Wel­ten und Zei­ten XXI

Trans­ver­sa­le Rei­sen durch die Welt der Ro­ma­ne

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Mu­sil hat ei­nen gro­ßen Denkauf­wand be­trie­ben, um die Form des Es­says in den Ro­man ein­zu­füh­ren. In Wirk­lich­keit hat­te der Es­say im­mer schon ein Hei­mat­recht in den Ge­fil­den des Ro­mans, denn je­de er­wei­ter­te Re­fle­xi­on ei­ner Fi­gur (z. B. über ihr Han­deln) oder des Au­tors (z. B. über den Text, über Pro­ble­me, die er auf­wirft, oder über ei­ne Fi­gur) nä­hert sich der Form des Es­says. Was sind die gro­ßen re­fle­xi­ven Pas­sa­gen in Tho­mas Manns Zau­ber­berg, des­sen Nie­der­schrift er et­wa gleich­zei­tig mit Mu­sils un­voll­ende­tem Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten be­gann und – an­ders als Mu­sil den sei­nen – in re­gel­mä­ßi­gem Ar­beits­tem­po mehr oder min­der plan­ge­mäß zu En­de brach­te, an­de­res als Es­says? Auch die Dia­lo­ge ten­die­ren bei Ge­sprächs­part­nern wie Naph­ta und Set­tem­b­ri­ni zum Es­say­is­mus, ein­fach des­halb, weil je­der der bei­den so viel zu sa­gen hat. Nur hat es Tho­mas Mann nie der Mü­he wert ge­fun­den, die es­say­isti­schen Merk­ma­le sei­ner Ro­ma­ne be­son­ders her­vor­zu­he­ben und mit theo­re­ti­schen Er­läu­te­run­gen zu ver­se­hen. Wo­zu auch, er hat­te ge­nug da­mit zu tun, Fi­gu­ren zu schaf­fen und re­den zu las­sen. Auch Mu­sil hat­te ge­nug da­mit zu tun, und viel­leicht wä­re es bes­ser ge­we­sen, er hät­te sich dar­auf be­schränkt. Viel­leicht, viel­leicht nicht. So ist er als Theo­re­ti­ker des Es­say­is­mus be­rühmt ge­wor­den.

Tho­mas Manns Ro­ma­ne sind als Lek­tü­re für alt ge­wor­de­ne Leu­te mit ei­ner lan­gen Le­ser­ge­schich­te be­stens ge­eig­net – vor­aus­ge­setzt, man will noch ein we­nig Le­bens­zeit da­für auf­wen­den. Sol­che Le­ser brau­chen nichts Auf- und An­re­gen­des mehr, wohl aber Bal­sam für ih­re ge­schun­de­nen Ner­ven. Zum Bei­spiel Lot­te in Wei­mar, die­ser es­say­isti­sche Plau­der­ro­man, wo mehr oder min­der un­ge­be­te­ne Be­su­cher ei­nem al­ten Weib­lein die Oh­ren mit ih­ren Pro­blem­chen und Pro­jek­ten, Ent­täu­schun­gen und Be­schwer­den voll­quat­schen – à pro­pos Es­say­is­mus, die gu­te Frau braucht kaum Fra­gen zu stel­len, schon ge­hen die Ser­mo­ne los, je­der und je­de hat sein oder ihr Scherf­lein zur Ge­schich­te vom gro­ßen Mann, sei­ner Ex­zel­lenz, dem Ge­hei­men Rat Goe­the bei­zu­tra­gen. Ein mehr­stim­mi­ger Es­say, ei­ne Ana­ly­se je­ner »Grö­ße«, die Tho­mas Mann so sehr be­gehr­te, de­ren Me­cha­nis­men er er­for­schen woll­te.

