Stefan Winterbauer schaut ja ein bisschen traurig auf dem Foto. Er hat auch einen Artikel geschrieben, der traurig ist. Traurig für Journalisten.
Winterbauer schreibt für Meedia, dessen Chef Georg Altrogge bei Stefan Niggemeier für die Berichterstattung über einen vermeintlichen Betrug eines Journalisten stark kritisiert wurde. Altrogge hat nun etwas gemacht, was selten ist, er hat sich in die Diskussion bei Niggemeier eingebracht. So weit, so gut.
Irgendwann verlief die Diskussion jedoch nicht mehr so, wie sich jemand wie Altrogge das offensichtlich vorstellt. Er stellte dann irgendwann die »Grundsatzfrage«, die sehr gerne hervorgeholt wird, wenn die Argumente brüchig werden: nach der Anonymität der Kommentatoren. Er schrieb dem Kommentator »treets« am 31.03.10 um 23.07 Uhr:
»Von Ihnen würde ich mir wünschen, dass Sie bei Stefan Niggemeier wie bei Meedia unter Ihrem Klarnamen kommentieren würden. Wenn einer sich so wie Sie annonym [sic!] derart aus dem Fenster lehnt, ist das leider nur feige.«
Darauf sah ich mich genötigt, einzugehen:
Nur kurz zur „Feigheit” derer, die nicht unter „Klarnamen” kommentieren. Man hört diese Aussage meistens dann, wenn den Leuten die Argumente ausgehen. Sie versuchen dann die Person zu diskreditieren, in dem man ihr die Anonymität vorwirft. Vermutlich unbewusst treffen Sie hier einen Kern der Geschichte an, die dazu führt, warum jemand „Experten” erfindet: Wie so viele sind Sie offensichtlich nicht in der Lage, einen Diskurs ausschliesslich argumentativ zu führen, sondern benötigen Krücken, nach denen Sie sozusagen vorab Argumente sortieren, ohne diese dann abwägen zu müssen. (So wird dann aus jemanden, der 2 [in Worten ZWEI] Bildblog-Artikel geschrieben hat ein Bildblog-Schreiber.) Wenn sich herausstellen würde, dass Kommentator X den Beruf Y hat, könnten Sie damit sein Argument versuchen auszuhebeln, ohne sich damit zu beschäftigen.
Pseudonyme sind – das müssten Sie eigentlich besser wissen – weder ehrenrührig noch neu. Es gab und gibt herausragende Schriftsteller und auch Journalisten, die Pseudonyme benutzt haben und benutzen; aus den unterschiedlichsten Gründen. Es ist wie mit einem Wein: Der Kenner braucht das Etikett eigentlich gar nicht, um die Rebsorte herauszuschmecken und die Qualität zu beurteilen.
Stefan Winterbauer nimmt nun in seinem Artikel mit dem markigen Namen »Web-Trolle die seltsame Lust am Krawall« die gesamte Niggemeier-Diskussion, die im Grossen und Ganzen (wie fast immer) gesittet und durchaus argumentativ geführt wird, auf dem Prüfstand.
Für Winterbauer sind nun alle anonymen Kommentierer per se »Trolle«, also Störenfriede oder gar Pöbel. Aber Winterbauer keilt auch aus: »Inhaltlich wertvolle Beiträge von den Leuten mit den lustigen Spitznamen wie »treets«, »Luftikus« oder »B.Schuss« sucht man in der Regel vergebens.« Interessant, dass Herr Altrogge auch auf Kommentare dieser Leute mit den »lustigen Spitznamen« eingeht (was ich – wie gesagt – nicht schlecht finde).
Auch andere Formulierungen sind weitaus »trolliger« als das, was sich bei Niggemeier in der Regel abspielt:
- »unteres Stammtisch-Niveau.«
- »Web-Mob«
- »den inneren Kettenhund von der Leine zu lassen«
Das sind keine Zitate Winterbauers aus der Diskussion, sondern eine eigenen Wortschöpfungen. Aber er läuft zu ganz großer Form auf, denn er nimmt sich auch meinen Kommentar zur Brust:
»Ein Kommentator, sogar mit Klarnamen, setzte im Blog von Stefan Niggemeier die anonymen Kommentierer auf eine Stufe mit ‘herausragenden Schriftstellern und auch Journalisten, die Pseudonyme benutzt haben und benutzen. (...) Es ist wie mit einem Wein: Der Kenner braucht das Etikett eigentlich gar nicht, um die Rebsorte herauszuschmecken und die Qualität zu beurteilen.’ Aber wenn’s gewaltig korkt, dann wüsste man schon ganz gerne, wer’s verzapft hat.«
Dabei begeht Winterbauer gleich drei Fehler:
- Er googelt nicht oder nur die ersten Eintragungen. Dann hätte er feststellen können, dass »Gregor Keuschnig« ein Pseudonym ist. (Anmerkung: Herrn Niggemeier ist mein Klarname bekannt.)
