Der Wil­le zum Nicht­wis­sen (5/9)

An­mer­kun­gen zu ei­ner Hand­voll le­gen­dä­rer Sät­ze

5 – Dumm­heit ist ein Wund­mal.

Ge­gen En­de des zwei­ten Welt­kriegs und der na­tio­nal­so­zia­li­sti­schen Herr­schaft in Deutsch­land und Öster­reich ver­öf­fent­lich­ten Max Hork­hei­mer und Theo­dor W. Ador­no ein Buch mit dem Ti­tel Dia­lek­tik der Auf­klä­rung, das bis heu­te viel zi­tiert, aber we­nig ge­le­sen wird (was nicht nur an der Schwie­rig­keit der Ge­dan­ken, son­dern auch am ma­nie­rier­ten, über­la­de­nen Satz­bau liegt). So gut wie gar nicht ge­le­sen wird der Schluß­teil, ei­ne Art An­hang von Frag­men­ten und Skiz­zen, der mit die­sem Satz be­ginnt: »Zu den Leh­ren der Hit­ler­zeit ge­hört die von der Dumm­heit des Ge­scheits­eins.« Dar­an ist zu­nächst ein­mal er­staun­lich, daß die Schrei­ber von ei­ner zu En­de ge­gan­ge­nen Epo­che zu spre­chen schei­nen. Das Buch ist aber 1944 er­schie­nen, im Vor­wort aus die­sem Jahr wei­sen die Au­toren auf den An­hang hin, er dürf­te al­so schon in der Erst­aus­ga­be ent­hal­ten ge­we­sen sein. Wa­ren sich die bei­den gar so si­cher, daß die Hit­ler­zeit dem­nächst der Ver­gan­gen­heit an­ge­hö­ren wür­de? We­nig spä­ter noch noch deut­li­cher, im Im­per­fekt: »Die in Deutsch­land zur Macht ka­men, wa­ren ge­schei­ter als die Li­be­ra­len und düm­mer.«

Ador­no lieb­te pa­ra­do­xe For­mu­lie­run­gen, sei­ne ne­ga­ti­ve Dia­lek­tik sta­chel­te ihn im­mer wie­der da­zu an. Die rhe­to­ri­sche Ma­schi­ne­rie hat je­doch die pro­ble­ma­ti­sche Ten­denz, die Re­de zu­neh­mend von der Er­fah­rungs­wirk­lich­keit zu ent­fer­nen, über sie hinwegzu­schweben oder sie ganz aus dem Blick zu ver­lie­ren. Das Bei­spiel, das Hork­hei­mer und Ador­no mehr an­deu­ten als be­spre­chen, ist die – nicht beim Na­men ge­nann­te – Be­schwich­ti­gungs­po­li­tik des sei­ner­zei­ti­gen bri­ti­schen Pre­mier­mi­ni­sters Cham­ber­lain ge­gen­über dem sich im­mer ag­gres­si­ver ver­hal­ten­den NS-Re­gime. Im nach­hin­ein ist man na­tür­lich ge­schei­ter, aber das Zö­gern nicht nur Cham­ber­lains, son­dern zahl­rei­cher Ver­ant­wort­li­cher in ver­schie­de­nen Län­dern wä­re doch zu­nächst nicht als Zei­chen von man­geln­der In­tel­li­genz, son­dern ei­ner Zu­rück­hal­tung zu wer­ten, die in vie­len Si­tua­tio­nen klug sein mag, im ge­ge­be­nen Fall je­doch falsch war. Zu vie­les, vor al­lem aber: zu lan­ges Nach­zu­den­ken kann die not­wen­di­ge Hand­lungs­be­reit­schaft hem­men – das zeigt uns schon das Bei­spiel Ham­lets, des Prin­zen von Dä­ne­mark. Soll man in die­sen Fäl­len aber ge­nau­so von Dumm­heit spre­chen, wie man es bei Ge­dan­ken­lo­sig­keit oder man­geln­der In­tel­li­genz tut? Ich fürch­te, die dia­lek­ti­sche bzw. pa­ra­doxa­le Fi­gur, zu der die bei­den Den­ker ge­lan­gen, rührt da­her, daß sie das Wort »Dumm­heit« mit zwei­er­lei Be­deu­tung ge­brau­chen. Sie be­ruht auf se­man­ti­scher In­kon­gru­enz.

Man weiß, daß »der Geist« Deutsch­land 1933 und in den fol­gen­den Jah­ren na­he­zu ge­schlos­sen ver­ließ, sei es frei­wil­lig oder ge­zwun­ge­ner­ma­ßen. Über den Ge­gen­satz von Geist und Macht wur­de in den er­sten Jahr­zehn­ten des 20. Jahr­hun­derts viel nach­ge­dacht, et­wa von Hein­rich und Tho­mas Mann. In der Pra­xis er­weist sich im­mer wie­der, daß ver­nünf­ti­ges Den­ken ro­hem Macht­ge­brauch und vor­sätz­li­cher Ma­ni­pu­la­ti­on un­ter­liegt, wenn es zur Aus­ein­an­der­set­zung kommt. Der ge­gen­wär­ti­ge welt­po­li­ti­sche Lauf der Din­ge scheint die­sen Be­fund ein wei­te­res Mal zu be­stä­ti­gen. Mu­sils Be­den­ken ei­nes Lang­sa­men, sein Zu­viel-Den­ken und sei­ne Ohn­macht an­ge­sichts der Macht des Fak­ti­schen, ja, im Grun­de ge­nom­men sein gan­zes li­te­ra­ri­sches Schei­tern, seit er das Pro­jekt des Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten in An­griff ge­nom­men hat­te, sind ein be­son­ders viel­sa­gen­des Do­ku­ment die­ser schier un­ver­meid­li­chen Schwä­che. So war es auch, als Hit­ler 1938 den öster­reichischen Bun­des­kanz­ler zu sich be­stell­te, um kur­ze Zeit spä­ter des­sen Land zu be­set­zen, was Schu­sch­nigg durch ver­zwei­fel­te Klug­heit zu ver­mei­den ge­trach­tet hat­te. Un­ter sol­chen Um­stän­den ist es fast ein Zei­chen von Dumm­heit (im zwei­ten Sinn: ei­ne Hand­lungs­dumm­heit), wenn Mu­sil 1937 im be­reits na­tio­nal­so­zia­li­stisch an­ge­hauch­ten Wien ei­ne kom­ple­xe, be­denk­li­che, ta­sten­de Re­de über die Dumm­heit hält.

