Alice Schwarzer irrt, weil sie den letzten Satz nicht gelesen hat: In dem Artikel von Iris Radisch in der ZEIT über die neueste Anti-Pornographie-Kampagne der »Emma«-Herausgeberin dreht Radisch mehrere rhetorische Pirouetten, landet dann in den Armen des »Bild«-Girls – aber (und hier irrt Frau Schwarzer eben) sie stimmt ihr nicht zu: Die Kälte, die eine Durchsexualisierung der Gesellschaft zur Folge hat, lässt sich mit den alten Waffen des Geschlechterkampfes nicht mehr besiegen steht da. Heisst übersetzt: Frau Schwarzer, das schaffen wir auch ohne ihre antiquierten Methoden.
Blaming the victim
David Harnasch, ein Juniorschreiber der Achse des Blöden, nimmt seinen Schmähartikel auf den angeblich bloggenden Murat Kurnaz nach der Enttarnung dieses Blogs als Fälschung nicht etwa vom Netz, sondern fügt lapidar hinzu, dass er zur Recherche, ob denn das Blog tatsächlich von Kurnaz stamme, keine Zeit gehabt habe.
Das ist natürlich unlogisch. Hätte er, wie Stefan Niggemeier empfiehlt, recherchiert, hätte er sich das anschliessende geifernde Wortgetümmel ganz sparen können. Aber genau das wollte Harnasch offensichtlich nicht. Es kam ihm gar nicht darauf an, die Authentizität des Blogs zu erfragen (trotz seines Satzes in Parenthese). In wunderbarer Art und Weise bot ihm das gefälschte Blog Anlass, seinen latenten Hass auf Kurnaz abzulassen. Psychologen bezeichnen dieses Phänomen als »blaming the victim«.
Richard Ford: Die Lage des Landes

Die Lage des Landes
Frank Bascombe ist 55 Jahre alt und wir befinden uns im Interregnum des Jahres 2000, als Clinton fast nicht mehr, Gore wohl doch nicht und Bush auch noch nicht ganz sicher Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist. Wir folgen ihm drei Tage im November bis Thanksgiving (am Ende gibt es eine kleine Ausnahme, als ein kleiner Zeitsprung erfolgt).
Bascombe hat als Immobilienmakler an der Ostküste von den fetten Jahren der Clinton-Wirtschaftspolitik enorm profitiert. Ein bisschen stört ihn dieser Hype schon, der selbst für heruntergekommene Häuser sechsstellige Dollarsummen erzielt (Amerika ist ein Land, das sich in einem eigenen Treuhandkonto verloren hat.). Und ein bisschen verschanzt sich Bascombe auch hinter einer Maske (Reinlassen, aber nicht ganz einlassen).
Billige Erregung
Merkwürdig. Da verlässt Roger Schawinski nach drei Jahren den Geschäftsführer-Posten bei »Sat.1« und fast die gesamte deutsche Medienlandschaft stimmt – Monate danach – in einen Trauergesang ein. Der Öffner im fast devot geführten Spiegel-Online-Interview vom 21.08.07 lautet: »…in Ihren drei Jahren als Chef von »Sat.1« wandelte sich der Sender vom Sorgenkind zum Vorzeigeschüler.« Woran machen ...
Robert Spaemann / Rolf Schönberger: Der letzte Gottesbeweis

