Just for two weeks

Nie­mand be­ach­tet sie mehr, die Kirsch­bäu­me, seit sie ih­re Blü­ten ver­lo­ren ha­ben. Da­mals, in der kur­zen Blü­te­zeit, wa­ren sie die Stars: in Scha­ren dräng­ten sich die Leu­te um ih­re Stäm­me, lie­ßen sich nie­der un­ter der – what you’d say? – wei­ßen Pracht, lach­ten, tran­ken aus Bier­do­sen, lach­ten...

Einst bil­de­ten sie ei­ne Al­lee, jetzt ste­hen sie im Ab­seits, kaum ei­ner weiß, daß sie die sind (und nicht mehr sind), die sie wa­ren. Kö­ni­ge einst, jetzt Durch­schnitts­ge­stal­ten mit lang­wei­li­gen Blät­tern, nicht groß nicht klein, nicht dick nicht dünn, nicht dun­kel nicht hell, son­dern rund­lich, pum­me­lig, Ein­hei­ten für die Sta­ti­stik, die nie­man­den in­ter­es­siert. Sie tra­gen kei­ne Früch­te, spen­den lö­che­ri­ge Schat­ten, die kei­nen Schutz bie­ten. Ihr Holz soll hart und form­bar sein, aber wir kön­nen es nicht nut­zen, dür­fen die Bäu­me nicht fäl­len und neue pflan­zen, weil wir die – what you’d say? – kur­ze Pracht ih­rer Blü­te brau­chen für un­ser ir­di­sches Ver­gnü­gen im näch­sten und über­näch­sten Jahr.

© Leo­pold Fe­der­mair

Lu­cas Cra­nach in Düs­sel­dorf

Al­so doch noch ge­schafft zu Lu­cas Cra­nach der Äl­te­re in Düs­sel­dorf. Seit April läuft die Aus­stel­lung aber ir­gend­wie gab es im­mer wie­der Hin­der­nis­se, mal zu warm, mal zu reg­ne­risch, dann schon wie­der fast ver­ges­sen und nur die gro­ße Pla­ka­tie­rung er­in­ner­te mich wie­der dar­an. Es ist Don­ners­tag, die Aus­stel­lung ist vor zehn Mi­nu­ten ge­öff­net wor­den. Am Ein­gang er­klärt uns ein Mann wo wir die Räu­me fin­den und was wir sonst noch be­su­chen dür­fen für un­ser Ein­tritts­geld. Ich fra­ge mich, ob er das in fünf Stun­den noch mit der glei­chen In­ten­si­tät und Freund­lich­keit macht. Prompt kommt ei­ne äl­te­re Frau und be­schwert sich bei ihm, dass nie­mand ge­kom­men sei, ih­ren geh­be­hin­der­ten Mann ab­zu­ho­len.

Wir zah­len. Den Au­dio­gui­de gibt es ko­sten­los zum Ein­tritts­geld. Ich hal­te zum er­sten Mal ein sol­ches Ge­rät in Hän­den. Ins­ge­samt gibt es In­for­ma­tio­nen für 90 Mi­nu­ten und ich er­in­ne­re mich an An­dré Seel­manns 20 Mi­nu­ten-Mu­se­ums­be­su­che, was mir zu kurz er­scheint. Aber 90 Mi­nu­ten woll­te ich auch nicht blei­ben. Zu­dem möch­te ich im­mer erst das ent­spre­chen­de Bild se­hen und dann erst den Text da­zu hö­ren. Die­ser kommt sehr ge­tra­gen da­her und mehr­mals er­tap­pe ich mich da­bei, dass ich glau­be er sei zu En­de und dann geht es doch noch wei­ter. Gleich am Ein­gang ist ei­ne Schü­ler­grup­pe; 15, 16jährige. Die Leh­re­rin er­klärt und hält gleich­zei­tig Un­ter­richt. Zwei Ta­ge vor den Som­mer­fe­ri­en. Laut. Den Film über Cra­nach kann man nicht hö­ren, die Laut­spre­cher sind zu schwach ein­ge­stellt. Ich le­se ein we­nig die eng­li­schen Un­ter­ti­tel und war­te bis die Leh­re­rin mit ih­ren Schü­lern au­ßer Hör­wei­te ist. Schon kommt ei­ne an­de­re Schü­ler­grup­pe, aber es gibt we­ni­ger Vor­trag. We­nig spä­ter Zweit­kläss­ler mit ei­nem Leh­rer. Sie set­zen sich auf den Bo­den und hö­ren ihm zu. Wei­ter­le­sen