Da lob ich mir Kaf­ka, die­sen klein­sten al­ler Schrift­stel­ler, der am lieb­sten ei­nen Bau be­wohnt hät­te. Ei­nen un­ter­ir­di­schen, wohl­ge­merkt: Wir bau­en den Schacht von Ba­bel. Ist noch wer üb­rig von die­sem Wir? Kaf­ka schrieb kei­ne Es­says, das hat­te er nicht nö­tig. Sei­ne Fi­gu­ren plau­dern auch nicht so viel, und meist er­hal­ten sie kei­ne Ant­wort.

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Szc­ze­pan Twar­doch: Die Null­li­nie

Szczepan Twardoch: Die Nulllinie
Szc­ze­pan Twar­doch:
Die Null­li­nie

Koń ist 45, Hi­sto­ri­ker, leb­te in War­schau und wie er in der an­de­ren Welt, »die es nicht mehr gibt«, ge­hei­ßen hat, wer­den wir nie er­fah­ren. Er hat­te sei­ne Woh­nung der gro­ßen Schwe­ster Ewa über­ge­ben und war auf­ge­bro­chen in den Krieg. Da war er 43. Koń liegt zu Be­ginn des Ro­mans Die Null­li­nie von Szc­ze­pan Twar­doch zu­sam­men mit je­man­dem, der Rat­te ge­ru­fen wird. Den Na­men kennt der auf­merk­sa­me Twar­doch-Le­ser aus ei­ner Re­por­ta­ge, die im Ok­to­ber 2023 in der NZZ er­schie­nen war. Koń und Rat­te sit­zen in ei­nem Erd­loch, eu­phe­mi­stisch Un­ter­stand ge­nannt, auf der »fal­schen Sei­te« von »Va­ter Dnipro«, we­ni­ge Ki­lo­me­ter ent­fernt von der Null­li­nie. Dort sind sie, die »Rus­sacken«, oder, ver­ächt­li­cher: »Pä­do­rus­sen«. Ei­ne Kam­mer­spiel­sze­ne zu Be­ginn, mit dem er­zäh­len­den Koń, dem lust­los am to­ten Han­dy dad­deln­den Rat­te. Dem er­zählt Koń von sei­nem Groß­va­ter, der ukrai­ni­sche Wur­zeln hat­te und un­be­dingt woll­te, dass der En­kel ukrai­nisch sprach und, der, wie sich spä­ter her­aus­stell­te, bei der SS-Ga­li­zi­en war. Er er­zählt von sei­nem pol­ni­schen Va­ter, der sich als Eu­ro­pä­er fühl­te, die Na­tio­na­lis­men ab­le­gen woll­te und sei­ner ver­knö­cher­ten Mut­ter. 2016 war Koń, der da­mals noch nicht Koń war, zum er­sten Mal in der Ukrai­ne, ein »ci­ty break« in Kiew, hier: Ky­jiw (was merk­wür­dig ist, zwi­schen den Lem­bergs und Kra­kaus). Ei­ne Stadt »wie ein Frei­licht­mu­se­um«, er schau­te sich noch die Spu­ren vom Mai­dan an und mach­te Be­kannt­schaft mit ei­nem all­ge­gen­wär­ti­gen Na­tio­na­lis­mus.

Wer ist hier Ro­bert Jor­dan?

Spä­ter, kurz vor der Un­ter­schrift, der Ver­pflich­tung, wie­der in Ky­jiw, sah er die um­trie­bi­gen Ge­schäfts­leu­te in den Lu­xus­ho­tels in ih­ren »gro­ßen, ge­pan­zer­ten Land Crui­sern«, wäh­rend er we­nig spä­ter in ei­nem al­ten, klapp­ri­gen Nis­san Na­va­ra zu den Stel­lun­gen fah­ren muss­te, was nicht ein­fach ge­we­sen war. Vor dem Ein­satz ein Be­such in ei­nem Lu­xus­re­stau­rant, das »Pic­co­li­no«, nichts Ukrai­ni­sches war hier, au­ßer auf den Kra­wat­ten der Kell­ner, dort war ein »auf­ge­stick­tes Folk­lo­re­mo­tiv« zu se­hen, an­son­sten blieb hier der Na­tio­na­lis­mus, der Pa­trio­tis­mus, drau­ßen und man ras­pel­te am Tisch dem Gast den Trüf­fel auf das »ide­al ge­hack­te Rind­fleisch«.