In­tel­li­genz hat bei­lei­be nicht im­mer nur po­si­ti­ve Wir­kun­gen auf die Welt der Tat­sa­chen und Hand­lun­gen. Die Er­zeu­gung von Atom­ener­gie, für die ge­nia­le Ideen und auf­wän­di­ge For­schun­gen die Vor­aus­set­zung wa­ren, ist ein wei­te­res viel­sa­gen­des Bei­spiel da­für. Trotz­dem stre­ben die mei­sten Men­schen und eben­so ih­re Re­gie­run­gen da­nach, Wis­sen und Denk­ver­mö­gen zu er­lan­gen und zu er­wei­tern (wo­zu sie es dann ge­brau­chen wol­len, steht auf ei­nem an­de­ren Blatt). Das gilt auch für Ador­no und Hork­hei­mer. Still­schwei­gend set­zen sie vor­aus, daß die Men­schen, und nicht nur die Men­schen, son­dern al­le Tie­re da­nach stre­ben, ih­re In­tel­li­genz zu ver­bes­sern. Die­ses Merk­mal wä­re ge­ra­de­zu ei­ne evo­lu­tio­nä­re Kon­stan­te bei sämt­li­chen Ar­ten. Im al­ler­letz­ten Stück der Dia­lek­tik der Auf­klä­rung, das die Über­schrift »Zur Ge­ne­se der Dumm­heit« trägt, skiz­zie­ren die bei­den auf ih­re ab­ge­ho­be­ne Art ei­ne phan­ta­sti­sche Gat­tungs­ge­schich­te der Mensch­heit im Rah­men ei­ner all­ge­mei­nen Na­tur­ge­schich­te, die man ge­trost auch mit dem Epi­the­ton »schräg« be­le­gen kann. Wenn Stre­ben nach Klug­heit an­ge­bo­ren ist, wo­her kommt dann die Dumm­heit? Das ist ih­re Aus­gangs­fra­ge, die sie nicht aus­drück­lich stel­len. Ant­wort: Von der Angst, auf Ge­gen­wehr, auf ei­ne frem­de Macht, auf ir­gend et­was Ent­setz­li­ches zu sto­ßen. Das – in­di­vi­du­el­le oder all­ge­mei­ne – Sub­jekt streckt sei­ne Füh­ler aus, be­kommt Angst, zieht sie wie­der ein. In der An­fangs­ge­schich­te der Mensch­heit gibt es kei­ne Au­to­ri­tät, die der an­ge­bo­re­nen Neu­gier ei­nen Rie­gel vor­schiebt oder mit Stra­fen droht. Wenn ich Hork­hei­mer und Ador­no recht ver­ste­he, ist die Ge­gen­ständ­lich­keit der Au­ßen­welt selbst die Quel­le des Schreckens und der sich in den Kör­per ein­schrei­ben­den Angst. »Den­ken ist vor al­lem Mut«: der Satz von Lud­wig Hohl ist bei Horkheimer/Adorno und, wie wir se­hen wer­den, bei Im­ma­nu­el Kant vor­ge­dacht. Zu er­gän­zen wä­re: Dumm­heit ist vor al­lem Angst. Und in vie­len Fäl­len ist es Feig­heit, oder Un­ter­wür­fig­keit.

Ei­ne Schluß­fol­ge­rung aus die­sen Über­le­gun­gen geht da­hin, daß Er­zie­hung, de­ren mensch­li­che Man­gel­we­sen un­wei­ger­lich be­dür­fen, im Prin­zip auf För­de­rung und Hem­mung der an­ge­bo­re­nen Neu­gier, wie sie je­der­mann an Klein­kin­dern be­ob­ach­ten kann, hin­aus­läuft. Schu­len soll­ten mei­nes Er­ach­tens ih­re Haupt­auf­ga­be dar­in se­hen, Neu­gier zu för­dern. Da wir so­zia­le We­sen sind und in hoch­kom­ple­xen, wo nicht über­kom­ple­xen Ge­sell­schaf­ten le­ben, er­gibt sich mit der Zeit die Not­wen­dig­keit, die Neu­gier in be­stimm­ten Kon­tex­ten zu hem­men. Dies soll­te aber so we­nig wie mög­lich ge­sche­hen. Das ei­gent­li­che Bil­dungs­ziel soll­te in der För­de­rung und Auf­recht­erhal­tung der Neu­gier be­stehen. Die in­di­vi­du­el­le kind­li­che Gei­stes­ent­wick­lung ver­läuft al­so im Prin­zip gleich wie die kol­lek­ti­ve, gat­tungs­ge­schicht­li­che Ent­wick­lung, in ei­nem dia­lek­ti­schen Pro­zeß von Of­fen­heit und Ab­schlie­ßung. Auf die­sem Weg ist die Mensch­heit zu dem ge­langt, was man in Eu­ro­pa im 18. Jahr­hun­dert als »Auf­klä­rung« zu be­zeich­nen be­gann. Auf­klä­rung hat ih­re Ge­fah­ren, ih­re ne­ga­ti­ven Sei­ten, ih­re pa­ra­do­xen Rück­schlä­ge und un­be­ab­sich­tig­ten Ne­ben­wir­kun­gen. Qua­dra­tur des Krei­ses: Daß die För­de­rung der Neu­gier ein Be­wußt­sein der Ne­ga­ti­vi­tät wach­hal­ten soll­te. Kön­nen bei­de Sei­ten ein­fach ko­exi­stie­ren? We­nig­stens prag­ma­tisch, in der tag­täg­li­chen Pra­xis? Oder geht eben al­les zum Un­ter­gang, wie man im Jahr 1944 den­ken moch­te? Wir es­sen vom Baum der Er­kennt­nis, ver­las­sen das Reich der Un­wis­sen­heit, aber der Baum ver­stei­nert, sei­ne Blät­ter ver­dör­ren, die Früch­te schmecken bit­ter. In die­ser sä­ku­la­ren (Un)heilsgeschichte gibt es kein Ent­rin­nen, weil – Schluß­satz der Dia­lek­tik der Auf­klä­rung – »al­les Le­ben­di­ge un­ter ei­nem Bann steht.«

