Ni­na Jäck­le: Nai

Nina Jäckle: Nai
Ni­na Jäck­le: Nai
Un­schwer zu er­ken­nen: Nai ist ein An­na­gramm aus den drei ver­schie­de­nen Buch­sta­ben des Vor­na­mens von Ni­na Jäck­le. Aber ist der Jun­ge Nai des­halb das (männ­li­che? kind­li­che?) Al­ter Ego der Au­torin?

Ei­ne Fi­gur Nai, oh­ne Bio­gra­fie, er­zäh­lend in ei­ner na­iv-in­fan­til an­mu­ten­den Spra­che, will ein sehr mei­ster­haf­tes Aben­teu­er er­le­ben. Zu die­sem Zweck trägt er so­gar im Bett wacker Schuh über Strumpf, hat die Schlei­fen ge­bun­den und bleibt – stets ein­satz­be­reit – im auf­rech­ten Stand. Aber wer ist Nai? Ein Ko­bold? Da­für spricht viel­leicht die an­ge­deu­te­te Klein­heit, der kaum vor­han­de­ne Hals. Ein Schwach­sin­ni­ger, der Stim­men hört und sich in meh­re­re Per­so­nen (Naiz­wei, Na­i­d­rei) auf­spal­tet?

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»Ein reg­sam lau­es Trei­ben«

Zu­ge­ge­ben, die­ser Satz ist arg pro­vo­ka­tiv:

Der Li­te­ra­tur­be­trieb hat das li­te­ra­ri­sche Le­ben ge­ra­de­zu ver­nich­tet.

Und Heinz Plesch­in­ski re­la­ti­viert ihn auch so­fort wie­der: Schul­di­ge sind schwer­lich zu be­nen­nen. Doch selbst der Li­te­ra­tur­be­trieb ist nur ein win­zi­ges Seg­ment im all­ge­mei­nen Trend zur Ver­fla­chung. Wer Buch­in­hal­te re­fe­riert, ern­tet ein Gäh­nen – nie­mand will mehr ru­hig zu­hö­ren – al­lein die Ver­kaufs­zah­len hal­ten in Atem und fun­gie­ren als Qua­li­täts­sie­gel. Der Kampf um den Ab­satz be­stimmt al­les. Lek­to­ren und Ver­le­ger win­ken ab und das Ver­triebs­per­so­nal senkt den Dau­men, wenn ih­nen ein sper­ri­ges Ma­nu­skript un­ter die Au­gen ge­rät.

So weit, so be­kannt, möch­te man mei­nen. Aber die wei­te­re Lek­tü­re des Ar­ti­kels in der »Welt« (un­ter dem mar­tia­lisch-trot­zi­gen Ti­tel »Wir müs­sen wei­ter ins Ge­fecht«) ist den­noch emp­feh­lens­wert und hebt sich von der all­ge­mei­nen Li­te­ra­tur­kri­tik-Me­lan­cho­lie, wel­ches im Mo­ment die Feuil­le­tons durch­zieht (kein Wun­der: die al­ten Män­ner tre­ten ab und die Neu­en se­hen ih­re Erb­hö­fe vor sich hin mo­dernd), wohl­tu­end ab.

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Ich ha­be Gün­ter Grass ge­se­hen

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 1

Letz­tes Jahr ha­be ich Gün­ter Grass ge­se­hen, als ich am Pa­ri­ser Platz mit der Rik­scha auf Kund­schaft war­te­te. In Cord­samt ge­klei­det und Pfei­fe rau­chend kam Grass aus der Aka­de­mie der Kün­ste, ging in Rich­tung Un­ter den Lin­den und war da­bei mit ei­nem an­de­ren Herrn tief in ein Ge­spräch in­vol­viert. Grass ging sehr lang­sam, die gei­sti­ge An­stren­gung zwang ihn, hin und wie­der ste­hen zu blei­ben. Wäh­rend sein Ge­sprächs­part­ner an sei­nen Lip­pen hing, hin­gen Grass’ Schul­tern nach un­ten her­ab. Ich er­wog, Grass an­zu­spre­chen: »Herr Grass, darf ich Sie bit­ten, ge­wäh­ren Sie mir die Eh­re, Sie ein Stück des Wegs mit der Rik­scha zu fah­ren?« Grass hät­te dann in ei­ner sol­chen Rik­scha ge­ses­sen, wie sie in der Ver­fil­mung sei­ner Er­zäh­lung »Un­ken­ru­fe« zum Ein­satz ge­kom­men ist, und ich hät­te al­le mei­ne Kol­le­gen in un­se­rem in­ter­nen Pro­mi-Fahr­gast-Wett­be­werb haus­hoch aus­ge­sto­chen. Al­ler­dings wä­ren kon­tro­ver­se Dis­kus­sio­nen mög­lich ge­we­sen an­ge­sichts solch pro­mi­nen­ter Fahr­gä­ste wie ... und ge­ra­de, als ich dies dach­te, blieb Grass, der nun ge­nau auf mei­ner Hö­he war, aber­mals ste­hen.