Und nun sitzt im an­de­ren, im »gu­ten Kel­ler« die­ser Stel­lung, Ja­go­da, der auch nicht Ja­go­da heißt, der meh­re­re Spra­chen spricht, ein Le­ser, mit Kind­le im Ruck­sack, mehr­spra­chig, der fünf Jah­re in Ber­lin ge­lebt und stu­diert hat­te, da­vor und da­nach dann je­weils die Ver­wand­lung zum Krie­ger, in­klu­si­ve drei­mo­na­ti­ger Ge­fan­gen­schaft bei den Rus­sen in Do­nezk. Ja­go­da ist es, der an He­ming­ways Wem die Stun­de schlägt denkt, an Ro­bert Jor­dan, der ei­ne Brücke spren­gen soll, »da­mit die Fa­schi­sten nicht durch­kom­men«. We­nig­stens wä­re das et­was Sinn­vol­les ge­we­sen, meint er, wäh­rend sie hier in ei­nem Loch sit­zen, fest­sit­zen, nur dass »Se­len­skyj mit sei­ner Sor­gen­mie­ne im kack­grü­nen Hemd auf den Kon­fe­ren­zen da­von fa­seln kann, dass ihr ei­nen Brücken­kopf auf die­ser Sei­te eu­res Va­ters Dnipro hal­tet, oh­ne ge­nau­er zu er­klä­ren, wo­zu das gut sein soll.«

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Wel­ten und Zei­ten XX

Trans­ver­sa­le Rei­sen durch die Welt der Ro­ma­ne

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Wie­so sagt man im Deut­schen ei­gent­lich »Ro­man«, wenn man »Ro­man« meint? War­um nicht »No­vel­le«, no­vel, no­ve­la wie im Eng­li­schen oder Spa­ni­schen? Ei­gent­lich ist es egal, die Spra­che bzw. die Be­deu­tun­gen, mit de­nen in ihr jon­gliert wird, sind so­wie­so ge­prägt durch ih­ren Ge­brauch. Der Ro­man ist in der (ro­ma­ni­schen) Volks­spra­che ge­schrie­ben, und die No­vel­le stellt ei­ne Neu­ig­keit dar. Aber dann be­ginnt erst die Ge­schich­te, und der Ro­man wird das, was er eben ge­wor­den ist und heu­te noch ist. Im Ja­pa­ni­schen ur­sprüng­lich mo­no­ga­ta­ri, in den bei­den Schrift­zei­chen 物語 ver­bin­den sich die Din­ge und das Re­den, al­so ei­gent­lich ist es nur ein Ge­plau­der über dies und das. Die­se De­fi­ni­ti­on trifft recht gut auf das Gen­ji Mo­no­ga­ta­ri zu, das manch­mal als er­ster Ro­man der Li­te­ra­tur­ge­schich­te be­zeich­net wird (man hat schon so man­chen Ro­man zum »er­sten« er­ko­ren). Heu­te sagt man in Ja­pan eher shou­setsu, 小説, das heißt: klei­ne Er­klä­rung, oder auch klei­ne Er­zäh­lung, Er­klä­run­gen sind ja im­mer auch Er­zäh­lun­gen; je­den­falls steht vor­ne das Zei­chen für »klein« wie bei Kind, 小人, klei­ner Mensch. In al­len die­sen ur­sprüng­li­chen Be­zeich­nun­gen wird der Text­gat­tung Ernst­haf­tig­keit ab­ge­spro­chen, sie ist ge­wis­ser­ma­ßen nicht er­wach­sen, nicht La­tei­nisch, nicht son­der­lich ge­lehrt. Ei­ne locke­re Form, dient auf je­den Fall der Un­ter­hal­tung. Ich glau­be, das trifft im­mer noch zu. Ei­ne freie Form, man kann, wie ich hier schon mehr­mals sag­te, al­les mög­li­che in sie hin­ein­stop­fen (auch wenn viel­leicht hin­zu­zu­fü­gen ist, daß man da nicht über­trei­ben soll­te: Zu viel ist zu viel, wir brau­chen auch Lücken).

