»Im Na­men des Gu­ten«

Alexander Kissler: Widerworte

Alex­an­der Kiss­ler:
Wi­der­wor­te – War­um mit Phra­sen Schluss sein muss

An­mer­kun­gen zu ei­nem An­ti-Phra­sen­buch und ein klei­ner Ex­kurs in die Ver­gan­gen­heit

Der Ti­tel des neu­en Bu­ches von Alex­an­der Kiss­ler (Res­sort­lei­ter beim Ma­ga­zin »Ci­ce­ro«) ist kämp­fe­risch: »Wi­der­wor­te – War­um mit Phra­sen Schluss sein muss«. Kiss­ler sieht es als ei­ne Pflicht an, 15 der gän­gi­gen Phra­sen der letz­ten Jah­re zu wi­der­spre­chen, denn nicht die Lü­gen sei­en die Ge­fahr für das Den­ken, son­dern die Phra­se, so im Vor­wort.

»Viel­falt ist un­se­re Stär­ke«, »Das ist al­ter­na­tiv­los«, »Ge­walt ist kei­ne Lö­sung«, das sich im­mer ra­san­ter aus­be­rei­ten­de Cre­do vom all­sei­tig not­wen­di­gen Re­spekt, »Un­ser Reich­tum ist die Ar­mut der An­de­ren«, so­wie die Mut­ter al­ler Phra­sen der letz­ten Jah­re »Wir schaf­fen das« – um nur ei­ni­ge der ana­ly­sier­ten und se­zier­ten Re­de­wen­dun­gen zu nen­nen. Das Buch wen­det sich die­sen Phra­sen in Tex­ten zwi­schen fünf und zwan­zig Sei­ten zu, wo­bei die In­ten­si­tät der Be­spre­chung Rück­schlüs­se auf die Phra­sen­haf­tig­keit der Phra­se, al­so der Not­wen­dig­keit von de­ren De­kon­struk­ti­on zu­lässt.

Phra­sen sind »Um­wer­tungs­ver­su­che«, sol­len Ge­dan­ken len­ken, Mei­nungs­strö­me ein­he­gen, Ge­wiss­hei­ten be­to­nie­ren. »Die Phra­se be­ginnt, wo das Den­ken en­det«, so Kiss­ler an ei­ner Stel­le süf­fi­sant. Im harm­lo­sen Fall ist es nur ein Wer­be­spruch, der in den Ka­non der Re­de­wen­dun­gen ein­fliesst und sich dort zu­wei­len ver­selb­stän­digt. »Zur Phra­se wird ein Spruch, wenn er ei­nen wah­ren Teil­aspekt aus­spricht und die­sen zur gan­zen Wahr­heit er­klärt.« Kiss­ler meint da­mit die po­li­tisch auf­ge­la­de­nen Phra­sen, de­ren Aus­sa­gen zu Ge­wiss­hei­ten er­klärt wer­den. Bei der Lek­tü­re stellt sich ein er­staun­li­ches Er­leb­nis ein: Die Phra­sen wer­den von et­li­chen Mas­sen­me­di­en häu­fig gar nicht mehr be­fragt, son­dern in ei­ner bis­wei­len selt­sam an­mu­ten­den Ein­tracht mit Po­li­tik und/oder In­sti­tu­tio­nen (NGOs, Kir­chen, Wis­sen­schaf­ten) als Ge­bo­te an­ge­se­hen und wei­ter­ver­brei­tet. Wei­ter­le­sen

Das Ge­setz des Le­sens

Michael Kleeberg: Der Idiot des 21. Jahrhunderts

Mi­cha­el Klee­berg:
Der Idi­ot des 21. Jahr­hun­derts

Es gibt Bü­cher, de­nen man nicht ge­wach­sen ist. We­nig­stens nicht so­fort. Man liest sie, aber es fällt ei­nem nichts da­zu ein. Oder es fällt ei­nem zu­viel ein. Zu­viel, was man nicht auf­schrei­ben kann oder will.