In Zeiten fast blinden Wissenschaftsglaubens scheint der neue Versuch, einen Beweis für die Existenz Gottes zu führen, fast schon rührend. Dies in einer Welt, in der Neurowissenschaftler mit ihren Erkenntnissen gleich mehrere lästige Fliegen mit einer Klappe schlagen wollen. Der grösste Brummer ist dabei die Leugnung des freien Willens. Den entdecken sie nämlich (genau wie die »Seele«) auf ihren Kinderbildchen nicht mehr und glauben damit, etwas Neues oder Anderes zu erkennen. Die nur im Schafspelz getarnten Wölfe überbieten sich derzeit mit den abstrusen »Sensationen«, die in Wirklichkeit nur effekthascherische Belanglosigkeiten sind, die ihre philosophische Impotenz nur verschleiern. Da ist von einer »Matrix-Existenz« die Rede oder es werden Luftbuchungen wie »phänomenale Selbstmodelle« in die Welt gesetzt – grosses Getöse in einem hohlen Körper. Der Dekonstruktionsfuror hat, ist er erst einmal aus seinem Bedeutung simulierenden Jargon herausgelöst, den Charme eines verwelkten Blumenstrausses.
Blut und Doping
Am 8. und 15. August 2007 brachte die ARD um 22.45 Uhr eine zweiteilige Dokumentation mit dem etwas martialischen Titel »Blut und Spiele«. Die drei Autoren (neben Freddie Röckenhaus auch Petra Höfer und Francesca D’Amicis) führten dort auf beeindruckende Weise vor, wie auch der Sport im »westlichen Lager« mit Doping durchdrungen war (und vermutlich noch ist).
Die Aufrüstung der USA
Im ersten Teil beschäftigte sich der Film ausführlich mit der US-amerikanischen Leichtathletik, die seit Mitte der 80er Jahre mit dem staatlichen osteuropäischen Doping aufgeschlossen hatte. Es werden Dokumente gezeigt, die belegen, dass mehrere Wochen vor den Olympischen Spielen 1988 in Seoul zahlreiche US-Athleten bei den »Trails« positiv gedopt waren. Die eiligst vorgenommene Amnestie (»Exucse«) hatte auch zur Folge, dass diese Resultate verschwanden. Die Athleten nahmen an den Olympischen Spielen teil; zahlreiche Olympiasieger und Medaillengewinner unter ihnen.
Ulrich Beck: Weltrisikogesellschaft

Im Gegensatz zu den klassischen Menschheitskatastrophen der Vergangenheit (Naturkatastrophen; Seuchen) stehen heute als Resultate bewusster Entscheidungen die Risiken, die von industriellen Grosstechniken ausgehen. Sie brechen nicht schicksalhaft über uns herein, sie sind vielmehr von uns selbst geschaffen…hervorgegangen aus der Verbindung von technischem Nutzen und ökonomischen Nutzenkalkül. Diese Risiken, die nicht an den Grenzen von menschlich geschaffenen, also künstlichen Nationalstaaten Halt machen, sondern globale Auswirkungen haben können, untersucht Ulrich Beck in seinem Buch über die Weltrisikogesellschaft.
Beck lässt keinen Zweifel: Die moderne Gesellschaft krankt nicht an ihren Niederlagen, sondern an ihren Siegen. Die Probleme der von ihm sukzessive entwickelten Weltrisikogesellschaft sind demzufolge nicht Produkte fehlerhaften Handelns, sondern immanent im Handeln in modernen Gesellschaften angelegt. Die Lösung der Probleme der Welt hat wieder neue Probleme geschaffen. Diese Probleme nennt er Risiko:
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Risiko ist nicht gleichbedeutend mit Katastrophe. Risiko bedeutet die Antizipation der Katastrophe. Risiken handeln von der Möglichkeit künftiger Ereignisse und Entwicklungen, sie vergegenwärtigen einen Weltzustand, den es (noch) nicht gibt. Während die Katastrophe räumlich, zeitlich und sozial bestimmt ist, kennt die Antizipation der Katastrophe keine raum-zeitliche oder soziale Konkretion. […] In dem Augenblick, in dem Risiken Realität werden – wenn ein Atomkraftwerk explodiert, ein terroristischer Angriff stattfindet – verwandeln sie sich in Katastrophen. Risiken sind immer zukünftige Ereignisse, die uns möglicherweise bevorstehen, uns bedrohen. Aber da diese ständige Bedrohung unsere Erwartungen bestimmt, unsere Köpfe besetzt und unser Handeln leitet, wird sie zu einer politischen Kraft, die die Welt verändert.
Alles Käse
Seit einigen Tagen wird der zu erwartende Anstieg bei Milch und Milchprodukten unter anderem auch eine erhöhte Nachfrage für diese Produkte aus Asien – speziell aus China – angeführt.
Soeben meldete immer noch die ZDF-»heute«-Sendung davon (»Andererseits steigt die Milchnachfrage in Schwellenländern wie China.«) – und auch die Tagesschau schloss sich dem Tenor der Meldung an. Von der »Bild«-Zeitung ist man ja nichts anders gewöhnt. Und die »FTD« erklärt, dass Chinesen mit Käse keine Probleme hätten. Das Gegenteil ist der Fall.