zur Vor­aus­set­zung. Sie wä­re nicht we­ni­ger als ei­ne Re­vo­lu­ti­on der ge­ben­den Hand.« Ei­ne Ge­sell­schaft, in der fast aus­schließ­lich der flucht­un­fä­hi­ge Ein­kom­men­steu­er­zah­ler den Staat und da­mit des­sen Aus­ga­ben er­wirt­schaf­tet, wäh­rend die Ka­ste der Ex­trem­ver­die­ner sich mit Hil­fe der Po­li­tik längst aus der so­li­da­ri­schen Ver­ant­wor­tung ent­fernt hat und die Un­ter­schicht zu Trans­fer­emp­fän­gern ent­mün­digt wer­den, be­schreibt Slo­ter­di­jk mit dra­sti­schen Wor­ten: »So ist aus der selbsti­schen und di­rek­ten Aus­beu­tung feu­da­ler Zei­ten in der Mo­der­ne ei­ne bei­na­he selbst­lo­se, recht­lich ge­zü­gel­te Staats-Klep­to­kra­tie ge­wor­den. Ein mo­der­ner Fi­nanz­mi­ni­ster ist ein Ro­bin Hood, der den Eid auf die Ver­fas­sung ge­lei­stet hat. Das Neh­men mit gu­tem Ge­wis­sen, das die öf­fent­li­che Hand be­zeich­net, recht­fer­tigt sich, ide­al­ty­pisch wie prag­ma­tisch, durch sei­ne un­ver­kenn­ba­re Nütz­lich­keit für den so­zia­len Frie­den – um von den üb­ri­gen Lei­stun­gen des neh­mend-ge­ben­den Staats nicht zu re­den.«

Wei­ter­le­sen ...

Ta­riq Ra­ma­dan: Mu­ham­mad

Tariq Ramadan: Muhammad
Ta­riq Ra­ma­dan: Mu­ham­mad

‘O ihr, die den Glau­ben ab­lehnt, [de­ren Her­zen ver­schlei­ert sind!] Ich ver­eh­re nicht, was ihr ver­ehrt, noch ver­ehrt ihr, was ich ver­eh­re! Ich bin kein Ver­eh­rer des­sen was ihr ver­ehrt, noch seid ihr Ver­eh­rer des­sen, was ich ver­eh­re. Euch eu­re Re­li­gi­on, und mir mei­ne Re­li­gi­on.’

Als ich das er­ste Mal da­von hör­te, dass Pier Pao­lo Pa­so­li­ni ei­nen Film über das Mat­thä­us­evan­ge­li­um ge­macht hat­te, dach­te ich, dass die­ser Film wohl ein Rie­sen­skan­dal ge­we­sen sein muss. Schließ­lich war Pa­so­li­ni Kom­mu­nist, Non­kon­for­mist und vor al­lem: Athe­ist. Von sei­ner Ho­mo­se­xua­li­tät, die in vie­len eu­ro­päi­schen Län­dern da­mals noch ganz of­fi­zi­ell als Ver­bre­chen galt und noch heu­te von der ka­tho­li­schen Kir­che ver­teu­felt wird, ganz zu schwei­gen. Aber als ich dann zum er­sten Mal den Film sah, war ich über­rascht. Und ver­zau­bert.

Der Film ist von 1964. Ge­dreht mit Lai­en­schau­spie­lern und in schwarz-weiß. Nichts wur­de hier hin­zu­ge­fügt; es ging tat­säch­lich um »Werk­treue«. Sug­ge­sti­ve Bild­spra­che und Mu­sik er­zeug­ten ei­ne Stim­mung, die ei­nem plötz­lich die Chan­ce bot, all dies für wahr zu hal­ten. So auch das na­tur­ge­mäß schwer zu glau­ben­de En­de. Der in­tel­lek­tu­ell-kor­rek­te Aus­weg ei­ner nur me­ta­pho­risch zu ver­ste­hen­den Auf­er­ste­hung war plötz­lich ei­ne all­zu ba­na­le Aus­re­de, der den Zau­ber die­ses Films, die­ser Si­tua­ti­on, die­ser Kon­stel­la­ti­on mut­wil­lig zer­stört hät­te. Und so re­du­zier­te Pa­so­li­ni Je­sus von Na­za­reth nicht auf die Rol­le ei­nes So­zi­al­re­vo­lu­tio­närs (die­se Sicht gab es frei­lich auch), son­dern zeig­te des­sen Spi­ri­tua­li­tät als Ge­wiss­heit. Das brach­te ihm ei­ni­ges Un­ver­ständ­nis ein, weil sich vie­le von Pa­so­li­ni ei­ne »ra­di­ka­le­re« Sicht­wei­se wünsch­ten. Aber ra­di­ka­ler konn­te es gar nicht sein, es war nur nicht die »er­war­te­te« Ra­di­ka­li­tät (sprich: Geg­ner­schaft). Die Gret­chen­fra­ge lau­te­te: War Pa­so­li­ni wirk­lich ein Athe­ist? Die äs­the­ti­sche Ant­wort wä­re: Was spielt das für ei­ne Rol­le?

Wei­ter­le­sen ...

Ein glo­ba­les To­le­do

Un­ter dem Ein­druck des da­mals hef­tig to­ben­den »Ka­ri­ka­tu­ren-Streits« schrieb Bo­tho Strauß Mit­te Fe­bru­ar 2006 ei­nen auch heu­te noch höchst in­ter­es­san­ten, ei­gent­lich er­staun­lich we­nig dis­ku­tier­ten, kur­zen Auf­satz im »Spie­gel« mit dem la­ko­ni­schen Ti­tel »Der Kon­flikt«.

Lässt man Strauß’ ge­le­gent­lich un­ter­schwel­lig an­klin­gen­de, pes­si­mi­sti­sche Sicht hin­sicht­lich ei­ner in näch­ster Zeit be­vor­ste­hen­den »Mehr­heits­ver­schie­bung« ein­mal bei­sei­te (frei­lich klar­stel­lend, nicht die Kö­ter­spur des Ras­sis­mus be­die­nen zu wol­len), so bleibt ei­ne prä­gnan­te Dia­gno­se:

Wie oft be­schrie­ben, be­zieht der Is­lam sei­ne stärk­ste Wir­kung aus sei­ner so­zia­len In­te­gra­ti­ons­kraft. Sei­ne dies­sei­ti­gen Vor­tei­le lässt man leicht au­ßer acht, wenn man sich mit dem po­li­tisch-spi­ri­tu­el­len Kon­flikt be­schäf­tigt.

Wei­ter­le­sen ...