Ein sol­ches Buch ist »Der Idi­ot des 21. Jahr­hun­derts« von Mi­cha­el Klee­berg. Ich be­kam es im Au­gust letz­ten Jah­res zu­ge­schickt. Ich schät­ze Klee­bergs Li­te­ra­tur sehr. Sei­ne No­vel­le »Bar­fuß« et­wa und die Karl­mann-Ro­ma­ne (»Karl­mann« und »Va­ter­jah­re«), die auf klu­ge und zu­gleich poe­ti­sche Wei­se Zeit­ge­schich­te spie­geln, aber auch evo­zie­ren. Hier sind Mit­tel­schicht­ler die Prot­ago­ni­sten, kei­ne In­tel­lek­tu­el­len, statt­des­sen Kauf­leu­te, An­ge­stell­te, Ärz­te, Schul­den­ma­cher, Mil­lio­nä­re und Ge­schei­ter­te. Es war na­tür­lich so­fort klar, dass der »Idioten«-Roman et­was an­de­res ist.

Nach fast ei­nem Jahr im­mer noch mit leich­ten Pro­ble­men mit dem ori­en­to­p­hil-ver­kit­schen­den Ro­man »Kom­pass« von Ma­thi­as Énard, be­gann ich das Buch im hei­ßen Som­mer zu le­sen. Na­tür­lich sind die An­spie­lun­gen so­fort klar. Im Un­ter­ti­tel ist ei­nem »Di­van« die Re­de – al­so Goe­the. Die Form ist tat­säch­lich an den West-öst­li­chen Di­wan an­ge­lehnt; 12 Ka­pi­tel, Bü­cher ge­nannt. Wie bei Goe­the (und Énard) spielt der per­si­sche Dich­ter Ha­fis ei­ne wich­ti­ge Rol­le. Der Hin­weis auf den Idio­ten im Ti­tel lässt auf den Für­sten Mysch­kin schlie­ßen. Und dann gibt es noch die Ge­schich­te von Lei­la und Madschnun, die hier mit Ma­ryam und Her­mann fort­ge­schrie­ben wird.

Und tat­säch­lich han­delt es sich bei dem Ro­man um ei­ne Ge­schich­ten­samm­lung. Da­bei er­staunt es, dass die Haupt­fi­gu­ren in ei­ner Art Wohn­ge­mein­schaft in Mühl­heim, in der Nä­he zu Frank­furt, le­ben. Es sind, wie ein übel­lau­ni­ger Kri­ti­ker an­merk­te, al­le­samt »Gut­men­schen«, die un­ter an­de­rem beim Kar­tof­fel­schnei­den oder Ge­mü­se­schnib­beln über die gro­ßen The­men Flucht, Exil, Ori­ent und Ok­zi­dent, Deutsch­land und die Welt »ver­nünf­tig« spre­chen (so ei­ner der Prot­ago­ni­sten im Buch). Nicht aus­zu­den­ken was die­ser Kri­ti­ker­witz­bold ge­sagt hät­te, wenn es »bö­se Men­schen« ge­we­sen wä­ren.

Der gan­ze Bei­trag hier bei »Glanz und Elend«

An­ge­la Leh­ner: Va­ter un­ser

Angela Lehner: Vater unser

An­ge­la Leh­ner: Va­ter un­ser

Das Co­ver, die­se blut­ro­te Schrift auf pin­kem Un­ter­grund, kann ich nur schwer er­tra­gen. Kopf­schmer­zen stel­len sich ein. Es ver­führt zum Um­blät­tern, zum Le­sen. Al­so los. Ei­ne Frau be­fin­det sich in Po­li­zei­ge­wahr­sam. Sie re­bel­liert nicht, scheint fast ein­ver­stan­den mit der Frei­heits­be­rau­bung und er­kun­det statt­des­sen prä­zi­se die Um­ge­bung, die Po­li­zi­sten. Sie ra­sten an ei­ner Tank­stel­le. Ein Herr­gotts­win­kel mit Hai­der-Bild­chen. Kärn­ten al­so. Es geht im Ge­fäng­nis­au­to nach Wien, ins OWS, »Ot­to-Wag­ner-Spi­tal«. »Der Him­mel wird schon kit­schig«, heißt es. Die Ich-Er­zäh­le­rin ist Eva Gru­ber. Sie soll ei­ne Kin­der­gar­ten­klas­se er­schos­sen ha­ben.

