Anmerkungen zu einem Anti-Phrasenbuch und ein kleiner Exkurs in die Vergangenheit
Der Titel des neuen Buches von Alexander Kissler (Ressortleiter beim Magazin »Cicero«) ist kämpferisch: »Widerworte – Warum mit Phrasen Schluss sein muss«. Kissler sieht es als eine Pflicht an, 15 der gängigen Phrasen der letzten Jahre zu widersprechen, denn nicht die Lügen seien die Gefahr für das Denken, sondern die Phrase, so im Vorwort.
»Vielfalt ist unsere Stärke«, »Das ist alternativlos«, »Gewalt ist keine Lösung«, das sich immer rasanter ausbereitende Credo vom allseitig notwendigen Respekt, »Unser Reichtum ist die Armut der Anderen«, sowie die Mutter aller Phrasen der letzten Jahre »Wir schaffen das« – um nur einige der analysierten und sezierten Redewendungen zu nennen. Das Buch wendet sich diesen Phrasen in Texten zwischen fünf und zwanzig Seiten zu, wobei die Intensität der Besprechung Rückschlüsse auf die Phrasenhaftigkeit der Phrase, also der Notwendigkeit von deren Dekonstruktion zulässt.
Phrasen sind »Umwertungsversuche«, sollen Gedanken lenken, Meinungsströme einhegen, Gewissheiten betonieren. »Die Phrase beginnt, wo das Denken endet«, so Kissler an einer Stelle süffisant. Im harmlosen Fall ist es nur ein Werbespruch, der in den Kanon der Redewendungen einfliesst und sich dort zuweilen verselbständigt. »Zur Phrase wird ein Spruch, wenn er einen wahren Teilaspekt ausspricht und diesen zur ganzen Wahrheit erklärt.« Kissler meint damit die politisch aufgeladenen Phrasen, deren Aussagen zu Gewissheiten erklärt werden. Bei der Lektüre stellt sich ein erstaunliches Erlebnis ein: Die Phrasen werden von etlichen Massenmedien häufig gar nicht mehr befragt, sondern in einer bisweilen seltsam anmutenden Eintracht mit Politik und/oder Institutionen (NGOs, Kirchen, Wissenschaften) als Gebote angesehen und weiterverbreitet. Weiterlesen