»Barfuß« heißt eigentlich Nicolai. Jeder hat einen solchen Kampfnamen, ob nun »Igel«, »Mel«, »Taiga«, »Pflaume«, »Gagarin« oder »Nebel«. Sie sind Sibirer heißt es ein bisschen pauschal und gleichzeitig geheimnisvoll und Mitglieder in einer starken Welt. Sie gehören zu den Urki. Man hält das anfangs für einen indigenen Stamm, aber »Urki« ist eigentlich nur ein Synonym für »Ganove«. Sie leben in Transnistrien, weil ihre Vorfahren vor dem Kommunismus fliehen mussten oder geflohen sind, weshalb sie sich als politische Widerständler gerieren, denn sie waren gegen den kommunistischen Staat. Aber sie sind gegen jeden Staat, denn keine politische Macht, unter welcher Flagge auch immer, ist so viel wert wie die natürliche Freiheit einer einzigen Person. Ein flammendes Plädoyer für die Freiheit – und keines einer pseudo-liberalen Partei. Hier ist eine andere Freiheit gemeint. Es ist eine anarchistisch-pervertierte Form eines Freiheitsbegriffs von Verbrechern, die sich auch so bezeichnen und stolz sind, anständige Kriminelle zu sein.
Kriminelle mit einem komplizierten und bis ins letzte Detail ausgefeilten Verhaltens‑, Ehren- und Sanktionscodex; nicht unähnlich dem albanischen Kanun. Nicolai Lilin beschreibt in seinem Buch »Sibirische Erziehung« Aufwachsen und Erziehung als Krimineller und verschafft einen umfassenden Einblick in Denken, Handeln und Leben dieser Menschen, die Polizisten Köter nennen und nicht einmal mit ihnen reden. Sie, die Verweigerer jeglicher Regeln einer Staatsgewalt, akzeptieren nur ihre alten, überlieferten Handlungsmaxime, die sie mit einem Gerechtigkeitsgeruch versehen, das unter Umständen auch für viele Desillusionierte enorm attraktiv ist.
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