Ka­me­ra­be­ob­ach­tung, ei­ne Ho­se mit Gum­mi­zug, je­den Tag Kar­tof­feln als Bei­la­ge in Va­ria­tio­nen. Kein Spa, aber auch kein Ge­fäng­nis. Eva ent­deckt Bern­hard, ih­ren Bru­der. Bern­hard ist für sie der »ein­zi­ge Mensch, des­sen Furcht für mich schlim­mer ist als mei­ne ei­ge­ne«. Mut­ter­ge­füh­le der Schwe­ster. Die bei­den wer­den nicht zu­sam­men­ge­legt; An­stalts­ge­setz. Bern­hard ist ab­ge­ma­gert, lei­det un­ter Ess­stö­run­gen, re­ser­viert sich von sei­ner Schwe­ster. Er hat so et­was wie ei­ne Freun­din, die Eva »Dum­bo« nennt.

Eva er­zählt, be­rich­tet. Der Le­ser weiss trotz­dem we­nig bis nichts. Sie ist forsch, lässt sich vom eher schüch­ter­nen, et­was um­ständ­li­chen The­ra­peu­ten, Dok­tor Korb, nicht be­ein­drucken; im Ge­gen­teil: sie for­dert ihn, was ihn über­for­dert. Im­mer wie­der gibt es Rück­blen­den in die Kind­heit, an den schüch­ter­nen, ge­dul­di­gen Va­ter, die merk­wür­dig blass blei­ben­de Mut­ter, die sich ein­mal mit Bern­hard in ei­nem Zim­mer ein­ge­schlos­sen hat­te und auch Schlä­ge von Eva er­trug. Der Va­ter hat Selbst­mord be­gan­gen, er­fährt man. Die Mut­ter sei »auch tot«. Wei­ter­le­sen

Ge­sin­nungs­äs­the­tik, Klas­sen­lie­be und Mei­nungs­pfo­sten

Anke Stelling: Schäfchen im Trockenen

An­ke Stel­ling:
Schäf­chen im Trocke­nen

Un­ge­ord­ne­te Be­mer­kun­gen zu An­ke Stel­lings »Schäf­chen im Trocke­nen«

Es gibt sie noch, die Li­te­ra­tur­kri­tik, die es schafft, Lust auf die Lek­tü­re ei­nes Bu­ches zu er­zeu­gen. Über­ra­schend ist viel­leicht, dass ein Ver­riss war, der mich auf An­ke Stel­lings »Schäf­chen im Trocke­nen« neu­gie­rig mach­te. Die lo­ben­den Wor­te, die ich in den Teasern von den üb­li­chen Ver­däch­ti­gen las und auch der Preis der Leip­zi­ger Buch­mes­se ge­nüg­ten hier­für nicht. Es be­durf­te der fu­rio­sen Phil­ip­pi­ka von Iris Ra­disch (lei­der jetzt hin­ter ei­ner Paywall). Vor al­lem, weil hier von »Ge­sin­nungs­äs­the­tik« die Re­de ist, vom »vul­gär­so­zio­lo­gi­schen Grund«, der die­se Pro­sa mit dem »wichtigste[n] Li­te­ra­tur­preis des Früh­jahrs« be­denkt.

Der Vor­wurf der Ge­sin­nungs­äs­the­tik fällt im­mer dann, wenn ein Buch nicht auf­grund sei­ner li­te­ra­ri­schen Vor­zü­ge ge­lobt und aus­ge­zeich­net zu wer­den scheint, son­dern der po­li­ti­sche, ge­sell­schaft­li­che Deu­tungs­rah­men des In­halts do­mi­niert. Ge­sin­nungs­äs­the­tik fun­giert da­bei vor al­lem als Ur­teil über die Re­zep­ti­on bzw. die Kri­tik. Es han­delt sich al­so im wei­te­sten Sinn um Me­di­en­kri­tik. Sel­ten, dass ei­nem Au­tor ge­sin­nungs­äs­the­ti­sches Schrei­ben da­hin­ge­hend un­ter­stellt wird, dass er ei­nen po­li­ti­schen und/oder ge­sell­schaft­li­chen Main­stream be­wusst be­dient.