Trotz al­lem zeigt uns ein nüch­ter­ner, di­stan­zier­ter Blick auf die Gei­stes­ge­schich­te, daß es dank mu­ti­ger An­stren­gung der Ge­hir­ne Fort­schrit­te durch­aus ge­ge­ben hat, und daß vie­le wei­te­re, kaum erst ahn­ba­re Fort­schrit­te be­vor­ste­hen. Es kommt dar­auf an, was wir mit den Er­kennt­nis­sen ma­chen. Ob wir dumm han­deln wer­den oder nicht.

→ 6 – Der schma­le Grat zwi­schen Ge­fähr­dung und Idio­tie.

← 4 – Wer über Dumm­heit spricht, setzt vor­aus, daß er sich für klug hal­te, ob­wohl es als Zei­chen der Dumm­heit gilt, das zu tun.

© Leo­pold Fe­der­mair

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  1. Hm, dass Angst ein Grund ist, kann man nicht leug­nen, aber was ist mit der Be­quem­lich­keit? Will man nicht min­de­stens ge­nau­so häu­fig ein­fach nicht ge­stört wer­den? Sich nicht an­stren­gen, nicht in Un­ru­he ver­fal­len? Der Aus­gangs­punkt des Den­kens ist doch ei­ne Un­stim­mig­keit, ein Pro­blem, ein Wi­der­spruch, et­was Ne­ga­ti­ves, mit dem man sich auch noch ein­ge­hend be­schäf­tigt, sich hin­ein­be­gibt: Das weg­zu­drücken, bei­sei­te zu las­sen, zu ver­drän­gen, ist nichts an­de­res als das Ver­schwin­den ei­ner In­sta­bi­li­tät (de­ren Lö­sung frei­lich durch das Nach­den­ken mög­lich ist).

    Dass Neu­gier und an­de­res un­se­ren Kin­dern durch die Schu­le aus­ge­trie­ben wer­den, hört man häu­fig, es soll­te, bei al­lem das im Ar­gen liegt, aber nicht da­zu ver­lei­ten, ihr Ver­schwin­den nicht auch an­ders zu er­klä­ren: Dass Kin­der so neu­gie­rig sind, hat si­cher­lich bio­lo­gi­sche Ur­sa­chen, Neu­gier­de ist gleich­sam ein Mit­tel, das die Ent­wick­lung der Kin­der zu Er­wach­se­nen hin »am Lau­fen hält«: Ein Kind, das von Na­tur aus nicht neu­gie­rig ist, wird sich nicht mit sei­ner Um­welt be­schäf­ti­gen und sei­ne Fä­hig­kei­ten nur we­nig ent­wickeln.

    Ich bin, auch an­ge­sichts des der­zeit be­trie­be­nen För­der­wahn­sinns, sehr skep­tisch was der­lei Din­ge be­trifft: In je­der För­de­rung steckt in­stru­men­tel­les Den­ken, weil man et­was tun möch­te, um et­was an­de­res zu »ver­meh­ren« und da­bei nicht be­ach­tet und nicht be­ach­ten kann, wie es um das kon­kre­te Kind steht. Bil­dung wird lei­der im­mer stär­ker auf ein sol­ches Den­ken re­du­ziert (Stich­wort: Bil­dungs­plä­ne), bzw. wer­den Kin­der im­mer tech­ni­scher be­trach­tet, es wird dar­auf ge­schaut was sie kön­nen und man er­war­tet, dass Päd­ago­gen ih­re Ent­wick­lung op­ti­mie­ren. Ich glau­be, dass das ein Irr­weg ist, weil man auf ihm al­les hin­ter­geht, was an Be­deut­sa­mem oder Qua­li­ta­ti­vem vor­han­den ist. Die­ses und der Um­gang mit ihm, ist aber le­bens­ent­schei­dend (im Sinn von Le­ben­dig­keit oder Zu­frie­den­heit). Kurz­um: Man kann (und soll­te) dar­auf ach­ten, dass Kin­dern Neu­gier­de nicht aus­ge­trie­ben wird, aber sie zu stei­gern, hie­ße sich in ei­ne sub­jek­ti­ve Qua­li­tät ein­zu­mi­schen und das Kind wie ei­nen Com­pu­ter zu be­trach­ten, von dem man mehr Re­chen­lei­stung be­nö­tigt. Das über­geht das Kind als ein le­ben­di­ges We­sen und ist un­be­dingt zu ver­mei­den. Dass sich Neu­gier­de stei­gern kann, ge­schieht, wie Bil­dung, ne­ben­her, häu­fig un­be­merkt und im­mer auch ein we­nig zu­fäl­lig.

  2. Mir ist Ador­no oft zu ob­ses­siv, sei­ne Er­klä­run­gen wer­den dann mo­no­kau­sal. Ich glau­be auch, daß es so et­was wie ein Träg­heits­prin­zip gibt, das die (ur­sprüng­lich si­cher bio­lo­gi­sche) Neu­gier kon­ter­ka­riert. Al­ler­dings ent­hält sei­ne Dia­gno­se eben auch die Auf­for­de­rung zum Mut, das zu er­wäh­nen, war mir eben­falls wich­tig. Zu­mal in die­sem Blog.

    Bei Ca­net­ti, in Mas­se und Macht, fin­de ich die Idee vom Sta­chel, den Be­feh­le und Ver­bo­te in den In­di­vi­du­en hin­ter­las­sen. In­ner­halb der mensch­li­chen Ge­sell­schaft wer­den Angst, Miß­trau­en und An­pas­sung auf die­se Wei­se zu ei­ner Um­gangs­form. Das be­rührt sich mit Ador­nos Ge­dan­ken, nur ist der Ho­ri­zont in die­sem Buch wei­ter als in der Ador­no­schen Kul­tur­kri­tik, die ei­gent­lich im­mer ab­strakt bleibt (Ador­nos kon­kre­te­re »So­zi­al­for­schung« fin­de ich nicht sehr er­gie­big).

