Anmerkungen zu einer Handvoll legendärer Sätze
6 – Der schmale Grat zwischen Gefährdung und Idiotie
Musil, Horkheimer und Adorno bringen keine konkreten Beispiele für ihre Thesen, weder politischer noch lebensweltlicher, weder individueller noch kollektiver Art. Was er bringt, sind Redegewohnheiten und einige allgemeinmenschliche, idealtypische Fälle. Welche Formen, welchen Sinn und Unsinn kann Dummheit annehmen, welche Funktion erfüllen? Jeder kennt Beispiele, nicht zuletzt von sich selbst.
Ich zum Beispiel habe meine letzte Dummheit vor wenigen Minuten begangen, keine verbale, sondern eine Dummheit der Tat. Ich fuhr auf einem vielbefahrenen, relativ breiten Weg hinter zwei Fahrradfahrern, jungen Männern, die bei eher langsamer Geschwindigkeit nebeneinanderfahrend plauderten und längere Zeit die Bahn versperrten, die sie nur für Entgegenkommende kurz freigaben. Ich wollte nicht klingeln, wollte nicht aufdringlich sein, fuhr ein, zwei Kilometer nahe an den beiden Hinterrädern und überholte, als sich eine Chance dazu bot. Absichtlich schnitt ich den einen Fahrer, wollte ihn dabei nicht wirklich berühren, berührte ihn dann aber doch mit dem Ellbogen, den ich vielleicht ein paar Zentimeter zur Seite gestreckt hatte. Der junge Mann kam ins Schleudern und stürzte schließlich. Sein Freund schnauzte mich an, ich schnauzte zurück, ging dann aber doch besorgt, etwas kleinlaut geworden, zu dem Gestürzten. Er hatte sich an einer Hand leichte Abschürfungen zugezogen – eine geringfügige Verletzung, aber eben doch eine sichtbare Folge meiner Handlung, ich war daran schuld. Ich entschuldigte mich. Der Gestürzte, wieder auf den Beinen, schaute mich verdattert an.
Eine Dummheit; wenn mir wirklich so viel an einem geordneten Fahrradverkehr gelegen ist, sollte ich versuchen, Verkehrssünder zur Rede zu stellen, an meiner Universität aufklärend zu wirken, in der Schule meiner Tochter eine vernünftige Verkehrserziehung fordern. Das wären, vielleicht, kluge Handlungen. Aber einen unschuldigen, bloß ein wenig leichtsinnigen Jungen in Gefahr zu bringen...
Worin bestand meine Dummheit? In der falschen, nicht zweckführenden – aber wer weiß? – Wahl der Mittel? Oder wurzelte sie nicht doch eher im emotionalen Bereich, in mangelnder Einfühlungsbereitschaft und, ja, Aggressivität, also unzureichender Affektkontrolle? In der Nichtberücksichtigung der möglichen Folgen meines Handelns? Schließlich hätte die Sache schlimmer enden können. Gefühl und Verstand vermischen sich, genau wie Musil es in seiner Rede beschrieb.