»Wir­bel­sturm in der Tee­tas­se« oder: Was die F.A.Z. nicht mehr on­line stellt

Der Ger­ma­nist Alan Kee­le stell­te neu­lich fest: Wal­ter Kem­pow­ski hat­te aus per­sön­li­chen Grün­den in den Jah­ren 1947/48 Kon­takt mit dem ame­r­ka­ni­schen Ge­heim­dienst CIC. (s. auch »Ent­hül­lungs­geil«) Kee­le be­ton­te, dass dies kei­ne sen­sa­tio­nel­le Ent­hül­lung sei, son­dern nichts mehr als ei­ne Fuß­no­te, wenn auch ei­ne in­ter­es­san­te. Der F.A.Z.-Redakteur Edo Re­ents mach­te dar­aus ei­ne Sen­sa­ti­on mit dem ef­fekt­ha­sche­ri­schen Ti­tel »Wal­ter Kem­pow­ski war doch ein Spi­on«.

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Astrid Her­bold: Das gro­ße Rau­schen

Astrid Herbold: Das große Rauschen
Astrid Her­bold: Das gro­ße Rau­schen

Es geht ums ganz Gro­ße: »Die Le­bens­lü­gen der di­gi­ta­len Ge­sell­schaft« will Astrid Her­bold »bis­sig im Ton und scharf an der Ana­ly­se« (Klap­pen­text) ent­lar­ven. Rasch wird noch das At­tri­but »schlag­fer­tig« hin­zu­ge­fügt und die ein­zel­nen My­then, die de­kon­stru­iert wer­den sol­len, auf­ge­führt. Wo­bei man ir­gend­wann fragt, ob die Au­torin nur die My­then zer­stört, die sie sel­ber ge­schaf­fen hat. Aber ge­mach.

Nun sind (oder wa­ren?) die Ver­hei­ssun­gen des »glo­ba­len Dorfs«, des mo­bi­len Zeit­ge­nos­sen und der so ein­fa­chen Hand­hab­bar­keit des vir­tu­el­len Wis­sens ja durch­aus enorm. Tech­nik­af­fi­ne Ent­wick­ler ver­spre­chen uns à la longue im­mer noch das schö­ne, gu­te, ein­fa­che – das bes­se­re Le­ben. Aber so man­ches Ver­spre­chen hat sich schon als ve­ri­ta­ble Luft­bla­se ent­puppt. Man glaubt ja längst nicht mehr an das ein­zig weiß­ma­chen­de Wasch­mit­tel. So kön­nen, ja müs­sen, die Ent­wick­lun­gen der ver­än­der­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­wohn­hei­ten bei­spiels­wei­se in Un­ter­neh­men durch­aus be­fragt wer­den. Und ob es dau­er­haft er­stre­bens­wert ist an fast je­dem öf­fent­li­chen Ort die in­ti­men Ge­sprä­che an­de­rer un­frei­wil­lig mit zu hö­ren, ist ei­ne durch­aus dis­ku­ta­ble Fra­ge.

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Ent­hül­lungs­geil

Edo Re­ents hat viel Schnaps ge­trun­ken und mit ei­nem Pro­fes­sor ei­ne gar tol­le Ent­hül­lung prä­sent: Wal­ter Kem­pow­ski war ein Spi­on! Ei­ne »Bom­be« er­kennt der of­fen­bar nicht ganz trink­fe­ste Re­dak­teur da und »spek­ta­ku­lär« schallt es aus den Feuil­le­ton-Stu­ben (ins­besondere der FAZ), die in aus­glei­chen­der Ge­rech­tig­keit jetzt end­lich auch ein­mal ei­nen Nicht-Alt­lin­ken de­kon­stru­ie­ren möch­te. So ganz neu sei das al­les nicht sagt dann der Pro­fes­sor im sin­ni­ger­wei­se lan­ge ins Be­zahl­ar­chiv ge­steck­ten Bei­trag, der sich beim ge­nauen Le­sen schon als Rohr­kre­pie­rer er­weist (Ge­spräch mit Alan Kee­le [»Das geht ja aus den Ro­ma­nen selbst her­vor«]).

Der Nach­klapp von heu­te will die tau­meln­de Mücke noch ein biss­chen auf­pep­pen und be­haup­tet noch ein­mal trot­zig ei­ne Ba­na­li­tät: Wal­ter Kem­pow­ski hat in sei­nen Ro­ma­nen nicht im­mer die Wahr­heit ge­schrie­ben!