    Da mei­ne Toch­ter noch am Her­an­wach­sen ist, be­ob­ach­te ich die­se Pro­zes­se mehr oder min­der täg­lich. Mei­ne Er­fah­run­gen be­zie­hen sich vor al­lem auf Ja­pan, aber ich glau­be be­merkt zu ha­ben, daß es ei­ne welt­wei­te Ten­denz zum För­der­wahn­sinn ge­paart mit Si­cher­heits­wahn­sinn und star­rer Vor­aus­pla­nung (nicht ein­mal im ei­ge­nen Na­men, son­dern in dem des Kin­des) gibt und daß das al­les dem Den­ken nicht sehr zu­träg­lich ist. Es macht die jun­gen Leu­te mü­de, noch be­vor sie ins Was­ser sprin­gen kön­nen.

  3. Zi­tat: »In­tel­li­genz hat bei­lei­be nicht im­mer nur po­si­ti­ve Wir­kun­gen auf die Welt der Tat­sa­chen und Hand­lun­gen. Die Er­zeu­gung von Atom­ener­gie, für die ge­nia­le Ideen und auf­wän­di­ge For­schun­gen die Vor­aus­set­zung wa­ren, ist ein wei­te­res viel­sa­gen­des Bei­spiel da­für.«

    Die Vor­aus­set­zung fuer der­ar­ti­ge Aus­sa­gen scheint die An­nah­me zu sein, »Atom­ener­gie« koen­ne man sich aus­su­chen. Es ist aber ein­fach ei­ne Ei­gen­schaft der Wirk­lich­keit, ein Teil der all­ge­mei­nen Wahr­heit.

    Es ist schlicht ei­ne Tat­sa­che, dass wenn man be­stimm­te Atom­ker­ne spal­tet, dann wird (re­la­tiv viel) En­er­gie er­zeugt. Dies muss er­forscht wer­den, und auch aus­ge­nutzt.

    Der Be­griff »Dumm­heit« macht nur lo­kal Sinn, fuer klei­ne Hand­lun­gen, nie fuer gro­sse. Ster­ne ex­plo­die­ren, Krie­ge wer­den ge­fuehrt — kom­ple­xe Ge­scheh­nis­se, die nichts mit »Dumm­heit« oder »Klug­heit« zu tun ha­ben. So hal­te ich auch die hi­sto­ri­sche Per­spek­ti­ve des Ar­ti­kels fuer voel­lig ver­fehlt – Un­men­schen ka­men an die Macht, etc. etc.

  4. »Es ist schlicht ei­ne Tat­sa­che, dass wenn man be­stimm­te Atom­ker­ne spal­tet, dann wird (re­la­tiv viel) En­er­gie er­zeugt. « Zu­erst ein­mal muß man das er­ken­nen. Das ist nicht so ein­fach, setzt ei­ne lan­ge Ge­schich­te des Den­kens vor­aus. Und dann ist die Fra­ge, ob die Men­schen ver­su­chen soll­ten, Atom­ker­ne zu spal­ten, in­dem sie tech­ni­sche Vor­rich­tun­gen da­für ent­wickeln. An die­sem Punkt hat man den Be­reich des Na­tür­li­chen längst ver­las­sen. Zu­letzt kom­men auch Wer­te, Wer­tun­gen, ins Spiel.

  5. Zi­tat Fe­der­mair: »Zu­erst ein­mal muß man das er­ken­nen. Das ist nicht so ein­fach, setzt ei­ne lan­ge Ge­schich­te des Den­kens vor­aus.«
    Wahr­heit ist ge­schichts­los. Es hat hi­sto­risch ge­se­hen et­was ge­dau­ert (lang? kurz?), bis man z.B. das mo­der­ne Zah­len­sy­stem ent­wickelt hat und den mo­der­nen al­ge­bra­ischen For­ma­lis­mus, aber ist man dann mit der Lei­ter auf das hoe­he­re Ni­veau ge­stie­gen, kann man die Lei­ter ver­ges­sen. Es ist auch kei­ne »Ge­schich­te des Den­kens«, son­dern ei­ne Ge­schich­te der Wis­sen­schaf­ten (ob­jek­tiv, nicht sub­jek­tiv). Wie die Null, die Un­be­kann­te x etc. heu­te all­ge­gen­waer­tig sind, ist das Mo­dell des Ker­nes von Ato­men heu­te in den be­trof­fe­nen Wis­sen­schaf­ten all­ge­gen­waer­tig, und man trifft es ueber­all. Z.B. Ato­me fu­sio­nie­ren und spal­ten sich im ge­sam­ten Welt­all, der Pla­net Er­de sam­mel­te vor knapp 5 Mil­li­ar­den Jah­ren bei sei­ner Ent­ste­hung die­se Rest­pro­duk­te ein (am An­fang war nur Was­ser­stoff, al­les An­de­re wur­de er­zeugt durch ge­wal­ti­ge ato­ma­re Ex­plos­s­io­nen (ver­schie­den­ster Art)). Kern­pro­zes­se (Fu­sio­nie­rung und Spal­tung) sind hoch­en­er­ge­tisch, und so­mit nicht im All­ta­g­le­ben un­mit­tel­bar sicht­bar – schaut man aber zur Son­ne hoch, dann wer­den dort je­de Se­kun­de 4 Mil­lio­nen Ton­nen Ma­te­rie voll­staen­dig in En­er­gie um­ge­wan­delt (waeh­rend in ei­ner Atom­ex­plo­si­on es nur ei­ni­ge Gramm sind). In den Wis­sen­schaf­ten, wenn man’s ein­mal ver­stan­den hat, passt dann vie­les zu­sam­men.

