Schrift­stel­ler und Werk

Ein Schrift­stel­ler schreibt zum gro­ßen Teil, da­mit man ihn liest (be­wun­dern wir je­ne, die das Ge­gen­teil be­haup­ten, aber glau­ben wir ih­nen nicht). Doch mehr und mehr schreibt er bei uns, um je­ne Wei­he zu er­rei­chen, die dar­in be­steht, nicht ge­le­sen zu wer­den. Von dem Au­gen­blick an näm­lich, wo er den Stoff für ei­nen pit­to­res­ken Ar­ti­kel in un­se­rer Pres­se mit gro­ßer Auf­la­ge lie­fern kann, hat er al­le Aus­sich­ten, von ei­ner gro­ßen An­zahl von Leu­ten ge­kannt zu wer­den, die ihn nie mehr le­sen, weil sie sich da­mit be­gnü­gen wer­den, sei­nen Na­men zu ken­nen und über ihn zu le­sen. Er wird in Zu­kunft be­kannt (und ver­ges­sen sein), nicht, wie er ist, son­dern nach dem Bild, das ein ei­li­ger Pres­se­jour­na­list von ihm ent­wor­fen hat.

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Frank Fi­scher: Die Süd­harz­rei­se

Frank Fischer: Die Südharzreise
Frank Fi­scher: Die Süd­harz­rei­se

Wie­so wer­den in den Zei­tun­gen ne­ben Bü­chern und Fil­men ei­gent­lich nicht sy­ste­ma­tisch Au­to­bah­nen re­zen­siert? fragt Frank Fi­scher am 3. Ok­to­ber 2008 um 4.28 Uhr bei Bad Lauch­städt. Da ist er schon seit fast vier­ein­halb Stun­den auf der A38 (bzw. das, was zu die­sem Zeit­punkt be­reits A38 war) un­ter­wegs. Am 2. Ok­to­ber um 23.59 Uhr von Leip­zig aus ge­star­tet bis nach Göt­tin­gen (21.20 Uhr, 612 km) und am 4.10. um 1:01 Uhr wie­der in Leip­zig ein­tref­fend (noch ein­mal rd. 250 km). Dar­aus ent­stand »Die Süd­harz­rei­se« – tat­säch­lich par­ti­ell so et­was wie ei­ne Re­zen­si­on der A38, et­wa wenn um 3.59 Uhr das Kreuz Ripp­ach­tal wie ei­ne ver­bor­ge­ne Va­ri­an­te der Schwe­be­bahn­li­ni­en von Got­ham Ci­ty wirkt (nur ein Bei­spiel für die im Buch im­mer wie­der auf­schei­nen­den, prä­gnan­ten Bil­der), die­ser »Hän­del-Au­to­bahn« (wie sie schon halb­of­fi­zi­ell ge­nannt wird; der Au­tor fin­det tref­fen­de­re und manch­mal fast zärt­li­che Be­zeich­nun­gen).

Ein we­nig er­in­nert das an Aste­rix’ und Obe­lix’ »Tour de France«, als die bei­den Un­be­sieg­ba­ren von je­dem be­such­ten Ort ei­ne (meist ku­li­na­ri­sche) Spe­zia­li­tät mit­brach­ten (wo­bei es Uder­zo und Go­scin­ny of­fen­ge­las­sen ha­ben, wie man die­se Köst­lich­kei­ten vor dem Viel­esser Obe­lix ins Ziel ret­ten konn­te).

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Cle­mens Mey­er: Ge­wal­ten


Ei­ne wil­de, alp­traum­haf­te Er­zäh­lung von ei­nem Mann, der an ein Bett ge­fes­selt, fi­xiert ist und ge­ra­de des­halb schier unge­ahnte Kräf­te be­kommt, be­ginnt mit dem Bett zu rei­ten, es be­wegt sich so­gar und er schreit. »Ge­wal­ten«. Da­bei Ge­dankenflut, Ga­lopp­ren­nen, Bars, be­son­ders das »Brick’s«, die ewi­gen 89er, die zur Ni­ko­lai­kir­che pil­gern. Leip­zig al­so. Hilf­lo­sig­keit, Ver­zweif­lung ge­paart mit Trotz und Auf­leh­nung. Ei­ne Schwe­ster kommt, er spuckt ihr ins Ge­sicht (ei­ne Kunst aus die­ser Ent­fer­nung und die­sem Win­kel) und sie kom­men mit ei­nem Kis­sen, wel­ches sie ganz lang­sam auf sein Ge­sicht le­gen und et­was War­mes schießt in sei­nen Arm, Er­in­ne­rung an New York, den Ma­ler Pau­le Ham­mer (sein Bild »AUA« ist das Co­ver des Bu­ches) und spä­ter dann ein Ich bin noch da, ihr Schwei­ne.