Als ich vor un­ge­fähr zehn Jah­ren Kenzabu­ro Oe be­such­te, nann­te er al­le sei­ne Wer­ke »shou­setsu«, egal ob sie groß oder klein, lang oder kurz, mehr oder we­ni­ger un­ter­halt­sam wa­ren. An­to­nio Ta­buc­chi, ein an­de­rer Mei­ster des Ro­mans, will zwi­schen Er­zäh­lung und Ro­man gar nicht un­ter­schei­den, ob­wohl er dann wie­der be­tont, die Er­zäh­lung be­fol­ge stren­ge Re­geln, für den Ro­man gel­te das nicht. Trotz­dem, er glaubt nicht an die »rei­nen Gen­res«, son­dern an die Ver­mi­schung der Gen­res: Cre­do nella mes­co­lan­za dei ge­ne­ri. Ei­nem um­fang­rei­chen, durch das qua­si ari­sto­te­li­sche 24-Stun­den-Kor­sett müh­sam im Zaum ge­hal­te­nen Ro­man wie dem Ulysses zieht er die Er­zähl­samm­lung Dub­li­ner vor.

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Car­lo Ma­sa­la: Wenn Russ­land ge­winnt

Carlo Masala: Wenn Russland gewinnt
Car­lo Ma­sa­la:
Wenn Russ­land ge­winnt

Wenn Russ­land ge­winnt geht in­zwi­schen in die 5. Auf­la­ge und ist, als die­ser Text ent­steht, Platz 1 der Spie­gel-Best­stel­ler­li­ste »Ta­schen­bü­cher Sach­buch« und vom Ver­lag nicht lie­fer­bar. Das liegt na­tür­lich vor al­lem an der Pro­mi­nenz sei­nes Au­tors, Car­lo Ma­sa­la. Der Pro­fes­sor für In­ter­na­tio­na­le Po­li­tik an der Uni­ver­si­tät der Bun­des­wehr ist seit dem rus­si­schen Über­fall auf die Ukrai­ne in den Me­di­en om­ni­prä­sent. Es ist un­be­streit­bar Ma­sa­las Ver­dienst, dass er die Not­wen­dig­keit geo­po­li­ti­schen Den­kens als exi­sten­ti­ell wich­ti­gen Teil ei­ner Au­ßen­po­li­tik in den Fo­kus der Öf­fent­lich­keit ge­rückt hat. Sein 2022 über­ar­bei­te­tes Buch Welt­un­ord­nung zeig­te die Ver­wer­fun­gen und Irr­tü­mer des »We­stens« der letz­ten drei­ßig Jah­re auf. Deutsch­land wur­de dar­an er­in­nert, sich sei­ner ei­ge­nen In­ter­es­sen be­wusst zu wer­den.

Ma­sa­la be­für­wor­te­te von Be­ginn an fi­nan­zi­el­le Un­ter­stüt­zung, po­li­ti­sche West­bin­dung und um­fas­sen­de Waf­fen­lie­fe­run­gen für die Ukrai­ne. Das Land soll­te der­art un­ter­stützt wer­den, das für Russ­land die Ko­sten für ei­ne Wei­ter­füh­rung des Krie­ges zu hoch und da­durch Ver­hand­lun­gen auf Au­gen­hö­he mög­lich wä­ren. Den Ein­satz von Atom­waf­fen durch Russ­land schätz­te er eher ge­ring ein. Im Ge­gen­satz zu vie­len Au­gu­ren und Ex­per­ten sprach er al­ler­dings mei­nes Wis­sens nie von ei­nem »Sieg« der Ukrai­ne über Russ­land – wohl wis­send, dass dies il­lu­so­risch wä­re.