    Zi­tat: »Und dann ist die Fra­ge, ob die Men­schen ver­su­chen soll­ten, Atom­ker­ne zu spal­ten, in­dem sie tech­ni­sche Vor­rich­tun­gen da­für ent­wickeln.«
    Si­cher – Fort­schritt ist un­teil­bar (das wird heu­te fast ueber­all ver­ges­sen – je­der will Fort­schritt im ei­ge­nen Mi­kro­be­reich, waeh­rend der Rest der Welt still­ste­hen soll). Viel­leicht die ele­men­tar­ste Er­schei­nungs­form der Wahr­heit ist die Waf­fe.

    Zi­tat: »An die­sem Punkt hat man den Be­reich des Na­tür­li­chen längst ver­las­sen.«
    Dies scheint »na­tuer­lich« als so et­was wie ei­nen Gar­ten zu be­trach­ten. Ist das Uni­ver­sum nicht na­tuer­lich? Bei der Ge­le­gen­heit, Ador­no hat ir­gend­wo die mei­nes Er­ach­tens wich­ti­ge Be­mer­kung ge­macht, dass Na­tur in Wirk­lich­keit ei­ne ge­wal­ti­ge Ge­roell­hal­de ist (plus ge­wal­ti­ge Kern­ex­plo­sio­nen, wie man er­gaen­zen soll­te).
    Und selbst­ver­staend­lich soll­ten wir den Be­reich die­ses »Na­tuer­li­chen« ver­las­sen, so schnell wie moeg­lich.

    Zi­tat: »Zu­letzt kom­men auch Wer­te, Wer­tun­gen, ins Spiel.« Dies ist die all­ge­gen­waer­ti­ge Kor­rup­ti­on, der Fron­tal­an­griff auf Wis­sen­schaft von Links und Rechts – Wis­sen­schaft muss zu et­was »gut sein« (Geld oder Gue­te). Da­durch ver­sucht der fi­nan­zi­ell-kuenst­le­ri­sche Kom­plex al­les zu er­sticken. »Dys­to­pie« der Kuenst­ler auf der ei­nen Sei­te, Ab­schaf­fung der Pro­duk­ti­on, Er­rich­tung ei­nes ewi­gen Geld­kreis­lau­fes durch die Neo­li­be­ra­len auf der an­de­ren Sei­te. So krie­gen wir den Alm-Oehi im Ban­ken­vier­tel.

    Ein we­sent­li­ches Pro­blem heu­te ist nicht, dass wir »zu­viel Wis­sen­schaft« haet­ten, son­dern im Ge­gen­teil soll sie von »links« und »rechts« zer­stoert wer­den. Je­der han­tiert mit Aeng­sten, nur halt an­de­re, je­weils an die ei­ge­ne Kli­en­tel an­ge­passt.

  6. In den Wis­sen­schaf­ten, wenn man’s ein­mal ver­stan­den hat, passt dann vie­les zu­sam­men.
    Na­ja, »die Wis­sen­schaf­ten« neh­men im­mer für sich in An­spruch die »Wahr­heit« zu po­stu­lie­ren. Das ist im­ma­nent. Sie ist nicht ge­schichts­los, son­dern muss im je­wei­li­gen Kon­text ih­rer Zeit ein­ge­bet­tet wer­den. Im 15. Jahr­hun­dert kam man bei­spiels­wei­se zu an­de­ren Schlüs­sen über das Pla­ne­ten­sy­stem als heu­te. Wis­sen­schaft­li­che »Wahr­hei­ten« gel­ten nur so lan­ge bis das Ge­gen­teil »be­wie­sen« wur­de. Das ist spä­te­stens seit Pop­per Stan­dard. (Ei­ne Aus­nah­me bil­det da wo­mög­lich die Phi­lo­so­phie, wo­bei man fra­gen könn­te, ob es sich um ei­ne Wis­sen­schaft im stren­gen Sin­ne han­delt.)

    Dass Wis­sen­schaf­ten po­li­tisch in­stru­men­ta­li­siert wer­den, ist eben­falls nicht neu. Und ich er­in­ne­re mich noch sehr gut an die Zeit, in der es selbst­ver­ständ­lich weil »fort­schritt­lich« war, sich auf Atom­ener­gie ein­zu­las­sen. Das wur­de in je­der Hin­sicht po­li­tisch ge­för­dert. Wer nicht da­bei war, galt als Hin­ter­wäld­ler. Dass sich das 40 Jah­re spä­ter ins kras­se Ge­gen­teil ver­kehrt hat­te, er­schien da­mals un­vor­stell­bar. Wür­den jetzt Atom­re­ak­to­ren her­ge­stellt wer­den, die al­len exi­stie­ren­den Pro­ble­men (Ent­sor­gung) trot­zen wür­den – es gä­be im­mer noch kei­ne Mehr­heit da­für. Zu tief sitzt das Res­sen­ti­ment.

  7. »Wenn Gott in sei­ner Rech­ten al­le Wahr­heit und in sei­ner Lin­ken den ein­zi­gen im­mer re­gen Trieb nach Wahr­heit, ob­schon mit dem Zu­sat­ze, mich im­mer und ewig zu ir­ren, ver­schlos­sen hiel­te und sprä­che zu mir: wäh­le! Ich fie­le ihm mit De­mut in sei­ne Lin­ke und sag­te: Va­ter gib! die rei­ne Wahr­heit ist ja doch nur für dich al­lein!« Das Zi­tat ist zur Ab­wechs­lung mal nicht von mir, son­dern von G. E. Les­sing, der kein Wis­sen­schaft­ler war, son­dern ein Dich­ter. Was mich be­trifft, ich den­ke – mit Les­sing -, daß Wahr­heit sehr wohl hi­sto­risch ist. Es kommt al­ler­dings auf den Wahr­heits­be­griff an, und auf den Ge­brauch des Worts, auf den Kon­text (schon wie­der »hi­sto­risch«).