In­ter­tex­tua­li­tät

. . . seht ihr ei­nen von vie­len Zu­flüs­sen. Das Rinn­sal der Exi­stenz, das Bäch­lein des Werks wird grö­ßer, wird zum Fluß, strömt breit und trä­ge, lang­sam, stockend, san­dig und schlam­mig (»Sand im Ge­trie­be«), von »Werk« kann nicht mehr die Re­de sein, aus dem Fluß geht nichts mehr her­vor, auch in der Tie­fe kei­ne Le­be­we­sen, nichts, das der Re­de, der Ant­wort wert wä­re. Die­ser Strom hat kei­ne Strö­mun­gen, er übt kei­nen Ein­fluß mehr aus. Jetzt oder jetzt oder jetzt wird er ver­schlun­gen vom al­les ver­schlin­gen­den Meer, auf dem acht­los die Fi­scher­boo­te schau­keln. Hat es den Strom je­mals ge­ge­ben? Die Fi­scher zie­hen das Netz, prall ge­füllt von zucken­den Lei­bern, über den Boots­rand . . .

© Leo­pold Fe­der­mair

Kom­ple­xi­tät nur be­dingt er­wünscht

Karin Röhricht: Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis - Korpusanalyse der Anthologie Klagenfurter Texte (1977-2011)

Ka­rin Röh­richt: Wett­le­sen um den In­ge­borg-Bach­mann-Preis – Kor­pus­ana­ly­se der An­tho­lo­gie Kla­gen­fur­ter Tex­te (1977–2011)

Be­mer­kun­gen über Ka­rin Röh­richts Dis­ser­ta­ti­on zum Bach­mann­preis oder Wie kann man in Kla­gen­furt ge­win­nen?

Nach­dem ich von Ka­rin Röh­richts Mo­no­gra­phie um den In­ge­borg-Bach­mann-Preis erst nach der Ver­an­stal­tung von 2016 er­fah­ren hat­te, stand das Buch den gan­zen Win­ter über un­ge­le­sen im Re­gal. Jetzt, nach der un­längst ver­öf­fent­lich­ten Kan­di­da­ten­li­ste für die Ju­bi­lä­ums­ver­an­stal­tung 2017, schien mir die Zeit ge­kom­men, sich dem Buch zu wid­men und viel­leicht die in den letz­ten Jah­ren ste­tig zu­rück­ge­hen­de Kla­gen­furt-Eu­pho­rie wie­der ein biss­chen auf­le­ben zu las­sen. Da­zu war zu­nächst die Hür­de des doch arg pla­ka­ti­ven Ti­tels zu neh­men. »Wett­le­sen um den In­ge­borg-Bach­mann-Preis« ist die »Kor­pus­ana­ly­se der An­tho­lo­gie Klagen­furter Tex­te (1977–2011)« über­schrie­ben. Man darf sich je­doch von der zu­meist pe­jo­ra­ti­ven Ver­wen­dung der »Wettlesen«-Vokabel nicht be­ein­drucken las­sen, denn Röh­richt geht es nicht um ei­ne Wer­tung der Ver­an­stal­tung an sich, son­dern sie möch­te mit wis­sen­schaft­lich-em­pi­ri­schen Me­tho­den un­ter­su­chen, wel­che Tex­te in Kla­gen­furt re­üs­sie­ren und wel­chen Repräsen­tationsgrad für die deutsch­spra­chi­ge Li­te­ra­tur der Be­werb be­sitzt. Da­bei ist je­doch der ge­naue Blick auf den Un­ter­ti­tel mit dem Hin­weis auf die An­tho­lo­gie Kla­gen­fur­ter Tex­te (KT) von gro­ßer Re­le­vanz.