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Pe­ter Slo­ter­di­jk: Du mußt dein Le­ben än­dern

Peter Sloterdijk: Du mußt dein Leben ändern
Pe­ter Slo­ter­di­jk:
Du mußt dein Le­ben än­dern

So wie der Tor­so Apol­los im Lou­vre von Pa­ris im Jahr 1908 zum Dich­ter Rai­ner Ma­ria Ril­ke mit sei­ner durchlichtende[n] Äu­ße­rung des Seins in ei­nem an­thro­po­mor­phen Akt zu spre­chen be­ginnt und ihn auf­ruft »Du mußt dein Le­ben än­dern«, so möch­te auch Pe­ter Slo­ter­di­jk den Le­ser mit­rei­ssen und af­fi­zie­ren. Be­gei­stert ob die­ser (sä­ku­la­ri­sti­schen) In­spi­ra­ti­on weist er in sei­ner höchst ori­gi­nel­len Les­art des Ril­ke-Ge­dichts en pas­sant auf die bei­den wich­tig­sten Wor­te die­ses ab­so­lu­ten Im­pe­ra­tivs hin: Zum ei­nen das »Müs­sen« – zum an­de­ren das Pos­ses­siv­pro­no­men: hier sind we­der Aus­flüch­te noch De­le­ga­tio­nen er­laubt und die Kon­se­quen­zen könn­ten ein­schnei­dend sein.

Und so nimmt Slo­ter­di­jk Fahrt auf zur Le­bens­än­de­rungs-Ex­pe­di­ti­on. Da­bei soll (in Pa­ra­phra­se zu Witt­gen­stein) der Teil der ethi­schen Dis­kus­si­on, der kein Ge­schwätz ist, in an­thro­po­tech­ni­schen Aus­drücken re­for­mu­liert wer­den. So wird der Üben­de, der Akro­bat, zur Ga­li­ons­fi­gur des Sich-Än­dern-Wol­len­den in­stal­liert und be­kommt da­bei fast zwangs­läu­fig das At­tri­but »as­ke­tisch«, denn der größ­te Teil al­len Übungs­ver­hal­tens voll­zieht sich in der Form von nicht-de­kla­rier­ten As­ke­sen. Kein Ziel kann da hoch ge­nug sein (und das im wört­li­chen Sinn). Ril­kes Voll­kom­men­heits-Epi­pha­nie als un­um­kehr­ba­res Auf­bruchs­mo­ment, als Vor­bild für den heu­ti­gen Träg­heits­men­schen. Slo­ter­di­jk als Trai­ner (das ist der­je­ni­ge, der will, daß ich will oder doch eher ei­ne Re-In­kar­na­ti­on Za­ra­thu­stras, denn kein Zwei­fel kommt auf, daß hier Nietz­sche der gro­sse Mo­ti­va­tor ist, so­zu­sa­gen der »Über-Trai­ner«.

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Dror Za­ha­vi / Mi­cha­el Gut­mann: Mein Le­ben (arte/ARD)

Die Fra­ge ob bzw. wie der Film das Buch nun kor­rekt wie­der­ge­be oder nicht, er­weist sich meist als mü­ßig: Zu un­ter­schied­lich sind die Me­di­en, zu grob die Struk­tur des Films, die in den mei­sten Fäl­len die fei­nen Un­ter­tö­ne des li­te­ra­ri­schen Wer­kes nicht im Ent­fern­te­sten zu ent­fal­ten ver­mag. Es gibt die ein oder an­de­re Aus­nah­me, die sich zwar eng am li­te­ra­ri­schen Werk hält, aber dann doch ein ei­gen­stän­di­ges Film-Kunst­werk wird oh­ne die Vor­la­ge zu de­nun­zie­ren, son­dern sie er­gänzt, ja, kla­rer zu macht; lei­der »too few to men­ti­on« (und nicht re­le­vant für die­se Be­trach­tung hier).

Fast selbst­ver­ständ­lich muss­te die Ver­fil­mung von Mar­cel Reich-Ra­nickis Buchs »Mein Le­ben« (es wer­den letzt­lich au­sser der mehr als ober­fläch­lich ein­ge­streu­ten un­mit­tel­ba­ren Nach­kriegs­zeit Reich-Ra­nickis als pol­ni­scher Ge­ne­ral­kon­sul nur die er­sten bei­den Tei­le des Bu­ches bis 1944 ge­zeigt) hin­ter dem doch stark be­ein­drucken­den Ge­schrie­be­nen zu­rück­ste­hen. In neun­zig Mi­nu­ten presst man die Ge­schich­te von 1929 bis 1944 und ha­stet von Stich­wort zu Stich­wort. Man spürt das Be­mü­hen, Schlüs­sel­sze­nen des Bu­ches un­ter­zu­brin­gen (was teil­wei­se auch ge­schieht), aber Reich-Ra­nickis an­ek­do­ti­sches Er­zäh­len, was die­ses Buch nicht un­we­sent­lich cha­rak­te­ri­siert und auf ver­blüf­fen­de Wei­se stark macht, fällt die­ser Er­eig­nis-Ral­lye als er­stes zum Op­fer.