    Setzt man Wahr­heit als Wert, der der Ori­en­tie­rung dient, al­so dem Stre­ben (nach Er­kennt­nis etc.), dann wür­de ich sie eben­falls als »ab­so­lut« be­zeich­nen, als un­be­dingt und ver­bind­lich. Die Tä­tig­keit des Er­ken­nens aber und die ein­zel­nen Er­kennt­nis­se, viel­leicht von der Idee der Wahr­heit ge­lei­tet, ist im­mer re­la­tiv und ab­hän­gig von wert­ge­bun­de­ne­nen mensch­li­chen Ent­schei­dun­gen, die der Tä­tig­keit selbst vor­aus­lie­gen. Daß Wis­sen­schaft­ler groß­ar­ti­ge, über­zeu­gen­de Lei­stun­gen voll­bracht ha­ben, die ein Welt­bild ver­mit­teln kön­nen, das der Wirk­lich­keit bis in die Wei­ten des Uni­ver­sums »ent­spre­chen« (oder na­he­kom­men) kann, ge­be ich gern zu. Hi­sto­risch bleibt das den­noch, Stück­werk im Ver­gleich zum ab­so­lu­ten Wis­sen, das nicht – wie­der mit Les­sing – für uns Men­schen ist.

    He­gel mein­te, daß der Geist im ab­so­lu­ten Wis­sen zu sich selbst kom­me; an­ders ge­sagt, das (er­ken­nen­de) Sub­jekt decke sich am En­de mit dem Ob­jekt. Das hal­te ich für Hy­bris und will sie nicht tei­len. Ich blei­be lie­ber bei Les­sing.

  8. Und dann ist die Fra­ge, ob die Men­schen ver­su­chen soll­ten, Atom­ker­ne zu spal­ten, in­dem sie tech­ni­sche Vor­rich­tun­gen da­für ent­wickeln.

    Dass sich Atom­ker­ne spal­ten las­sen, war ei­ne Er­kennt­nis, die sich aus der Re­la­ti­vi­täts­theo­rie theo­re­tisch er­ge­ben hat­te. Es war nicht die Idee Ein­steins Atom­spal­tung zu er­mög­li­chen, son­dern die Kennt­nis um die Na­tur der Din­ge zu er­hö­hen. Spä­ter hat er erst er­kannt wel­che Spreng­kraft (Ent­schul­di­gung) in die­ser Fol­ge­rung lag. Zu der Zeit war al­les wei­te­re aber ei­ne Fra­ge von Po­li­tik und Ge­sell­schaft und nicht mehr der Wis­sen­schaft. Das hat Dür­ren­matt al­les schon 1961 ab­ge­han­delt. Ein­mal Ge­dach­tes ist nicht rück­gän­gig zu ma­chen.

    16. Der In­halt der Phy­sik geht die Phy­si­ker an, die Aus­wir­kung al­le Men­schen.
    17. Was al­le an­geht, kön­nen nur al­le lö­sen.
    18. Je­der Ver­such ei­nes Ein­zel­nen, für sich zu lö­sen, was al­le an­geht, muß schei­tern.

    Die Aus­sa­ge Les­sings fin­de ich im be­sten Fal­le noch nied­lich und nur hi­sto­risch von be­lang. Die Vor­stel­lung, dass Men­schen in Ver­ant­wor­tung auf­grund die­ser Hal­tung heu­te noch Ent­schei­dun­gen tref­fen, ist gru­se­lig. Was ab­so­lu­tes Wis­sen sein soll, ha­be ich nie ver­stan­den. Wo soll die­ses Wis­sen her kom­men? (ja, dass in­ter­es­siert mich wirk­lich) Wer hat da­zu ei­nen Zu­gang? Und wenn dies nicht mög­lich ist, was schert es uns? Auch He­gel ar­gu­men­tiert kau­sal. Am An­fang der Ar­gu­men­ta­ti­on muss dann ein Crea­tio-Ex-Ni­hi­lo-Wis­sen ste­hen oder man geht in ei­nen in­fi­ni­ten Re­gress. Das ist bei­des nicht ab­so­lut.

    Oder an­ders for­mu­liert: Wer Evo­lu­ti­on ak­zep­tiert, soll­te nicht von Wahr­hei­ten spre­chen. Wir kön­nen mit un­se­rem Ge­hirn die Er­geb­nis­se der Sin­ne in ei­nen Kau­sal­zu­sam­men­hang brin­gen. Mei­stens klappt das mehr schlecht als recht (Ein­mal ist oft, zwei­mal ist im­mer). Wir ha­ben aber ei­ne Me­tho­de ent­wickelt dies zu er­staun­li­chen Er­geb­nis­sen zu brin­gen. Mehr kön­nen wir nicht er­war­ten, oh­ne die Evo­lu­ti­on in Fra­ge zu stel­len. Und das ist zu­min­dest mo­men­tan nicht sa­tis­fak­ti­ons­fä­hig.

  9. Les­sing mag nied­lich klin­gen; sein Fest­hal­ten an ei­nem Gott ist heu­te ob­so­let. Den Wahr­heits­be­griff wür­de ich da­mit al­ler­dings noch nicht auf­ge­ben, weil er die Er­kennt­nis­tä­tig­keit – die sich ja auch nicht auf das Auf­spü­ren oder Kon­stru­ie­ren von Kau­sal­zu­sam­men­hän­gen re­du­zie­ren läßt – ori­en­tie­ren kann.

