Den Wandel des Soldatenbildes innerhalb der europäischen Geschichte (inklusive eines bundesrepublikanischen Schwerpunkts) hat Claude Haas in der letzten Ausgabe der Zeit erhellend dargelegt. Und dort wo er geendet hat, gilt es weiter zu gehen. Man muss seine Betrachtung, die etwas abrupt schließt, und wesentliche Fragen aufwirft, fortspinnen, und erweitern, generalisieren: Wie ist das soldatische „Handwerk“, dieser Beruf in Zeiten eines weitgehend geeinten Europa, jenseits eindeutiger Bedrohungs- und Konfliktszenarien, zu beurteilen? Wollen wir es beurteilen? Wir, d.h. die Politik muss es, sollte es. Die Frage warum man am Hindukusch steht, benötigt eine klare Antwort. Man ist sie den Hinterbliebenen schuldig, und dem Bürger.
Kriege führen, für den Frieden (Popper). Gehen wir davon aus, dass es gerechte Kriege gibt, lassen wir Verteidigungsszenarien und die Abwehr von Aggression außen vor, und ebenso Kriege als bloße Fortführung, als Mittel der Politik, der Macht. Welche Aufgaben haben Soldaten dann zu erledigen, welche gerechten Kriege auszufechten, wenn wir davon ausgehen, dass sie dafür in ihrer Heimat nicht benötigt werden?
Die Frage, die zur Zeit nicht nur Militärs beschäftigt, wird zum Kristallisationspunkt im Buch des israelischen Militärhistorikers Martin van Creveld »Die Gesichter des Krieges«: Gibt es einen Ausweg, oder sind reguläre, staatliche Armeen zukünftig zur Ohnmacht gegenüber kleinen, häufig schlecht organisierten Gruppen von Terroristen verdammt? In Bezug auf die derzeit einzig verbliebene Supermacht USA und deren aktueller Kriegsführung im Irak stellt sich die Frage pointierter: Was, wenn nicht einmal eine derart hochgerüstete Militärmacht gegen Terroristen und Guerillas reüssieren kann?
Will man die Gegenwart verstehen, so studiere man die Vergangenheit sagt sich van Creveld und analysiert die Kriege des 20. Jahrhunderts und damit den »Wandel bewaffneter Konflikte von 1900 bis heute« (so der Untertitel). Das Ungewohnte dabei ist, dass nicht nur, wie im Vorwort erläutert, die militärischen Operationen selbst…der zentrale Strang der Fragestellung bleiben, sondern (insbesondere was die Behandlung des Zweiten Weltkriegs angeht) die politischen und sozialen Implikationen fast immer ausgeblendet werden. Dieses speziell für den deutschen Leser ungewohnte Verfahren wurde wohl einerseits gewählt, weil ansonsten der Rahmen der Untersuchung gesprengt worden wäre, andererseits setzt van Creveld schlichtweg ein gewisses historisches Basiswissen voraus.
So wird der Leser zunächst in die Welt des beginnenden 20. Jahrhunderts mit seinen acht Großmächten (inklusive Italien), davon fünf in Europa (wenn man Russland nicht hinzurechnet; nur zwei Großmächte waren außerhalb des »alten« Kontinents: die USA und Japan) versetzt. Dabei wird deutlich, dass der Einfluss der Politik auf das Militär damals nur sehr eingeschränkt war. Van Creveld spricht wohl ohne Übertreibung von Parallelwelten, die in der Praxis kaum Berührungspunkte miteinander hatten. Oberkommandierende und Generalstäbe waren hinsichtlich ihrer Entscheidungen vollkommen autark; die Mittelgewährung geschah ohne Auflagen oder Kontrolle. Über die Ausstattung ihrer Armee entschieden sie weitgehend alleine. Im Verlauf der Ersten Weltkrieges (aber auch in den letzten Jahren Nazideutschlands) sollte sich diese »Arbeitsteilung« als schwerwiegender Fehler erweisen, denn erst einmal »ausgebrochen« waren die politischen Akteure nahezu vollständig an den Rand gedrängt (was sich unter anderem in Deutschland 1914 zeigte; Wilhelm II. war danach sowohl militärisch als auch politisch praktisch »machtlos«).
Van Creveld spricht das Wort der »Militärdiktatur« nicht aus, es wird jedoch nahegelegt mindestens was die Jahre ab 1916 in einigen kriegsführenden Staaten angeht. Hinzu kam, dass die Gesellschaften durchaus militarisiert waren; die Armee galt als »Schule der Nation«, Krieg als legitimes Mittel der internationalen Politik. In der Bevölkerung wie unter Intellektuellen gab es eine gewisse kindliche Faszination dem bewaffneten Kampf gegenüber.