Da­bei wird über­se­hen, dass na­he­zu je­des Ur­teil über ein li­te­ra­ri­sches Werk ge­wis­sen ge­sin­nungs­äs­the­ti­schen Strö­mun­gen un­ter­liegt. So ist der klei­ne Bru­der der Ge­sin­nungs­äs­the­tik der Zeit­geist. Der Un­ter­schied zwi­schen Zeit­geist und Ge­sin­nungs­äs­the­tik be­steht dar­in, ob die Aus­zeich­nen­den, die Lo­ben­den um die Prio­ri­sie­rung ih­rer Ur­teils­kri­te­ri­en wis­sen. Zeit­geist ge­schieht, Ge­sin­nungs­äs­the­tik ist be­wusst. Aus­ge­zeich­net wird dann et­was ge­ra­de we­gen sei­ner au­ßer­li­te­ra­ri­schen Be­zü­ge, bei­spiels­wei­se weil in ei­nem Ro­man ei­ne be­stimm­te po­li­ti­sche Rich­tung po­si­tiv dar­ge­stellt wird oder weil es ei­ne Frau ge­schrie­ben hat oder ein Mann oder ein Ein­hei­mi­scher oder ei­ne Per­son mit Mi­gra­ti­ons­vor­der- oder –hin­ter­grund oder was auch im­mer als re­le­vant her­an­ge­zo­gen wird.

Zu­letzt kur­sier­te der Vor­wurf der Ge­sin­nungs­äs­the­tik in gro­ßem Stil in den Feuil­le­tons der 1990er Jah­re als es um die nach­träg­li­che Be­wer­tung der Dich­tun­gen aus der DDR ging. Der Aus­lö­ser war Chri­sta Wolfs No­vel­le »Was bleibt«. In der sich im­mer mehr vom Text ab­kop­peln­den Dis­kus­si­on ging es am En­de dar­um, ob bei­spiels­wei­se Wolfs Werk auf­grund ih­res Sta­tus als Au­torin der DDR zu po­si­tiv re­zi­piert wor­den sei. Man hät­te hier­aus ei­ne in­ter­es­san­te Dis­kus­si­on um Schrift­stel­ler und de­ren po­li­ti­sche Kom­pe­tenz füh­ren kön­nen – aber wie so häu­fig ent­glitt das The­ma. Be­zeich­nend, dass Wolf vor al­lem von Gün­ter Grass in Schutz ge­nom­men wur­de. Man hät­te durch­aus auch Grass, der halb frei­wil­lig halb er­zwun­gen zum »Ge­wis­sen der Na­ti­on« sti­li­siert wur­de, als ge­sin­nungs­äs­the­tisch be­wer­te­ten Au­tor her­an­zie­hen kön­nen, aber aus ir­gend­wel­chen Grün­den un­ter­zog man nur die DDR-Au­toren der Kri­tik.

Ra­disch ver­wen­det die Be­zeich­nung der »po­pu­lä­ren Ge­sin­nungs­äs­the­tik«. Da­mit kri­ti­siert das, was man grob ver­ein­fa­chend als gän­gi­ge Preis- und Sti­pen­dia­ten­pro­sa be­zeich­nen könn­te. Es ist ei­ne Pro­sa, die das rich­ti­ge schreibt und denkt, sich dem Main­stream an­ge­passt hat. Der Vor­wurf der Ge­sin­nungs­äs­the­tik ist da­her auch als Kri­tik an den li­te­ra­ri­schen Ur­tei­len ge­ne­rell zu ver­ste­hen. Wei­ter­le­sen

Se­ba­sti­an Win­kels: Tal­king Mo­ney

Mr. Gocha aus Ge­or­gi­en möch­te noch ei­nen neu­en Kre­dit. Ei­ne Fa­mi­lie aus Nea­pel ver­han­delt über ei­ne Rück­zah­lung ei­nes ver­schul­de­ten Erb­las­sers. Ein an­de­rer Mann hat Pro­ble­me beim Ein­lö­sen ei­nes Bar­schecks. Schließ­lich ver­lässt er mit ei­nem Bün­del Geld die Bank, um da­mit sei­ne Ar­bei­ter zu be­zah­len. In Co­to­nou, Ben­in, möch­te Mon­sieur As­s­ank­pon ei­nen Kre­dit mit sei­ner Fest­geld­an­la­ge ver­rech­nen und soll 8% für 6 Mo­na­te be­zah­len. In Ka­ra­chi wer­den 30 Mil­lio­nen Ru­pi­en für zwei neue Fir­men­grün­dun­gen nach­ge­fragt. Ei­ne Schwei­ze­rin er­kun­digt sich nach An­la­ge­mög­lich­kei­ten, die so­zia­les und öko­lo­gi­sches En­ga­ge­ment un­ter­stüt­zen. Ei­ne Zi­tro­nen­händ­le­rin aus Bo­li­vi­en be­nö­tigt ei­nen Fi­nan­zie­rungs­kre­dit. Ein Hei­zungs­bau­er aus Pots­dam er­kun­digt sich nach ei­ner neu­en Be­rufs­un­fä­hig­keits­ver­si­che­rung. Ei­ne Toch­ter und ihr 91jähriger Va­ter sind in Chi­ca­go mit ei­ner Erb­schafts­an­ge­le­gen­heit be­schäf­tigt.