    Was den Ge­brauch und Miß­brauch wis­sen­schaft­li­cher Er­kennt­nis­se selbst be­trifft, so ha­ben sich Leu­te wie Ein­stein sehr wohl Ge­dan­ken ge­macht und Ver­ant­wor­tung emp­fun­den, die sie in be­stimm­ten Fäl­len zu – meist ver­geb­li­chen – Ver­su­chen ver­an­laßt hat, auf das po­li­ti­sche oder mi­li­tä­ri­sche Ge­sche­hen Ein­fluß zu neh­men. Auf­grund der Er­fah­run­gen von NS, Ju­den­ver­nich­tung und zwei­tem Welt­krieg ha­ben sich vie­le Den­ker die Fra­ge ge­stellt, wo­hin der Ge­brauch von Ra­tio­na­li­tät füh­ren kann bzw. soll bzw. nicht soll. Ein Er­geb­nis des­sen ist die »Dia­lek­tik der Auf­klä­rung«, wo Hork­hei­mer und Ador­no, an­ders als et­wa Lukács, eben die fort­schrei­ten­de Ra­tio­na­li­sie­rung für die Ka­ta­stro­phen (teil-)verantwortlich ge­macht ha­ben. Ein an­de­res Re­sul­tat sind die Über­le­gun­gen von Gün­ther An­ders zur »An­ti­quiert­heit des Men­schen« auf­grund der Er­eig­nis­se von Hi­ro­shi­ma und Na­ga­sa­ki. Dür­ren­matts Äu­ße­run­gen und sein Thea­ter­stück ge­hö­ren in ge­nau die­sen Kon­text. Et­was spä­ter, aber auf die­ser Li­nie, hat der In­for­ma­ti­ker Jo­seph Wei­zen­baum vor den mög­li­chen Ver­wen­dungs­wei­sen sei­ner Wis­sen­schaft ge­warnt, vor al­lem mit Blick auf die In­ter­es­sen des US-Mi­li­tärs. Heu­te scheint mir, daß die oft un­kon­trol­lier­te und un­kon­trol­lier­ba­re In­for­ma­ti­sie­rung der mei­sten Be­rei­che der Ge­sell­schaft, und zwar welt­weit, nicht zu­letzt der Fi­nanz­wirt­schaft, ein ge­wal­ti­ges Ge­fah­ren­po­ten­ti­al birgt, das in Kri­sen zu­ta­ge tre­ten könn­te, die de­nen des 20. Jh.s wo­mög­lich nicht nach­ste­hen wer­den.

    Kri­ti­sche Stim­men, sei es von Wis­sen­schaft­lern, sei es ein­fach von Bür­gern, die nicht un­mün­dig sein wol­len, in­dem sie Stel­lung neh­men und nicht sämt­li­che Ent­wick­lun­gen wi­der­stands­los über sich er­ge­hen las­sen wol­len, wer­den ver­mut­lich wie bis­her ver­hal­len und kaum Ein­fluß ha­ben. Den­noch, wer weiß... Es gibt da die – 1942 ge­bo­re­ne, noch im­mer le­ben­de – Fi­gur des glück­li­chen Si­sy­phos, der aus frei­en Stücken das Ab­sur­de tut.

  10. @Joseph Bran­co
    Viel­leicht liegt es an der Dif­fe­ren­zie­rung »Wahr­heit – Wahr­hei­ten«, aber ist es nicht ge­ra­de des­we­gen, weil wir die Er­geb­nis­se un­se­rer Sin­ne (und nicht nur sie) nut­zen, um kau­sa­le Er­klä­run­gen zu for­mu­lie­ren, not­wen­dig nach ei­ner Über­ein­stim­mung ei­ner Aus­sa­ge über die Welt mit eben­die­ser zu fra­gen? Ei­ne Aus­sa­ge, ei­ne The­se, ist wahr oder falsch, die Fra­ge nach der Wahr­heit, ist die ab­strak­te For­mu­lie­rung ei­nes kon­kre­ten Tuns. Ab­so­lut kann in die­sem Zu­sam­men­hang viel­leicht ei­ne Art Welt­for­mel (theo­ry of ever­ything) mei­nen, die al­le we­sent­li­chen Phä­no­me­ne er­klä­ren kann (ein wohl »kind­li­cher« Wunsch auf der ei­nen Sei­te und doch im Sin­ne von »et­was wis­sen wol­len«, ein An­trieb, das auch zu tun). Al­ler­dings: He­gel dach­te si­cher­lich nicht em­pi­risch und for­mu­lier­te in ei­ner an­de­ren Spra­che (ich mei­ne auch bei Scho­pen­hau­er ein­mal selt­sa­me »Wahr­heits­for­mu­lie­run­gen« ge­le­sen zu ha­ben).

    Vor ei­nem For­schungs­un­ter­fan­gen, kann man über sei­ne mög­li­che Aus­wir­kun­gen nach­den­ken: Die Ver­ant­wor­tung ei­nes Wis­sen­schaft­lers, im Sin­ne sei­ner For­schungs­frei­heit, wä­re auf For­schun­gen zu ver­zich­ten, wo dra­ma­ti­sche Aus­wir­kun­gen ab­seh­bar sind oder sei­ne Er­geb­nis­se in Hän­de ge­lan­gen, die die­se For­schun­gen für ih­re ab­seh­ba­ren Zwecke nut­zen wer­den (die­se »Hän­de« stel­len bis­wei­len die not­wen­di­gen Fi­nanz­mit­tel zur Ver­fü­gung).

  11. @Leopold Fe­der­mair
    Das ist mal ei­ne Vol­te. Über Les­sing, den ich ri­go­ros ab­leh­ne, tref­fen wir uns bei Ca­mus wie­der. Mit dem Mensch in der Re­vol­te kann ich prak­tisch et­was an­fan­gen, aber wahr­schein­lich auch nur des­halb, weil Ca­mus dort den Pfad der Phi­lo­so­phie ver­las­sen hat­te und nicht mehr kau­sal ar­gu­men­tier­te, son­dern an die Con­di­tio hu­ma­na ap­pel­lier­te. Wenn ich mich um­schaue se­he ich aber über­all Men­schen, die im Sin­ne des My­thos von Sys­phos schon lan­ge Selbst­mord be­gan­gen ha­ben und da­bei zäh­le ich die Wis­sen­schaft­ler, die auf der Su­che nach ab­so­lu­ten Wahr­hei­ten sind, mit.