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Ni­chol­son Bak­er: Men­schen­rauch

Über­set­zung: Sa­bi­ne He­din­ger und Chri­stia­ne Berg­feld

Nicholson Baker: Menschenrauch
Ni­chol­son Bak­er: Men­schen­rauch

»Men­schen­rauch« von Ni­chol­son Bak­er ist ein küh­nes, ein wag­hal­si­ges, ein fürch­ter­li­ches, ein auf­rüt­teln­des, ein ge­schichts­klit­teri­sches – und ein er­hel­len­des Buch. Es ist der Ver­such, die Zeit zwi­schen 1919 und En­de 1941 aus ei­ner an­de­ren Sicht zu se­hen. Wo in­zwi­schen die Vo­ka­bel des Pa­ra­dig­men­wech­sels ein we­nig ver­braucht er­scheint – hier ist sie an­ge­bracht.

Ta­ge­buch­ähn­lich col­la­giert, zi­tiert und mon­tiert Bak­er aus Brie­fen, Ar­ti­keln, Auf­zeich­nun­gen, Bü­chern und Ver­laut­ba­run­gen von Po­li­ti­kern, Schrift­stel­lern, Jour­na­li­sten oder auch nur »ein­fa­chen« Bür­gern (vor­wie­gend aus dem an­gel­säch­si­schen Be­reich; aus Deutsch­land gibt es vor al­lem Aus­zü­ge aus den Ta­ge­bü­chern von Goeb­bels, Vic­tor Klem­pe­rer und Ul­rich von Has­sel). Der Er­ste Welt­krieg wird nur auf ganz we­ni­gen Sei­ten am An­fang ge­streift, die Jah­re 1920–1933 auf rund 30 Sei­ten. Der Zwei­te Welt­krieg be­ginnt auf Sei­te 152, das Jahr 1940 auf Sei­te 182 und 1941 auf Sei­te 306. Das Buch en­det am 31.12.1941 (Sei­te 518; da­nach gibt es ein sehr kur­zes Nach­wort und um­fang­rei­che Quel­len­nach­wei­se), al­so als die mei­sten Men­schen, die im Zwei­ten Welt­krieg starben…noch am Le­ben [wa­ren] wie Bak­er schreibt.

Der Ge­dan­ke, es han­de­le sich um et­was ana­log zu Kem­pow­skis »Echolot«-Projekt er­weist sich sehr bald als falsch. Bak­ers Zi­ta­te sind fast im­mer be­ar­bei­tet – und er wer­tet, wenn auch manch­mal nur un­ter­schwel­lig. Nur sel­ten wird das »rei­ne« Do­ku­ment zi­tiert. Manch­mal wer­den auch nur die je­wei­li­gen Zi­ta­te ge­gen- oder auf­ein­an­der be­zo­gen. Die­ser Stil ist sug­ge­stiv bis ins klein­ste De­tail. So er­folgt bei­spiels­wei­se kei­ne Da­tums­zei­le, son­dern es wird nar­ra­tiv mit ei­nem be­deu­tungs­vol­len »Es war der …« im Text agiert. Pein­lich ge­nau ach­tet Bak­er dar­auf, dass al­les be­legt ist; er be­nutz­te aus­schließ­lich öf­fent­li­che Quel­len bzw. Ar­chi­ve.

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Sal­man Rush­die: Die be­zau­bern­de Flo­ren­ti­nerin

Saman Rushdie: Die bezaubernde Florentinerin
Sa­man Rush­die: Die be­zau­bern­de Flo­ren­ti­nerin

In ei­nem Och­sen­kar­ren kommt er da­her, der gelb­haa­ri­ge Frem­de, ein an­mu­ti­ger Narr…vielleicht aber auch gar kein Narr. Nicht sit­zend son­dern ste­hend, auf­recht wie ein Gott, im rum­peln­den Ge­fährt ge­schickt die Ba­lan­ce hal­tend. Man schreibt das Jahr 1572 (laut Klap­pen­text) und be­fin­det sich in Fa­teh­pur Sik­ri, ei­nem Ort jen­seits von Re­li­gi­on, Re­gi­on, Rang und Stamm, der Stadt der schö­nen Lü­ge, der Haupt­stadt des Rei­ches von Ja­la­lud­din Mu­ham­mad Ak­bar, dem in­di­schen Gross­mo­gul, dem Welt­ver­schlin­ger.

Der Frem­de sei im Na­men der eng­li­schen Kö­ni­gin un­ter­wegs und müs­se Ak­bar un­be­dingt per­sön­lich ei­ne Bot­schaft der Mon­ar­chin über­mit­teln. Da­für hat er die wei­te Rei­se von Eu­ro­pa über das Kap der Gu­ten Hoff­nung nach In­di­en ge­macht. Zu­nächst geht er al­ler­dings in ein Hu­ren­haus, macht Be­kannt­schaft mit den Hu­ren Ske­lett und Ma­trat­ze. Dort er­probt er erst ein­mal ei­ne Sal­be, die se­xu­el­les Ver­lan­gen stei­gern soll, be­vor die bei­den Hu­ren ihn mit spe­zi­el­len Düf­ten par­fü­mie­ren. Er soll rie­chen wie ein Kö­nig da­mit er die ver­schie­de­nen In­stan­zen am Hof ent­spre­chend über­win­den kann und auch tat­säch­lich zu Ak­bar, dem Schirm­herr der Welt, vor­ge­las­sen wird.

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