All die­se Per­so­nen (und noch ei­ni­ge mehr) sit­zen ih­rem Bank­be­ra­ter, ih­rer Bank­be­ra­te­rin, ge­gen­über. »Tal­king Mo­ney« heisst der Film von Se­ba­sti­an Win­kels und der leicht schel­mi­sche Un­ter­ti­tel lau­tet »Ren­dez­vous bei der Bank«. Die Sze­ne­rien be­gin­nen oh­ne je­de Ein­füh­rung und en­den zu­meist oh­ne Auf­lö­sung. Die Ka­me­ra bleibt auf den je­wei­li­gen Kun­den ge­rich­tet. Die Bank­an­ge­stell­ten sind fast nie im Bild; höch­stens ein un­deut­li­ches Pro­fil oder ei­ne Hand, die über den Tisch huscht oder ein Com­pu­ter wird be­dient. Meist geht es um ei­nen Kre­dit. Die Ton­la­ge in den Ge­sprä­chen va­ri­iert häu­fig zwi­schen Beicht­stuhl, Ab­fer­ti­gungs­schal­ter und Po­li­zei­ver­hör. Selbst die an­la­ge­su­chen­den Schwei­zer Kun­den wir­ken wie Bitt­stel­ler.

We­ni­ge Pau­sen zwi­schen den Sit­zun­gen rund um die Welt. Dar­in wort­los ei­ne Frau, die ku­gel­schrei­ber­krei­send te­le­fo­niert. Ei­ne an­de­re schlägt mit der Hand­flä­che auf ei­nen Pa­gi­nier­stem­pel. Auf­zug mit Mo­zart­mu­sik. Ei­ne Kaf­fee- oder Tee­kü­che. Au­to­ma­ten wer­den mit Geld be­stückt. Ein Si­cher­heits­mann. Wei­ter­le­sen

»Nicht ve­ri­fi­zie­ren – fal­si­fi­zie­ren!«

Fu­ri­os-span­nen­de Zeit- und Me­di­en­ge­schich­te: »Fa­king Hit­ler« lie­fert neue Ein­blicke in das schein­bar Be­kann­te um die Af­fä­re der Hit­ler-Ta­ge­bü­cher

Auch wer es nicht sel­ber er­lebt hat, kennt sie ir­gend­wie: die so­ge­nann­ten Hit­ler-Ta­ge­bü­cher, die 1983 für kur­ze Zeit ganz Deutsch­land elek­tri­sier­ten. Ich war da­mals 24 Jah­re alt. Ma­ga­zi­ne wie »stern« mit ih­ren el­len­gen­lan­gen Fo­to­re­por­ta­gen in­ter­es­sier­ten mich eher we­ni­ger. Das Heft mit den Hit­ler-Ta­ge­bü­chern hat­te ich den­noch ge­kauft. Ob­wohl die Zwei­fel groß wa­ren. Wie­so tauch­ten auf ein­mal, 40 Jah­re nach Kriegs­en­de, die­se Ta­ge­bü­cher auf? Und war­um kom­men sie in ei­nem sol­chen Ma­ga­zin? Wä­re nicht eher der re­pu­ta­ti­ons­mä­ssig hö­her­ste­hen­de Spie­gel die rich­ti­ge Platt­form ge­we­sen? Im Fern­se­hen hiel­ten sich nach mei­ner Er­in­ne­rung zu­nächst Skep­ti­ker und Eu­pho­ri­ker die Waa­ge.

Aber der Scoop währ­te nur ein paar Ta­ge, dann war klar: die Ta­ge­bü­cher wa­ren ge­fälscht. Scheib­chen­wei­se ka­men nun die Ein­zel­hei­ten in die Öf­fent­lich­keit, die ir­gend­wann er­mü­de­ten. Ein paar Jah­re spä­ter noch »Schtonk«; ein Film, der mich nur mä­ssig amü­sier­te, weil ich ihn über­trie­ben und ver­harm­lo­send fand.