Ei­ne neue Ge­schich­te, ei­ni­ge Mo­na­te spä­ter. Der Le­ser er­fährt über die Zwi­schen­zeit nichts. Der Er­zäh­ler will sich mit ei­nem Mann am Leip­zi­ger Bahn­hof tref­fen, ei­nem In­ter­es­sen­ten für Film­dreh­bü­cher. Die gan­ze Sze­ne­rie im Bahn­hof ist na­he­zu kaf­ka­esk, der Agent sucht das schlech­te­ste Ca­fé aus, spricht lei­se, man fach­sim­pelt über Fil­me, Regiss­eure, Peckin­pah, Bog­d­a­no­vich, Sze­nen, bei­de sind Ken­ner, der Frem­de ver­lässt das Ca­fé für zehn Mi­nu­ten und kommt plötz­lich mit ei­ner Map­pe wie­der. Dann ein Schnitt. Plötz­lich in sei­nem ver­dun­kel­ten Zim­mer, so­zu­sa­gen ver­gra­ben, Bil­der an der Wand, die grin­sen, Abu Ghraib, Gu­an­tá­na­mo und die Ge­schich­te von K. Ein mo­der­ner K. und der Er­zäh­ler er­lei­det mit, die De­mü­ti­gun­gen. Re­mi­nis­zenz an Char­lie Chap­lin in »Mo­dern Times« in den rie­si­gen Zahn­rä­dern und dann die Rea­li­tä­ten der Woh­nung, die Zi­ga­ret­ten, die er weg­spült und dann kurz da­nach sucht, ob er nicht ei­ne da­ne­ben ge­wor­fen hat. Der Fall K. als »M.A.S.H.«-Film? Ge­dan­ken zum Is­lam, zum Glau­ben (ich kann das näm­lich nicht mehr), Goe­the und sein Re­spekt vor dem Ko­ran (gro­ße Dich­tung!). »My film is Gu­an­tá­na­mo« wird Cop­po­la pa­ra­phra­siert. Und dann ver­schmel­zen al­le Fi­gu­ren, die pri­va­ten, die Leu­te auf den Fo­to­gra­fien, die Frau, die ei­nen Häft­ling aus Abu Ghraib an der Lei­ne führt und plötz­lich ist er K., sieht sich Ver­hör­leu­ten ge­gen­über; de­li­riert. Die Ent­span­nung dann: das Ge­fühl, in sei­nem Zim­mer be­ob­ach­tet zu wer­den, wie in ei­nem »Bern­stein« ein­ge­schlos­sen.

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Die Un­fä­hig­keit, zu goog­len (2)

Ste­fan Win­ter­bau­er schaut ja ein biss­chen trau­rig auf dem Fo­to. Er hat auch ei­nen Ar­ti­kel ge­schrie­ben, der trau­rig ist. Trau­rig für Jour­na­li­sten.

Win­ter­bau­er schreibt für Mee­dia, des­sen Chef Ge­org Alt­rog­ge bei Ste­fan Nig­ge­mei­er für die Be­richt­erstat­tung über ei­nen ver­meint­li­chen Be­trug ei­nes Jour­na­li­sten stark kri­ti­siert wur­de. Alt­rog­ge hat nun et­was ge­macht, was sel­ten ist, er hat sich in die Dis­kus­si­on bei Nig­ge­mei­er ein­ge­bracht. So weit, so gut.

Ir­gend­wann ver­lief die Dis­kus­si­on je­doch nicht mehr so, wie sich je­mand wie Alt­rog­ge das of­fen­sicht­lich vor­stellt. Er stell­te dann ir­gend­wann die »Grund­satz­fra­ge«, die sehr ger­ne her­vor­ge­holt wird, wenn die Ar­gu­men­te brü­chig wer­den: nach der An­ony­mi­tät der Kom­men­ta­to­ren. Er schrieb dem Kom­men­ta­tor »treets« am 31.03.10 um 23.07 Uhr:

»Von Ih­nen wür­de ich mir wün­schen, dass Sie bei Ste­fan Nig­ge­mei­er wie bei Mee­dia un­ter Ih­rem Klar­na­men kom­men­tie­ren wür­den. Wenn ei­ner sich so wie Sie ann­onym [sic!] der­art aus dem Fen­ster lehnt, ist das lei­der nur fei­ge.«

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Ein Hauch von Ya­moussou­kro

Nie­mand spricht das heh­re Wort von »der Kul­tur« so in­brün­stig aus wie Ti­na Men­dels­ohn, wenn sie wie­der ein­mal in ei­nem »Kul­tur­zeit ex­tra« oder ir­gend­ei­ner Ra­dio­dis­kus­si­on mit Funk­tio­nä­ren und Kul­tur­schaf­fen­den zu­sam­men­sitzt und über die Zu­kunft »der Kul­tur« dis­ku­tiert. Lei­der kommt man dann ziem­lich schnell auf den ei­gent­li­chen Punkt: das Geld. Hier sub­ven­tio­nier­te Geld­ein­trei­ber, die längst ver­in­ner­licht ha­ben, dass Kul­tur und Geld sia­me­si­sche Zwil­lin­ge sind und in In­sti­tu­tio­nen und Etats den­ken. Und dort die Kommunal‑, Lan­des- und Bun­des­po­li­ti­ker, die mit dem Wort »Kul­tur« zu­nächst ein­mal je­ne Form von Event-Fe­ti­schis­mus ver­bin­den, den sie jahr­aus jahr­ein er­öff­nen, be­fei­ern, be­su­chen und be­schlie­ßen. Wie steht es mit ei­ner »Kul­tur«, wie sie sich in der Auf­takt­ver­an­stal­tung zur Kul­tur­haupt­stadt Ruhr­ge­biet 2010 in Es­sen vom 10. Ja­nu­ar 2010 zeigt?