Par­al­lel plä­diert Ma­sa­la für ei­ne bes­se­re Aus­stat­tung der Bun­des­wehr und sah im »Zeitenwende«-Sondervermögen erst ei­nen An­fang. Hier kam ei­nem der Ver­gleich mit dem spä­ter recht kon­tro­vers dis­ku­tier­ten Chri­sti­an Dro­sten wäh­rend der Co­ro­na-Pan­de­mie in den Sinn (Ma­sa­la lehn­te den Ver­gleich ab). In den so­zia­len Netz­wer­ken zeig­te sich Ma­sa­la bis­wei­len als Hitz­kopf (was auch der Au­tor die­ser Zei­len mit­er­le­ben durf­te).

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Mit Ernst Jün­ger aus der Kom­fort­zo­ne

Die vor­nehm­li­che Hal­tung des ak­tu­el­len Le­sers der Bü­cher von Ernst Jün­ger in der mo­ral­ge­tränk­ten (li­te­ra­ri­schen) Öf­fent­lich­keit ist ge­beugt, die Lek­tü­re er­folgt vor­zugs­wei­se ver­steckt, das Re­den dar­über flü­sternd, in ste­ti­ger Ab­gren­zung so­wohl ge­gen Be­schimp­fun­gen wie auch un­will­kom­me­nen Um­ar­mun­gen be­grif­fen. In der Ni­sche zwi­schen ei­ner im Brust­ton der Un­kennt­nis vor­ge­brach­ten Ab­leh­nungs­ka­ma­ril­la und leid­li­chen, po­li­tisch mo­ti­vier­ten Ver­ein­nah­mun­gen be­fin­det sich der Jün­ger-Re­zi­pi­ent in stän­di­ger Acht­sam­keit. Wer si­cher ge­hen will, liest lie­ber Re­mar­que, Im We­sten nichts Neu­es. Da­bei er­scheint es wie ein Witz, dass Re­mar­que einst die Stahl­ge­wit­ter, je­ne li­te­r­a­ri­sier­te Form der Kriegs­ta­ge­bü­cher des Leut­nants Jün­ger aus dem Er­sten Welt­krieg, als »prä­zi­se, ernst, stark und ge­wal­tig« lob­te und ei­ne »wohl­tu­en­de Sach­lich­keit« her­aus­stell­te. Aber wer weiß das schon? Be­zie­hungs­wei­se: Wer will das wis­sen?

Und dann liest man plötz­lich so et­was:

  • »Ernst Jün­gers Kriegs­ta­ge­bü­cher lie­fern viel­leicht den be­sten und ehr­lich­sten Be­weis für die Schwie­rig­kei­ten, de­nen das In­di­vi­du­um aus­ge­setzt ist, wenn es sei­ne mo­ra­li­schen Wert­vor­stel­lun­gen und sei­nen Wahr­heits­be­griff un­ge­bro­chen in ei­ner Welt er­hal­ten möch­te, in der Wahr­heit und Mo­ral jeg­li­chen er­kenn­ba­ren Aus­druck ver­lo­ren ha­ben. Trotz des un­leug­ba­ren Ein­flus­ses, den Jün­gers frü­he Ar­bei­ten auf be­stimm­te Mit­glie­der der na­zi­sti­schen In­tel­li­genz aus­üb­ten, war er vom er­sten bis zum letz­ten Tag des Re­gimes ein ak­ti­ver Na­zi-Geg­ner und be­wies da­mit, daß der et­was alt­mo­di­sche Ehr­be­griff, der einst im preu­ßi­schen Of­fi­ziers­korps ge­läu­fig war, für in­di­vi­du­el­len Wi­der­stand völ­lig aus­reich­te.«

