Se­ba­sti­an Win­kels: Tal­king Mo­ney

Mr. Gocha aus Ge­or­gi­en möch­te noch ei­nen neu­en Kre­dit. Ei­ne Fa­mi­lie aus Nea­pel ver­han­delt über ei­ne Rück­zah­lung ei­nes ver­schul­de­ten Erb­las­sers. Ein an­de­rer Mann hat Pro­ble­me beim Ein­lö­sen ei­nes Bar­schecks. Schließ­lich ver­lässt er mit ei­nem Bün­del Geld die Bank, um da­mit sei­ne Ar­bei­ter zu be­zah­len. In Co­to­nou, Ben­in, möch­te Mon­sieur As­s­ank­pon ei­nen Kre­dit mit sei­ner Fest­geld­an­la­ge ver­rech­nen und soll 8% für 6 Mo­na­te be­zah­len. In Ka­ra­chi wer­den 30 Mil­lio­nen Ru­pi­en für zwei neue Fir­men­grün­dun­gen nach­ge­fragt. Ei­ne Schwei­ze­rin er­kun­digt sich nach An­la­ge­mög­lich­kei­ten, die so­zia­les und öko­lo­gi­sches En­ga­ge­ment un­ter­stüt­zen. Ei­ne Zi­tro­nen­händ­le­rin aus Bo­li­vi­en be­nö­tigt ei­nen Fi­nan­zie­rungs­kre­dit. Ein Hei­zungs­bau­er aus Pots­dam er­kun­digt sich nach ei­ner neu­en Be­rufs­un­fä­hig­keits­ver­si­che­rung. Ei­ne Toch­ter und ihr 91jähriger Va­ter sind in Chi­ca­go mit ei­ner Erb­schafts­an­ge­le­gen­heit be­schäf­tigt.

All die­se Per­so­nen (und noch ei­ni­ge mehr) sit­zen ih­rem Bank­be­ra­ter, ih­rer Bank­be­ra­te­rin, ge­gen­über. »Tal­king Mo­ney« heisst der Film von Se­ba­sti­an Win­kels und der leicht schel­mi­sche Un­ter­ti­tel lau­tet »Ren­dez­vous bei der Bank«. Die Sze­ne­rien be­gin­nen oh­ne je­de Ein­füh­rung und en­den zu­meist oh­ne Auf­lö­sung. Die Ka­me­ra bleibt auf den je­wei­li­gen Kun­den ge­rich­tet. Die Bank­an­ge­stell­ten sind fast nie im Bild; höch­stens ein un­deut­li­ches Pro­fil oder ei­ne Hand, die über den Tisch huscht oder ein Com­pu­ter wird be­dient. Meist geht es um ei­nen Kre­dit. Die Ton­la­ge in den Ge­sprä­chen va­ri­iert häu­fig zwi­schen Beicht­stuhl, Ab­fer­ti­gungs­schal­ter und Po­li­zei­ver­hör. Selbst die an­la­ge­su­chen­den Schwei­zer Kun­den wir­ken wie Bitt­stel­ler.

We­ni­ge Pau­sen zwi­schen den Sit­zun­gen rund um die Welt. Dar­in wort­los ei­ne Frau, die ku­gel­schrei­ber­krei­send te­le­fo­niert. Ei­ne an­de­re schlägt mit der Hand­flä­che auf ei­nen Pa­gi­nier­stem­pel. Auf­zug mit Mo­zart­mu­sik. Ei­ne Kaf­fee- oder Tee­kü­che. Au­to­ma­ten wer­den mit Geld be­stückt. Ein Si­cher­heits­mann.

Ne­ben der Ge­stik der Prot­ago­ni­sten muss man die Un­ter­ti­tel ent­zif­fern. Der Zu­schau­er als flüch­ti­ger Zeu­ge. Ein biss­chen wie bei ei­nem un­frei­wil­lig ab­ge­hör­ten Han­dy­ge­spräch. Wer­den die Kre­di­te ge­neh­migt? Er­hält der Hei­zungs­bau­er ei­ne neue Ver­si­che­rung, die sei­ne zu er­war­ten­den 630.000 Eu­ro Ge­halt bis zur Ren­te 2038 ab­decken? Und was ist mit den 2900 Dol­lar, die der Wit­wer aus Chi­ca­go be­kom­men soll?