Be­vor sie je­doch mit Ana­ly­se los­legt, gibt es ei­nen gro­ben Über­blick über Ge­schich­te und Be­deu­tung des Wett­be­werbs. Haupt­re­fe­ren­zen sind die Auf­sät­ze und Stu­di­en von Do­ris Mo­ser1, die teil­wei­se mit ak­tu­el­len Ein­drücken er­gänzt wer­den. Hier ist auch die In­for­ma­ti­on zu fin­den, dass zwi­schen 1977 und 1996 »ins­ge­samt 42% der be­frag­ten Au­toren von ei­nem Ju­ry­mit­glied kon­tak­tiert wur­den»2. Ge­ne­rell wird da­von aus­ge­gan­gen, dass die Ju­ro­ren un­ter den ih­nen zu­ge­schick­ten Tex­ten wäh­len; dies scheint je­doch seit Be­ginn des Wett­be­werbs nicht im­mer der Fall ge­we­sen zu sein.3

Ei­ner der in­ter­es­san­te­sten Punk­te ist der heut­zu­ta­ge voll­kom­men ver­ges­se­ne Aspekt, dass die ver­meint­li­che Es­senz des Wett­be­werbs, die Pa­ten­schaft der Ju­ro­ren4 für je­weils zwei Au­toren, nicht im­mer prak­ti­ziert wur­de. Bis ein­schließ­lich 1982 be­stimm­ten mehr oder we­ni­ger die Ver­an­stal­ter die Teil­neh­mer; den Ju­ro­ren wur­de die Li­ste le­dig­lich vor Be­ginn vor­ge­legt. Seit 1983 wer­den die Au­toren von den Ju­ro­ren er­nannt5, wo­bei nicht ge­klärt wird, wie sich bei­spiels­wei­se 28 Teil­neh­mer auf die 11 Ju­ro­ren ver­tei­len. Seit 1987 no­mi­niert ein Ju­ror zwei Au­toren6, was al­ler­dings zu­wei­len nicht ganz funk­tio­niert (1987 ste­hen 11 Ju­ro­ren nur 19 Teil­neh­mern ge­gen­über). Wei­ter­le­sen


  1. Insbesondere "Der Ingeborg-Bachmann-Preis - Börse, Show, Event" aus dem Jahr 2004 

  2. S. 76, Fußnote 4 

  3. Zu klären wäre freilich, wieviel Autoren "befragt" wurden; dies kann ich nicht leisten, weil ich die Studie von Moser nicht vorliegen habe. 

  4. Ich halte es in diesem Text wie Röhricht und verwende das generische Maskulinum. 

  5. S. 55, Fußnote 98 

  6. S. 17 

Sack­gas­se

Sack­gas­se, in die sich der streu­nen­de Dich­ter ver­lor und zu­rück­zog, um sei­ne aus Stra­ßen­zü­gen und Baum­kro­nen auf­ge­le­se­nen Ver­se auf­zu­schrei­ben, mit oder oh­ne Pa­pier. Spä­ter zer­bra­chen ihm die Ver­se un­ter der Hand, wie Wind­ge­bäck in ei­ner zu gro­ßen Schach­tel.