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Wel­ten und Zei­ten XIX

Trans­ver­sa­le Rei­sen durch die Welt der Ro­ma­ne

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Lang­sa­me Heim­kehr wie­der­ge­le­sen, den Ro­man, der sich Er­zäh­lung nennt. Na­tür­lich er­zählt da ei­ner et­was, das ist un­be­strit­ten, und ob es dann zum Ro­man wird . . . ist letzt­lich egal. En fin du comp­te. Am En­de des Ta­ges, wie die der­zeit mo­di­sche Flos­kel lau­tet: Die Me­di­en­spra­che und da­mit die Ge­mein­spra­che, denn al­le sind me­dia­ti­siert, wer­den im­mer flos­kel­haf­ter, rhe­to­ri­scher, Freund­schafts- und Fol­lo­wing-Al­go­rith­men tra­gen viel da­zu bei, auch Emo­jis, im ver­gan­ge­nen Jahr­hun­dert hät­te ich mir nicht träu­men las­sen, daß die Rhe­to­rik so mas­siv wie­der­kehrt (und ich mei­ne nicht NLP, neu­ro­lin­gu­istics for po­li­ti­ci­ans, das ist wie­der ein an­de­res Ka­pi­tel).

Egal. En­fin. Lang­sa­me Heim­kehr, egal wel­chem der vier Tei­le, kann ich mich nicht nä­hern, oh­ne an die 1982 ge­se­he­ne Auf­füh­rung von Über die Dör­fer, dem ich glau­be, drit­ten Teil der Te­tra­lo­gie (oder war es der zwei­te?) in der Salz­bur­ger Fel­sen­reit­schu­le zu den­ken, die in mein li­te­ra­ri­sches wie auch bild­li­ches Ge­dächt­nis ein­ge­gan­gen ist. Re­gie Wim Wen­ders, auf der Büh­ne Mar­tin Schwab, Libgart Schwarz, Hand­kes Ex, in der Rol­le der No­va, der Heils­ver­kün­de­rin, be­ein­druckend ernst­haft. Ich war da­mals für so­was emp­fäng­lich. Das all­ge­mei­ne Pu­bli­kum ver­schmäh­te Hand­ke, den ehe­ma­li­gen Pop-Star, der Zeit­geist fand das al­les zu pa­the­tisch. Das gab mir die Mög­lich­keit, für we­nig Geld die Auf­füh­rung gleich noch ein­mal zu se­hen.

No­va spricht da von der Mau­er her­ab ei­nen heid­eg­ge­ria­nisch-nietz­schea­ni­schen Apho­ris­men­cock­tail, der schießt ge­nau­so ins Hirn wie die Ka­ra­wa­nen­mu­sik, die Wen­ders aus­ge­wählt hat. Ach­tung, Kitsch­ver­dacht! Schon für den Ro­man (oder ein­fach: vor dem Ro­man), das er­ste Stück der Lang­sa­me-Heim­kehr-Te­tra­lo­gie, hat­te Hand­ke Heid­eg­ger ge­le­sen. Ist man ein­mal von der Spra­che des Phi­lo­so­phen af­fi­ziert, geht das nicht so schnell ab, und wie soll man ein Buch wie Sein und Zeit le­sen, oh­ne für die Emo­ti­on emp­fäng­lich zu sein, das heißt, oh­ne sich zu öff­nen? Lang­sa­me Heim­kehr, der Ro­man, ist schon ein biß­chen heid­eg­ge­ria­nisch. Und nicht nur des­halb schwer zu le­sen. Be­son­ders am An­fang, aber ei­gent­lich über mehr als die Hälf­te des Buchs hin­weg, bis es end­lich Schwung auf­nimmt, ist die Syn­tax kom­plex, ih­re bild­haft-be­deu­tungs­schwe­re Be­la­stung groß, so daß der Le­ser ge­zwun­gen ist, vie­le Sät­ze zwei­mal und öf­ter zu le­sen.