Nicht im­mer weiss man ganz ge­nau, wor­um es geht. Ei­ne Be­ur­tei­lung des je­wei­li­gen Falls ist eben­so un­mög­lich wie ei­ne emo­tio­na­le Bin­dung zu den Bank­kun­den auf­zu­bau­en. Da­mit soll wo­mög­lich ei­ne Art Neu­tra­li­tät er­zeugt wer­den. Oder ein­fach nur die Nüch­tern­heit von Bank­vor­gän­gen, die oh­ne Em­pa­thie Ent­schei­dun­gen ver­lan­gen. Es gibt Par­al­le­len über al­le Kul­tu­ren hin­weg wie auch Un­ter­schie­de. Die Ge­nos­sen­schafts­bank in Bo­li­vi­en ver­langt na­he­zu die glei­chen Si­cher­hei­ten wie dies bei ei­ner deut­schen Bank wä­re. Für die 500 Dol­lar soll ein Sohn bür­gen, aber er gilt nur, wenn er bei der Ge­mein­de be­schäf­tigt ist. Ein­zi­ger Un­ter­schied: Die Zi­tro­nen­händ­le­rin braucht ih­ren Aus­weis nicht zei­gen. »Ich hab’ näm­lich kei­nen«, so kom­men­tiert sie la­ko­nisch mit der Li­ste der bei­zu­brin­gen­den Do­ku­men­te in der Hand. Be­stimm­te Ei­gen­hei­ten fal­len auf, wie et­wa der sehr ru­hi­ge und lei­se Duk­tus des Kun­den aus Ben­in, der sein An­lie­gen den­noch en­er­gisch vor­bringt. Am En­de ist er be­sänf­tigt und zu­frie­den. Aus­ge­rech­net hier der Satz der Bank­an­ge­stell­ten »Ich dul­de kei­nen Pes­si­mis­mus«. Ist es Hu­mor? Oder wird hier das Hier­ar­chie­ver­hält­nis auf die Spit­ze ge­trie­ben?

»Geld ist kei­ne Sa­che, son­dern ein so­zia­les Ver­hält­nis« – so lau­tet das Mot­to des Films. Ein Satz, der Karl Marx zu­ge­schrie­ben wird, wo­bei das Ori­gi­nal-Zi­tat leicht an­ders lau­tet: »Geld ist kei­ne Sa­che, son­dern ein ge­sell­schaft­li­ches Ver­hält­nis«. Wo­mög­lich ein Über­set­zungs­feh­ler, denn das Marx-Wort wird in eng­lisch zi­tiert und rück­über­setzt. Ei­ne auf­dring­lich wahr­nehm­ba­re Bot­schaft hat der Film nicht, was an­ge­nehm ist. Aber das rei­ne Ab­fil­men und Mon­tie­ren von Bank­ge­sprä­chen aus un­ter­schied­li­chen Län­dern und Kul­tu­ren ver­mag nicht zu be­frie­di­gen. Im Ab­spann ein klei­ner Witz: Ein Si­mon Brück­ner zeich­net als »Mi­ni­stry of Dra­ma­tur­gie«. Ge­nau das hat man ver­misst.

Ge­ra­de in der Un­sicht­bar­keit der Bank­an­ge­stell­ten, die wo­mög­lich die An­ony­mi­tät der Or­ga­ni­sa­ti­on »Bank« il­lu­strie­ren soll, liegt die Schwä­che des Films. (Im Ab­spann wer­den die Na­men der Kun­den und Bank­an­ge­stell­ten dann ge­nannt.) Ir­gend­wann er­tappt man sich un­wei­ger­lich da­bei, trotz der man­geln­den Hin­ter­grün­de die Sach­ver­hal­te be­ur­tei­len zu wol­len und sel­ber ei­ne Ent­schei­dung über die Ver­ga­be ei­nes Kre­dits zu tref­fen. Wür­de ich die­sem Men­schen Geld ge­ben?

Bleibt der zeit­ge­schicht­li­che Wert die­ses Films. Denn wie es aus­sieht, wer­den sol­che Bank­ge­sprä­che im­mer mehr der Ver­gan­gen­heit an­ge­hö­ren. Der Per­so­nal­ab­bau im Bank­ge­wer­be ist nicht auf­zu­hal­ten. Al­go­rith­men wer­den au­to­ma­tisch Bo­ni­tät und Kre­dit­ver­ga­be be­stim­men; Geld­an­la­gen kann man on­line tä­ti­gen. Nur noch ei­ne klei­ne, im Hin­ter­grund ar­bei­ten­de Ad­mi­ni­stra­ti­on dürf­te ver­blei­ben. Man fragt sich, ob das nicht längst so ist. Im­mer­hin.

Ki­no­start in Deutsch­land: 28. März 2019