Sack­gas­sen, com­pa­ñe­ro, gibt es auch hier, auf dem Land, in den Wäl­dern – meist mün­den sie in Fried­hö­fe, wo die Ver­stor­be­nen im rech­ten Ab­stand woh­nen, um die Ge­schäf­te der Le­ben­den nicht zu stö­ren und an­de­rer­seits in Er­in­ne­rung zu blei­ben. Da­hin­ter die Un­durch­dring­lich­keit – po­ten­zier­tes La­by­rinth – von Schling­pflan­zen und Dornen­gestrüpp, Tot­holz, ge­stürz­ten, morsch ge­wor­de­nen Stäm­men, die zer­fa­sern und zer­stäu­ben wie Bo­vi­ste, wenn ein Fuß dar­auf tritt. Ge­ne­ra­tio­nen über Ge­ne­ra­tio­nen von trocke­nen oder feuch­ten Blät­tern, wie Treib­sand, wie Sumpf. Nicht an­ders als die un­er­meß­li­che Zahl der Fuß- und Rei­fen­spu­ren, die der Dich­ter roch und manch­mal, wenn sie auf­stan­den, sah.

Ein ge­schäf­ti­ger, lang­sam auch al­tern­der, von der Zeit mit­ge­nom­me­ner Mann, die­ser Dich­ter, den ei­nes Ta­ges – oder Nachts? – ein wild ge­wor­de­ner Last­wa­gen zer­fetz­te (was auch mir hier pas­sie­ren kann).

Sackgasse (© Leopold Federmair)

Sack­gas­se (© Leo­pold Fe­der­mair)

© Leo­pold Fe­der­mair

An­dré Seel­mann: Aben­teu­er im Kaf­fee­haus

André Seelmann: Abenteuer im Kaffeehaus

An­dré Seel­mann:
Aben­teu­er im Kaf­fee­haus

Nicht nur ein Jub­liäums­text

Fast zu­fäl­lig hat­te ich Mit­te März er­fah­ren, dass An­dré Seel­manns Um­blät­te­rer-Tex­te von 2007 bis 2015 als Buch er­schei­nen sol­len und das bei Il­le & Rie­mer, je­ner Ver­lag, der mein Hand­ke/­Ju­go­sla­wi­en-Buch ver­legt hat­te. Dann schrieb Pa­co noch ei­ne Mail und lud mich zur Book Re­lease Par­ty bei der Leip­zi­ger Buch­mes­se ein, aber ich konn­te aus di­ver­sen Grün­den nicht da­bei sein.

Ich bin ja im­mer skep­tisch, wenn On­line-In­hal­te (wenn auch »sach­te durch­re­di­giert«) in Buch­form her­aus­ge­bracht wer­den, weil ich glau­be, dass es kaum je­mand kau­fen wird so­lan­ge es noch im Netz steht und ein ziem­li­ches öko­no­mi­sches Wag­nis für ei­nen Ver­le­ger dar­stellt. Aber ei­nen non­kon­for­mi­sti­schen Mut hat­te der Ver­lag schon 2012 mit mei­nem Buch be­wie­sen und bei An­dré Seel­mann ist man nun ir­gend­wie an­ders­mu­tig.

Die Ge­schich­ten von Di­que aus dem Um­blät­te­rer hat­te ich sei­ner­zeit ger­ne ge­le­sen, aber eben im­mer nur am PC und meist im Bü­ro. Al­so noch ein­mal von vor­ne, zu­rück in die Ver­gan­gen­heit. Es be­ginnt schon vor­her rich­tig ana­log: der Post­ver­sand des Buchs von Leip­zig nach Düs­sel­dorf dau­er­te 16 Ta­ge. Aber es traf dann ge­nau zum rich­ti­gen Zeit­punkt ein, denn ich hat­te ge­ra­de ei­ni­ge er­gän­zen­de Lek­tü­ren zu mei­nem im Spät­som­mer er­schei­nen­den Buch mit Es­says über Pe­ter Hand­ke be­en­det und da war die Ab­wechs­lung sehr pas­send. Wei­ter­le­sen