Aus heu­ti­ger Sicht ist es er­staun­lich, dass das An­se­hen des Jour­na­lis­mus da­mals nicht dau­er­haft Scha­den nahm. Das hat­te al­ler­dings da­mit zu tun, dass die Schar der Skep­ti­ker sehr schnell Ober­hand ge­wann – vor al­lem auch in den Kon­kur­renz­me­di­en. Jour­na­li­sten­al­li­an­zen und Re­cher­chen­etz­wer­ke gab es da­mals nicht. Am En­de blieb na­he­zu al­les am »stern« haf­ten. Und die hat­ten ih­ren Sün­den­bock, den »Star­re­por­ter« Gerd Hei­de­mann. Der ei­gent­li­che Fäl­scher Kon­rad Ku­jau wur­de eher be­staunt, manch­mal so­gar be­wun­dert. Spä­ter, nach sei­ner Haft, sah man ihn ver­schie­dent­lich im Fern­se­hen, be­vor­zugt in Talk­shows. Man scherz­te und lach­te. Auf You­tube kann man das teil­wei­se noch an­se­hen. Das wi­der­te mich an, weil ei­ne vor­sätz­li­che Ge­schichts­fäl­schung fast wie ein Ka­va­liers­de­likt be­han­delt wur­de. (Spä­ter beim an­de­ren gro­ßen Fäl­scher Bel­trac­chi, der die Schicki-Micki-Möch­te­gern-Kunst-Avant­gar­de hin­ters Licht führ­te, war das an­ders.)

An­fang des Jah­res er­fuhr ich von ei­ner zehn­tei­li­gen Pod­cast-Se­rie »Fa­king Hit­ler« – und das un­ter Ägi­de des »stern«. Mu­tig, mu­tig. Den Au­tor Mal­te Her­wig ken­ne ich per­sön­lich durch mei­ne Be­schäf­ti­gung mit Hand­ke und sei­ne – nach wie vor – lu­zi­de Bio­gra­phie über den öster­rei­chi­schen Schrift­stel­ler. Da­mals ent­deck­te Her­wig Brie­fe von Hand­kes leib­li­chem Va­ter, die un­be­kannt wa­ren. Für sein Buch »Die Flak­hel­fer« ging er in Ar­chi­ve um fest­zu­stel­len, wer von den 1925ff ge­bo­re­nen noch NSDAP-Mit­glied wur­de – und dies spä­ter dann be­stritt. Es gab kei­nen Au­to­ma­tis­mus bei der Mit­glied­schaft – so die re­cher­chier­te Bot­schaft. Das Buch lö­ste Kon­tro­ver­sen aus. Her­wig ging es nicht dar­um, die Leu­te zu de­nun­zie­ren. Er wer­te­te nicht, er be­rich­te­te. Für man­che war dies zu viel, weil sich her­aus­stell­te, dass ih­re Ido­le auch nur Men­schen wa­ren, die sich in ih­rer Ju­gend falsch ver­hiel­ten. Wei­ter­le­sen

Ziem­lich gro­ße Li­te­ra­tur

Ei­ni­ge Be­mer­kun­gen über den mo­der­nen Va­gan­ten­dich­ter Diet­mar Sous

Dietmar Sous - Buchcover zum Lesebuch, Roxy und San Tropez

Diet­mar Sous –
Buch­co­ver zum Le­se­buch, Ro­xy und San Tro­pez

Pünkt­lich zum 65. Ge­burts­tag von Diet­mar Sous ist ein Diet­mar Sous Le­se­buch Le­se­buch mit ins­ge­samt 28 Tex­ten in der »Klei­nen Rhei­ni­schen Bi­blio­thek« der Ny­land-Stif­tung er­schie­nen. Mar­tin Wil­lems, Mit­ar­bei­ter am Hein­rich-Hei­ne-In­sti­tut in Düs­sel­dorf und ei­ner der Ku­ra­to­ren der Wolf­gang-Welt-Aus­stel­lung aus dem letz­ten Jahr in Düs­sel­dorf, hat da­zu ein kennt­nis­rei­ches Nach­wort ver­fasst, in dem auch kurz auf den in Düs­sel­dorf in­zwi­schen ein­ge­trof­fe­nen Vor­lass des Au­tors re­kur­riert wird.