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Lu­zia Schmid: Ich will al­les

Luzia Schmid: Ich will alles
Lu­zia Schmid: Ich will al­les

Es be­ginnt, wie ein Film über die Schau­spie­le­rin, Sän­ge­rin und Buch­au­to­rin Hil­de­gard Knef be­gin­nen muss: 1968, Or­che­ster Kurt Edel­ha­gen, »Für mich soll’s ro­te Ro­sen reg­nen«. Der Text ist, wie fast im­mer, von ihr, die Mu­sik ar­ran­gier­te Hans Ham­mer­schmid. Da ist die­se Au­ra, die­ses Tim­bre, das man so­fort, auch oh­ne Bild, wie­der­erkennt. Ei­ne spe­zi­el­le Ver­bin­dung aus Stolz, Maß­lo­sig­keit und Selbst­iro­nie, la­ko­nisch und wuch­tig zu­gleich, »hem­mungs­los au­to­bio­gra­phisch«, wie sie ih­re Tex­te sel­ber nann­te, ei­ne kom­pri­mier­te Le­bens­bi­lanz mit 43 Jah­ren, da­von mehr als 20 Jah­re in­ter­na­tio­na­le Film- und Büh­nen­er­fah­rung. Ein Blick dann auf die quan­ti­ta­tiv im­po­nie­ren­de Li­ste mit »Co­ver­ver­sio­nen« und man weiß, dass ei­nem kei­ne da­von auch nur ei­ne Se­kun­de in­ter­es­siert, und das gilt auch für die­ses dün­ne Süpp­chen, das Ex­tra­breit 1992 mit der Knef auf­ge­nom­men hat­ten.

Lu­zia Schmid hat gut dar­an ge­tan, die­se Ne­ben­schau­plät­ze für ih­ren Film Ich will al­les aus­zu­blen­den. Über die ge­sam­ten 98 Mi­nu­ten bleibt die Schwei­zer Do­ku­men­tar­fil­me­rin bei Hil­de­gard Knef und lässt sie in den vie­len In­ter­views und Ge­sprä­chen, die sie in vier Jahr­zehn­ten ge­führt hat­te, zu Wort kom­men. Be­kann­te In­ter­view­er sind dar­un­ter, al­les Män­ner, Fried­rich Luft et­wa, Wer­ner Baecker, Hans­jür­gen Ro­sen­bau­er, Rein­hart Hoff­mei­ster und Joa­chim Fuchs­ber­ger und man ist er­staunt, wie di­rekt, ja in­tim da­mals die Fra­gen wa­ren. Nichts wur­de aus­ge­spart, man frug nach Selbst­mord, nach Krank­heit, nach Be­zie­hun­gen und Hil­de­gard Knef gab be­reit­wil­lig und of­fen Aus­kunft. Fast hat man das Ge­fühl, sie ver­lang­te nach die­sen Ge­sprä­chen, um sich selbst ih­rer zu ver­ge­wis­sern; da spiel­te es auch kei­ne Rol­le, wenn die Ge­sprächs­part­ner zu­wei­len über­for­dert wa­ren.

Sie hat(te) et­was zu sa­gen. Et­wa wenn sie über Ver­sa­gens­äng­ste und dann, in ei­nem an­de­ren Ge­spräch, pa­the­tisch vom Göt­ter­ge­schenk der Mög­lich­kei­ten spricht, die sie in ih­ren Be­ru­fen hat. Da ist das Ge­ständ­nis, wäh­rend ih­rer er­sten Hol­ly­wood-Zeit (1948–51) ge­schei­tert zu sein, weil sie in ih­rer »Däm­lich­keit« auf Zu­sa­gen ge­war­tet ha­be. Nach­denk­lich re­sü­miert sie bei Fried­rich Luft, nie ei­ne Mit­tel­la­ge ge­habt zu ha­ben. Ent­we­der ha­be es sehr gro­ßen Er­folg oder »ganz be­deu­ten­den Miss­erfolg« ge­ge­ben. Ih­ren Tri­umph im Broad­way-Mu­si­cal Silk Stockings 1955 schrieb sie Co­le Por­ter zu, der sie zum Sin­gen er­mun­tert ha­be. Dass »Mar­le­ne« kam, um ihr da­nach zu gra­tu­lie­ren, be­deu­te­te ihr viel. Spä­ter ha­be sie mit ex­zel­len­ten Film­re­gis­seu­ren zu­sam­men­ge­ar­bei­tet, die aber lei­der ih­re schlech­te­sten Fil­me ge­dreht hät­ten.