Jo­chen Schim­mang: Al­tes Zoll­haus, Staats­gren­ze West

Jochen Schimmang: Altes Zollhaus, Staatsgrenze West

Jo­chen Schim­mang:
Al­tes Zoll­haus, Staats­gren­ze West

Zum er­sten Mal er­zählt Jo­chen Schim­mang von Gre­gor Korff 2009 in »Das Be­ste, was wir hat­ten«. Er be­ginnt mit dem Sil­ve­ster­tag 1989 und Korff, da­mals 41, blickt weh­mütig und gleich­zei­tig ein we­nig stolz auf die vorher­sehbar zu En­de ge­hen­de Bon­ner Re­pu­blik zu­rück. Er, der ei­gent­lich so­zi­al­li­be­ra­le Geist, ist Mi­ni­ster­be­ra­ter in der Re­gie­rung Kohl, und steht der kom­men­den Ein­heit und dem da­mit grö­ßer wer­den­den Deutsch­land skep­tisch ge­gen­über. Die gro­ßen hi­sto­ri­schen Ver­än­de­run­gen der Bun­des­re­pu­blik kon­tra­stiert er mit sei­nem bis­he­ri­gen Le­ben und kon­sta­tiert ein we­nig über­ra­schend, wie klein­ste und zu­nächst un­schein­bar da­her­kom­men­de Be­ge­ben­hei­ten sein Le­ben im Nach­hin­ein ent­schei­dend ge­prägt ha­ben. Manch­mal äh­nelt Korff ein biss­chen Koep­pens Kee­ten­heuve (jetzt Wie­der­ver­ei­ni­gung und da­mals, bei Koep­pen, Wie­der­be­waff­nung). Aber Korffs Me­lan­cho­lie ver­wan­delt sich nicht in De­pres­si­on. Und so ent­wickelt sich der Ro­man nach den 60 Sei­ten ele­gisch-epi­scher Re­mi­nis­zenz im­mer mehr in Rich­tung Agen­ten­ge­schich­te, in der Korff in den näch­sten vier Jah­ren sei­nes Le­bens (we­nig über­zeu­gend) sei­ne Re-An­ar­chi­sie­rung ver­sucht, nach­dem er sei­ne Be­ra­ter­po­si­ti­on we­gen ei­ner Lieb­schaft zu ei­ner Sta­si-Agen­tin ver­liert.

2011 leg­te Schim­mang mit »Neue Mit­te« ei­nen dys­to­pi­schen Zu­kunfts­ro­man über das Jahr 2029 vor. Er er­zählt von ei­nem in Rui­nen lie­gen­den Deutsch­land, das ge­ra­de ei­ne Dik­ta­tur über­wun­den hat und sich neu ori­en­tiert. In ei­nem der Er­zähl­strän­ge sucht der Ich-Er­zäh­ler Ul­rich An­ders sei­nen ver­mut­li­chen Va­ter, ei­nen ge­wis­sen Gre­gor Korff, der um 2018 her­um in Pa­ris ge­stor­ben sein soll. Das Grab exi­stiert je­doch nicht mehr und al­le Spu­ren füh­ren ins Nichts.

Mit »Al­tes Zoll­haus, Staats­gren­ze West« geht es nun zu­rück in die Ge­gen­wart der Jah­re 2015/16. Korff er­freut sich be­ster Ge­sund­heit und lebt im fik­ti­ven Ort Gran­de­rath an der deutsch-nie­der­län­di­schen Gren­ze in ei­nem von ihm re­no­vier­ten ehe­ma­li­gen Zoll­haus. Fi­nan­zi­ell ist er un­ab­hän­gig, denn er lebt von den Ein­nah­men ei­nes Thril­lers über die Spio­na­ge­af­fä­re, die ihn sei­nen Job ge­ko­stet hat. Er hat­te die­ses in­zwi­schen na­tür­lich auch ver­film­te Buch zwar nicht ge­schrie­ben, aber der Au­tor, der in­zwi­schen ver­stor­ben ist, woll­te es nicht un­ter sei­nem Na­men ver­öf­fent­li­chen. So ist Korff streng ge­nom­men ein Fake-Au­tor, ob­wohl die Ge­schich­te nach sei­nen Er­zäh­lun­gen auf­ge­schrie­ben wur­de. Wei­ter­le­sen