Das Le­se­buch ver­sam­melt 28 Tex­te aus dem ge­sam­ten Œu­v­re des in Stol­berg ge­bo­re­nen Au­tors – mit ei­ner Aus­nah­me. Ei­nen Aus­schnitt aus sei­nem Erst­ling, dem 1981 er­schie­ne­nen Ro­man Glas­dreck, der sei­ner­zeit zu ei­ner Art Ge­heim­tip avan­cier­te, fehlt. Bis 2017 sind laut Bi­blio­gra­phie 15 Ro­ma­ne und Er­zäh­lungs­bän­de von ihm in vier Ver­la­gen er­schie­nen (ei­ne Ta­schen­buch­aus­ga­be in ei­nem wei­te­ren Ver­lag). Mit ei­ner Aus­nah­me (Ro­wohlt 1990) blieb Sous bis 2008 im Rot­buch-Ver­lag. Dann ein Buch bei Al­brecht Knaus und 2015 und 2017, die letz­ten bei­den Ro­ma­ne, im Tran­sit-Ver­lag.

Wenn man sich mit Diet­mar Sous be­schäf­tigt, kommt man nicht um­hin mit Pe­ter Hen­nings Ein­ord­nung des »deut­schen Nick Horn­by« kon­fron­tiert zu wer­den. Sol­che Art von Denk­mal­be­schrif­tun­gen kle­ben von nun am Au­tor. Sie sind lä­stig und hilf­reich zu­gleich. Schub­la­den für ge­stress­te Kri­ti­ker. Bit­te ver­ges­sen Sie es schnell wie­der. Ge­ben Sie Diet­mar Sous ei­ne Chan­ce.

Der gan­ze Bei­trag hier bei »Glanz und Elend«

Ul­rich Woelk: Der Som­mer mei­ner Mut­ter

Ulrich Woelk: Der Sommer meiner Mutter

Ul­rich Woelk:
Der Som­mer mei­ner Mut­ter

Die be­rühm­ten er­sten Sät­ze. Man kennt sie. Und jetzt die­ser: »Im Som­mer 1969, ein paar Wo­chen nach der er­sten Mond­lan­dung, nahm sich mei­ne Mut­ter das Le­ben.« Das Buch ist von Ul­rich Woelk und heisst »Der Som­mer mei­ner Mut­ter«.

Wie sieht ein Schrei­ben nach die­sem Satz aus? Was ist zu er­zäh­len? Der Tod der Mut­ter? Die Grün­de für ih­ren Sui­zid? Wie es mit dem Ich-Er­zäh­ler, der, wie man schnell er­fährt, To­bi­as heisst und 1969 elf Jah­re alt war, wei­ter?

So­fort fällt ei­nem Pe­ter Hand­kes Er­zäh­lung vom Frei­tod sei­ner Mut­ter, »Wunsch­lo­ses Un­glück« ein. Das Buch han­delt ei­ner­seits von den ver­lo­re­nen Le­bens­chan­cen der Mut­ter, dem fra­gi­len und ver­geb­li­chen Su­chen nach Glück und, ge­gen En­de im­mer mehr, von den Schwie­rig­kei­ten des Er­zäh­lens des Soh­nes die­ser Si­tua­ti­on, von der Un­mög­lich­keit, der Mut­ter und ih­rer Si­tua­ti­on ge­recht zu wer­den. Hand­ke war 29 als sei­ne Mut­ter den Weg in den Tod wähl­te. Sie wur­de 51 Jah­re alt.

Woelk sucht nicht, er be­rich­tet. Das Er­eig­nis ver­gisst man nicht, wäh­rend man da­nach über die Zeit zwi­schen April und Au­gust 1969 liest. Da­her wun­dert man sich, dass es so harm­los wei­ter­geht. Ei­ne nor­ma­le Mit­tel­schicht­ge­schich­te, Häus­chen in der Pe­ri­phe­rie zu Köln, Rhein-Nä­he, ein Le­ben mit »Wasch­be­ton­ter­as­se, Zen­tral­hei­zung und Dop­pel­ga­ra­gen­an­bau«. Wei­ter­le­sen