    Und na­tür­lich hat sich Ein­stein Ge­dan­ken hu­ma­ni­tä­rer Art ge­macht, des­halb aber nicht a prio­ri auf­ge­hört zu den­ken. Ei­ne tra­gi­sche Fi­gur. Er er­kennt das Pro­blem, möch­te es durch sein Ein­grei­fen ver­hin­dern und lei­tet so erst die bis­her ein­zi­gen Ein­sät­ze von Atom­bom­ben ein. Das hat schon was von Ödi­pus etc. Die Tech­nik­fol­ge­ab­schät­zung ist aber nicht mehr Sa­che der nüch­tern agie­ren­den Wis­sen­schaft, wo man ein Er­geb­nis an­hand der Stan­dard­ab­wei­chung als eher rich­tig oder falsch an­ge­ben kann. Die Kom­ple­xi­tät ei­ner Ge­sell­schaft ist so hoch, dass wis­sen­schaft­li­cher An­spruch dort nicht mehr greift (da­her hal­te ich die So­zio­lo­gie auch nicht für ei­ne Wis­sen­schaft, die ex­po­nier­ten Ver­tre­ter eher für ei­ne Art Gu­ru). Wenn in ei­ner Ge­sell­schaft aber kein rich­tig oder falsch greif­bar ist, die Ma­ni­pu­la­to­ren Fe­ste fei­ern, blie­be nur der Rück­griff auf das, was den Men­schen zum Men­schen macht: sei­ne so­zia­le Na­tur. Und ge­nau da greift der gro­ße Wer­te­ver­nich­ter, der glo­ba­le Fi­nanz­ka­pi­ta­lis­mus. Und auch da ge­be ich Ih­nen völ­lig recht. Das Ge­fah­ren­po­ten­ti­al des sich der In­for­ma­ti­ons­tech­ni­ken be­mäch­ti­gen­de Fi­nanz­ka­pi­ta­lis­mus ist un­ab­seh­bar und ent­zieht sich je­der Kon­trol­le durch na­tio­na­le En­ti­tä­ten.

    @metepsilonema
    Ja, das mensch­li­che Ge­hirn ver­sucht manch­mal na­he­zu ver­zwei­felt (auf Ko­sten der ob­jek­ti­ven Wahr­neh­mung) ein ko­hä­ren­tes Bild der Welt zu er­zeu­gen (op­ti­sche Täu­schun­gen etc.). Wenn ich aber ab­so­lu­tes Wis­sen ha­ben möch­te, be­nö­ti­ge ich ein Fun­da­ment, auf dem ich star­ten kann, mit der un­be­ding­ten Ge­wiss­heit, dass es tat­säch­lich ein Fun­da­ment ist. Wo die­se Ge­wiss­heit her­kom­men soll, wüss­te ich nicht. Die Ma­the­ma­tik be­hilft sich da­mit Axio­me als Fun­da­ment auf­zu­stel­len und dar­auf Ge­bäu­de schier un­end­li­cher Kom­ple­xi­tät auf­zu­bau­en. Ob die Axio­me tat­säch­lich »wahr« sind, ist nicht zu sa­gen (s. z.B. das Par­al­le­len­axi­om der eu­kli­di­schen Geo­me­trie) und das Ge­bäu­de ist auch nicht voll­stän­dig (s. Gö­del). Ab­so­lut ist da selbst in der klar­sten Struk­tur­wis­sen­schaf­ten nichts.

    Ein sehr kon­tro­ver­ses Bei­spiel für die Ver­ant­wor­tung, gab es vor ein paar Jah­ren, als zwei Wis­sen­schaft­ler das Vo­gel­grip­pe­vi­rus H5N1 so ver­än­dert hat­ten, dass es leicht von Mensch zu Mensch über­tra­gen wer­den konn­te (qua­si Spa­ni­sche Grip­pe). Die USA hat­ten als Fi­nan­zier noch ver­sucht die Pu­bli­ka­ti­on zu ver­hin­dern, die In­for­ma­tio­nen wa­ren aber schon in der Welt. Die Fra­ge nach ei­nem Pu­bli­ka­ti­ons­ver­bot hat­te un­ter Fach­leu­ten zu kon­tro­ver­sen Dis­kus­sio­nen ge­führt.

    P.S. Was ist mit (und nicht nur sie) ge­meint? Ich ha­be nicht mal ei­nen sieb­ten Sinn, ge­schwei­ge denn wei­te­re Er­kennt­nis­or­ga­ne.

  12. @Joseph Bran­co
    Nur um es klar zu stel­len: Ich hal­te von Be­grif­fen, wie dem des ab­so­lu­ten Wis­sens, vor al­lem in em­pi­ri­schen Kon­tex­ten, nichts. Aber selbst Na­tur­wis­sen­schaft­ler wie Mo­nod sind doch wie­der in der Welt der Ideen ge­lan­det, die man da­zu in Be­zug set­zen kann (viel­leicht ist die­se, vor Jah­ren ge­schrie­be­ne Be­spre­chung von In­ter­es­se, da auch ein Be­zug zu Ca­mus be­steht).

    Zum »nicht nur sie«: Die Na­tur­wis­sen­schaft ist ja da­durch groß ge­wor­den, dass sie die en­gen Gren­zen un­se­rer Sin­ne er­wei­tert hat, das er­folgt re­la­tiv di­rekt, wie in der Licht­mi­kro­sko­pie, häu­fig aber in­di­rekt, wenn die sinn­li­che Wahr­neh­mung auf das Ab­le­sen ei­nes Mess­werts re­du­ziert wird. Die­sem Mess­wert liegt ei­ne Mess­theo­rie und ein be­stimm­tes Vor­ge­hen, wie ein Ver­ständ­nis der Si­tua­ti­on und des vor­lie­gen­den Ob­jekts zu Grun­de. Vie­les ist da mehr Vor­stel­lung, als di­rek­te sinn­li­che Wahr­neh­mung, das mein­te ich (vie­les kann von un­se­ren Sin­ne auch gar nicht di­rekt wahr­ge­nom­men wer­den).

  13. Noch ei­nen Nach­satz: Weil oben von Er­zie­hung die Re­de war und Sie die so­zia­le Na­tur des Men­schen an­ge­spro­chen ha­ben, der Fi­nanz­ka­pi­ta­lis­mus ist doch »nur« ei­ne Spiel­art je­ner in­stru­men­tel­len Ver­nunft, die Hork­hei­mer und Ador­no kri­ti­sier­ten; ich glau­be, dass längst na­he­zu al­le Be­reich mensch­li­chen Wir­kens und die mensch­li­che Na­tur selbst, die­ser Art der Be­trach­tung un­ter­lie­gen. Wenn ich heu­te in der Öf­fent­lich­keit un­ter­wegs bin, ha­be ich den Ein­druck, dass vie­len Men­schen ihr Smart­phone nä­her steht, als ihr Kind, das ne­ben ih­nen sitzt oder geht. Man könn­te sa­gen: Wir ver­hal­ten uns wi­der un­se­re ei­ge­ne Na­tur.