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Chri­stoph Nar­holz: Wi­de Bo­di­ed Jets

Christoph Narholz: Wide Bodied Jets
Chri­stoph Nar­holz:
Wi­de Bo­di­ed Jets

Aber­mals ein Buch mit No­ta­ten, al­len­falls klei­nen Er­zäh­lun­gen, Ca­pric­ci­os, ei­ne im­mer stär­ker sich ver­brei­ten­de, sanf­te Form des Wi­der­stands ge­gen den Ro­man­fe­ti­schis­mus des Li­te­ra­tur­be­triebs. Wi­de Bo­di­ed Jets lau­tet der Ti­tel; nicht der ein­zi­ge An­gli­zis­mus. Man er­fährt, dass da­mit Trans­kon­ti­nen­tal­flug­zeu­ge be­zeich­net wer­den. Es gibt/gab da­von 76 bei der Luft­han­sa und al­le blie­ben wäh­rend der Co­ro­na-Pan­de­mie am Bo­den. Und 76 Ge­schich­ten sol­len es sein, so vie­le wie Jets. Am En­de sind es mehr als 80.

Es be­ginnt, wie der Au­tor es kurz dar­auf sel­ber nennt, »alt­mo­disch le­gen­den­haft« mit ei­ner Er­zäh­lung aus ei­nem klei­nen por­tu­gie­si­schen Ort vor zwei­hun­dert Jah­ren, drei hüb­schen Wirts­töch­tern, ei­nem Dau­er­ver­lieb­ten und dem Ver­such, die­se Zeit in der Ge­gen­wart des Dor­fes wie­der­zu­fin­den. Die­ser Ein­stieg er­weist sich als Glücks­fall, denn da­nach gibt es den er­sten von drei (oder sind es vier?) Selbst­dia­log-Ein­schü­ben. Zu­nächst wird hier dem Le­ser das Kon­zept er­klärt, dass all die­se Tex­te in der Co­ro­na-Zeit ent­stan­den sind (am En­de heißt es von »Spät­win­ter 2020 bis Som­mer 2022«), dass es wi­der die »kleb­ri­ge Trau­rig­keit von Chri­sti­an Kracht« (an­geb­lich ein Di­ede­rich­sen-Wort) geht und dass es vie­le un­ter­schied­li­che Er­zäh­ler gibt. So weit, so gut. Im wei­te­ren Ver­lauf der Selbst­ge­sprä­che wer­den al­ler­dings na­he­zu al­le po­li­ti­schen und ge­sell­schaft­li­chen The­men der Zeit be­spro­chen wie bei­spiels­wei­se die Schwä­chen des Li­be­ra­lis­mus, die Not­wen­dig­keit ei­ner neu­en Rechts­ord­nung im An­thro­po­zän oder die Re­ak­tio­nen des Staa­tes in der Pan­de­mie. Aus­führ­lich kne­tet man die (da­mals ak­tu­el­len) Phi­lo­so­phen, Bru­no La­tour, Pe­ter Slo­ter­di­jk, Bo­ris Groys, Jür­gen Ha­ber­mas und Sla­voj Žižek, was bei je­man­den, der u. a. über Slo­ter­di­jk pro­mo­viert hat, nicht un­ge­wöhn­lich ist. Na­tür­lich gibt es dann auch Ein­ord­nun­gen zum Über­fall Russ­lands auf die Ukrai­ne (die­ser Krieg wird schließ­lich als »Fe­mi­zid« klas­si­fi­ziert).

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