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Zwi­schen Nicht­be­ach­tung und Hel­den­tum: Der Sol­dat und die (eu­ro­päi­sche) De­mo­kra­tie

Den Wan­del des Sol­da­ten­bil­des in­ner­halb der eu­ro­päi­schen Ge­schich­te (in­klu­si­ve ei­nes bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Schwer­punkts) hat Clau­de Haas in der letz­ten Aus­ga­be der Zeit er­hel­lend dar­ge­legt. Und dort wo er ge­en­det hat, gilt es wei­ter zu ge­hen. Man muss sei­ne Be­trach­tung, die et­was ab­rupt schließt, und we­sent­li­che Fra­gen auf­wirft, fort­spin­nen, und er­wei­tern, ge­ne­ra­li­sie­ren: Wie ist das sol­da­ti­sche „Hand­werk“, die­ser Be­ruf in Zei­ten ei­nes weit­ge­hend ge­ein­ten Eu­ro­pa, jen­seits ein­deu­ti­ger Be­dro­hungs- und Kon­flikt­sze­na­ri­en, zu be­ur­tei­len? Wol­len wir es be­ur­tei­len? Wir, d.h. die Po­li­tik muss es, soll­te es. Die Fra­ge war­um man am Hin­du­kusch steht, be­nö­tigt ei­ne kla­re Ant­wort. Man ist sie den Hin­ter­blie­be­nen schul­dig, und dem Bür­ger.

Krie­ge füh­ren, für den Frie­den (Pop­per). Ge­hen wir da­von aus, dass es ge­rech­te Krie­ge gibt, las­sen wir Ver­tei­di­gungs­sze­na­ri­en und die Ab­wehr von Ag­gres­si­on au­ßen vor, und eben­so Krie­ge als blo­ße Fort­füh­rung, als Mit­tel der Po­li­tik, der Macht. Wel­che Auf­ga­ben ha­ben Sol­da­ten dann zu er­le­di­gen, wel­che ge­rech­ten Krie­ge aus­zu­fech­ten, wenn wir da­von aus­ge­hen, dass sie da­für in ih­rer Hei­mat nicht be­nö­tigt wer­den?

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Al­bert Ca­mus: Hoch­zeit des Lichts

Albert Camus: Hochzeit des Lichts
Al­bert Ca­mus: Hoch­zeit des Lichts

Das vom Ar­che-Ver­lag jüngst her­aus­ge­brach­te Buch »Hoch­zeit des Lichts« von Al­bert Ca­mus um­fasst ge­nau­ge­nom­men zwei Bü­cher. Zum ei­nen vier Er­zäh­lun­gen, die 1938 in Frank­reich un­ter dem Ti­tel »Noces« (»Hoch­zeit«; in Deutsch­land erst­mals 1954 un­ter »Hoch­zeit des Lichts«) er­schie­nen. Sie ent­stan­den, wie der Ver­lag in ei­ner edi­to­ri­schen No­tiz er­klärt, in den Jah­ren 1936–1937. Ca­mus war da­mals al­so un­ge­fähr 23 Jah­re alt. Zum an­de­ren gibt es acht Er­zäh­lun­gen, die 1954 in Frank­reich un­ter dem Ti­tel »L’é­té« (»Som­mer«) er­schie­nen wa­ren und zwi­schen 1939 und 1953 ent­stan­den. Der deut­sche Ti­tel lau­tet »Heim­kehr nach Ti­pa­sa«. Die deut­schen Über­set­zun­gen der bei­den Bü­cher von 1954 und 1957 wur­den für die­ses Buch teil­wei­se über­ar­bei­tet.