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Leer­stel­le Gy­si?

Ma­ri­an­ne Birth­ler, die Bun­des­be­auf­trag­te für die Sta­si-Un­ter­la­gen, hat­te im ZDF am 22. Mai 2008 (laut Spie­gel On­line) in Be­zug auf ein Tref­fen zwi­schen Gre­gor Gy­si und sei­nem Man­dan­ten Ro­bert Ha­ve­mann ge­sagt: In die­sem Fall ist wil­lent­lich und wis­sent­lich an die Sta­si be­rich­tet wor­den, und zwar von Gre­gor Gy­si über Ro­bert Ha­ve­mann.

Gre­gor Gy­si hat­te ge­gen die Wei­ter­ver­brei­tung die­ser Äu­ße­rung ge­klagt und vor dem LG Ham­burg recht be­kom­men. Das ZDF ging in Be­ru­fung und un­ter­lag jetzt er­neut. In­ter­es­sant ist die Be­grün­dung. Es geht schein­bar gar nicht dar­um, ob Birth­lers Aus­sa­ge rich­tig ist oder falsch. Laut OLG darf die Äu­ße­rung Birth­lers nur nicht in der Art und Wei­se, wie dies er­folg­te, wie­der­ge­ge­ben wer­den. Das ZDF schreibt zur Ur­teils­be­grün­dung auf sei­ner Web­sei­te: »Nach Auf­fas­sung des Ge­richts hät­te das ZDF je­doch Gy­si kon­kre­ter zu den Äu­ße­run­gen Birth­lers be­fra­gen und Gy­sis Ver­tei­di­gungs­ar­gu­men­te aus­führ­li­cher dar­stel­len müs­sen.«

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Ro­bert Ha­beck: Pa­trio­tis­mus – Ein lin­kes Plä­doy­er

Robert Habeck: Patriotismus - Ein linkes Plädoyer
Ro­bert Ha­beck: Pa­trio­tis­mus – Ein lin­kes Plä­doy­er

Die Feind­schaft zum Staat als Re­pres­si­ons­in­stanz, »Atom­staat«, »Bul­len­staat«, als pa­ter­na­li­sti­scher Ak­teur, Hü­ter fau­ler Kom­pro­mis­se, ver­stell­te den grü­nen Blick dar­auf, was (mit ei­nem) ge­sche­hen wür­de, wenn man selbst zu dem ge­hör­te. Der zi­vi­le Mut woll­te im­mer über den Staat hin­aus, ziel­te auf die Idee ei­nes Ge­mein­we­sens oh­ne Staat. Als dann rot-grün 1998 an die Re­gie­rung kam, wa­ren die li­be­ra­len Vor­stel­lun­gen von Ge­mein­wohl nicht mehr ge­gen, son­dern mit dem Staat durch­zu­set­zen. Auf die­sen Schritt wa­ren die pro­gres­si­ven Kräf­te schlecht vor­be­rei­tet und sind es bis heu­te.

Hart geht Ro­bert Ha­beck, 41, Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der der Grü­nen im schles­wig-hol­stei­ni­schen Land­tag, mit der Lin­ken im All­ge­mei­nen und sei­ner Par­tei im Be­son­de­ren ins Ge­richt (wo­mit die po­li­ti­sche Rich­tung und nicht de­zi­diert die Par­tei »Die Lin­ke« ge­meint ist). Nach rot-grün, so Ha­becks The­se, ha­be das Land in ei­ner Gro­ßen Ko­ali­ti­on, die ih­re Chan­cen lei­der (!) sträf­lich ver­passt ha­be, vier Jah­re ver­lo­ren.

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Al­ban Ni­ko­lai Herbst: Sel­zers Sin­gen

»Phan­ta­sti­sche Ge­schich­ten« wer­den Al­ban Ni­ko­lai Herbsts Er­zäh­lun­gen, die un­ter dem Ti­tel »Sel­zers Sin­gen« so­eben er­schienen sind, un­ter­ti­telt (und er­gänzt wird das ein biss­chen ko­kett mit: »und sol­che von frem­der Mo­ral«). Das Ad­jek­tiv phan­ta­stisch ist ei­ne zu­tref­fen­de Cha­rak­te­ri­sie­rung die­ser zwölf Ge­schich­ten (die kür­ze­ste hat knapp vier Sei­ten, die läng­ste 24), wo­bei der Grad der »Phan­ta­stik« durch­aus ...

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