- Ich habe in meinem Kommentar die Kommentatoren nicht mit herausragenden Schriftstellern gleichgesetzt, sondern das Wesen von Pseudonymen kurzgefasst zu erklären versucht.
- Genau dieser Punkt wird geflissentlich übersehen: Nicht das Argument zählt für Winterbauer, sondern ein Name. (Das entsprechende Zitat des Dichterfürsten erspare ich mir, damit ich nicht den intellektuellen Horizont der »Meedia«-Redaktion überschreite.)
Und solche Leute wollen über und von Journalismus berichten? Einfach nur lachhaft.
»Stefan Winterbauer schaut ja ein bisschen traurig auf dem Foto.«
Zum Ausschauen noch was:
In letzter Zeit veräppel ich gerne die (vielen) Leute, die diese Brille aufhaben; also Leute, die sich sogar bei Sehhilfen nach einer aktuellen Mode richten. Einer von der SZ oder der ZEIT beschrieb die Dinger, oder genauer, deren Täger als: Kastenbrillenleichen. Es sind ja tatsächlich immer die Gleichen. Oft aus der Reklamemacherwelt.
Über den Inhalt seines Artikels will ich nicht weiter... dazu ist ja bereits alles hier oben und beim Niggemeier gekonnt gesagt.
Nur neugierig bin ich jetzt geworden: »Gregor Keuschnig« ist ein Pseudonym, so so...
Sehr schön
wir haben den Vergleich eines Trolls mit einem guten Wein gleich mal zum Motto unserer Wirtshaft »Zum goldenen Troll« gemacht.
Was soll man dazu noch sagen? Jeder der sich die Mühe macht, wird feststellen, dass Pseudonyme im Netz oftmals mit viel Sorgfalt gepflegt werden. Und, dass die Qualität der Diskussionen darunter keineswegs leidet.
pseudonyme
ohne die möglichkeit, pseudonym zu schreiben, würde ich mich an vielen diskussionen nicht oder in viel geringerem umfang beteiligen.
es kann interessant sein, die verächter des pseudonyms nach ihrem urteil über die naive auskunftsfreude vieler menschen in sozialen netzwerken zu fragen. für mich macht das pseudonym eine offene diskussion im internet erst möglich.
man kann dann allerdings nicht mehr ad hominem. wen das stört, der schimpfe.
.~.
@dot tilde dot
Jein. Der Klarname ist natürlich besonders verwundbar. Aber das ist ein Pseudonym, das man pflegt auch (nur eben weniger).
Ich habe lange Zeit auch unter realem Namen geschrieben, das geht auch sehr gut, wenn die Diskussionspartner es genauso halten. Allerdings heikler, wenn man an die gezielte Personensuche denkt, und an das soziale Gefüge.
@dot tilde dot
Noch interessanter wäre die Frage, was man dann mit dem Klarnamen anfängt. Wobei es ein weit verbreitetes Phänomen darstellt, von der Vita einer Person auf dessen Meinung rückzuschliessen. Beispielsweise in der Literaturkritik. Kritiker haben eine Aversion gegen Autoren, die ihren Lebenslauf verborgen halten. Sie sind es gewohnt, die Informationen, die sie hieraus gewinnen für das, was »abgeliefert« wird, also das Werk, zu verwenden. Ich halte das fast immer für Krückenjournalismus.
Merkwürdig ist ein anderes Phänomen: Wenn Journalisten für besonders heikle Reportagen Kronzeugen brauchen, dann äussern diese sich fast immer nur anonymisiert und oft auch stimmenverfremdet. Das wird komischerweise akzeptiert, weil ja »der Journalist« dahintersteckt. Ich möchte im Einzelfall nicht wissen, wie oft da gemogelt wird.
Was würden Sie tun, wenn Herr Niggemeier Ihren echten Namen veröffentlichen würde?
[EDIT: 2010-04-03 20:06]
Nichts, aber warum sollte er?
Vielleicht wäre es origineller gewesen zu antworten, dass ich dann auch Herrn Niggemeiers richtigen Namen »enttarne«.
Stefan Winterbauer...
Stefan Winterbauer hat nunmehr keine Lust, seine eigene Diskussion fortzuführen. Anonym gezeichnete Diskussionsbeiträge, die zwar kritisch, aber keineswegs beleidigend waren, wurden kurzerhand gelöscht.
Was verspricht er sich davon?
Er selbst pöbelt herum (»anonyme Windbeutel«), kann in Sachen Altrogge/Niggemeier-Blog nicht einen Beleg für seine Behauptung bringen.
Seit wann braucht ein Ideologe Belege (für seine Irrungen)?
Mich würde interessieren, wie er die Authentiztät der Kommentatoren überprüft. Da gibt es ja durchaus Defizite bei ihm...