Es ist nun mehr als ein Faux­pas, wenn der Ver­lag so­wohl im Klap­pen­text als auch in der Pres­se­mit­tei­lung schreibt, dass al­le »in die­sem Band ver­sam­mel­ten Tex­te« zwi­schen 1936 und 1938 »erst­mals er­schie­nen« sei­en. Die hier ab­ge­druck­ten Er­zäh­lun­gen, die mit der Zeit es­say­isti­scher und phi­lo­so­phi­scher wer­den (Ca­mus hät­te letz­te­res viel­leicht be­strit­ten), sind, wie oben aus­ge­führt, kei­nes­falls die­ser eng um­ris­se­nen Zeit­span­ne zu­zu­ord­nen.

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Jo­sef W. Jan­ker

1998 las ich Jo­sef W. Jan­kers »Zwi­schen zwei Feu­ern«. Der Ro­man hat kei­nen ein­zel­nen Haupt­prot­ago­ni­sten, son­dern meh­re­re. Ge­schil­dert wer­den Er­eig­nis­se des Zwei­ten Welt­kriegs in Russ­land bis un­ge­fähr An­fang 1945. Wie al­le Ro­ma­ne die­ses Gen­res er­zählt der Au­tor zu­nächst von den be­kann­ten Ge­ge­ben­hei­ten: der Käl­te, dem stumpf­sin­ni­gen Wa­che­schie­ben, dem ewi­gen »Auf-der-Hut-Sein«, usw. Es ist dann die ...

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Ni­co­lai Li­lin: Si­bi­ri­sche Er­zie­hung

»Bar­fuß« heißt ei­gent­lich Ni­co­lai. Je­der hat ei­nen sol­chen Kampf­na­men, ob nun »Igel«, »Mel«, »Tai­ga«, »Pflau­me«, »Ga­ga­rin« oder »Ne­bel«. Sie sind Si­bi­rer heißt es ein biss­chen pau­schal und gleich­zei­tig ge­heim­nis­voll und Mit­glie­der in ei­ner star­ken Welt. Sie ge­hö­ren zu den Ur­ki. Man hält das an­fangs für ei­nen in­di­ge­nen Stamm, aber »Ur­ki« ist ei­gent­lich nur ein Syn­onym für »Ga­no­ve«. Sie le­ben in Trans­ni­stri­en, weil ih­re Vor­fah­ren vor dem Kom­mu­nis­mus flie­hen muss­ten oder ge­flo­hen sind, wes­halb sie sich als po­li­ti­sche Wi­der­ständ­ler ge­rie­ren, denn sie wa­ren ge­gen den kom­mu­ni­sti­schen Staat. Aber sie sind ge­gen je­den Staat, denn kei­ne po­li­ti­sche Macht, un­ter wel­cher Flag­ge auch im­mer, ist so viel wert wie die na­tür­li­che Frei­heit ei­ner ein­zi­gen Per­son. Ein flam­men­des Plä­doy­er für die Frei­heit – und kei­nes ei­ner pseu­do-li­be­ra­len Par­tei. Hier ist ei­ne an­de­re Frei­heit ge­meint. Es ist ei­ne an­ar­chi­stisch-per­ver­tier­te Form ei­nes Frei­heits­be­griffs von Ver­bre­chern, die sich auch so be­zeich­nen und stolz sind, an­stän­di­ge Kri­mi­nel­le zu sein.

Kri­mi­nel­le mit ei­nem kom­pli­zier­ten und bis ins letz­te De­tail aus­ge­feil­ten Verhaltens‑, Eh­ren- und Sank­ti­ons­co­dex; nicht un­ähn­lich dem al­ba­ni­schen Ka­nun. Ni­co­lai Li­lin be­schreibt in sei­nem Buch »Si­bi­ri­sche Er­zie­hung« Auf­wach­sen und Er­zie­hung als Kri­mi­nel­ler und ver­schafft ei­nen um­fas­sen­den Ein­blick in Den­ken, Han­deln und Le­ben die­ser Men­schen, die Po­li­zi­sten Kö­ter nen­nen und nicht ein­mal mit ih­nen re­den. Sie, die Ver­wei­ge­rer jeg­li­cher Re­geln ei­ner Staats­ge­walt, ak­zep­tie­ren nur ih­re al­ten, über­lie­fer­ten Hand­lungs­ma­xi­me, die sie mit ei­nem Ge­rech­tig­keits­ge­ruch ver­se­hen, das un­ter Um­stän­den auch für vie­le Des­il­lu­sio­nier­te enorm at­trak­tiv ist.

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