Karl Heinz Boh­rer: Jetzt

Karl Heinz Bohrer: Jetzt

Karl Heinz Boh­rer: Jetzt

Un­ter den deut­schen Nach­kriegs­in­tel­lek­tu­el­len ist Karl Heinz Boh­rer zwei­fel­los im­mer ein So­li­tär ge­we­sen und das nicht nur auf­grund sei­ner Po­le­mi­ken, die sich mit den (west-)deutschen psy­cho­po­li­ti­schen Be­find­lich­kei­ten vor al­lem des links­li­be­ra­len Bür­ger­tums aus­ein­an­der­setz­ten. Boh­rer brüs­kier­te sei­ne Le­ser da­mit, dass er po­li­tisch-mo­ra­li­sche Aspek­te für se­kun­där, ja stö­rend emp­fand. Dies galt und gilt so­wohl für ein künst­le­ri­sches Werk als auch für ei­ne ge­sell­schafts­po­li­ti­sche Theo­rie. Da­bei trennt er säu­ber­lich zwi­schen Af­fir­ma­ti­on und Zu­stim­mung – et­was, was sei­nen Zeit­ge­nos­sen stets su­spekt blieb. So ist er fas­zi­niert von Dutsch­kes und Le­fè­v­res »blei­che En­er­gie« und der »bru­ta­len Spra­che« in lin­ken Zei­tun­gen 1967/68 ob­wohl er de­ren po­li­ti­sche Zie­le ri­go­ros ab­lehnt. Er fei­ert den ar­chai­schen To­des­kampf des Stiers durch den Stoß des To­re­ros mit ähn­li­cher Lei­den­schaft wie Ul­ri­ke Mein­hofs »Aus­drück­lich­keit«, wenn es um die Ver­bes­se­rung der so­zia­len Ver­hält­nis­se in Deutsch­land ging, ar­bei­tet die Schön­heit der La­ko­nik ei­nes Saint Just her­aus, be­kennt sich zu sei­ner Af­fi­ni­tät zum Preu­ßen­tum und stellt früh fest, dass »Li­te­ra­tur … pri­mär nichts mit In­hal­ten zu tun ha­ben« muss. Il­lu­stra­tiv zeigt sich dies am Bei­spiel von Mi­cha­el Kohl­haas, der, nach Boh­rer, nicht pri­mär die ihm zu­ge­füg­ten Un­ge­rech­tig­kei­ten be­sei­ti­gen möch­te, son­dern nach ei­nem »in­ten­si­ve­ren Au­gen­blick der Exi­stenz« sucht, den er schließ­lich in sei­nen Ra­che­feld­zü­gen fin­det.

Da­mit wird ge­zeigt, wie lang­wei­lig für Boh­rer die so gut aus­ge­bau­ten literaturtheo­retischen Tram­pel­pfa­de wa­ren. Im aka­de­mi­schen Be­trieb sah er fast nur noch »Ideen­re­fe­ra­te«. Er woll­te zu­rück in die Sinn­lich­keit der Li­te­ra­tur. Boh­rer war und ist DER em­pha­ti­sche Le­ser, der stets be­reit ist, al­les noch ein­mal neu zu den­ken und in ei­nen neu­en Kon­text ein­zu­bet­ten. So ist es fast na­tür­lich, dass Boh­rer den Gei­stes­wis­sen­schaf­ten nicht den Rang von Na­tur­wis­sen­schaf­ten zu­spricht, weil ih­re Em­pi­ri­en nur auf mehr oder we­ni­ger ka­no­ni­sier­ten In­ter­pre­ta­tio­nen be­ru­hen, die sich bei nä­he­rer Drauf­sicht als blo­ße Mei­nun­gen ent­pup­pen. Ob in der Li­te­ra­tur­ex­ege­se, dem Kunst­dis­kurs oder auch der po­li­ti­schen De­bat­te – über­all ent­deckt er »ab­seh­ba­re Ideen«, ein »vor­ent­schie­de­nes Den­ken«. Da­bei sind ihm te­leo­lo­gi­sche Deu­tun­gen ver­hasst. Wei­ter­le­sen